Beim dritten diesjährigen Kirchenkonzert in St. Bonifatius am vergangenen Palmsonntag wurde die große inhaltliche Vielfalt der europäischen Musik des Spätbarock augenscheinlich: Nach einer imposanten Komposition für Orgel solo folgte ein mehrsätziges Konzert für Streicher mit Continuo, und dies leitete zu einem grandiosen Vokalwerk mit Streicher- und Orgelbegleitung über.
Der vielseitige Licher Kantor Christof Becker, der beim ersten Kirchenkonzert schon als Violin- und Bratschensolist brilliert hatte, eröffnete den sehr gut besuchten Konzertnachmittag als Solist an der großen Link-Orgel.
Seine meisterhafte Interpretation von Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge in h-Moll, BWV 544, brachte die herrlichen Klangfarben dieses Instruments wunderbar zur Geltung.
Nach diesem virtuosen Auftakt wechselte Becker von der Orgelempore in den Altarraum, um dort das Knapp-Quintett souverän auf dem Cembalo zu begleiten. Unter der Leitung von Eva-Maria Anton führten die fünf Streicher das Concerto Nr. 1 in f-moll von Francesco Durante in vorbildlicher Weise auf. Dabei gelangen dem Ensemble die schönen Kantilenen der langsamen Sätze ebenso gut und rhythmisch präzise wie der tänzerisch-federnde Schlusssatz.
Diese Werkauswahl zeigte interessante Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der europäischen Barockmusik auf: Francesco Durante hatte zeitgleich mit Johann Sebastian Bach gelebt, allerdings mehr als 1500 km von Leipzig entfernt in Süditalien. Im Gegensatz zum Thomaskantor stammte er nicht aus einer Musikerfamilie, sondern war als siebtes von elf Kindern eines Handwerkers in Neapel geboren worden und hatte im dortigen „Konservatorium der Armen von Jesus Christus“ seine gründliche Ausbildung zum Musiker erhalten. Als vielseitiger Komponist von Instrumental- und Kirchenmusikwerken wirkte er später lebenslang als Lehrer an seiner neapolitanischen Ausbildungsstätte; und obwohl er selbst – genau wie Bach - keine Opern komponiert hatte, erlangten vier seiner Schüler überregionale Bedeutung in eben diesem Genre, darunter auch Giovanni Battista Pergolesi.
Auch darin zeigte sich die durchdachte Werkauswahl der Regionalkantorin - die letzte Komposition des schon mit 29 Jahren gestorbenen Pergolesi, das „Stabat Mater dolorosa“, bildete nämlich den Höhepunkt und Abschluss des Programms. Seine Vertonung eines mittelalterlichen zwölfstrophigen lateinischen Gedichts im damals neuen galanten Stil hatte Pergolesi für zwei Frauenstimmen, Chor, Streicher und Orgel komponiert und damit ein unvergängliches Meisterwerk der Kirchenmusik geschaffen.
Eva-Maria Anton hatte für das Nauheimer Konzert Esther Hock (Sopran) und Stefanie Tettenborn (Alt) als Solistinnen gewinnen können; den Chorpart hatte sie mit dem Jugendchor und der Frauenschola St. Bonifatius besetzt und die einfühlsame Begleitung dem Knapp-Quintett anvertraut – wiederum unterstützt von Christof Becker, diesmal an der Truhen-Orgel.
Bei der Aufführung konnte Esther Hock mit ihrem tragenden Sopran das große Kirchenschiff mühelos mit Klang füllen, aber genauso zeigen, dass sie ihre Stimme bis ins Piano abstufen kann. Ebenso differenziert legte Stefanie Tettenborn ihre Altpartien an, und im Duett harmonierten beide ganz wunderbar.
Dazu passend bezauberten die Chorsängerinnen mit glockenhellen Sopranen auf dem Fundament warmer Alt-Stimmen; mit ihrem Vortrag dieses anspruchsvollen Werks verstärkten sie noch den positiven Eindruck, den sie schon bei Auftritten im letzten Jahr hinterlassen hatten.
So wurde die Aufführung des „Stabat Mater“ zu einer in sich stimmigen Gesamtleistung aller Beteiligten, die mit herzlichem und anhaltendem Applaus der Konzertbesucherinnen und -besucher belohnt wurde.