Nun sind tatsächlich schon drei Monate vergangen als ich mich (nach monatelanger Vorbereitung) am Frankfurter Flughafen befand und mich tränenreich von meiner Familie verabschiedete. Die Idee, ein Jahr im Kosovo zu verbringen wurde also endlich greifbar, real und zu meinem Alltag.
Aber zunächst etwas mehr über meine Einsatzstelle: das „CONCORDIA Tranzit Centre” befindet sich in Prizren, der zweitgrößten Stadt des Kosovos, um genauer zu sein in Tranzit, einem Teil Prizrens, indem hauptsächlich Roma-Familien leben. Das Tranzit- Projekt wurde ursprünglich von einem jungen Jesuiten zusammen mit Freiwilligen des benachbarten Loyola-Gymnasiums gegründet und dann Anfang 2021 von der Organisation CONCORDIA übernommen. Rund 60 Kinder kommen jeden Tag in das Centre und erhalten Hilfe bei den Hausaufgaben, Musikunterricht und Freizeitangebote. Das Centre hat ebenfalls einen Kindergarten und ein Orchester.
In meinen ersten Wochen in Prizren habe ich mich fast ausschließlich auf das Erlernen der albanischen Sprache konzentriert, um so besser im Team arbeiten zu können. Nach etwa drei Wochen fing ich dann an, im Kindergarten zu arbeiten. Kleinkinder haben oft einen einfachen Satzbau und verzeihen einem den einen oder anderen sprachlichen Fehler und somit war mein Einstieg in das Projekt einfacher, als ich es mir vorgestellt hatte.
Die anfängliche Leichtigkeit hielt nicht lange an. Je länger man in Tranzit ist und mehr oder weniger mit den Roma lebt, desto mehr merkt man, wie hart der Alltag dieser Menschen ist. Viele Kinder leiden unter Bildungsarmut, da sie entweder nie in die Schule gegangen sind oder in der Schule Opfer von Mobbing und Diskriminierung wurden: Die Diskriminierung der Roma ist ein riesiges Problem im fast ganzem Balkan. Die Verbindung zwischen einer Gemeinschaft, die so traditionell geprängt ist, aber gleichzeitig materiell so schlecht gestellt ist, und dem Rest der kosovarischen Gesellschaft besteht kaum.
Meine Arbeit als Freiwillige ist nicht dazu gedacht, alles zu verbessern und zu verändern. Das würde den Rahmen der Möglichkeiten sprengen und außerdem nicht funktionieren. Dass die Verbesserung der Situation in Tranzit nicht von dem einen auf den anderen Tag passieren kann und dass man besonders bei solchen Fällen in Generationen denken muss, musste ich auch erst lernen. Die einzelnen Schicksale mancher noch so junger Menschen blieben mir wochenlang im Kopf, besonders da ich über die vergangene Zeit eine emotionale Bindung aufgebaut habe. Doch Concordia ist hier ein Lichtblick. Wenn nun die Kinder aus Tranzit endlich zur Schule gehen und damit oft die erste Generation sind, die Lesen und Schreiben kann, so beginnt ein Prozess und damit hoffentlich eine Verbesserung.
Heute habe ich mich gut eingelebt. Ich kenne die Abläufe des Centers, kenne die meisten Familien und habe unfassbar viel Spaß an meiner Arbeit und diesem kleinen Fleck in Europa.
Jeden Morgen stehe ich gegen 7.30 Uhr auf, mache mich fertig, frühstücke, und gegen 8.30 Uhr verlassen meine Mitfreiwillige Agathe und ich unsere kleine Wohnung auf dem Gelände des Loyola-Gymnasiums. Wir gehen dann schräg über das Gelände, zur Küche der Internatsmensa und holen Essenscontainer mit den Resten des Abendessens vom Vortag ab. Dieses Projekt haben wir uns ausgedacht und nun muss kein Essen mehr weggeworfen werden, sondern kann von uns an bedürftige Familien in Tranzit verteilt werden. Das Ganze kommt dann ins Auto und wir fahren zu einer Familie, deren Kinder erst seit ein paar Wochen in das Concordia Tranzit Centre gehen. Agathe und ich betreuen momentan die Kinder dieser Familie intensiver, unter anderem weil wir es geschafft haben, sie in der Schule zu registrieren. Auf dem Weg dahin holen wir oft noch “Krenar” ab, einen Sozialarbeiter aus Tranzit, geben dann das Essen dieser besagten Familie und nehmen die zwei jüngeren Kinder mit. Dann geht es zu Concordia, wo wir den Tag mit einem Morgenkreis starten: Hier kann jedes Kind sagen, wie es ihm geht und für was es heute beten möchte. Dazu wird eine Stelle aus der Bibel und aus dem Koran vorgelesen. Kurz darauf putzen alle Kinder ihre Zähne, ebefalls etwas, worauf Agathe und ich stolz sein können, da dies unsere Idee war. Viele Kinder leiden unter mangelnder Hygiene und demnach sehen die meisten Zähne schlimm aus.
D anach ist die Hausaufgabenzeit, denn die meisten Kinder sind vormittags im Centre und nachmittags in der Schule. Diese Zeit ist nicht immer einfach, da viele Kinder in Tranzit eine so schlechte Bildung erhalten, dass die Hausaufgaben oft unmöglich erscheinen. Wenn dann die Hausaufgaben geschafft sind, helfen Agathe und ich noch einigen Kindern zu duschen… je nachdem, wo Bedarf ist. Oft gibt es dann schon Essen und wir helfen in der Küche das Essen zu verteilen und essen selbst mit den anderen Sozialarbeitern.
Um 12.30 Uhr fahren wir dann los und bringen die beiden Kinder, die wir auch jeden Morgen abholen, in die Schule. Hier müssen wir oft bis zum Klassenraum mitgehen, da sie schon öfter betteln gegangen sind, anstatt in die Schule zu gehen. Auf dem Rückweg fahren wir an ihrem Zuhause vorbei und holen die zwei älteren Brüder der Familie ab. Die Zwei sind 14 Jahre alt und leider nie zur Schule gegangen. Keine Schule würde sie in diesem Alter noch akzeptieren und deshalb versuchen Agathe und ich momentan, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen. Wir fahren sie in das Centre, wo sie erstmal essen, dann eventuell duschen und danach eine Stunde mit uns das Alphabet üben. Danach habe ich noch zwei Jugendliche aus Tranzit, denen ich jeden Tag Deutschunterricht gebe, und Agathe fährt die beiden Jungs wieder nach Hause. Dann ist es ist es oft schon vier oder fünf Uhr und die Musikstunden fangen in Tranzit an. Wir bleiben dann oft noch länger da oder besorgen noch Dinge für Concordia in der Stadt. Dann fahren wir irgendwann zurück zum Loyola-Gymnasium, wo es um 18.30 Uhr Abendessen gibt. Danach sind wir oft so müde, dass wir einfach den Abend zuhause ausklingen lassen.