Hoffnung in schweren Stunden

IMG_4462 (c) Heike Haugwitz
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Datum:
Fr. 14. Jan. 2022
Von:
Heike Haugwitz, Kinderkrankenschwester

Erfahrungsbericht von Heike Haugwitz, einer langjährigen Pflegekraft der Kinderintensivstation an der Universitätsmedizin Mainz.

Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, bekomme ich häufig zu hören:"Das, was sie machen könnte ich  niemals." Ich arbeite seit siebenunddreissig Jahren auf der Mainzer Kinderintensivstation, der ersten ihrer Art in Deutschland . Hier werden Kinder vom Neugeborenen bis zum jungen Erwachsen medizinisch versorgt und in ihrem Schicksal begleitet,manche nur wenige Stunden, manche wochenlang. Hier ist ein Ort an dem gebangt, gekämpft, gelitten und gestorben wird-aber nicht nur das! Es ist ebenso Raum für glückliche Momente, Freude, Lachen, kleine Siege, geborgenes Kuscheln  und viel Hoffen.
Manchmal fragen wir uns, ob das Kind und seine Familie mit dem Schicksal leben können und dann stehen sie eines Tages zu Besuch auf unserer Station, kaum wieder zu erkennen.
Wie die junge Mutter mit zwei hübschen kleinen Mädchen. Sie selbst bleibt durch ein schweres Verbrennungsunglück als Kind schwer gezeichnet, aber sie kommt mit einem Strahlen im Gesicht und lässt uns teilhaben an ihrem kleinen Familienglück. Sie hat als Kind wochenlang um ihr Leben gekämpft und sie Jahrzehnte später so glücklich zu sehen, macht uns auch froh und stolz.
Gerade die Vorweihnachtszeit beschert uns viele dankbare Besuche und zeigt uns, welch bleibenden Eindruck die Zeit auf der Intensivstation für die Familien hinterlassen hat. Sie wollen uns teilhaben lassen an den kleinen Fortschritten ihrer Kinder oder kündigen ihr baldiges Wiederkommen an. Einige Kinder sind regelmäßig auf unserer Station, manche haben sich schon fast „häuslich“ eingerichtet, wären da nicht die vielen medizinischen Geräte, die so garnicht in ein Kinderzimmer passen!
Hinter jeder Zimmertür unserer Station wartet ein anderes Schicksal für die betroffene Familie und wir Pflegenden müssen uns darauf einstellen, neben der hoch professionellen medizinischen Versorgung unserer Patienten auch für ihre Eltern da zu sein. Neben Erklärungen, Dasein und Mittragen , sind Ermunterung, Zuversicht und gemeinsames Hoffen ganz wichtig. Es darf geweint und gelacht werden- manchmal liegt beides sehr nah beieinander. Zur Weihnachtszeit passt dieses kleine Patientenschicksal. Ein Baby wird geboren und vermeintlich gesund nach Hause entlassen. Doch das junge Familienglück währt nur wenige Stunden. Dann geht es dem Baby schlecht, es kommt auf unsere Kinderintensivstation und kämpft um sein Leben. Tagelang hoffen alle Beteiligten mit den Eltern zusammen auf die Rettung ihres Babys, dass es überlebt und keine schweren Schäden zurück behält. Der Ausgang ist schwer vorhersehbar, verschiedene Untersuchungen sollen Klarheit bringen.
Nun , nach Wochen des Bangens liegt es in den Arm der Mutter gekuschelt und wird zum ersten Mal gestillt. Trotz Mundschutz sieht man den zärtlichen Blick der Mama und ein stolzes Lächeln für ihre kleine Kämpferin!

Unsere Seele ist müde

Trost in schweren Zeiten (c) stock.adobe.com
Trost in schweren Zeiten
Datum:
Fr. 14. Jan. 2022
Von:
Anja Weiffen/ Kirchenzeitung

Corona hat die Lage in Kliniken noch verschärft: Immer mehr medizinisches Personal kämpft gegen Zeitdruck oder kündigt. In welcher Gemütsverfassung sind Pflegekräfte und Ärzte? Und wie kann die Klinikseelsorge hier helfen?

Für die, die dableiben, wird es noch enger

„Es ist nicht die Anzahl der Corona-Patienten, die ist nicht so groß, sondern die Hilflosigkeit, die wir angesichts der Verläufe bei manchen Menschen spüren, was wir so bisher nicht gekannt haben – und die lange Zeit, die nun schon hinter uns liegt.“ Dieses Zitat stammt von einem Oberarzt, mit dem Klinikseelsorger Norbert Nichell über seine 24-Stunden-Rufbereitschaft zu tun hatte. Nichell, der regulär an der Universitätsmedizin Mainz seinen Dienst als Seelsorger ausübt, bestätigt diese Situation. „Bisher war die Zahl der Corona-Intensivpatienten in Mainz nie wirklich groß. Zum Glück“, sagt er. „Dennoch belastet die Pandemie das Krankenhauspersonal zusätzlich. Allein das ständige Anziehen von Schutzkleidung ist eine Herausforderung.“ Schon vor Corona war der Arbeitsalltag in Kliniken angespannt, beobachtet Nichell. Vor allem der sich zuspitzende Personalmangel ist ein Problem. Er zitiert eine Pflegerin, die ihm einen Einblick in den Gemütszustand von Pflegekräften gibt: „Unsere Seele ist müde geworden! Kolleg*innen haben gekündigt, weil sie ausgebrannt sind – und die Wartezeit für eine Behandlung ihrer posttraumatischen Belastungsstörungen beim Psychologen beträgt ein Jahr.“
Nichell erlebt Menschen, die ihre Arbeit mit viel Herzblut tun. „Die Teams versuchen über eine hohe Identifikation mit ihrer Arbeit diesen steigenden Druck von Arbeitsverdichtung und psychischen Belastungen zu meistern“, berichtet der Seelsorger. „Aber irgendwann kommt bei manchen ein Punkt: Plötzlich geht nichts mehr. Und wenn dann jemand kündigt, wird es für die, die dableiben, noch enger.“ Norbert Nichell schildert die Dimension des Problems. „Bei den regelmäßig stattfindenden Seminaren ,Umgang mit Sterben, Tod und Trauer‘ in der Krankenpflegeschule, die wir von der Seelsorge im dritten Ausbildungsjahr leiten, frage ich immer am Ende des Seminars, wer von den Teilnehmenden nach Abschluss der Ausbildung im Beruf bleiben will – und ich freue mich, wenn möglichst viele bleiben wollen: beim vorletzten Kurs waren es fast 100 Prozent, jetzt waren es gerade mal noch 50 Prozent.“

Wir können für eine gute Atmosphäre sorgen.

Dass immer mehr Pflegekräfte gehen, beschäftigt auch Claudia Frickel. Sie ist Stationsleiterin der Orthopädie im Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsmedizin Mainz. „Ich höre viel von dem Thema, und es gab schon zwei Kündigungen hier auf der Station. Ich kämpfe jeden Tag darum, mein Team zu motivieren. Und es kommen kaum neue Mitarbeitende nach“, sagt die Pflegerin. „Unser Beruf ist kräftezehrend, auch körperlich. 2021 war die Station immer überbelegt, wir wussten nicht mehr, wohin mit den Patienten. Die Akutgeriatrie ist voll, und auch viele Altenheime nehmen aktuell niemanden mehr an.“ Über Jahre hin habe sich die Arbeit in der Pflege verändert. „Ungefähr seit 2010 sind die Anforderungen deutlich gestiegen. Der demografische Wandel macht sich bemerkbar, die Patienten sind älter und kränker, vom Gewicht her schwerer. Demenz spielt öfter eine Rolle.“ Auch die Ansprüche an den Beruf sind gewachsen. „Zudem ist im Lauf der Jahre ein deutlicher Anstieg der Medikation zu verzeichnen.“ Ihrer Meinung nach muss der Personalschlüssel diesen neuen Bedingungen angepasst werden. Claudia Frickel legt viel Wert auf Empathie auf ihrer Station. „Bei uns war es in der Vergangenheit hart an der Grenze, dass wir noch Zeit hatten, mit Patienten zu reden. Denn wer diesen Beruf mit Leib und Seele ausübt, möchte auch Zeit für seine Patienten haben. Wer diese dann nicht hat, geht abends mit einem unglücklichen Gefühl nach Hause.“
Universitätsprofessor Christoph Kampmann, Leiter der Kinderkardiologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Mainz, stellt eine „unglaubliche Ökonomisierung“ der Krankenhäuser fest. „Da bleibt die Seele auf der Strecke, wenn man nicht aufpasst.“ Seit der Einführung des DRG-Abrechnungssystems „sind viele Betten abgebaut worden und werden weiter abgebaut, Pflegekräfte fehlen, Pflegezeitenbedarf wird nach Minutentakt verrechnet, dafür hat sich das Medizincontrolling vervielfacht“. Das Sparen an Betten und Personal habe aber zu keiner besseren Versorgung von Menschen geführt, im Gegenteil, „es wird in der Medizin immer mehr Geld ausgegeben“. Zum Beispiel für Folgeschäden. Er vergleicht die Medizin mit anderen Bereichen des Sozialsys-
tems: „Kann man mit der Feuerwehr oder mit Schulen Geld verdienen?“ Kampmann ist überzeugt, dass unter Einsparungen zuerst die Patienten leiden. „Das wird dann vom medizinischen, in erster Linie pflegerischen und ärztlichen Personal aufgefangen und kompensiert.“ Es brauche in diesen Berufen heute Demut und „eine freundliche Widerstandsfähigkeit, um den hohen ethischen Anspruch, den die allermeisten Kollegen haben, beizubehalten und missionarisch zu verbreiten“.
Kampmann, seit 27 Jahren Leiter der Kinderkardiologie, sieht die Klinikseelsorge gerade in dieser angespannten Lage als „unverzichtbare, absolute Bereicherung“, würde sie fehlen, wäre das eine Katastrophe, sagt er. Zugleich nimmt er wahr, dass in den letzten Jahren die Zahl der Ehrenamtlichen, die sich für Besuchsdienste engagieren, zurückgegangen ist. Auch dass sich die Kirche sukzessive aus dem Krankenhausbereich zurückzieht, bedauert der Oberarzt. Kampmann, seit 27 Jahren Leiter der Kinderkardiologie, sieht die Klinikseelsorge gerade in dieser angespannten Lage als „unverzichtbare, absolute Bereicherung“, würde sie fehlen, wäre das eine Katastrophe, sagt er. Zugleich nimmt er wahr, dass in den letzten Jahren die Zahl der Ehrenamtlichen, die sich für Besuchsdienste engagieren, zurückgegangen ist. Auch dass sich die Kirche sukzessive aus dem Krankenhausbereich zurückzieht, bedauert der Oberarzt.

Hier ist viel Vertrauen gewachsen

An den Rahmenbedingungen können Seelsorger wenig ändern, sagt Norbert Nichell, der außer für Patienten und Angehörige auch für das Personal ansprechbar ist. „Wir können für eine gute Atmosphäre sorgen. Hier ist viel Vertrauen über die Jahre gewachsen.“ Nicht nur Gesprächsmöglichkeiten entlasten das Krankenhauspersonal. „Auch wenn Pflegende und Ärzte wissen, dass Seelsorger bei den Patienten sind, nimmt das ihnen den Druck.“ Veränderungen in den Strukturen der Krankenhauswelt sieht Nichell bisher nicht. „Es gibt Häppchen von Veränderung. Aber Corona macht deutlich, dass viel im Argen liegt. Die Pandemie ist für mich ein Appell zu einer anderen Sicht auf das, was ist.“

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 16. Januar 2022. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de

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