Anselm Franz (von) Ingelheim (1634–1695)

seit 1680 Reichsfreiherr von Ingelheim

1680–1695 87. Kurfürst-Erzbischof von Mainz

 

Anselm Franz von Ingelheim wurde am 6. September 1634 zu Köln, wohin seine Eltern sich 1631 vor den anrückenden Schweden in Sicherheit gebracht hatten, als Sohn des Georg Hans von Ingelheim († 1648) und der Anna Elisabeth Sturmfeder von Oppenweiler geboren. Er hatte noch einen jüngeren Bruder. Das rheinische Ministerialengeschlecht der Ingelheim, genannt nach dem Stammsitz Ober-Ingelheim am Mittelrhein, ist seit der Stauferzeit nachweisbar. Es hatte einträgliche Pfründen und lohnende Ämter im Erzstift Mainz und in den Hochstiften Würzburg und Bamberg gefunden. Der Vater Ingelheims war Kurmainzer Rat und Oberhofmarschall. Um 1635 kehrten die Ingelheim in ihre Heimat zurück allerdings nicht in die von den Schweden zerstörte Ober-Ingelheimer Burg, sondern in das auf der anderen Rheinseite gelegene Rüdesheim.

Ingelheim erhielt seine Gymnasialausbildung wahrscheinlich bei den Mainzer Jesuiten. 1654 immatrikulierte er sich an der Universität Orléans. Dort blieb er offensichtlich für ein Biennium, denn 1656 wurde er in Mainz tonsuriert und erhielt eine Dompräbende. Die späte Bepfründung lässt darauf schließen, dass er zunächst an eine weltliche Laufbahn gedacht hatte. 1657 begann Ingelheim mit einer Kavaliersreise durch Frankreich. Sie führte ihn nach Metz und Nancy, Plombières und Paris und endete 1658 mit der Immatrikulation für ein Biennium in Pont-à-Mousson. Politische Wirren nötigten ihn das Studium vorzeitig abzubrechen.

Am 15. Mai 1660 erhielt Ingelheim in Mainz die Priesterweihe, und im gleichen Jahr fand er über eine Priesterpräbende Aufnahme ins Mainzer Kapitel. 1663 wurde er Dekan des St. Ferrutiusstifts in Bleidenstadt. 1674 wurde Ingelheim Stadtkämmerer, 1675 Statthalter in dem zum Mainzer Kurstaat gehörenden Erfurt. Dort überwachte er u. a. die Durchführung der von Erzbischof Damian Hartard von der Leyen angeordneten Fortifikationen. 1677 reiste er in offizieller diplomatischer Mission an die sächsischen Höfe in Weimar, Eisenach und Jena, um ein Defensivbündnis von Mainz, Würzburg, Bamberg und Sachsen gegen Kurbrandenburg vorzubereiten.

Nach dem unerwarteten Tod von Erzbischof Karl Heinrich von Metternich-Winneburg wählte das Mainzer Kapitel, nachdem der Kaiser den aussichtsreichen Kandidaten Christoph Rudolph von Stadion wegen zu großer Frankreichhörigkeit abgelehnt hatte, am 7. Januar 1679 Ingelheim als Kompromisskandidaten zum Erzbischof. Die Wahlbestätigung erfolgte am 11. März 1680, die Verleihung des Palliums am 29. April 1680. Die Bischofsweihe empfing Ingelheim durch den Trierer Weihbischof Johann Heinrich von Anethan.

Auf Ingelheim warteten schwere Aufgaben, denn die französische Hegemonialpolitik drohte mit ihrem Reunionsprogramm erneut, das Land mit Krieg zu überziehen. Da der Kaiser durch den Türkenkrieg gebunden war, ein schlagkräftiges Reichsheer fehlte und die Kurmainzer Verteidigungskraft den Ansprüchen nicht genügte, griff Ingelheim auf die traditionelle Mainzer Politik des Gleichgewichts zurück. Anders als der geniale und politisch versierte Johann Philipp von Schönborn agierte er dabei eher defensiv und nicht ohne Widersprüchlichkeiten. Zum Schutz seines eigenen Territoriums orientierte er sich an der Politik Frankreichs und gestand diesem mit anderen Reichsfürsten 1684 zu, die okkupierten Reunionsgebiete für 20 Jahre zu behalten. Bereits 1688 beanspruchte Frankreich zur eigenen Sicherheit erneut feste Plätze im Reich, ließ große Truppenverbände einziehen und besetzte Mainz. Ingelheim wurde es lange verargt, dass er die Stadt kampflos übergeben und sich selbst nach Erfurt in Sicherheit gebracht hatte. Für ihn war jedoch ausschlaggebend, dass ihm mit den wenigen verfügbaren Truppen eine Verteidigung nicht möglich schien. Das Reich erklärte 1689 Frankreich den Krieg, und im Juli mussten die Franzosen Mainz nach schweren Zerstörungen räumen.

Als Ingelheim in seine Stadt zurückkehrte, warb er für eine genügend starke Besatzungstruppe, doch ließ die völlig ruinöse Finanzlage des Kurstaates sein Bestreben über Ansätze nicht hinauskommen. Offensichtlich hatten die politischen Ereignisse und ein Gichtleiden die anfänglich durchaus vorhandene Dynamik Ingelheims erheblich geschwächt. 1690 konnte er zwar noch in Augsburg den zum römischen König gewählten Joseph I. und Kaiserin Eleonore Magdalena krönen, doch seit 1691 lebte er fast ausschließlich in seiner Aschaffenburger Residenz. Einer seiner letzten größeren Mitentscheide als Reichsfürst war 1692 die Einrichtung einer neunten Kurwürde.

Das Bistum Mainz regierte Ingelheim in der üblichen Weise der Zeit. 1687 erneuerte er die Kirchenordnung von Erzbischof Schönborn. 1682 ließ er um der übersichtlicheren liturgischen Handlung willen den gotischen Lettner aus dem Westchor des Domes entfernen. 1683 wurden mehrere Altäre im Ostchor konsekriert. Zu seinem Weihbischof berief Ingelheim 1680 den aus dem Weltgeistlichen-Institut der Bartholomiten hervorgegangenen Matthias Starck. Das Institut erhielt 1680 die päpstliche Approbation und stellte bis zu seinem Erlöschen im Jahre 1770 über 900 Seelsorger für das Bistum Mainz.

Die Krankheit des Erzbischofs und politische Überlegungen führten am 3. Oktober 1691 zur Wahl des Koadjutors Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg, doch dieser starb noch vor Ingelheim. Daraufhin wählte das Kapitel am 4. September 1694 den Bamberger Bischof Lothar Freiherr von Schönborn zum neuen Koadjutor. Ingelheim starb am 30. März 1695 in Aschaffenburg. Sein Leib wurde in der dortigen Stiftskirche, sein Herz im Mainzer Dom und seine Eingeweide in der Mainzer Hofkirche St. Gangolph beigesetzt.

Friedhelm Jürgensmeier

Text aus: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. Ein biographisches Lexikon. Teil: 1648 bis 1803, unter Mitw. von Stephan M. Janker, Berlin: Duncker und Humblot 1990, S. 201–202. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.