1546–1555 76. Kurfürst-Erzbischof von Mainz
Sebastian von Heusenstamm wurde am 16. März 1508 als einer von fünf Söhnen des Martin von Heusenstamm, des späteren Burgmanns von Friedberg, Schultheißen der Stadt Frankfurt und 1523–1528 Vizedoms von Mainz, und der Elisabeth Brendel von Homburg geboren. Das wetterauische Rittergeschlecht der Heusenstamm benannte sich nach dem gleichnamigen Dorf im Rodgau und lässt sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen.
Heusenstamms Werdegang ist nur lückenhaft bekannt. 1528 ließ er sich an der Universität Tübingen einschreiben. Er wechselte später nach Mainz und wurde dort zum Dr. iur. utr. promoviert. Er wurde Kanoniker am Mainzer Ritterstift St. Alban und empfing vor dem 6. Oktober 1531 die Priesterweihe. 1531 erhielt er eine vakant gewordene Sacerdotalpräbende am Mainzer Domstift, wurde aufgeschworen und begann mit der Jahresresidenz. 1533 wurde er als Supernumerar Mitglied des Domkapitels. Häufig wurde er zu Kapitelsgeschäften, zu Gesandtschaften und zu Beratertätigkeiten herangezogen. 1535 und 1536 bestellte ihn das Domkapitel zum Syndikus und 1536 und 1537 überdies zum Präsenzkammerpräsidenten. 1537 zählte Heusenstamm zum Kreis der möglichen Konzilsgesandten des Erzbischofs Albrecht von Brandenburg. 1538 lehnte er es ab, an Stelle des Valentin von Tetleben Generalvikar zu werden. 1539 nahm er im Auftrag des Domkapitels an den wochenlangen Verhandlungen über das Testament Erzbischof Albrechts teil. Dieser zog ihn in der Folgezeit mehrfach zu wichtigen Diensten heran: zur Visitation des Reichskammergerichts, 1540 zur Teilnahme an den Religionsgesprächen in Hagenau, 1541 zu Verhandlungen in der schwierigen Erfurter Angelegenheit. 1541 berief ihn Albrecht zum Mitglied der kirchlichen Reformkommission. 1544 wurde er zum Domscholaster gewählt (1545 resigniert).
Am 20. Oktober 1545 wurde Heusenstamm gegen den von Kaiser und Papst favorisierten Kardinal Otto Truchseß von Waldburg zum Nachfolger Albrechts gewählt. Obwohl in reichspolitischen Dingen wenig erfahren und vom protestantischen Landgrafen Philipp von Hessen empfohlen, erhielt er zwei Drittel der Stimmen, weil er wie kaum ein anderer mit den erzstiftischen Belangen und Nöten vertraut war und als Verfechter der Mainzer Reformbemühungen hohes Ansehen genoss. Seine Wahl bildete zugleich einen bedeutsamen Erfolg des ritterschaftlichen Adels, dem fortan der Mainzer Erzstuhl fast ausschließlich vorbehalten blieb. Die römische Konfirmation erfolgte am 27. Januar 1546, das Pallium gewährte Paul III. am 12. Februar 1546. Unter Assistenz von Weihbischof Michael Helding wurde Heusenstamm am 2. Mai 1546 im Mainzer Dom durch Melchior Zobel von Giebelstadt konsekriert. Die Gewährung der kaiserlichen Regalien und die Erneuerung der Privilegien erhielt er am 13. Juli 1546.
Politisch und kirchlich stand das finanziell geschwächte Erzstift zu Beginn seines Pontifikats vor erheblichen Schwierigkeiten. Umgeben von den protestantischen Nachbarn Hessen und Kursachsen und der immer deutlicher zur Reformation neigenden Kurpfalz, sah sich Heusenstamm im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 zu politischer Zurückhaltung genötigt. Dennoch musste sein Territorium Zerstörungen hinnehmen und hohe Kontributionen leisten. Den militärischen Bündnisplänen des Kaisers stand Heusenstamm reserviert gegenüber. Das am 30. Juni 1548 als Reichstagsabschied verkündete, von Helding miterarbeitete Augsburger Interim dagegen nahm er an und verkündete es im Erzbistum ebenso wie die Bulle Pauls III. vom 18. August 1548, in der Laienkelch und die Rekonziliation verheirateter Priester ermöglicht wurden. Entsprechend der dem Interim beigegebenen kaiserlichen Anordnungen kündigte Heusenstamm 1548 eine von ihm bereits seit 1547 beabsichtigte Visitation des Erzbistums an. Sie wurde im Oktober unter Leitung Heldings eröffnet und währte bis 1550. Umfangreiche Visitationsprotokolle liegen vor. Durch die in vollem Gang befindliche konfessionelle Abgrenzung bedingt, konnten allerdings weite Teile des Erzbistums, vor allem in Hessen und in Sachsen, nicht mehr visitiert werden. Den Zerfall der alten kirchlichen Strukturen verdeutlichte auch die Diözesansynode, zu der vom 19. bis 24. November 1548 fast ausschließlich Geistliche aus den erzstiftischen Gebieten und aus benachbarten Klöstern kamen.
Am 21. Januar 1549 schrieb Heusenstamm eine Provinzialsynode aus. Sie fand vom 6. bis 24. Mai 1549 in Mainz statt und wurde von fast allen Mainzer Suffraganbistümern beschickt. Die im Auftrag Heusenstamms 1548 bei Ivo Schöffer in Mainz erschienenen „Acta et Decreta‟ der Synode und die ebenfalls in Mainz 1549 bei Franz Behem publizierten „Constitutionen‟ des Provinzialkonzils dokumentieren, dass bei den Beratungen und Beschlüssen im Sinne der Mainzer Reformlinie nicht kirchliche und theologische Kontroversen, sondern die innerkirchliche Erneuerung im Vordergrund stand. Als „Institutio Christiana‟ waren den „Constitutionen‟ 24 bibeltheologische Predigten Heldings beigefügt. Sie wurden 1551 als Katechismus publiziert. Auch erschien 1551 eine neue Agende.
Gleich den Erzbischöfen von Köln und Trier nahm Heusenstamm vom 29. bzw. 31. August 1551 bis zum 11. März 1552 am Konzil von Trient teil. Geschätzt waren seine theologischen Beiträge. Er wandte sich gegen das Anhäufen von Anathemata und Dekreten und suchte das Gespräch mit den protestantischen Unterhändlern. Mit Verweis auf die Belastungen Albrechts von Brandenburg und die negative Wirkung im Reich lehnte er Überlegungen zur Verleihung des Kardinalates ab. Unruhen im Reich veranlassten ihn nach einem halben Jahr zur Heimkehr. Im gleichen Monat eröffnete Kurfürst Moritz von Sachsen den Krieg gegen Karl V., der mit der Niederlage des Kaisers und dem Passauer Vertrag von 1552 endete. Es war für das Erzstift und die Residenzstädte Mainz und Aschaffenburg verheerend, dass Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach von Juni bis August 1552 plündernd, zerstörend und hohe Brandschatzung erpressend durchs Land zog. Heusenstamm floh damals aus Mainz. Sein Verhältnis zu Karl V. wurde dadurch belastet, dass dieser, statt ihm und seinem Kurstaat gegen den Aggressor beizustehen, dessen Treiben aus politischen Gründen noch sanktionierte. Den monarchisch bestimmten Reichsreformzielen des Habsburgers und seinen Erbkaiserplänen begegnete Heusenstamm fortan mit Skepsis.
In der verfassungsrechtlichen Stärkung der Reichsstände und in der Neubelebung des Landfriedens, die nur durch einen Ausgleich in der Religionsfrage zu erreichen war, sah Heusenstamm den wirksameren Schutz für das Erzstift und die katholischen Belange. 1553 trat er dem überkonfessionellen Heidelberger Verein bei. Er ließ sich von der Legitimität eines politischen Religionsvergleiches zwischen den Ständen überzeugen und instruierte in diesem Sinne die Mainzer Delegation für den Augsburger Reichstag. An eine grundsätzliche Anerkennung von zwei Konfessionen dachte er dabei nicht. Den in Augsburg erzielten Reichsreligionsvergleich erlebte Heusenstamm nicht mehr. Er starb am 17./18. März 1555 in der erzbischöflichen Burg zu Eltville. Er wurde in der Memorie des Mainzer Domes beigesetzt. Sein noch am ursprünglichen Aufstellungsort befindliches Grabdenkmal schuf 1559 Dietrich Schro.
Friedhelm Jürgensmeier
Text aus: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. Ein biographisches Lexikon. Teil: 1448 bis 1648, unter Mitw. von Clemens Brodkorb, Berlin: Duncker und Humblot 1996, S. 291–292. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.