Ich will mich rufen lassen auf den Weg des Friedens

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt am Hochfest der Geburt des Herrn am 1. Weihnachtstag 2024 im Dom zu Mainz, 25. Dezember 2024, 10.00 Uhr

Licht und Finsternis (c) klyaksun | stock.adobe.com
Datum:
Mi. 25. Dez. 2024
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Wenn Glaube heute eine Bedeutung hat, dann darin, dass gläubige Menschen nicht resigniert die Hände in den Schoß legen, dass Wut und Verzweiflung nicht die Oberhand gewinnen, sondern dass Menschen dem Licht Raum geben und sich hineinnehmen lassen in die Hingabe Jesu, der zum Heil und zum Segen der Menschen gelebt hat. 

„Weihnachten 2024 ist kein Fest der Fröhlichkeit“ – so hat es die Oberbürgermeisterin von Magdeburg auf den Punkt gebracht. Was in Magdeburg geschehen ist, hätte überall passieren können, auch in Mainz oder anderen Städten und Orten unseres Bistums. Heute können wir nicht Gottesdienst feiern, ohne das Leid der Menschen in unser Gebet mitzunehmen, der Menschen in Magdeburg, in der Ukraine, in Gaza und in vielen Orten dieser Erde. Die Gewaltbereitschaft von Menschen macht uns sprachlos, und auch ich spüre bei der Vorbereitung dieser Predigt ein großes Maß an Ohnmacht und Sprachlosigkeit.

Ich gebe aber zu, dass ich mich immer schwer damit getan habe, Weihnachten nur mit Fröhlichkeit in Verbindung zu bringen. Ich erinnere mich an meine Kaplanszeit in Euskirchen. Vor Weihnachten 1944 wurde die Stadt durch Bombenangriffe zerstört, auch die Herz-Jesu-Kirche, in der ich Kaplan sein durfte. Dabei kamen Menschen zu Tode, die gerade mit dem Aufbau der Krippe beschäftigt waren. Um ihrer zu gedenken, hatte der damalige Pfarrer 1994 ein großes Kreuz in die Krippe stellen lassen. Er wollte zeigen, dass die Menschwerdung Jesu nicht zu trennen ist von seiner Lebenshingabe am Kreuz. In beiden Ereignissen zeigt sich dieselbe Liebe zum Menschen, gerade auch zu den Leidenden, den Kleinen und Armen. Damals gab es in der Gemeinde heftige Proteste, ich erinnere mich noch mit einer gewissen Irritation an sie. Der Pfarrer hat damit die Weihnachtsfreude empfindlich gestört. Ist Weihnachten auch für unsere Gläubigen nicht mehr als ein gutes Gefühl und Seligkeit?

Auch Weihnachten kann keine einfache Antwort geben auf den Anschlag in Magdeburg, auf die Situation in der Ukraine oder im Heiligen Land. Aber Weihnachten und seine Botschaft muss doch in der Lage sein, mit den Fragen ins Gespräch zu gehen, die sich aus der aktuellen Situation ergeben. Das Johannesevangelium steht am 1. Weihnachtstag nicht für ein ausschließlich gutes Weihnachtsgefühl. Da ist vom Streit zwischen Licht und Finsternis die Rede, von der Ablehnung des Sohnes Gottes, davon, dass die Menschen ihn und seine Botschaft nicht annehmen. Und doch gibt Jesus, der Sohn Gottes seine Bemühungen nicht auf, Menschen für die Botschaft des Lichtes zu gewinnen, für das Leben gegen den Tod, für den Frieden gegen den Hass, für den Unglauben und die Hoffnungslosigkeit gegen den Glauben und das Vertrauen auf Gott, der in Christus das Gute anbietet. Im wohl ältesten christlichen Hymnus werden die Menschwerdung Jesu und seine Hingabe am Kreuz zusammengebracht, Paulus überliefert ihn im Brief an die Gemeinde in Philippi (Phil 2,5-11). Christus ist Mensch geworden, heißt es dort, er hat sich erniedrigt, er wollte nicht an seiner Macht festhalten. Sein Leben war das eines Menschen. Er lebte die Liebe und Gewaltlosigkeit bis zum Tod am Kreuz. Es gibt einen roten Faden von seiner Geburt bis zu seinem Tod. Er lebte ganz für die Menschen, für ihr Heil und ihren Segen.

Im heutigen Evangelium werden ähnliche Zugänge zur Menschwerdung Jesu angesprochen. Das Wort Gottes, so heißt es dort, leuchtete in der Finsternis, doch die Finsternis hat es nicht erfasst (Joh 1,5). Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf (Joh 1,11). Wenn ich derzeit diese Sätze höre, denke ich weniger an die Menschen unserer Zeit, die die Frage nach Gott nicht mehr stellen. Oft leben sie wie die Gläubigen Liebe und Respekt, fördern das Gemeinwohl, Gerechtigkeit und Frieden. Ich denke eher an die Menschen, die Hass säen, die im anderen nur den Feind sehen, die Gewalt als einzige Lösung gesellschaftlicher Probleme sehen, die andere ausgrenzen und Menschlichkeit zerstören. An Weihnachten geht es nicht nur um Fröhlichkeit, sondern um eine Positionierung. Stelle ich mich auf die Seite des Lichts, das mit Christus aufgestrahlt ist? Dann bin ich gefordert, auch im Alltag Schritte des Friedens, der Versöhnung und der Suche nach Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zu gehen oder mich auf die Seite derer zu stellen, die andere Menschen verachten und ihrer Würde berauben - in Tat und Wort. Halte ich dann aus, dass sich an der Krippe bereits das Kreuz abzeichnet, die letzte Hingabe an diese Welt und an die Menschen auch und gerade in dem Dunkel dieser Welt? „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht“ – hieß es in der Lesung der Christmette (Jes 9,1). Weder die Propheten noch die Evangelien verbinden mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes eine harmlose Gefühligkeit.

Wie gehen wir nun mit der aktuellen Situation dieser Welt um, mit der Ukraine, mit Gaza, mit Magdeburg und zahlreichen weiteren Beispielen. Einfache Antworten werden uns die Texte nicht geben. Das Böse in der Welt wird nicht gepudert und gezuckert. Es schadet aber nicht, wenn uns Weihnachten aus unseren alltäglichen Routinen im Reden oder Nachdenken über Gott herausreißt. Gott ist ja nicht einfach „lieb“. Er ist nicht harmlos. Auch die Welt ist nicht einfach nur gut, auch an Weihnachten nicht. Der Evangelist Johannes wusste dies sehr genau. Es bleibt ein Streit zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Dunkelheit. Wer diese Botschaft hört, muss sich täglich entscheiden. Glaube ist nicht einfach eine Quelle des Glücks und der Zufriedenheit, sondern eine Anfrage: Was willst du tun, wem willst du folgen, welche Lebenshaltung wird dich prägen? Ich erschrecke auch an Weihnachten über das Potential an Bösem, das in Menschen steckt. Ich will mich dadurch nicht lähmen lassen, ich will mich rufen lassen auf den Weg des Friedens und der Überwindung von Gewalt und von Hass. Heute können wir im Gottesdienst mancher Sprachlosigkeit eine Stimme geben. Ich glaube fest daran, dass Christus in alle Finsternis hinabsteigt und den Leidenden nahe ist. Er nimmt mich in die Pflicht, das zu ändern, was ich ändern kann, auch wenn es nur wenig ist. Am 29. Dezember werden wir hier im Dom um 10.00 Uhr das sogenannte Heilige Jahr eröffnen, das Papst Franziskus für die ganze Weltkirche ausgerufen hat. Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung sollen wir sein. Hoffnung kann nicht bedeuten, die Probleme und Fragen klein zu reden. Aber in der Zuwendung zum anderen Perspektiven zu ermöglichen, nicht wegzuschauen, wo Menschen andere erniedrigen und verachten, wo Menschen Hilfe brauchen. Hoffnung bedeutet, jeden Tag bemüht zu sein, dem Licht mehr Raum zu geben als der Dunkelheit. Dann kann Christus auch in unserer Zeit Mensch werden, wenn er konkrete Aufnahme findet in denen, die ihm nachfolgen wollen. Wenn Glaube heute eine Bedeutung hat, dann darin, dass gläubige Menschen nicht resigniert die Hände in den Schoß legen, dass Wut und Verzweiflung nicht die Oberhand gewinnen, sondern dass Menschen dem Licht Raum geben und sich hineinnehmen lassen in die Hingabe Jesu, der zum Heil und zum Segen der Menschen gelebt hat. Weihnachten 2024 ist wohl kein Fest ausgelassener Fröhlichkeit, aber doch ein Fest der Hoffnung, des Miteinanders und des Friedens. Dazu mögen uns Krippe und Kreuz gleichermaßen ermutigen. Manche unserer Weihnachtslieder besingen gerade diesen ernsten Zusammenhang und Anspruch. „Ich lag in tiefster Todesnacht, du warst meine Sonne“ heißt es in einem Lied (GL 256,3). In einem anderen: „Dich will ich lieben sehr, in Freuden und in Schmerzen.“ (GL 239,3). Weihnachten könnte eine Art „Beziehungscheck“ sein, dass wir uns fragen, wo wir stehen, wenn er kommt und uns auf seinen Weg ruft. Wenn ich in diesen Tagen vor der Krippe stehe, will ich mich neu rufen lassen.