Frieden beginnt bei der eigenen Umkehr in Gedanken, Worten und Werken

Predigt in der Eucharistiefeier zum Weltfriedenstag 2025 mit pax christi Rhein-Main
in der Kirche St. Remigius in Wöllstein

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Datum:
So. 12. Jan. 2025
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

„Vergib uns unsere Schuld, schenke uns deinen Frieden“, so lautet der Titel der Friedensbotschaft von Papst Franziskus zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2025. Der erste Halbsatz ist dem Vaterunser entnommen, dass unzählige Menschen jeden Tag beten. Vergib uns unsere Schuld, beten sie und meinen es hoffentlich ernst. Niemand steht schuldlos vor Gott, auch wenn die Schuld und das Versagen sehr individuell und von unterschiedlicher Tragweite sind.

Der Papst sieht es als einen Kulturwandel an, wenn sich alle Menschen in dieser Weise als Schuldner in gegenseitiger Verantwortung verstehen. Es müsse sich die Kultur des unbarmherzigen Urteils über andere verändern, auch wenn dies nicht dazu führen dürfe, das Unrecht anderer nicht beim Namen nennen zu dürfen. Unter der Überschrift: „Ein kultureller Wandel: Wir sind alle Schuldner“, schreibt der Papst:

„Das Ereignis des Heiligen Jahres fordert uns auf, verschiedene Veränderungen vorzunehmen, um den gegenwärtigen Zustand von Ungerechtigkeit und Ungleichheit anzugehen und uns daran zu erinnern, dass die Güter der Erde nicht nur für einige wenige Privilegierte bestimmt sind, sondern für alle. Es mag nützlich sein, sich an das zu erinnern, was der heilige Basilius von Cäsarea geschrieben hat: ‚Aber sage mir, was ist denn dein? Woher hast du es bekommen und in die Welt gebracht? […] Bist du nicht nackt aus dem Mutterschoße gekommen, und wirst du nicht nackt wieder zur Erde zurückkehren? Woher hast du denn deine Güter? Sagst du: vom Zufalle, dann bist du gottlos, weil du den Schöpfer nicht erkennst und dem Geber keinen Dank weißt.‘  Wenn die Dankbarkeit verloren geht, erkennt der Mensch die Gaben Gottes nicht mehr an.“

Das Leben ist ein Geschenk, die Gemeinschaft ist ein Geschenk, das gestaltet werden will. Die Schöpfung ist ein Geschenk, für das wir Verantwortung tragen, und es ist ein Geschenk, dass Gott immer wieder Türen öffnet, neu anzufangen und neue Wege zu gehen. Die Bibel nennt diese Chance Umkehr. Es geht also sowohl um ein Nachdenken über eigene Haltungen als auch um ein Verändern von Einstellungen und Gewohnheiten. Der Papst spricht wörtlich von der Notwendigkeit eines entwaffneten Herzens. Es genügt folglich nicht im Rahmen von Friedensarbeit, auf die globalen Ereignisse zu schauen und zu beklagen, dass dort nur wenig Veränderung wahrzunehmen ist. Frieden beginnt bei der eigenen Umkehr in Gedanken, Worten und Werken.

Vor wenigen Wochen hat Papst Franziskus seine Enzyklika über die Verehrung des  Herzens Jesu („Dilexit nos“ – Er hat uns geliebt) veröffentlicht. Darin bringt er die Hoffnung zum Ausdruck, dass diejenigen, die an Christus glauben, zu Menschen werden, die der Welt ihr Herz zurückgeben. Wenn wir im Vaterunser um Vergebung bitten, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass Vergebung nicht umsonst oder gar gratis zu haben ist. Wir selbst müssen uns ändern, um die Welt auf den Weg des Friedens zu führen – im Kleinen wie im Großen. Es ist auffallend, dass im Vater unser die Vergebungsbitte an die Bereitschaft gekoppelt wird, selbst zu vergeben: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Und Jesus wird noch deutlicher: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ (Mt 6,14f.). Dankbarkeit, Vergebungsbereitschaft, die ausgestreckte Hand zur Vergebung – das sind die Voraussetzungen für dauerhaften Frieden, wenn es denn so einfach wäre. Zusätzlich treibt es Jesus auf die Spitze: Er gebietet die Liebe zum Feind. Wahrscheinlich meint er damit nicht nur den persönlichen, sondern auch den politischen Feind und Unterdrücker, denn die Menschen werden damals auch an die römischen Besatzer gedacht haben.1 Eine genaue Definition, wer denn unter die Nächstenliebe falle, hat Jesus immer abgelehnt. Meinem Nächsten begegne ich in konkreten Notsituationen und auch dann, wenn er mir als Gegner gegenübersteht. In einem Interview höre ich die Frage: Kann man so Politik machen angesichts der Weltlage? In manchen Kriegsgebieten dieser Erde ist die Zeit dafür wohl nicht reif – zumindest nicht auf politischer oder internationaler Ebene. Dennoch lese und erfahre ich von einzelnen Menschen, die sich auf diese Provokation einlassen. Im Hessischen Rundfunk wird beispielsweise ein Podcast mit dem folgenden Einleitungstext beworben:

„Die Zeiten sind schlecht für Frieden in Israel. Die rechtsreligiöse Regierung tut alles, um Juden und Araber zu trennen. Dagegen aber wehren sich Menschen, die für Versöhnung einstehen. Menschen, die wissen, wie viel Leid Hass und Ausgrenzung mit sich bringen. Es sind Juden, die Angehörige verloren haben durch palästinensische Terror-Anschläge oder durch Kriege mit arabischen Nachbarstaaten. Frauen, die seit vielen Jahren Woche für Woche dagegen demonstrieren, dass im Westjordanland weiter jüdische Siedlungen gebaut werden. Andere bringen palästinensische Kinder in israelische Krankenhäuser, auch wenn ihre eigenen Kinder das nicht verstehen. Sie tun das, obwohl sie von (…) Nachbarn bespuckt und beschimpft werden. Sie sind überzeugt: Nur, wenn man sich kennenlernt, können Frieden und Versöhnung werden.“ 2

Die Organisation „Combatants for Peace“ setzt sich für eine Aussöhnung zwischen Israel und Palästina ein. Die Tagesschau berichtete Ende 2023, dass Vertreterinnen und Vertreter durch Deutschland reisen, um mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen. Ähnliche Initiativen finden sich auch in der Ukraine. Es sind kleine Gruppen, manchmal Jugendbegegnungen, die an den Wurzeln ansetzen. Frieden beginnt dort, wo Menschen sich begegnen und ihr Verhalten, ihr Denken und ihre Einstellung gegenüber Gegnern und Feinden verändern wollen. In den öffentlichen Debatten kommen derartige Beispiele leider nur selten vor. Aber es gibt sie – Gott sei Dank.

Ich denke gerne an die Reise einer Gruppe von pax christi nach Polen im Frühjahr 2024 zurück. In Kreisau wird Versöhnungsarbeit geleistet, vor allem zwischen jungen Menschen. Jugendliche aus verfeindeten oder fremden Nationen begegnen sich, das Kennenlernen ist ein notwendiger Schritt zum Frieden. Ich denke voll Respekt und Erschütterung an die Versöhnungsarbeit in Auschwitz. In Breslau standen wir vor dem Denkmal Kardinal Komineks, der mit anderen polnischen Bischöfen 1965 einen Brief an die deutschen Bischöfe gesendet hat: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Das war damals ein unglaublicher Schritt, der zunächst überhaupt nicht auf breite Begeisterung gestoßen ist. Aber es war ein gewaltiger Schritt aufeinander zu.

Ebenso bewegend war mein Besuch mit einer Gruppe in Maillé bei Tours, wo die SS 1944 fast ein ganzes Dorf ermordet hatte. Durch persönliche Kontakte ist hier Vergebung gewachsen. Erzwingen lässt sich gar nichts. Es fängt immer bei einzelnen an, die etwas im Miteinander verändern wollen. In einem Interview vor einigen Wochen lese ich von einer Frau, die ihren Sohn durch einen Mord des sogenannten Islamischen Staates verloren hat, er wurde öffentlich massakriert. Inzwischen hat diese Mutter den Mörder mehrmals im Gefängnis besucht. Mit solchen persönlichen Schritten kann es beginnen.

Diskutieren wir derzeit ausschließlich über Waffenlieferungen und Verteidigung, ist das zum einen verständlich. Jetzt in einzelnen Konfliktfeldern Vergebung zu fordern, wäre für viele zynisch. Es braucht die Suche nach gerechten Lösungen von Konflikten. Es braucht aber auch die ersten kleinen Schritte von Menschen, die sich nicht mit Gewalt und Gegengewalt abfinden und nicht auf Rache aus sind. Damit wird vielleicht keine Weltpolitik gemacht, aber so Gott will, stehen am Ende Friedenslösungen, die aus kleinen Samenkörnern entstanden sind. Der Weltfriedenstag erhebt nicht den moralischen Zeigefinger, sondern der Papst weist auf die Kraft des Kleinen hin. So sollten wir alle im Kleinen beginnen, neue Haltungen zu entwickeln, zur Welt, zum Gegenüber, auch zum Gegner, eine neue Sprache, die sich der Gewalt und dem Hass widersetzt. Es ist kein schlechter Vorsatz, im Sinne von Papst Franziskus täglich zu versuchen, der Welt das Herz zurückzugeben.

1Vgl. Helmut Merklein, Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft = Stuttgarter Bibelstudien³ 111, Stuttgart 1989, 121.

https://www.hr2.de/programm/sendezeiten/israelis-und-palaestinenser-wollen-frieden-und-versoehnung,epg-camino-930.html (Abruf 07.01.2025).