Der Prophet weiß darum, dass der Weg des Glaubens eine Bergwanderung sein kann, kein Sonntagsspaziergang

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt anlässlich des Jubiläums „50 Jahre Kroatische Gemeinde Darmstadt“ Sonntag, 1.12.2019 (1. Advent), Sankt Fidelis Darmstadt

Datum:
So. 1. Dez. 2019
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Zum Berg des Herrn strömen viele Nationen. So sieht es der Prophet Jesaja für die Tage der Endzeit. In dieser Endzeit leben wir, so ist christliche Überzeugung. Viele Nationen auf dem Weg: Das ist auch die Wirklichkeit unserer Weltkirche. Und es ist der Reichtum der Kirche, auch in unserem Bistum Mainz. Viele Nationen bekennen in der Gemeinschaft des Bistums ihren Glauben, sie leben ihn in ihrer Art und mit den eigenen Traditionen. 25% der Katholiken in unserem Bistum sind Katholiken anderer Muttersprache, die Gläubigen der kroatischen Gemeinde gehören dazu.

Wir erleben dies als einen großen Reichtum, als ein Stück Weltkirche in unserem Bistum. Die Begegnung mit der weltweiten Kirche kann eine wichtige Inspiration sein für alle Gläubigen. Von den Kroaten können die deutschen Katholiken sicher vieles lernen. Ich denke an einen frohen, selbstbewussten Glauben. Den Glauben leben Sie, liebe Schwestern und Brüder, in einer starken Gemeinschaft. Der Glaube prägt Ihre Kultur und Ihren Alltag, er stärkt den einzelnen und die Familie. Ich erlebe den Glauben unserer Gemeinden anderer Muttersprache als einen farbenfrohen, bunten Glauben. Wir sollten als katholische Christen mit unterschiedlichen ‚Herkünften‘ noch stärker die Vielfalt als Bereicherung sehen und gestalten. Auch in Zukunft sollen Sie den Glauben in der Ihnen liebgewordenen Form leben.

Im Bistum Mainz beginnen wir den sogenannten „Pastoralen Weg“, d.h. wir reagieren auf eine Kirche und eine Gesellschaft, die sich wandelt, und auf die Situation der Kirche in Deutschland, die sich in einem Prozess radikaler Veränderungen befindet. Ich habe dazu eingeladen, sich neben strukturellen Fragen, die selbstverständlich angegangen werden müssen, auch den inhaltlichen Fragen zu stellen. Wie können wir den Glauben so leben, dass er andere Menschen begeistert? Wie können wir den Glauben an die kommenden Generationen weitergeben? Manchmal höre ich in Gesprächen hier viel Ratlosigkeit. Sie sollten Ihre Erfahrungen mit ins Gespräch des Pastoralen Weges bringen. Die Erfahrungen der Weltkirche sind hier wichtige Impulsgeber für unser Bemühen hierzulande. Der Prophet Jesaja sieht die verschiedenen Völker und Nationen als eine große, im Glauben an den einen Gott verbundene Gemeinschaft. Oft existieren die verschiedenen Gemeinden nebeneinander her. Das hat unterschiedliche Gründe, auf die ich hier nicht eingehen muss. Ich lade herzlich dazu ein, an der Verwirklichung der Vision des Propheten zu arbeiten. Das geht nur gemeinsam, im gegenseitigen Interesse aneinander, und vielleicht kann man auch etwas von den „deutschen“ Gemeinden lernen. Es geht um eine lebendige Vielfalt, die bleiben soll, aber in starker Gemeinschaft und Freundschaft. In der Vielfalt der Kirche soll erfahrbar sein, was es heißt, Schwerter zu Pflugscharen zu machen. Unsere Gemeinden sollen keine Konkurrenten sein, schon gar nicht Gegner, sondern Freunde, Brüder und Schwestern. Ich bin froh über jedes Gelingen dieser Freundschaft und Gemeinschaft. Wir hören heute die Vision, den Traum des Propheten Jesaja. Papst Franziskus hat in Mosambik an die Jugendlichen gerichtet gesagt: „Es geht immer darum, gemeinsam zu träumen (…). Träumt mit den anderen, nie gegen die anderen“[1].

Der Prophet weiß darum, dass der Weg des Glaubens eine Bergwanderung sein kann, kein Sonntagsspaziergang. Diese Erfahrung kann jeder Gläubige in seiner eigenen Lebensgeschichte machen. Es gibt ein Auf und Ab, und manchmal verbirgt sich Gott hinter dunklen Wolken, manchmal treibt es einem den Schweiß aus den Poren, aber immer wieder strahlt die Sonne und der Glaube ermöglicht den Blick in großartige Landschaften. Das kirchliche Miteinander kann auch eine derartige Bergwanderung werden. Sie leben in Deutschland seit 50 Jahren als Gemeinde und natürlich gehen die Entwicklungen einer zunehmend säkularen Gesellschaft an Ihnen und an der Kirche im Bistum Mainz insgesamt nicht spurlos vorbei. Papst Franziskus hat Recht, wenn er von einer verbeulten Kirche spricht. Das gilt für alle unsere Gemeinden. Und es ist gut, wenn wir den Staub der Straße an unseren Füßen haben. Wir müssen uns von den Menschen, die mit uns gehen, berühren und auch verändern lassen. Kirche auf dem Weg meint auch, nicht nur von guten alten Zeiten zu träumen, sondern auf den Straßen dieser Welt zu Hause zu sein, die Themen der Menschen wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Kirche auf dem Weg der Pilgerschaft – das war ein wichtiges Bild des II. Vatikanums. Pilgerschaft beinhaltet auch Veränderung, „Verheutigung“ des Glaubens – „Aggiornamento“. Als Bischof brauche ich oft die Ermutigung durch andere, weiterzugehen. Ich hoffe dann, dass ich als Bischof auch immer wieder Mut machen kann, nicht sitzen zu bleiben. Viele von Ihnen blicken auf schwere Zeiten und schwierige persönliche Erfahrungen zurück, und sicher waren die ersten Jahre Ihrer Gemeinde nicht nur Sonnenschein. Ein Theologe hat unsere Gemeinden einmal mit einer Berghütte verglichen. Ich finde diesen Vergleich sehr schön. Menschen dürfen in Ihren Gemeinden Stärkung, Erholung und Ermutigung erfahren. Dazu gehören Beziehungen und Begegnungen. Ich bitte Sie herzlich, dies strahlen zu lassen nach außen, dass andere sich eingeladen fühlen, im Glauben mitzugehen. Eine Berghütte allein ist aber zu wenig. Immer wieder muss man sich auf den Weg machen und weitergehen.

Gemeinden sind kein Selbstzweck, das macht der Prophet mehr als deutlich. Es geht um die gemeinsame Suche nach Gott, nach seinem Wort und Willen. Unsere Gemeinden müssen hörende und betende Gemeinden sein und bleiben. Sie schauen heute auf 50 Jahre Glaubensgeschichte in dieser Gemeinde zurück. Aber es geht nicht um das Bewahren der Asche, sondern darum, das Feuer des Glaubens weiter zu geben. Ich bin allen dankbar, die einen lebendigen Glauben in dieser Zeit und in dieser Gemeinde und überall in unserem Bistum leben und bezeugen. Es wird immer wichtiger werden, unseren geistlichen Reichtum nach draußen zu tragen und nicht allein im inneren Zirkel zu feiern und zu bewahren. Diese Versuchung ist immer stark. Auch unsere Gemeinden anderer Muttersprache, und erst recht eine derart starke und lebendige Gemeinde der Kroaten nimmt teil am Sendungs- und Missionsauftrag des Herrn. Da bitte ich alle Gläubigen, dies gemeinsam zu versuchen und die Freude des Glaubens nach außen zu strahlen. Wer leuchten will, muss das Licht Christi aufnehmen. Dazu lädt uns das Gebet und der Gottesdienst immer wieder ein.

Liebe Schwestern und Brüder, ich gratuliere sehr herzlich. Ich freue mich mit Ihnen und wünsche Ihnen, dass die Vision, der Traum des Propheten Jesaja immer mehr zum Tragen kommt: die Vision einer großen, vielfältigen Gemeinschaft auf der Suche nach Gott, einer Kirche auf dem Weg, auf dem man sich stützt und ermutigt, einer starken Gemeinschaft des Friedens und der Freundschaft. Gottes Segen dazu!

 

[1] Ansprache beim interreligiöses Treffen mit den Jugendlichen, Maputo/Mosambik, 5. September 2019, https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2019-09/papst-franziskus-apostolische-reise-mosambik-ansprache-jugend.html