Am Sonntag, dem 26. Juni 2022, gastierten die Organistin Marina Sagorski und die Cellistin Nina Barashkova mit Werken für Orgel von J. S. Bach und C. Franck sowie für Violoncello und Orgel von den ukrainischen Komponisten Mykola Lysenko und Boris Lyatoshinsky .
Während die Organistin schon über 30 Jahre in Deutschland lebt, musste die Cellistin erst kürzlich aus der ukrainischen Stadt Kharkiw fliehen.
Doch seit ihrer Kindheit haben die beiden Musikerinnen gemeinsame musikalische Wurzeln: Sie besuchten zunächst die Spezialmusikschulen in Kharkiw, wechselten dann auf das Musikinternat in Moskau und studierten anschließend am Moskauer Tschaikowski-Konservatorium.
Diese gleichen musikalischen Erfahrungen in Kindheit und Jugend machten das gemeinsame Musizieren bei ihrem Gastkonzert in Bad Nauheim zu etwas ganz Besonderem - nicht nur für das Publikum, sondern auch für die beiden Ausnahme-Musikerinnen selbst.
Die Organistin hatte 1991 ein Stipendium der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche erhalten und deshalb ihre ukrainische Heimat verlassen. Sie studierte in Hannover und Hamburg Kirchenmusik, belegte anschließend die Solistenklasse Orgel an der Hochschule in Stuttgart und wurde Preisträgerin vieler Orgelwettbewerbe im In- und Ausland. Nach Wirkungsstätten in Hannover, Hamburg und Schwerin ist Marina Sagorski als Kirchenmusikerin an der Petrusgemeinde Gießen und als Propsteikantorin in Oberhessen tätig - so ist sie das evangelische Pendant zu unserer Regionalkantorin Eva-Maria Anton.
Zur Vorbereitung auf ihr Gastspiel war Sagorski zweimal nach Bad Nauheim gereist, und von den Erfahrungen mit unserer Link-Orgel schwärmt sie regelrecht: Mit ihrer französischen Disposition sei sie ideal für Kompositionen der französischen Großmeister geeignet, und die mechanische Traktur erlaube es, den Anschlag eines Tons feinfühlig zu beeinflussen. Ihre gründliche Vorbereitung zeigte sich besonders eindrucksvoll beim „Pièce héroique“ von César Franck, das sie als Konzertabschluss spielte: Wie schon beim Franck-Konzert von Eva-Maria Anton wurden hier „alle Register gezogen“, und die große Klangfülle des Instruments beeindruckte ebenso nachhaltig wie seine gewaltige Dynamik.
Zum Konzertauftakt gab Marina Sagorski eine musikalische Einführung in das Programm und ging dabei auch auf die Flucht von Nina Barashkova aus ihrer ukrainischen Heimat ein.
Die ukrainische Cellistin studierte Musik und Violoncello am Moskauer Konservatorium und an der Universität der Künste in Kharkiw (Ukraine). In Friedenszeiten war sie Stimmführerin der Violoncello-Gruppe im Nationaltheater Kharkiw, unterrichtete Violoncello an der Nationaluniversität der Künste und war gefragt als Solo-Cellistin und als Kammermusikerin.
Der dramatische Krieg in der Ukraine zwang Nina Barashkova zur Flucht aus der zerstörten Stadt Kharkiw: Die Stadt wurde massiv angegriffen, und Nina Sagorski musste, wie viele andere, ihre Heimat fluchtartig verlassen - ihr geliebtes Cello blieb dort im Theater zurück. Auch dieses Gebäude wurde zwar von einer Rakete getroffen, aber Gott sei Dank am entgegengesetzten Ende - und so konnte das Cello zusammen mit den übrigen Musikinstrumenten gerettet werden. Zwei Monate später erreichte es auf abenteuerlichem Weg über Litauen schließlich seine Besitzerin in Deutschland, die bei Marina Sagorski in Gießen Asyl gefunden hatte.
Das Foto zeigt die Solo-Cellistin nach einem Konzert in ihrer Heimat.
Die Ankündigung dieses Konzerts hatte interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer ausdem weiteren Umkreis der Wetterau zum Besuch der St. Bonifatius-Kirche bewegt. Und sie wurden für ihr Kommen reichlich belohnt, denn an diesem Sonntagnachmittag bekamen sie Musik der ganz besonderen Art zu hören, die sicherlich lange nachklingen wird, und bedankten sich dafür mit lang anhaltendem Applaus.
Nicht enden wollte der Beifall nach diesem unvergesslichen Konzert: Mehrmals mussten Marina Sagorski und Nina Barashkova an die Brüstung der Orgel-Empore kommen, um die standing ovations der Zuhörerinnen und Zuhörer entgegenzunehmen, bevor sie dann zu einem Erinnerungsfoto unserer Chronistin Brigitta Gebauer gemeinsam auf der Orgelbank Platz nehmen konnten.