Predigt von Bischof Kohlgraf im Festgottesdienst zum Maria Ward-Tag am 31. Januar 2022

Die Kirche verändern nur diejenigen, die sich diesen Gesprächen und Konflikten nicht verweigern.

maria_ward (c) Bistum Mainz/ Maria Ward
Datum:
Mo. 31. Jan. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

300 Jahre Bildung, Begleitung und Förderung von Mädchen und jungen Frauen im Sinne der Mary Ward – das ist wahrlich ein guter Grund zu feiern. Voll Respekt schauen wir auf die Schwestern und die vielen Menschen, die dieses Anliegen in den vielen Jahren verwirklicht haben und bis heute verwirklichen. 

Menschen dürfen nicht gebrochen werden, sondern sollen beschenkt und stark gemacht werden.

Das Engagement der Schwestern bis vor wenigen Jahren, der Erzieherinnen und Erzieher, der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern sowie der selbstbewussten Schülerinnen prägt den Geist dieser Schule. Das Leben der Maria Ward und manche ihrer Aussagen sind bis heute eine Herausforderung und Anregung, wie wir auch heute als Menschen in der Nachfolge Jesu leben können. 
Ich gebe zu, dass ich zum einen sehr froh bin, heute mit Euch und Ihnen feiern zu können. Ein solches Fest stärkt unsere Gemeinschaft und hoffentlich auch den Glauben. Zum anderen sind wir derzeit immer wieder in unserem Glauben und in unserer Beziehung zur Kirche in eine tiefe Krise gestellt. Als Bischof darf ich an diesem aktuellen und schwierigen Thema nicht vorbeigehen. Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hatte viele Gesichter. Heute liegen die schlimmen Taten zum Teil offen zutage, vieles wird dennoch im Dunkeln bleiben. Es kann für mich als Bischof keine Option sein, die Verhältnisse und die Schuld nicht sehen zu wollen. Daher will ich erfahren, was auch in unserem Bistum geschehen ist. Das Ziel muss sein, Menschen zu befähigen, Nein zu sagen, wenn sie etwas nicht wollen – gegenüber Erwachsene genauso wie gegenüber Gleichaltrigen. Und hier sind wir mitten in der Frage der Erziehung und dem Ziel des christlichen Bildungsauftrags. Es war und ist immer Ziel an dieser Schule gewesen, Mädchen zu selbstbewussten Menschen zu bilden, sie auf dem Weg zu wirklich eigenständigen Persönlichkeiten zu begleiten und zu fördern. Mary Ward hat hier ihre eigenen Erfahrungen in der Kirche gemacht und ihren pädagogischen Ansatz dagegengestellt. Zum Beispiel berichtet sie von einer Erfahrung mit ihrem Beichtvater: „Er leitete meine Seele ausschließlich auf dem Weg der Furcht.“ Er drohte mit dem Strafgericht Gottes, und trichterte ihr ein, sich selbst zu hassen. Mary Ward spürt, dass dies nicht der Weg des Evangeliums sein kann. Sie versteht den Auftrag Jesu als Großzügigkeit, als Stärkung des Menschen, nicht als Zerstörung seines inneren Wesens. Menschen dürfen nicht gebrochen werden, sondern sollen beschenkt und stark gemacht werden. Wie oft habe ich in den letzten Jahren angesichts von Gewalt körperlicher oder seelischer Natur in der Kirche hören und lesen müssen: Das war halt damals der Stil. Menschen wie Mary Ward haben nicht den Erziehungsstil ihrer Zeit kritiklos übernommen, sondern ein Gespür dafür entwickelt, dass bestimmte Verhaltensweisen dem Evangelium und der Würde des einzelnen Menschen in keinem Falle angemessen sein können. Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist in keinem Falle zu rechtfertigen, und es gab Menschen in der Kirche, die dies wussten. Sie bleiben eine wichtige Korrektur gegenüber einer Haltung: Das war eben so, damals. Ich bin dankbar für diese Schule, in der Mädchen zu Persönlichkeiten gebildet wurden, die gelernt haben, sich gegen das: „Das macht man eben so“, zu behaupten. Mary Ward hat immer wieder Maß genommen am Verhalten Jesu gegenüber den Menschen. Jesus hat geheilt und gestärkt. Das bleibt der Auftrag an die Kirche auch in unseren Zeiten. 
„Wir haben Jesus zum Gefährten“ – ist eines der Bekenntnisse von Mary Ward, sie hat es von den Jesuiten übernommen. Wo immer zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, ist er als Weggefährte mit dabei. Das gilt auch für den Schulalltag, auch wenn dies nicht permanent thematisiert wird. Die Emmaus-Perikope aus dem Lukasevangelium kann – als ein Grundtext christlichen Unterwegsseins – auch an der Schule leitend sein. Zwei Jünger Jesu sind unterwegs, sie sprechen über ihr Leben, ihre Hoffnungen und auch die Enttäuschungen. Ohne ihn zu erkennen geht der Auferstandene mit ihnen. Er hört ihnen zu, er interessiert sich für ihre Erfahrung. In der Begegnung und im Gespräch deutet er ihnen ihre Erfahrungen im Licht des Glaubens. Gemeinsam lernen sie das Verständnis der Schrift. Sie erkennen ihn im Brechen des Brotes, in der Feier der Liturgie. Schließlich werden sie selbst zu Zeugen des Evangeliums gegenüber anderen. Auch in diesen Zeiten bleibt diese Hoffnung. Jesus geht mit, er will, dass Menschen auf ihren Lebenswegen Orientierung und Hilfe finden, dass sie Leben und Glauben feiern und selbst zu Zeuginnen und Zeugen dieser frohmachenden Erfahrung werden. 

Es braucht manchmal mutige Menschen, die ihrem Gewissen folgen, davon sprechen und für die erkannte Wahrheit einstehen.

Mary Ward wollte besonders die Mädchen fördern, die es damals sicher schwerer hatten als heute. Dennoch ist auch heute eine völlige Gleichberechtigung in Kirche und Gesellschaft nicht erreicht. In der Kirche in Deutschland ringen wir darum, in diesem Thema weiter zu kommen. In den nächsten Tagen werden sich wieder die Mitglieder des Synodalen Weges in Frankfurt treffen, wo es auch um dieses Anliegen geht. Kann die Kirche glaubwürdig für Menschenwürde und Gleichberechtigung eintreten, wenn viele Menschen dies in der Kirche eben nicht erleben, auch aufgrund ihres Geschlechts? Jedenfalls ist das die Empfindung vieler, die ich als Bischof nicht ignorieren kann. Es geht um die Würde von Menschen und die glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums. Sicher werden wir Wege nur in der Gemeinschaft der großen Weltkirche gehen können, aber es darf nicht verboten sein, Fragen in die Weltkirche zu geben. Ich schaue in die Lebensgeschichte der Mary Ward. Als sie ihre Gemeinschaft gründete, erntete sie nicht zuletzt von Papst Urban VIII. massiven Widerstand. Im Grußwort zur Festschrift habe ich bereits davon erzählt: „Dass Ordensfrauen nicht in Klausur leben, sondern einer Tätigkeit nachgehen, dass Mädchen Erziehung und Bildung verdienen – vielen Kirchenmännern des frühen 17. Jahrhunderts erschien dies geradezu verwerflich. ‚Mit Stumpf und Stiel‘ solle das Werk der Mary Ward ausgerottet werden, heißt es in dem Schreiben, mit dem Papst Urban VIII. der Gemeinschaft einen Riegel vorschob.“ Das mutige Zeugnis von Mary Ward zeigt, dass manchmal Dinge verwirklicht werden, die kurz zuvor noch für völlig unmöglich gehalten wurden. Es braucht manchmal mutige Menschen, die ihrem Gewissen folgen, davon sprechen und für die erkannte Wahrheit einstehen. Eine Trennung vom Papst und der Weltkirche war allerdings auch nie eine Option. Man könnte es heute als kritische Loyalität bezeichnen. Letztlich stellte sie sich unter das Urteil des Papstes, ohne in jedem Fall seine Position für gut zu erklären. Ich meine, dass wir heute gehalten sind, derartige Wege zu gehen. Die Einheit mit dem Papst und der Weltkirche nicht zu zerbrechen, aber unsere Fragen deutlich zu benennen: um der Menschen und der Glaubwürdigkeit des Evangeliums willen. Manche sagen, dass Veränderungen in der Kirche nicht schnell genug gehen. Ihr habt diesem Gottesdienst ein afrikanisches Sprichwort vorangestellt: „Wenn du schnell gehen willst, dann gehe allein. Wenn du weit gehen willst, dann musst du mit anderen zusammengehen.“ Im Blick auf die Weltkirche ist das wohl auch so. Als Kirche in Deutschland sind wir weltweit verbunden, mit Ortskirchen, deren Sichtweisen und kulturellen Zugänge zum Glauben und zur kirchlichen Praxis andere sind. Sie warten nicht unbedingt auf unsere Einsichten. Eine Kirche in Deutschland geht nicht allein. Aber in dieser Gemeinschaft können wir weit gehen, das bleibt meine Hoffnung. Mary Ward ist uns heute ein gutes Beispiel: Nicht nur auf Geschwindigkeit zu setzen, sondern auf ein gutes Fundament, das dann auch in Veränderungen tragen kann. 

Bildung und Begleitung junger Menschen bleibt ein wichtiger kirchlicher Auftrag in unserer Zeit. Schulen gehören als Kirchorte zu unserem Bistum, auch wenn Kirche nicht nur Schule ist. Die Vielfalt macht es. Unsere Kirche wird sich verändern. Wir werden sicher kleiner werden, und es bleibt uns nicht erspart, auch die dunklen Kapitel anzuschauen. Es gibt aber genauso die lichtvollen Seiten der Kirche. Mary Ward zeigt uns, dass Konflikte und Ringen nicht unchristlich sind. Starke Persönlichkeiten gehören in die Mitte der Kirche. Die Kirche verändern nur diejenigen, die sich diesen Gesprächen und Konflikten nicht verweigern. Ich bin dankbar für alle, die hier zu starken Persönlichkeiten, zu selbstdenkenden und eigenständig glaubenden Menschen gebildet wurden und werden. 
Ein wenig demütig bitte ich als Bischof von Mainz: Bleiben wir eine Gemeinschaft, die glaubt, betet, feiert, aber auch ringt und streitet, in gegenseitigem Respekt und Achtung vor dem und der anderen. Für Euch und Sie alle bitten wir um Segen, und dass Christus Weggefährte bleibt.