Schmuckband Kreuzgang

Wunderbar

Fulminanter Neustart der Kirchenkonzerte in St. Bonifatius

Glücklich nach seiner solistischen Meisterleistung: Christof Becker (c) Hanna von Prosch
Datum:
Di. 11. Jan. 2022
Von:
Hanna von Prosch

Wie könnte ein musikalisches Jahr besser beginnen als mit einem fulminanten Orgelkonzert. In St. Bonifatius war die Freude doppelt groß am Sonntag, denn es war auch das erste Konzert nach der Kirchenrenovierung und Ausreinigung der Orgel. Mit Gastorganist Christof Becker und Olivier Messiaens »La Nativité du seigneur« gelang ein wunderbarer Neustart.

Olivier Messiaen, der vor 30 Jahren 84-jährig starb, war 60 Jahre Titularorganist an St. Trinité in Paris und kostete die Klangpalette der dortigen Cavaillet-Coll-Orgel für seine Kompositionen voll aus - auch auf der Link-Orgel in St. Bonifatius klang das ebenso spannende wie komplexe Werk wie eine Offenbarung.

▶︎ zu Hanna von Proschs Artikel „Wunderbarer Neustart“ in der Mediathek der Wetterauer Zeitung

»La Nativité du Seigneur« klang wie eine Offenbarung

Der Komponist selbst sagt von sich, er sei als Glaubender geboren - die Verherrlichung Gottes war sein erklärtes Ziel. Durch den Eindruck des sich in den Kathedralfenstern brechenden Lichts wurde er zum Synästhetiker und setzte die Beziehung zwischen Klang und Farbe in den Mittelpunkt seines Schaffens, so, wie er etwa im achten Satz »Die Waisen« Farbempfindungen zwischen Gold, Blau und Violett mit Orange wahrnahm.

Beim Registrieren assistiert von Regionalkantorin Eva-Maria Anton und ihrer Tochter Lara fühlte sich Christof Becker an dem zweimanualigen Instrument wohl. Es sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, bekannte er im Anschluss, gerade weil Messiaen die Tempi unendlich langsam vorgesehen habe und die Taktvorgaben eigenwillig seien.

Auch als Hörer/in musste man die Langsamkeit in vielen der neun meditativen Sätze und die langen eindringlichen Töne aushalten können bei fast einstündiger Länge des anspruchsvollen modernen Werks.

Jubel über die frisch erklingende Orgel

Die neun Meditationen über Bibelzitate hörbar zu machen erfordert das Eintauchen in die zugrundeliegende Programmatik:
Der erste Teil heißt »Die Jungfrau und das Kind«. Freudig bewegt erklingt ein schlichter Hymnus über die Geburt des Kindes.
Im zweiten Satz kehren die Hirten, gleichmäßig von einem Einzelton zum anderen schreitend, zur Herde zurück und stimmen einen Lobgesang an.
Der dritte Teil, »Ewige Bestimmung«, ist extrem meditativ und lässt Messiaens Mystik vom Heilsplan erahnen.
In einem gewichtigen Akkord ertönt im vierten Satz Gottes Wort »Du bist mein Sohn«. Darauf bewegt sich kontrastreich eine lebendige Tonsprache.
Im Ruf »Abba, Vater«, erfährt der fünfte Satz seinen Höhepunkt, bevor er ruhig ausklingt: Mit Posaunen und der Strenge eines rhythmischen Kanons verkündet Gott, dass alle, die das Wort aufnehmen, seine Kinder werden.
Messiaen wird aus Liebe zur Natur in späteren Jahren Ornithologe. Das erklärt das Flirren und Schwirren in höchsten schwebenden Tönen, vermischt mit Vogelstimmen, das im sechsten Satz den überirdischen Charakter der Engel unterstreicht.
Eindrucksvoll ist die Gegenüberstellung von Krippe und Kreuz in der siebten Meditation: Die mächtigen, tief grollenden Akkorde haben etwas Unumstößliches, das sich stets in einer lieblichen Leichtigkeit auflöst.
In Dreiertongruppen schreiten dann im achten Satz die drei Weisen zur Krippe. Verträumt nehmen sie das Publikum mit auf ihrem langen Weg bis zum Stall, wo in einem hellen, himmlischen Ton der Stern über der Krippe leuchtet.
Im virtuosen Schlussteil mündet die Komposition in einer gewaltigen Toccata, die den ganzen jubelnden Lobpreis des Inkarnationsthemas offenbart.

Für das Publikum in St. Bonifatius wird der alles umfassende Schlussakkord auch den Jubel über die wieder frisch erklingende Orgel eingeschlossen haben - das zeigten die Zuhörerinnen und Zuhörer nach dem Konzert mit „standing ovations“ und lang anhaltendem Beifall für den großartigen Solisten.

Außergewöhnlich vielseitige Musikerpersönlichkeit

Christof Becker ist gern gesehener Gast in St. Bonifatius - regelmäßige Besucher unserer Kirchenkonzerte haben sicherlich noch sein Solo-Konzert am 4.02.2018 in bester Erinnerung.
Der Kirchenmusiker stammt aus Landau/Pfalz, wo er in diversen Chören und Orchestern mitwirkte. Eine nachhaltige Ausbildung erfuhr er im kirchenmusikalischen Seminar Landau als Schüler von LKMD Prof. Heinz Markus Göttsche in Orgel und Chorleitung. Dem folgte das Studium der Kirchenmusik, Musikpädagogik, Orchestermusik (Viola) und Dirigieren an den Musikhochschulen in Karlsruhe, Heidelberg und der Folkwang-Hochschule in Essen.
Nach Tätigkeiten in der Pfalz an der Ev. Stadtkirche Rastatt und in der Baden-Badener Philharmonie sowie einem Lehrauftrag für Orchesterleitung an der Universität Kaiserslautern kam Christof Becker 2001 als Kantor an die Marienstiftskirche in Lich.
Neben den Studien im Hauptfach Viola beschäftigte er sich mit der historischen Aufführungspraxis und spielt seither auch Barockgeige, Barockbratsche und Cembalo. Weitere Anregungen erwarb er auf Kursen bei Barockspezialisten sowie als Streichquartettspieler beim Amadeus-, Alban Berg-, LaSalle- und Tomasini-Quartett. 
Vor rund 18 Jahren gründete er und leitet seitdem das Barockensemble "Fontanella-Consort", welches mit historischen Instrumenten hauptsächlich Solokantaten und barocke Kammermusik aufführt.