Wie sehen Gemeindemitglieder die Zukunft der Pastoral vor Ort?

Eine Befragung durch Studierende der praktischen Theologie an der Katholischen Hochschule Mainz

Datum:
Fr. 17. Juni 2016
Von:
Prof. Peter Orth, Prof. Dr. Peter Kohlgraf
Im Rahmen ihres Studiums der praktischen Theologie forschen die Studierenden der Katholischen Hochschule empirisch in einer Lehrveranstaltung in einem von ihnen selbst gewählten Feld. Im vergangenen Wintersemester haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dafür entschieden, Mitglieder von Gemeinden aus dem Bistum Mainz über ihre Einschätzung der Zukunft der Gemeinden zu befragen und die Ergebnisse auszuwerten. Die Studie erhebt nicht den Anspruch einer repräsentativen Umfrage, aber immerhin 261 von 1000 ausgegebenen Fragebögen kamen ausgefüllt aus unterschiedlichen Gemeinden des Bistums Mainz zurück, so dass ein Einblick in die Einschätzungen der Menschen vor Ort möglich ist. Der recht hohe Rücklauf zeugt von der Motivation der Teilnehmenden.

Grundlage der Erstellung des Fragebogens waren Überlegungen der Verantwortlichen im Bistum und aktuelle pastoraltheologische Fachliteratur. So ergaben sich neben persönlichen Daten zur Person und dem eigenen Verhältnis zur Pfarrei folgende Themen, zu denen die Befragten ihre Einschätzung abgeben konnten: Vielfalt der Gottesdienstformen, Schwerpunkte der Pastoral in den Gemeinden, Rolle und Entwicklung des Ehrenamts, die eigene Bereitschaft, sich zu engagieren, Rollen und spezifische Aufgaben der Dienste und Ämter, schließlich die Bedeutung der Ökumene und die Rolle der Frau in der Bewältigung kommender Aufgaben.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die meisten derjenigen, die geantwortet haben, zu den bereits Engagierten in den Gemeinden gehören. Die Rückläufe decken sich ungefähr mit der Besucherstruktur vieler Gottesdienste: Die meisten sind über 40 jahre alt und zu 63% weiblich. 73% davon gehen häufig oder sehr häufig in den Gottesdienst. Nur 7,4% besuchen den Gottesdienst selten oder nie.

Auffallend hoch ist die Verbundenheit mit der Pfarrgemeinde (sehr: 71,7%, etwas: 22,8%). Nur 5,4% fühlen sich der Gemeinde nicht verbunden. Diese Tatsache zeigt die gemeindenahe Verortung der Teilnehmergruppe. Bemerkenswert ist allerdings, dass selbst bei einem Teil der wenigen Nicht-Engagierten und derer, die den Gottesdienst selten oder nie besuchen, diese Verbundenheit gefühlt wird. Bei den Items zu der Frage, was an der Gemeinde gefällt, bilden sich zwei Schwerpunkte heraus: Es ist zum einen die Gemeinschaft (60,4%) und die „guten Gottesdienste" (40,8%). 46,3% schätzen an der Gemeinde das „Gefühl von Heimat", so dass Gemeinschafts- und Heimatgefühl der entscheidende Faktor sind, die Menschen in der Gemeinde positiv erfahren möchten. Soziales Engagement oder Aktivitäten spielen demgegenüber eine geringere Rolle. Die Ergebnisse sind eine durchaus kritische Anfrage an manche pastoraltheologischen Überlegungen zur Gemeindegestaltung, in denen oft die Aktivitäten und das Engagement im Vordergrund stehen, während Heimatgefühl und Gemeinschaft als Phänomene eines untergegangenen Gemeindeverständnisses verstanden werden. In den Köpfen und Herzen zahlreicher Gemeindemitglieder sind diese Leitbilder noch lebendig. Änderungen, die dies in Frage stellen, berühren tiefe Emotionen und negieren Bindungsverhalten von Menschen.

Bei den Fragen nach der Seelsorge der Zukunft überrascht, dass 50,2% der Befragten die Entwicklung mit weniger Priestern und –dadurch bedingt – weniger Eucharistiefeiern und einer wachsenden Vielfalt anderer liturgischer Feiern als Gewinn betrachten; nur 21,8% sehen diese Entwicklung ausdrücklich als Verlust. (weiß nicht – 20,3%).

Wenn die Befragten Schwerpunkte in der Arbeit der Pfarrei setzen würden, lägen die zu 60,2% in der Feier von Gottesdiensten, zu 59,8% in der Arbeit mit Kindern und bei 66,7% in der Jugendarbeit. Die Sorge um Arme und Kranke und die Altenpastoral – also diakonische Arbeitsfelder – erhalten mit 38,7% und 23,4% deutlich weniger Gewicht. Noch geringer zählen Gemeindeleitung und Finanzverwaltung als wichtige Aufgaben der Gemeinde. Das Arbeitsfeld Katechese rangiert in einem unbedeutenden Mittelfeld.

Bei aller Unbestimmtheit und Offenheit zukünftiger Entwicklungen dokumentieren die Befragten eine optimistische Grundstimmung. Wenn Gemeindereferentinnen und –referenten und Ehrenamtliche in Zukunft mehr Verantwortung in den Gemeinden übernehmen werden, verbinden 55,9% diese Entwicklung mit freudigen Gefühlen; Angst oder Ärger äußern nur 9,6% und 3,4%. Das deckt sich mit der oben genannten Einschätzung von 50,2% der Befragten, die die erwarteten Veränderungen im liturgischen Bereich durch die Abnahme der Priesterzahlen als Gewinn wertet. Dabei wird von 49,8% erwartet, dass die Zahl der Ehrenamtlichen in Zukunft gleich bleiben wird, oder sogar noch zunimmt (19,2%). Nur 30,6% erwarten eine Abnahme ehrenamtlichen Engagements.

Die derzeit ehrenamtlich Engagierten erwarten von den Hauptamtlichen keine Belohnung oder finanzielle Unterstützung, sondern Fortbildung, Begleitung und Beratung, sowie Vorbereitung und Schulung. Zudem scheint eine wertschätzende Haltung gegenüber dem ehrenamtlich Tätigen von hoher Bedeutung zu sein. Die Gewinnung neuer Ehrenamtlicher wird weniger (32,2) als Kernaufgabe des Hauptamts verstanden. Das kann dafür sprechen, dass Menschen heute zunehmend selbst ihre Aufgaben bestimmen, und weniger für bestehende Aufgabenfelder rekrutiert werden wollen. Die Angaben, wofür Menschen sich in Zukunft engagieren wollen, bestärken die Vermutung, dass die Tendenz zum punktuellen und projektorientierten Einsatz geht. Die höchste Bereitschaft zum Ehrenamt besteht im Bereich „Feste und Feiern" (33,9%). Wichtige Felder liegen im liturgischen Bereich, (16 bis 20% im Chor, als Lektor oder Kommunionhelfer). Immerhin können sich 23,4% ein Engagement in der Jugendarbeit vorstellen, 16,9% in der Arbeit mit Kindern. Auch hier rangiert der Bereich der Caritas und der Katechese weit hinten. Im Rahmen der Katechese bildet die Taufkatechese mit 1,1% das absolute Schlusslicht. Wenn die Bedeutung von Katechese gegenüber anderen Feldern ohnehin schwach bewertet wird, ist die Vorbereitung auf die Taufe kein Feld, das als bedeutsam verstanden wird. Dieses Ergebnis beruhigt den praktischen Theologen keineswegs. Das Feld Ehevorbereitung oder Ehepastoral findet auch in den freien Antworten keine Erwähnung. Hier bietet sich ein weites offenes unerforschtes Gelände.

Die Aufgaben der Priester sehen die Befragten vor allem in den Bereichen Gemeindeleitung, Eucharistiefeier und (persönlicher) Seelsorge. 50,2% halten die Predigt für eine spezifisch priesterliche Kernaufgabe, was aber gleichzeitig bedeutet, dass die andere knappe Hälfte sich auch den predigenden hauptamtlichen Theologen/Theologin vorstellen kann. Erstaunlich ist, dass bei abnehmender Zustimmung Katechese, die Gestaltung anderer Gottesdienste, die Verantwortung für den Kindergarten, die Arbeit in der Schule, die Kinder- und Jugendarbeit, die Bildungs- und die Altenarbeit (Werte zwischen 18% bis 6,6%) kaum noch als priesterliche Aufgaben gesehen werden. Vielleicht bilden die Zahlen die Realität in vielen Gemeinden ab, wo der Priester hier nicht mehr in Erscheinung tritt. Für die Attraktivität des Priesterberufs und seine Vielfalt ist die Verengung auf Eucharistie, Seelsorge und Leitung sicher nicht hilfreich. Immerhin gestehen dem Priester 25,8% die Sorge um die Armen und Kranken als Kernaufgabe zu.

Die Gestaltung anderer Gottesdienste ist mit 67,4% Aufgabe anderer hauptamtlicher Dienste. Auch die Katechese in der Kommunion- und Firmvorbereitung, die Kinder- und Jugendarbeit, die Arbeit in der Schule, die Verantwortung für den Kindergarten die Sorge um die Armen und Kranken und schließlich auch die Bildungsarbeit werden in hohem Maße – anders als dem Priester – den anderen Seelsorgerinnen und Seelsorgern zugeschrieben. Während das Priesterbild im Hinblick auf die alltägliche konkrete Arbeit in den Gemeinden und den Menschen in den Hintergrund tritt (abgesehen von der Seelsorge), liegt die Vielfalt pastoralen Handelns in der Einschätzung der Befragten bei den sog. Laien-theologen und –theologinnen.
Auch das Ehrenamt hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Gestaltung anderer Gottesdienste, die Katechese, die Verantwortung für die Kinder- und Jugendarbeit und auch die Arbeit mit alten Menschen und auch der Bereich der Diakonie liegt weitaus deutlicher in ihrem Aufgabenbereich als im Tätigkeitsfeld der Priester. Kernaufgaben der Gemeinden liegen demnach längst bei ehrenamtlich tätigen Menschen, und nicht bei den Hauptamtlichen allein, schon gar nicht beim Priester. Die Kluft zwischen Priester und den übrigen Tätigen in der Gemeinde mag im erlebten Alltag nicht so groß sein, die Zahlen verweisen den Priester jedoch in den Bereich einer pastoralen „Meta-Ebene" oder in das Feld der Liturgie und der Predigt.

Die wachsende Beteiligung der Frauen in den Leitungsebenen, in der Leitung von Gottesdiensten und auch deren Präsenz in den Weiheämtern wird von gut 2/3 der Befragten befürwortet, um die 20% wären zufrieden, wenn die Rolle der Frauen so bliebe wie bisher.

Fazit: Über den Gemeinden liegt den Antworten der 261 Personen zufolge kein „Mehltau" der Verzagtheit. Vieles, was in der charismenorientierten Gemeindepastoral überlegt wird, teilen die Befragten oder praktizieren es bereits. Die Bedeutung der Diakonie wird hier wohl noch unterschätzt, auch Katechese und Glaubensweitergabe werden vielleicht noch zu selbstverständlich als funktionierend eingeschätzt. Die Pastoralplaner stehen vor der Aufgabe zu überlegen, wie trotz größerer pastoraler Einheiten die Beheimatung der Gemeinde „rund um den Kirchturm" erhalten bleiben kann, einen gegebenenfalls erwünschten Mentalitätswechsel in manchen Fragen in den Gemeinden behutsam anzuleiten und nicht zu meinen, dieser wäre zwangsläufiges Ergebnis einer überzeugenden theologischen Argumentation.