Predigt von Bischof Peter Kohlgraf bei der Verleihung der missio canonica Dom zu Mainz, Donnerstag, 12. Mai 2022, 15.00 Uhr

„Christliche Wahrheit ist eine Person, die mich liebt, die alle Menschen liebt, die aber auch auf ungeteilte Gegenliebe wartet."

Bitte um die Erteilung der Missio canonica (c) Bistum Mainz/Hoffmann
Datum:
Do. 12. Mai 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

In der Osterzeit hören wir die Lesungen aus der Apostelgeschichte des Lukas. Die Kirche in der Apostelgeschichte wächst unaufhaltsam: Nach einer Predigt bekehren sich 3000 Menschen, nach der Heilung eines gelähmten Mannes kommen weitere hinzu, die Gemeinde wächst, die Zahl der Jünger wurde immer größer. Was so einfach klingt, ist andererseits mit zahlreichen Problemen verbunden. 

Die Jünger werden verfolgt, und sie verkünden ja auch einen Glauben an einen Gekreuzigten, der den einen eine Torheit, den anderen ein wirkliches Ärgernis ist. Aus dem kleinen Häuflein in Jerusalem wird eine Weltkirche, trotz dieser seltsamen Botschaft. Oder gerade wegen dieser Botschaft? Denn es stimmt tatsächlich, die Geschichte der jungen Kirche ist in allen Schwierigkeiten der Anfeindungen auch von außen eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.

Kirchenhistoriker sind der Frage nachgegangen, woran dies gelegen hat. Und sie haben Antworten auf diese Frage gegeben. Warum wird aus dem kleinen Häuflein eine Weltkirche? Es ist wohl tatsächlich nicht trotz der klaren Botschaft, sondern wegen ihr. Die Zeit der ersten Christen im römischen Weltreich war durch eine große Vielfalt geprägt. Unterschiedlichste Götter hatten Platz, da hätte auch irgendwie Christus einen Ort gefunden. Aber damit geben sich die Christen nicht zufrieden. Er ist kein Göttersohn neben den vielen anderen, sondern der einzige Erlöser, der eingeborene Sohn Gottes, wie sie formulieren. Weil Christen an ihn glauben, dürfen sie anderen Göttern nicht opfern. Wenn wir in den Verkündigungsdiensten der Kirche und auch im Lehrerberuf heute für den Glauben an Christus einstehen, dann werben wir für ihn, wir machen ihn bekannt.

Der konfessionelle Religionsunterricht wird heute nicht selten hinterfragt. Dabei geht es nicht um eine Form der Überwältigung der Schülerinnen und Schüler, sondern das Anbieten einer eigenen Überzeugung. Es geht um das Bekanntwerden mit einem Gott, der Orientierung und damit auch Freiheit schenkt. Im Unterreicht wird es immer wieder um die Frage gehen, welche Wahrheit uns leitet, wer uns Orientierung schenkt. Es wird auch immer wieder darum gehen, Götter zu entlarven, die Menschen auf falsche Wege führen. Das geht meines Erachtens nur, wenn wir unsere jungen Gesprächspartnerinnen und –partner ernst nehmen, und ihnen Wege zeigen, einen eignen Zugang zu Glauben und Leben zu finden. Daher kann ein konfessioneller Unterricht nur auf der Grundlage von Freiheit und Toleranz, aber eben auch nicht Beliebigkeit, gestaltet werden.

Sie werden Lehrerin und Lehrer in einer Zeit einer nun wirklich nicht wachsenden Kirche in Deutschland. Dazu gehört Mut. Und jeder Mensch in einem solchen Dienst darf sich auch die eigenen Zweifel und Unsicherheiten eingestehen. Sie werden auch den Schülerinnen und Schülern gegenüber eigestehen dürfen, dass Sie Fragen an die Kirche und ihre Gestalt haben. Dass Sie vielleicht auch um den Glauben ringen. Das macht den Kern der Botschaft nicht unglaubwürdig. Bei allen Fragen lade ich Sie ein, sich einen Satz des Apostels Paulus zu eigen zu machen: Christus ist mein Leben. Er gehört ins Zentrum. Von ihm bin ich fasziniert, ihn zu verstehen versuche ich. Ich meine, dass Kinder und Jugendliche solche Menschen brauchen, denen nicht alles gleich-gültig ist.

Damals war das nicht anders. Der christliche Gott hat ein Gesicht in Jesus Christus. Wo alles gleich wahr ist, nehme ich gar nichts mehr ernst. Toleranz braucht einen eigenen Standpunkt, der auch gesprächsfähig ist. Toleranz braucht ein Ringen und eine Suche nach Wahrheit. Ja, es ist heute nicht unanständig, die Frage nach einer hilfreichen Wahrheit in den Raum zu stellen und anzubieten. Es hat damals Menschen fasziniert, dass es Gläubige gab, die ihnen den einzigen Erlöser gezeigt haben. Später kam noch hinzu, dass sich dieser christliche Glaube dem vernünftigen Gespräch stellte. Man ging keiner vernünftigen Auseinandersetzung aus dem Weg. Und viele Denker stellten fest, dass das Christentum gute Argumente hat. Es wird immer wieder darum gehen, diesen spannenden Diskurs zu führen. Und dabei wird sich hoffentlich herausstellen, dass Christentum auch in seiner katholischen Form keine Verbotsreligion ist, sondern eine Einladung zu einem Leben in Fülle. Neulich fragte mich eine Lehrerin in einem Gespräch, wie sie heute Jugendlichen die katholische Morallehre zu Sexualität und Partnerschaft ernsthaft nahebringen solle. Wenn ich mir Jugendstudien anschaue, formulieren die Befragten ihre Sehnsucht nach Treue, nach Dauer, nach Augenhöhe, danach, ernst genommen zu werden und nicht nur Objekt eines anderen Menschen geworden zu sein. Ich finde: Sie drücken darin aus, was dem christlichen Menschenbild entspricht. Wir haben eine positive Botschaft, und die gilt es herauszustellen. Damit ist nicht verboten, auch kritische Fragen zu stellen gegenüber Positionen, die Menschen ausgrenzend oder verletzend empfinden. Die Kirche ist hier durchaus auch in einer Suche nach Wegen, den Lebenssituationen von Menschen gerecht zu werden. Kirche ist auch immer ein lernendes System. Heute merken wir dies in vielen Fragen. Christinnen und Christen dürfen selbst Suchende sein, ohne auf alles eine einfache Antwort zu haben. Ich denke an die Erfahrungen in der Pandemie oder jetzt angesichts des Krieges, der vielen Menschen, auch Kindern und Jugendlichen Angst macht. Wir haben keine billigen Lösungen, aber wir versuchen, Hoffnung wachzuhalten und Perspektiven zu entwickeln. Das scheint mir eine der ganz wichtigen Aufgaben glaubender Menschen zu sein.

Und damit sind wir bei einem weiteren Grund, wie die Kirche Menschen berühren konnte: Es hat Menschen fasziniert, dass es Gläubige gab, die den Glauben nicht nur mit dem Munde bekannten, sondern bei denen spürbar war, dass sie ihr Leben nach dem Glauben ausrichteten. Sie wurden als Menschen der Hoffnung wahrgenommen. Christliche Wahrheit ist eine Person, die mich liebt, die alle Menschen liebt, die aber auch auf ungeteilte Gegenliebe wartet. Wenn sich also damals jemand taufen ließ, musste er sein Leben wirklich ändern. Mit ganzem Herzen, mit meinem ganzen Verstand, meinem ganzen Willen soll ich Gott lieben, und meinen Nächsten wie mich selbst. Es gab Menschen, die den Glauben lebten. Die eine Hoffnung ausstrahlten, die andere neugierig machte.

Und dies ist wohl der wichtigste Grund, der Menschen überzeugte. Die Christen hatten ein Herz für die Menschen am Rand. Bei ihnen wurde nicht nur über Liebe gesprochen, sondern Liebe praktiziert, und zwar nicht gegenüber denen, die ohnehin sympathisch sind, sondern gegenüber allen, die in der Gemeinde auftauchten.

Christus in einer vielfältigen Welt als den einzigen Erlöser verkünden, Auskunft geben können, über die Hoffnung, die Christen trägt, deutlich machen, dass wir Christus lieben und dies in der Nächstenliebe verwirklichen, hat Menschen angezogen. Das ist heute vielleicht so unmodern, wie es damals unmodern war. So etwas geht nur über Zeuginnen und Zeugen, über Menschen, die die Hirtensorge Jesu teilen. Ich bin dankbar, dass Sie sich in diese Bewegung für Gott und die Menschen hineingeben. Dabei kann man den Erfolg des Unterrichts nicht messen, schon gar nicht durch irgendwelche Zahlen. Durch Ihre Persönlichkeit werden Sie Kindern und Jugendlichen etwas mitgeben, was vielleicht langsam zur Entfaltung kommt. Sie geben ihnen nicht nur etwas, Sie machen sie mit „jemandem“ bekannt, ohne den das Leben meiner Überzeugung nach ärmer wird. Sie machen sie mit einem Gott bekannt, der einen Menschen begleitet, ein Leben lang. Dafür wünsche ich Ihnen den Segen Gottes.