Schmuckband Kreuzgang

Wort zur Woche

Bleiben und Aufbrechen

Wort zur Woche (c) D. Thiel
Wort zur Woche
Datum:
Do. 9. März 2023
Von:
Dietmar Thiel

In jeder StadtPost Neu-Isenburg gibt es ein „Wort der Woche". Pfarrerinnen, Pfarrer und Vertreter der Kirchengemeinden aus Neu-Isenburg teilen ihre Gedanken zur Jahreszeit, zu Entwicklungen in unserer Gesellschaft oder zu Dingen, die sie aus christlicher Sicht bewerten, mit.

In der Ausgabe: Jahrgang 39, Ausgabe Nr.10, Donnerstag, 9. März 2023, veröffentlichte die StadtPost folgenden Artikel:

Bleiben und Aufbrechen

„Nun lass doch mal die Kirche im Dorf,“ sagt mein Gegenüber. – Ich höre es und finde: Das ist eine schöne Redewendung, ein starkes Bild. Zugleich frage ich mich, was damit eigentlich gemeint ist – „Die Kirche im Dorf lassen“. Ich verstehe es so: Wer die Kirche nicht im Dorf lässt, hat etwas Unerwartetes, Übertriebenes, Abwegiges gesagt oder getan. Denn die Kirche gehört ins Dorf - das Kirchengebäude und die Menschen, die mit der Kirche verbunden ist: die Gemeinde.

Die Kirche im Dorf entdecke ich meistens beim Wandern. Komme ich auf meinem Weg in ein Dorf, mache ich gerne an der Kirche halt. Wenn sie geöffnet ist, lege ich eine kleine Pause in der Kirche ein.

Kirche und Wandern kommen so zusammen. Doch es gibt etwas, das Kirchengebäude und Wandern bereits im Ansatz unterscheidet. Die Kirche, speziell das Kirchengebäude steht für das, was bleibt und bleiben soll. Wandern hingehen ist Bewegung. Wer wandert, der bleibt gerade nicht. Wandern ist mit einem Ortswechsel verbunden. Zwar gehören auch zum Wandern ein Ziel und Ankommen. Doch erst einmal geht es um Aufbrechen und Unterwegs sein. Wandern heißt auf dem Weg sein durch die Zeit. Deshalb ist Wandern auch ein Bild für den Pilgerweg des eigenen Lebens, zu dem Aufbruch und der Weg hin zu einem Ziel gehören. Bleiben und Aufbrechen - beides gehört zum Glauben.

Die Kirche im Dorf lassen oder Aufbrechen? Zwei Seiten des Glaubens sind das! Ein Widerspruch, gar ein unüberwindlicher? Ich sehe es so: Zum Leben gehören Phasen des Bleibens und des Aufbrechens. Nicht in jeder Zeit unseres Lebens gibt es fundamentale Brüche, es gibt auch Kontinuität, unser Leben ist im Fluss. Aufbrechen bedeutet nicht unbedingt einen Ortswechsel. Nicht jeder muss ein Wanderprediger werden, nicht jede als Botin des Evangeliums ferne Länder aufsuchen. Gott braucht uns grundsätzlich an dem Ort, an dem wir sind. Gottes Wille ist, dass wir bleiben und dabei zugleich mobil bleiben: offen für Neues, für neue Wege, auf die uns Gott weist. Auch wer bleibt, sollte bereit sein zum Aufbruch! Für beides brauche ich Gottes Beistand: ein offenes Ohr dafür, was Gott mir sagen will, und durch alle Lebensphasen ein junges, mutiges Herz.

Martin Berker, Pfarrer in St. Josef – Neu-Isenburg