Ein Beruf, der dem Leben einen Sinn gibt
Interview mit Hayno Bohatschek, geführt von Hans-Georg Orthlauf-Blooß
Er ist Pfleger auf einer Intensivstation der Universitätsmedizin Mainz. Sofort hat man Assoziationen von überarbeiteten, ausgelaugten Intensivpflegern der Coronastationen vor Augen. Doch hier sitzt ein gut gelaunter, in sich ruhender Mann mittleren Alters. Seit fast 30 Jahren ist er jetzt in seinem Beruf und er liebt ihn immer noch.
Schon als Kind war die Richtung vorgegeben. Mit ausschlaggebend war wohl die Erfahrung durch die Krankheit seines Großvaters, der zum Pflegefall wurde. „Ich kann mich erinnern, dass ich schon als Neunjähriger gesagt habe, dass ich mal Menschen pflegen möchte.“ Seine Mutter war Unterstützung und Vorbild. Nach der Pflegeschule absolvierte er Praktika in Krankenhäusern; sein freiwilliges soziales Jahr in einem Altenpflegeheim verlängerte er um ein halbes Jahr. Die Ausbildung zum Pfleger absolvierte er dann in einer Klinik in seiner Heimatstadt Bitburg. Mit dem Ziel vor Augen, nach einem Jahr Berufserfahrung in der Ferne wieder nach Hause zu kommen, zog er nach Mainz und bewarb sich bei der Universitätsmedizin, die ihn sofort als Intensivpfleger für die Neurologie einstellte. Und er ist geblieben ...
Auf seiner Station entscheiden sich viele Lebenswege. Hier liegen sehr kranke oder verunfallte Menschen, die mit dem Tode ringen. Viele Patienten liegen Tage oder Wochen bei ihnen, oft ohne Bewusstsein. „Jedes Schicksal ist besonders, berührt einen. Aber man lernt mit der Zeit, damit professionell umzugehen. Natürlich gibt es auch Fälle, die einem nachgehen,“ beschreibt Bohatschek die Situation, „doch das ist die Tragik der Intensivstationen. Die Patienten werden dann in Reha verlegt und können sich meist an die Zeit auf Intensivstation nicht mehr erinnern. Für die Patienten ist es wohl ein Segen, weil die Zeit oft nicht schön ist.“ Doch er und seine Kollegen wünschten sich schon manchmal zu erfahren, was aus „ihren“ Patienten geworden ist.
Als besonders körperlich belastend empfindet er den Schichtdienst: Früh-, Spätschicht und Nachtdienst. Gerade in der Winterzeit: „Ich gehe zur Arbeit, es ist dunkel. Ich komme morgens von der Arbeit, es ist dunkel. Ich gehe schlafen und es ist wieder dunkel.“ Das ist Stress für den Körper, auch wenn man sich in jungen Jahren daran noch gewöhnt. „Mit zunehmenden Alter merkt man doch, dass man längere Zeit benötigt, um wieder in einen gesunden Schlafrhythmus zu kommen.“
Hier wäre seiner Meinung nach auch ein wichtiger Punkt, um den Beruf der Krankenpflege attraktiver zu machen. Damit das soziale Leben mit Bekannten, Freunden und Familie nicht zu sehr darunter leidet, müsste der Schichtdienst flexibler gestaltet werden.
Ein weiterer Punkt für Verbesserungen wäre die Wertschätzung für den Pflegeberuf. Zwar ist sie durch die Pandemie in der Gesellschaft gestiegen und das ist auch wahrgenommen worden, doch da wäre noch mehr drin. Auch Urlaubs- und Bezahlungsregelungen sollten von den von den politischen Entscheidungsträgern und den Arbeitgebern neu überdacht werden.
Doch insgesamt identifiziert sich Bohatschek weiterhin mit seinem Beruf: „Ich finde generell, dass dieser Beruf nach wie vor ansprechend und attraktiv ist. Weil ich glaube, dass Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, keinen Job machen, sondern sie tatsächlich eine Berufung haben.“
In den Neunzigerjahren ist er auch Mitglied bei ver.di geworden. Damals warb die Gewerkschaft mit einer Rechtschutzversicherung bei einer Mitgliedschaft. Außerdem wollte sich Hayno Bohatschek für deren berufspolitisches Engagement einsetzen: „Ich unterstütze mit meiner Mitgliedschaft Menschen, die etwas für die Gemeinschaft und für mich tun.“
Doch Hayno Bohatschek hat noch eine weitere Berufung: 2016 wurde er vom Bischof zum ständigen Diakon geweiht. Der Weihe ging ein jahrelanger Prozess der Entscheidungsfindung voraus. „Es sind bei mir viele Höhen und Tiefen des Lebens gewesen, bei denen ich gemerkt habe, dass das, was mich letztendlich durch alles getragen hat, der Glaube war.“ Dieses Gefühl des „Getragenseins durch Gott“ wollte er weitergeben.
Als Diakon ist er einer Pfarrei zugeordnet, in der er Dienst tut, nämlich der Pfarrgruppe der Mainzer Neustadt, St. Bonifaz, St. Josef und Liebfrauen. Hier übernimmt er vorwiegend soziale Aufgaben. Er zeigt Präsenz an den sozialen Brennpunkten der Neustadt, versucht mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, fragt, wie man ihnen helfen kann, versucht das auch umzusetzen, vermittelt Kontakte zur Kleiderkammer, Caritas oder Schuldnerberatung oder bittet bei der nächsten Frittenbude „Haste mal ne Bratwurst“ für einen Bedürftigen. Wenn er seinen Cappuccino im Bistro trinkt oder auf einer Bank am Bahnhof sitzt, ist er auf unkomplizierte Weise ansprechbar.
Für seinen Hauptberuf in der Klinik hat sich nichts verändert. „Ich bin so, wie ich bin; ich verstelle mich nicht.“ Nur ab und zu, in Gesprächen mit Angehörigen, kommt es zu Inhalten, die „sehr tief und persönlich werden“, weil sie zu ihm Vertrauen fassen. Dann denkt er: „Ich bin Krankenpfleger und Diakon“.
„Das Diakonat ist für mich, zu dem anstrengenden Beruf in der Klinik, ein zweites Standbein, das mir auch einen Ausgleich gibt, wo ich auch Kraft schöpfen kann für den Dienst in der Klinik.“ Der pflegerische Beruf ist für ihn nach wie vor ein sehr schöner Beruf. „Es ist eine erfüllende Arbeit, es ist kein Job. Es ist ein Beruf, der dem Leben einen Sinn gibt, wie das Diakonat.“