„Seelsorge ist keine Einbahnstraße“ – Wie Ehrenamtliche in Altenheimen Trost und Hoffnung schenken

Frau mit alter Dame im Rollstuhl im Park (c) Gecko Studio | stock.adobe.com
Datum:
Fr. 21. März 2025
Von:
Erika Ochs interviewt von Alexander Stein

Es sind oft die leisen Momente, die am tiefsten berühren: Ein vertrautes Kirchenlied, das eine demenziell erkrankte Frau plötzlich mitsingt. Ein Gespräch, das einen neuen Blick auf das eigene Leben ermöglicht. Die ehrenamtliche Seelsorge in Alten- und Pflegeheimen ist mehr als ein Dienst – sie ist eine Bereicherung für beide Seiten. Doch warum engagieren sich Menschen in diesem Bereich? Was sind die Herausforderungen, und wie kann man sich einbringen? Im Interview berichtet Erika Ochs, Referentin Seniorenpastoral im Bistum Mainz, von bewegenden Begegnungen, der großen Dankbarkeit der Bewohnerinnen und Bewohner und davon, warum Seelsorge gerade im Alter so wichtig ist.

Frau Ochs, was erleben Sie oder die Ehrenamtlichen in der Arbeit mit alten Menschen? Gibt es besonders bewegende Momente?

Ochs_IMG_6560_b_quadrat_web (c) Bistum Mainz

Die meisten erzählen von einer großen Bereicherung für ihr eigenes Leben. Dass sie viel geschenkt bekommen. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter hat erzählt, dass er bei einer demenziell veränderten Frau, die auf seine Ansprache nicht reagiert hat, angefangen hat die erste Strophe von „Großer Gott wir loben dich“ zu singen. Er wusste, dass Menschen mit Demenz sich noch gut an Musik und früh erlernte Texte erinnern können. Er hat ihr zweimal die erste Strophe vorgesungen und beim dritten Mal fing sie an, erst leise und dann immer kräftiger mitzusingen. Ich erinnere mich noch an seine leuchtenden Augen, als er davon berichtet hat. Seelsorge mit alten Menschen ist keine Einbahnstraße, sondern bereichert das eigene Leben sehr. Es ist ein Geschenk, wenn Menschen ihre Lebensgeschichte erzählen und von den daraus gewonnenen Lebensweisheiten berichten. Das kann ein wertvolles Korrektiv für das eigene Leben sein. Manches ist dann gar nicht mehr so wichtig, wie man vielleicht vermeintlich glaubt.

Warum ist die seelsorgliche Begleitung in Alten- und Pflegeheimen so wichtig?

Weil die Menschen vor vielfältige Herausforderungen gestellt sind. Oft erfolgt der Umzug in eine Einrichtung, weil die Pflege daheim nicht mehr möglich ist. Oder nach einem Krankenhausaufenthalt wird klar, dass jemand nicht mehr nach Hause kann, weil die Pflege dort nicht gewährleistet werden kann. Gerade diese plötzlichen Umzüge sind schwierig und brauchen Zuwendung, damit sie verkraftet werden können. Sein Zuhause plötzlich aufzugeben, wo man vielleicht Jahrzehnte lang gelebt hat. Das ist gut vorstellbar, wie schwierig das ist. Viele wissen auch, dass die Einrichtung die letzte Station im Leben ist. Was gibt dann noch Sinn? Was ist noch für mich von Bedeutung? Kann ich hier das leben, was mir wichtig ist? Die Einrichtung hat ihre eigenen Regeln und Abläufe. Als Bewohner:in muss ich auch damit klarkommen. Ich treffe dort auf Menschen, die ich mir nicht ausgesucht habe, aber klarkommen muss. Wenn ich sehr pflegebedürftig bin, dann muss ich mich von fremden Menschen waschen lassen, versorgen lassen. Ich denke durch all die Beispiele wird gut deutlich, dass die Seele leidet und sie eine Sorge braucht.

Was bedeutet es konkret, ehrenamtlich in der Seelsorge tätig zu sein? Welche Aufgaben übernehmen die Ehrenamtlichen?

Das ist unterschiedlich. Manche besuchen konkret eine Person in der Einrichtung. Manche sind auf einem Stockwerk und schauen, wer gerade Gesprächsbedarf hat. Andere Ehrenamtliche halten Wort-Gottes-Feiern in den Einrichtungen. Manche bieten auch Bibelgespräche an oder Gesprächsrunden an. Es ist wichtig, dass die Aufgabe zur Person passt.

Welche Voraussetzungen sollte jemand mitbringen, der sich in diesem Bereich engagieren möchte?

Er oder sie muss alte Menschen mögen und gerne mit ihnen zusammen sein. Offenheit, um sich einlassen zu können. Empathie, um nachvollziehen zu können, wie es den Menschen geht. Auch die Bereitschaft sich qualifizieren zu lassen. Ein Seelsorgebegriff, der sich am Menschen und seinen Bedürfnissen orientiert. Was willst du, dass ich dir tue? Und natürlich entsprechend Zeit für das Ehrenamt.

Warum entscheiden sich Menschen dafür, ehrenamtliche Seelsorge zu leisten? Was motiviert sie?

Häufig sind es Menschen, die in der nachberuflichen Phase sind. Sie wollen was zurückgeben. Sie erleben ihr Leben und das, was sie haben als Geschenk und nicht selbstverständlich und wollen durch ihr Engagement ihre Dankbarkeit zeigen. Öfters sind auch Menschen dabei, die eine Angehörige in der Einrichtung hatten, die verstorben ist und sie nun dort tätig werden wollen, weil sie erlebt haben, wie wichtig die Unterstützung durch ehrenamtliche MitarbeiterInnen ist.

Welche Herausforderungen gibt es in der Seelsorge für Senioren, und wie geht man damit um?

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben und Tod. Das ist häufig auch ein Thema bei den Besuchen. Es kann auch sein, dass mein Mensch, den ich immer besuche, stirbt. Das Thema Demenz. Um gut mit Menschen mit Demenz umgehen zu können, brauche ich Informationen und Handwerkszeug. Und natürlich ist eine Pflegeeinrichtung mit all den Menschen in der letzten Lebensphase an sich schon eine Herausforderung.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Altenheime?

Es gibt viel Anerkennung und Dankbarkeit. BewohnerInnen freuen sich, wenn jemand kommt. Auch das Personal in den Einrichtungen schätzt die Arbeit der Ehrenamtlichen und oft entsteht auch hier ein Gespräch. Sicher mögen nicht alle BewohnerInnen besucht werden oder gar Seelsorge. Das ist klar. Immer weniger Menschen sind dem christlichen Glauben zugetan. „Mit dem Alter kommt der Psalter“, stimmt schon lange nicht mehr. Aber, Seelsorge ist hier für alle Menschen, die dies wünschen, offen.

Wie läuft die Qualifizierung ab, und welche Unterstützung bekommen die Ehrenamtlichen?

Wenn sich jemand meldet, dann schaue ich gemeinsam mit der Person, welche Einrichtung in Frage kommt. Die Anmeldung erfolgt dann über die Pfarrei. Eine hauptamtliche Person begleitet die Ausbildung als Ansprechperson. Die Qualifikation erfolgt dann in drei Präsenzveranstaltungen mit einer Übernachtung, einer Tagesveranstaltung und mehrere Onlineveranstaltungen. Genaueres steht in der Ausschreibung. Das ist die große Qualifizierung unter dem Titel: „Seelsorge braucht Gesichter.“

In den Regionen bieten die Kolleginnen der Koordination der Alten- und Pflegepastoral auch Qualifizierungen für Besuchsdienst an. Diese Qualifikation umfasst fünf Abende in Präsenz. Gerade sind wir auch dabei Unterstützungs- und Begleitangebote für nach der Qualifikation anzubieten. Ein online Angebot für Besuchsdienste gibt es schon. Insgesamt schauen wir immer, dass auch jemand weiterhin in seinem Ehrenamt gut begleitet wird.

Welche Rolle spielt der persönliche Glaube bei der Seelsorge?

Für mich persönlich spielt er eine große Rolle und sicher auch für die Ehrenamtlichen, die sich bei uns engagieren. Belastende Gespräche abgeben zu können, für Menschen in der Kirche eine Kerze zu entzünden oder ein Gebet zu sprechen. Wenn es im Gespräch stimmt, dann auch den eigenen Glauben zur Sprache bringen. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben ist ein wichtiger Bestandteil der Qualifikation.

Link zur Ausschreibung