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Bischof Peter Kohlgraf feierte Gottesdienst am Tag der Gefangenen in der JVA Butzbach/Neue Reliquie von Jean Joseph Lataste:Glaube ist eine Gegenwelt zu Macht und Gewalt

Bischof Peter Kohlgraf (2.v.l.) hielt den Gottesdienst am Tag der Gefangenen. Das Bild zeigt ihn mit Gefängnispfarrer Pater Georg Menke (1.v.l.), der evangelischen Pfarrerin Barbara Zöller und Anstaltsleiter Uwe Röhrig.
Butzbach. Hohen Besuch gab es am Sonntag im Butzbacher Gefängnis: Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf feierte mit den Gefangenen und Gästen aus der Gemeinde St. Gottfried den Gottesdienst im JVA-Kirchenraum am Tag der Gefangenen. „Nach fünf Jahren bin ich wieder hier, denn ich glaube, es ist gut, hier öffentlich Akzente zu setzen“, betonte er zu Beginn der Messfeier.
Datum:
10. Juli 2023
Von:
Andrea Kipp

Neun Männer und Frauen aus St. Gottfried und rund 30 Gefangene sowie Bedienstete waren der Einladung von Gefängnispfarrer Pater Georg Menke op zu diesem besonderen Gottesdienst gefolgt. Mit dabei waren außerdem Anstaltsleiter Uwe Röhrig mit seiner Ehefrau, die evangelische Gefängnispfarrerin Barbara Zöller sowie die neun Sänger des JVA-Kirchenchores unter der Leitung von Marion Bathe. Für manche von „draußen“ war der Gottesdienst auch die Gelegenheit, erstmals einen Blick auf das neue Altartuch mit einer Reliquie des seligen Jean Joseph Lataste zu werfen, der als „Apostel der Gefängnisse“ verehrt wird.

Vor fünf Jahren war Bischof Kohlgraf schon einmal in der Butzbacher JVA gewesen und hatte damals mit den Gefangenen den Weihnachtsgottesdienst gefeiert. Schon zu Beginn betonte er am Sonntag im Blick auf Jesu Begegnung mit einem Zöllner, dass Gott im Menschen nicht den Zöllner oder den Sünder sieht, sondern die einmalige, einzigartige Person. Anders als der antike Gott Zeus, vom dem erzählt wird, dass er einmal wissen wollte, wie die Menschen leben und der nach einem kurzen Besuch bei ihnen schnell wieder zurück auf seinen Berg wollte, betrachte Gott im christlichen Verständnis die Menschen nicht als Abschaum, sagte der Bischof in seiner Predigt. „Ich glaube, weil mein Glaube eine Gegenwelt zu dem ist, was unter uns Menschen normal ist, eine Gegenwelt zu Macht und Gewalt. Jeder Mensch ist Kind und Ebenbild Gottes“, sagte Kohlgraf. Gott wolle den Menschen nicht unterdrücken, sondern ihn frei und groß machen. Er ermunterte dazu, sich auf die Suche nach Texten in der Bibel zu machen, die „auf die andere Seite des eigenen Lebens“ hinweisen und den je einen Text zu finden, der „Sie groß macht und Sie trägt“.

Der JVA-Kirchenchor gestaltete den Gottesdienst durch mehrere Stücke mit, besonders ein Solo eines Sängers fand viel Resonanz bei Bischof und Gottesdienstteilnehmenden. Ein Zeichen für die gute ökumenische Zusammenarbeit der Seelsorge in der JVA war, dass die evangelische Pfarrerin Barbara Zöller die Fürbitten formulierte und vortrug. Nach dem Gottesdienst gab es noch eine kurze Begegnung zwischen Gefangenen und Gästen. Auch dafür nahm der Bischof sich Zeit und ließ die Menschen spüren, dass für ihn die Leitung dieses Gottesdienstes keine Pflichtübung, sondern eine bewusste Entscheidung für einen „öffentlichen Akzent“ war.

Die Reliquie von Jean Joseph Lataste im Kirchenraum der JVA ist auf den ersten Blick nur ein kleines, unscheinbares Stück weißer Stoff, das in ein neues Altartuch eingenäht ist. Zusammen mit einer Ikone mit der Darstellung des Seligen ist sie bereits am 25. Juni gesegnet worden.

Der französische Dominikaner Lataste wurde im 19. Jahrhundert in einem Frauengefängnis als Seelsorger eingesetzt. Nach anfänglichen inneren Widerständen gegen die neue Aufgabe machte er die Erfahrung, die auch viele Menschen bei den Begegnungen mit den JVA-Insassen am Tag der Gefangenen machen: „Das sind gar keine Monster. Es sind Menschen mit einer Geschichte, mit Hoffnungen, Ängsten, Neigungen, Stärken und Schwächen und mit einer schweren 

Schuld, die nach Vergebung und Liebe ruft“, wie Pater Georg es zusammenfasst. Lataste vermittelte den Frauen damals im Gefängnis trotz der Unsicherheit, wie er ihnen begegnen sollte, das, was als Zitat der Frauen auf dem hinteren Teil des Altartuchs zu lesen ist: „Sie haben nicht nur davon geredet, dass wir geliebt werden. Sie selber lieben uns. Wir spüren so etwas.“ Eine Botschaft, die zu den Worten des Bischofs am Tag der Gefangenen passte. Die Begegnung mit den Frauen veränderte Lataste und ließ ihn erkennen: Leben kann gelingen, Leben muss nicht scheitern. Zusammen mit einer engagierten Ordensfrau sorgte er dafür, dass die Frauen nach ihrer Entlassung die Möglichkeit bekamen, in den Orden der Dominikanerinnen einzutreten. Bis heute wird er in der katholischen Kirche als „Apostel der Gefängnisse“ verehrt.

Ein Stück von Latastes Ordensgewand wurde Pater Georg 2022 bei einem Besuch an dessen Grab geschenkt, das nun als Reliquie das Altartuch ziert. Die Butzbacher Paramentenstickerin Susanne Bremer hat das Antependium, wie das Altartuch im Kirchendeutsch heißt, gefertigt. Rund 460 Euro gingen bisher bei der katholischen Gefängnisseelsorge als Spende ein und decken einen Teil der Kosten. Neu ist auch eine Ikone neben dem Altar mit einer Darstellung Latastes, die die Gießener Gefängnisseelsorgerin Alexandra Haustein speziell für die Butzbacher JVA anfertigte. Auf die Frage, was die Reliquie den Butzbacher Gefangenen bedeutet, antwortete einer von ihnen:  „Sie ist eine echte Stütze für uns!“

Die Besuchsgruppe aus St. Gottfried mit Bischof Kohlgraf (4.v.l.), Pater Georg (1.v.l.) und Pfarrerin Zöller (5.v.l.).
An den „Apostel der Gefängnisse“ Jean Joseph Lataste erinnern im JVA-Kirchenraum ein Altartuch mit einem Stoffteil seines Ordensgewandes und eine Ikone von Alexandra Haustein
Bischof Peter Kohlgraf  hielt den Gottesdienst am Tag der Gefangenen, rechts Gefängnispfarrer Pater Georg Menke, im Vordergrund das Altartuch mit der Reliquie von Jean Joseph Lataste und die Ikone.