In den letzten Tagen haben mich zahlreiche Anfragen und Reaktionen erreicht, die zum Teil sehr emotional das aktuelle tagespolitische Geschehen aufgreifen und Vorwürfe aus ganz unterschiedlichen Perspektiven formulieren. Für viele dieser Reaktionen und Anfragen habe ich großes Verständnis. Als Bischof und Christ bringen sie mich in dieser Zeit aber auch in mehrfacher Hinsicht in ein Dilemma, da Äußerungen und Positionierungen nicht selten parteipolitisch ausgenutzt und auch inhaltlich verzerrt wiedergegeben werden. Ich habe derzeit oft den Eindruck, dass eine sachliche und differenzierte Auseinandersetzung kaum noch möglich ist.
Das Bistum Mainz übt sich in Wahlkampfzeiten traditionell in Zurückhaltung und greift nicht mit inhaltlichen Beiträgen in den Wahlkampf ein. Dafür gibt es gewichtige Gründe, die nicht gering geschätzt werden dürfen. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass aus meiner persönlichen Sicht und Haltung die Positionen der katholischen Kirche in Deutschland zu den aktuell bewegenden Themen wie Migration oder Abgrenzung von extremistischen Positionen klar sind und bereits vielfach geäußert wurden. Gleichzeitig erlebe ich auch, dass unsere Zeit von Unsicherheiten, Ängsten und Sorgen geprägt ist, was unterschiedliche politische Zerwürfnisse und Spaltungen auslöst. Ich verstehe, dass sich in einer demokratischen Auseinandersetzung gegensätzliche Positionen entwickeln können, aber es braucht auch weiterhin die Bereitschaft zu einem wirklichen Dialog in Politik und Gesellschaft. Dazu braucht es neben dem Willen, andere Positionen wirklich anzuhören, auch die grundsätzliche Bereitschaft, eigene Positionen zu korrigieren. Das darf auch in einer aufgeheizten Stimmung nicht aus dem Blick verloren werden.
Viele wirklich wichtige Themen geraten nach meiner Wahrnehmung durch die aktuellen Zuspitzungen aus dem Blick. Stattdessen werden nicht nur falsche oder unpassende Schwerpunkte gesetzt, sondern es geht auch der Blick verloren für vulnerable Gruppen, für die Würde eines jeden einzelnen Menschen, für Sozialpolitik, für Anliegen und Themen, die kirchliche Einrichtungen von ihren ureigenen Überzeugungen her betreffen. Die Kirchen machen in ihrem konkreten Engagement andere und vielfältige Erfahrungen. Davon zeugen aktuelle Initiativen und Kampagnen wie „Caritas öffnet Türen!“ (Caritas öffnet Türen!) oder die Initiative „Demokratie stärken - Für alle. Mit Herz und Verstand“ (Zur Bundestagswahl 2025 – Für alle. Mit Herz und Verstand. Ein ökumenisches Anliegen von Kirchen in Deutschland).