Reichsfreiherr von Dalberg
1788–1800 Koadjutor des Fürstbischofs von Konstanz
1788–1802 Koadjutor des Erzbischofs von Mainz und Fürstbischofs von Worms
1800–1817 Fürstbischof von Konstanz
1802–1817 Fürstbischof von Worms
1802(–1803) 94. Kurfürst-Erzbischof von Mainz
1802(–1803) Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches
1803–1817 Administrator und Erzbischof (1805) von Regensburg
Karl Theodor Anton Maria Reichsfreiherr von Dalberg wurde am 8. 2. 1744 zu Mannheim als Sohn des kaiserlichen Kammerherrn und kurpfälzischen Kämmerers Franz Heinrich von Dalberg und seiner Ehefrau Anna Gräfin von Eltz-Kampenich getauft (geboren wahrscheinlich am gleichen Tag auf dem Familiensitz Schloß Herrnsheim bei Worms). Die Eltern wiesen den hochbegabten Jungen ohne jeden Zwang auf die geistliche Laufbahn hin. Der Sohn ging diesen Weg freiwillig sein ganzes Leben, wie er kurz vor dem Tod noch öffentlich bekannt hat. Die Ausbildung war von einer beglückenden Freiheit und Vielseitigkeit (Studium der lateinischen Klassiker, der Philosophie, Jurisprudenz, Natur, der „schönen Wissenschaften“, der Theologie; Bildungsreise des 18jährigen nach Italien, Paris und den Niederlanden, wo er die stärksten Eindrücke der neuen Geistigkeit besonders in Mailand, Paris, Löwen und Brüssel empfing).
1762 trat Dalberg in kurmainzische Dienste. Kurmainz wurde unter den Kurfürsten und Erzbischöfen Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim (1763–74) und Friedrich Karl von Erthal (1775–1802) zu einem Mittelpunkt katholischer Aufklärung im Reich. Dalberg wurde bereits 1754 Domizellar und 1779 bzw. 1786 Kapitular in Würzburg und Mainz, außerdem Mitglied der Domkapitel in Worms und Konstanz, 1780 Propst von Wechterswinkel, 1797 Dompropst in Würzburg. Als Statthalter in Erfurt verwaltete er 1771–1802 den thüringischen Teil der Kurmainzer Lande. Die 70er und 80er Jahre in Erfurt wurden die glücklichste Zeit in seinem Leben, gekennzeichnet durch nachbarliche Verbindung mit dem Musenhof in Weimar, Neuorganisation der Universität Erfurt, Hebung der Volksbildung und allgemeinen Wohlfahrt im Sinn der Aufklärung, dazu ein Kreis von Schön- und Freigeistern. Damals, noch vor Ausbruch der französischen Revolution, erschien Dalberg als Typ des hochgebildeten geistlichen Edelmannes: Ein gläubiger Mensch in verbindlichen, weltläufigen Formen, wie er in der Spätzeit der Reichskirche auf den Bischofsstühlen und in den adeligen Domkapiteln häufig begegnete.
Neben Erfurt wurde seit 1780 das Hochstift und Bistum Würzburg der bedeutendste Wirkungskreis seiner bemerkenswerten, erfolgreichen Bemühungen zur Bildungsreform von den Volksschulen bis zur Universität. Bei aller weltmännischen Aufgeschlossenheit lagen ihm religiöse Erziehung, Priesterbildung, Hebung der Predigt und Katechese am Herzen. Am 5. 6. 1787 wurde Dalberg mit preußischer Unterstützung (auf dem Hintergrund des von Preußen dirigierten „Fürstenbundes“, dem Kurmainz 1785 beigetreten war) zum Koadjutor des Kurfürsten Friedrich Karl von Erthal für Mainz, am 18. 6. 1787 zu dessen Koadjutor für Worms, am 18. 6. 1788 zum Koadjutor des Fürstbischofs Maximilian Christoph von Rodt in Konstanz gewählt (15. 7. 1788 päpstlich bestätigt). Am 3. 2. 1788 empfing er die Priesterweihe, am 31. 8. 1788 die Bischofsweihe, nachdem er am 10. 3. 1788 zum Titularerzbischof von Tarsus ernannt worden war.
Der tatsächliche Regierungsantritt als Bischof stand bereits im Schatten des Zusammenbruchs der Reichskirche und der beginnenden Auflösung des Heiligen Römischen Reiches: Im Januar 1800 (nach dem Tode Rodts am 17. 1. 1800) in Konstanz, im Sommer 1802 (nach dem Tode Erthals am 25. 7. 1802) in Mainz und Worms, hier jedoch nur noch für die Gebiete rechts des Rheines, da infolge der kirchlichen Neuordnung die nun französischen Gebiete links des Rheines zu neuen Bistümern zusammengefaßt worden waren. Obwohl das Schicksal der Reichskirche bereits entschieden war, bemühte sich Dalberg, zunächst als Fürstbischof von Konstanz, um die Erhaltung der Bischofssitze. Vornehmlich durch sein zähes Verhandeln kam § 62 des Reichsdeputations-Hauptschlusses von 1803 zustande, der die Verfassung der katholischen Kirche Deutschlands nach der Mediatisierung und Säkularisation des weltlichen Besitzes retten und die Erzbistümer und Bistümer im dermaligen Zustand zunächst erhalten sollte. Ferner sollte die traditionelle Religionsübung gegen Aufhebung und Kränkung aller Art geschützt sein, auch jeder Religion der Besitz und Genuß des Ortskirchenvermögens, der Schulstiftungen usw. nach Vorschrift des Westfälischen Friedens ungestört verbleiben (§ 63).
Dalberg wollte nach dem Verlust der weltlichen Macht den Bischöfen das Jus dioecesanum ungeschmälert erhalten. Dies konnte er im Reichsgesetz durchsetzen, aber die weltlichen Fürsten haben diese Bestimmung in der Folge weithin mißachtet. Im allgemeinen wurde der „dermalige Zustand“ nur in den Habsburger Landen einigermaßen bewahrt, vielerorts war er bald äußerst zerrüttet. Der katholischen Kirche Deutschlands drohte die Auflösung in eine große Zahl von Landeskirchen, die der vielfach protestantischen Staatsgewalt völlig ausgeliefert waren. Hierin sah Dalberg mit Recht die größte Gefahr, und auf diesem Hintergrund sind seine Bemühungen um einen die ganze deutsche Kirche repräsentierenden und schützenden Primas Germaniae zu sehen, ferner sein Interesse, daß dieser letzte geistliche Fürst über ein eigenes Territorium verfüge und dadurch von den weltlichen Fürsten unabhängig sei. Dalberg stand gewiß in der reichskirchlichen Tradition der geistlichen Kurfürsten des 18. Jh., doch ging es ihm nie um eine romfreie Nationalkirche. Bei allen Kirchenplänen ließ er sich nicht von persönlichem Ehrgeiz oder Familienrücksichten bestimmen. Das wichtigste Motiv seiner schon zu Lebzeiten schwer verdächtigten Politik war Verantwortungsbewußtsein für die Kirche in Deutschland. Dies wog um so schwerer, als viele deutsche Katholiken 1803 unter protestantische Landesherrschaft kamen, der Heilige Stuhl durch Napoleons Machtpolitik weithin ausgeschaltet war, immer mehr Bischofsstühle verwaisten und nicht mehr besetzt werden konnten, die Domkapitel meist aufgelöst waren oder als aufgelöst galten.
Da sich Mainz in französischer Hand befand, übertrug der Reichsschluß von 1803 die Würden eines Kurfürsten, Reichserzkanzlers, Metropolitan-Erzbischofs und Primas von Deutschland vom Mainzer Stuhl „auf ewige Zeiten“ auf die Domkirche von Regensburg. Die Metropolitanrechte sollten sich über das ganze rechtsrheinische Deutschland erstrecken, ausgenommen die Gebiete preußischer und österreichischer Hoheit. Diese Ordnung erfolgte ausdrücklich nur von Reichs wegen. Die Wahl für den Sitz des Kurerzkanzlers war auf Regensburg gefallen, weil dort der Reichstag versammelt war. Das Reichsgesetz schuf für Dalberg einen neuen Staat aus den Fürstentümern Aschaffenburg (bisher Kurmainz) und Regensburg (aus der bisherigen Reichsstadt, dem fürstbischöflichen Hochstift, den drei Reichsstiften und allen übrigen Stiften und Klöstern in Regensburg) und der Grafschaft Wetzlar.
Dalberg bewies dem letzten Fürstbischof von Regensburg, Schroffenberg, alle Rücksicht und beschränkte sich streng auf seine landesherrliche Befugnis. Nach dem Tod Schroffenbergs (4. 4. 1803) ließ er das Domkapitel in die kanonischen Rechte eintreten. Es wählte am 16. 4. Domdekan und Weihbischof Wolf zum Kapitularvikar und trug gleichzeitig Dalberg die administratio in spiritualibus an. Dalberg nahm sie unter dem Vorbehalt der päpstlichen Bestätigung an und wandte sich an Pius VII. mit der Bitte, der reichsrechtlichen Übertragung des Mainzer Sitzes nach Regensburg kanonische Kraft zu verleihen. Der bayerischen Regierung war ein unabhängiger Erzbischof mitten im Land verhaßt. Sie erstrebte die Eingliederung Regensburgs. Deshalb arbeitete sie in Rom mit allen Mitteln, einschließlich böser Verleumdungen bezüglich schismatischer nationalkirchlicher Pläne, gegen Dalberg. Ihr Agent war der römische Gesandte, der zwielichtige Titularbischof Kasimir von Häffelin. Vornehmlich aufgrund dieser Umtriebe wurde Dalberg am 15. 7. 1803 nur zum provisorischen Administrator von Regensburg bestellt.
Erst am 1. 2. 1805 bestätigte Pius VII. ihn in Paris als Erzbischof von Regensburg, mit allen Rechten der alten Metropole Mainz. Zum neuen Erzbistum gehörten jedoch nur das rechtsrheinische Rest-Mainz (Sitz der Verwaltung in Aschaffenburg) und das kleine Fürstentum Regensburg. Für das übrige Bistum Regensburg blieb Dalberg wegen des bayerischen Widerstandes bis zum Tode nur Administrator. Dalberg wollte anläßlich der Kaiserkrönung Napoleons in persönlichen Verhandlungen mit Pius VII. eine kirchliche Neuordung in Deutschland erreichen, da die Verhandlungen über das Reichskonkordat in Wien bis dahin ergebnislos verlaufen waren. Pius VII. empfing ihn mit großer Freundlichkeit, verlieh ihm persönlich das Pallium, fand sich aber auf den Widerstand der Kurienkardinäle hin nicht bereit, den Titel eines Primas Germaniae in die Bulle aufzunehmen, obwohl er Dalberg mündlich zur Führung des Primas-Titels ermächtigte.
Die Neuordnung der verwüsteten Kirche Deutschlands lag im Frühjahr 1805 weder in der Macht des Papstes noch Dalbergs. Tief enttäuscht und auch hart angegriffen, weil er an der Kaiserkrönung Napoleons teilgenommen hatte, kehrte Dalberg zurück. Er wußte, daß sein Staat und damit die schwache Grundlage seines politischen Einflusses höchst gefährdet war, daß er an der Schwelle des Alters stand und daß einzig Napoleon die Kirchenpolitik bestimmte. Dalberg war von ihm fasziniert wie viele Zeitgenossen, darunter Pius VII. Er wollte die deutsche Kirche erhalten und retten, auch mit und durch Napoleon. Aus diesem Grund erwählte er im Mai 1806 nach langer Überlegung den Kardinal Joseph Fesch, Napoleons Onkel, zum Koadjutor. Die ungesetzliche Ernennung, der die erbetene päpstliche Bestätigung versagt blieb, war ein fataler, schier verzweifelter Schritt. Er wurde Dalberg auch von seinen Freunden schwer verübelt.
Kurz darauf kam unter napoleonischem Druck der Rheinbund zustande, ein Zusammenschluß der deutschen Mittelstaaten unter Ausschluß Preußens und Österreichs. Napoleon war sein Schutzherr. Dalberg ließ sich bestimmen, als Fürstprimas an seine Spitze zu treten, denn er sah im Rheinbund eine dritte Kraft zwischen Österreich und Preußen, womit er in alter kurmainzischer Tradition stand. Was bei den übrigen Fürsten als geschickte Politik gepriesen oder doch als politische Notwendigkeit hingenommen wurde, hat man bei Dalberg als Verrat an der deutschen Sache hingestellt. Kaiser Franz II. legte 14 Tage nach Unterzeichnung der Rheinbundakte die Krone des Heiligen Römischen Reiches nieder.
Dalberg glaubte sich an der Auflösung des Reiches mitschuldig, versuchte aber nun, der neuen politischen Situation entsprechend, eine kirchliche Neuordnung für die Staaten des Rheinbundes. Ein Erfolg ward seinen Konkordatsplänen freilich jetzt so wenig zuteil wie früher in Wien oder wie später auf dem Wiener Kongreß und auf dem folgenden Bundestag in Frankfurt. Die Verbindung mit Napoleon mußte ihn umsomehr in schiefes Licht bringen, je schroffer dieser Pius VII. behandelte und je stärker in Deutschland die nationale Empörung über die Franzosenherrschaft wuchs. 1810 gab Napoleon das Fürstentum Regensburg an Bayern, während Dalberg das neugebildete Großherzogtum Frankfurt (ohne Beziehung zu seiner geistlichen Würde) erhielt. 1811 nahm er am Pariser Nationalkonzil teil und forderte dort die Freilassung des Papstes.
Mit dem Sturz Napoleons verlor Dalberg seine weltliche Herrschaft. Seit März 1814 hat er Regensburg nicht mehr für längere Zeit verlassen. Hinfort widmete er sich ganz der geistlichen Verwaltung, Werken der Barmherzigkeit und religiöser Einkehr. Nach einem Schlaganfall starb er am 10. 2. 1817 in Regensburg. Er wurde im Mittelschiff des Domes beigesetzt. Das klassizistische Denkmal befindet sich in einer Nische der Nordwand.
Als Bischof war Dalberg für die rechtsrheinischen Reste von Mainz und Worms, für Konstanz und Regensburg zuständig. Die Vereinigung von Mainz und Regensburg blieb in den Anfängen stecken; denn weder die Bildung eines gemeinsamen Metropolitankapitels noch die Schaffung eines gemeinsamen Ordinariates kamen zustande. Die Verwaltung der Mainzer Restdiözese oblag dem Generalvikariat in Aschaffenburg unter Weihbischof Kolborn, einem vertrauten Mitarbeiter von Dalberg. Als dieser 1816 starb, betraute Dalberg den Geistlichen Rat Chandelle mit der Leitung der Geschäfte und betrieb dessen Erhebung zum Weihbischof. In Konstanz ließ Dalberg sich bald durch Wessenberg vertreten, den er 1802 zum Generalvikar ernannte. 1815 bestellte er ihm zum Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge für Konstanz, doch versagte die Kurie dem ihre Anerkennung. Die 44 Pfarreien des rechtsrheinischen Worms unterstanden zunächst dem Vikariat in Lampertheim (Mittnacht). Auf Verlangen des Großherzogs von Baden trat Dalberg die Jurisdiktion hierüber 1812 an das Vikariat Bruchsal ab, das den rechtsrheinischen Teil des Bistums Speyer verwaltete. In Regensburg blieb das Domkapitel bis zur Installation des neuen Kapitels (4. 11. 1821) im Amt und im nur wenig geschmälerten Genuß seiner alten Besitzungen. Die Bistumsverwaltung unter Dalberg als Administrator und Erzbischof besorgte das Konsistorium unter Leitung des Präsidenten Wolf.
Dalberg war als Landesherr und Bischof von peinlicher Gewissenhaftigkeit, in seiner Amtsführung von kantischem Pflichtbewußtsein, dabei von gewinnender menschlicher Güte und großer Hilfsbereitschaft. Sooft er in Regensburg oder Konstanz weilte, hielt er häufig die Pontifikalhandlungen selber. In Regensburg nahm er gewöhnlich an den Konsistorialsitzungen teil. Dalberg besaß zeitlebens einen starken Glauben an die guten Möglichkeiten im Menschen und war darin ganz ein Regent der Aufklärung. Das Bildungsideal der katholischen Aufklärung, die Entfaltung aller guten Anlagen im Menschen und seine Hinführung zur Glückseligkeit wird deutlich erkennbar, auch in der grundsätzlichen und angewandten religiösen Toleranz. Zwar nicht Theologe im fachlichen Sinn, war Dalberg doch theologisch gut gebildet, in seinem Kirchenbild merklich vom febronianischen Denken seiner Zeit beeinflußt. Zu den großen Gestalten seiner aufgewühlten Zeit hat er gewiß nicht gehört, wohl aber war er eine edle, geistliche Persönlichkeit. Unkenntnis, apologetischer ultramontaner Übereifer und auch einseitiger Nationalismus haben den letzten Kurerzkanzler des alten Reiches vielfach verkannt und sein Bild in immer dunkleren Farben gezeichnet. Wie Wessenberg wurde er lange als Repräsentant der katholischen Aufklärung negativ beurteilt.
Georg Schwaiger
Text aus: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder. Ein biographisches Lexikon. Teil: 1785/1803 bis 1945, Berlin: Duncker und Humblot 1983, S. 110–113. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Weitere Literatur: