Zum fünften diesjährigen Kirchenkonzert konnte Regionalkantorin Eva-Maria Anton eine größere Anzahl von interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern begrüßen, bevor sie "ihren Chef", den Leiter des bischöflichen Institus für Kirchenmusik, als Solisten des Orgel-Nachmittags willkommen hieß. Diözesan-Kirchenmusikdirektor Lutz Brenner hatte aus Mainz einen bunten Strauß von Orgel-Werken in unsere Kurstadt mitgebracht - unter dem Titel „Die Orgel tanzt“ musizierte er zur Begeisterung der Zuhörerinnen und Zuhörer mehr als eine Stunde lang auf der Orgel der Gebrüder Link, die er „für eines der schönsten Instrumente im Bistum“ hält, und entfaltete dabei eine atemberaubende Vielfalt der Musikstile und Kompositionsweisen aus fünf Jahrhunderten.
Sein abwechslungsreiches Programm begann Lutz Brenner mit einem prachtvollen „Coronation March“: Mit diesem majestätischen Werk hatte der deutschstämmige Komponist Giacomo Meyerbeer in seiner französischen Oper „Le prophète“ den Einzug von Jan Leiden in den Münsteraner Dom musikalisch dargestellt. „Improvisieren“ bedeute, „aus dem Moment heraus zu komponieren, ohne Noten aufzuschreiben“ – so hatte Brenner das Improvisieren auf der „Königin der Instrumente“ in seiner Eröffnungsansprache selbst charakterisiert. Und er stellte seine außergewöhnlichen Fähigkeiten auf diesem Gebiet anschließend mit drei improvisierten Choralbearbeitungen im Stil des Barock über Choräle aus dem Gotteslob unter Beweis, wobei er die Melodiestimme, den sog. cantus firmus, beim ersten Choral im Sopran erklingen ließ, beim zweiten im Alt und beim abschließenden im Bass.
Die fünf Variationen „Ballo del Granduca“ von Jan Pieterson Sweelinck wurden zu einem ersten Höhepunkt in den tanzartigen Programmteilen: Durch adäquate Registerauswahl erzeugte der Organist den Eindruck, das für die Hochzeit eines Medici-Fürsten geschriebene Werk werde leibhaftig von wechselnden Bläserensembles der Renaissancezeit aufgeführt.
Als Meister der Gegensätze schloss Brenner daran aus der Komposition „Vier biblische Tänze“ von Petr Eben „Die Hochzeit von Kana“ an: „Weil hier der Wein in Strömen floss, ist mit Sicherheit auch getanzt worden“ soll der Tscheche selbst zu seiner zeitgenössischen Komposition gesagt haben, deren ekstatische Klangkaskaden für manche Konzertbesucher zumindest unerwartet, wenn nicht verstörend gewesen sein mögen - doch mit J. S. Bachs wunderbarer „Air“ in seiner eigenen Bearbeitung für Orgel ließ Lutz Brenner gleich „musikalischen Balsam“ für empfindsame Gemüter folgen.
Aus Camille Saint-Saëns bekanntem Orchesterwerk „Le carnaval des animaux (Der Karneval der Tiere)“ hatte der Solist die Sätze „L’Éléphant (Der Elefant)“, „Aquarium“ und „Le Cygne (Der Schwan)“ in der faszinierenden Transkription für Orgel von Ekaterina Melnikova ausgewählt und zeigte auch hier sein stilsicheres Feingefühl bei der Auswahl der Register, um Klangeffekte der besonderen Art zu erzeugen, so dass man etwa durch den Einsatz der hochliegenden Aliquoten im „Aquarium“ regelrecht das Schimmern und Glitzern des Wassers wahrzunehmen glaubte.
Wenn „die Orgel tanzt“, sollte natürlich auch ein Bolero auf dem Programm stehen – mit dem „Boléro de concert“ des Franzosen Louis de Lefébure-Wély hatte Lutz Brenner dafür ein virtuoses Schmuckstück aus der „Pariser belle Epoque“ ausgewählt.
Für seine anschließenden „Freien Improvisationen über Themen und Choräle aus dem Publikum“ hatten sich einige Konzertbesucher offenbar vorgenommen, den Diözesan-Kirchenmusikdirektor vor fast unlösbare Aufgaben zu stellen, und hatten etwa „Ein Waschbär im Hühnerstall“ oder „Harry Potter“ aufgeschrieben oder Wünsche wie „Großer Gott wir loben dich - im Heavy-Metal-Stil“ und „Engel auf den Feldern singen“ in das bereitgestellte Themenkörbchen gelegt. Doch zur allgemeinen Begeisterung konnte der internationale Preisträger für Improvisation diese und weitere Themen wiedererkennbar in seine „drei symphonischen Skizzen“ einbauen und sich damit als wirklicher Meister seines Fachs zeigen.
Nach so viel Bewegung gönnten die langen Melodiebögen der „Cantilene in F-Dur“ des schweizerischen Kirchenkomponisten Joseph Rheinberger dem Ohr einige Minuten einer fast meditativen Ruhe, bevor Lutz Brenner nochmals seine brilliante technische Kompetenz mit dem grandiosen „Carillon de Westminster“ des Pariser Großmeisters Louis Vierne zeigen und damit auf der Nauheimer Link-Orgel mit ihrer französischen Disposition einen fulminanten Schlusspunkt setzen konnte. Lange anhaltender Applaus mit „standing ovations“ dankte dem Solisten für einen Konzertnachmittag, von dem unter den teilnehmenden Musikfreunden noch lange die Rede sein wird.