Predigt von Bischof Peter Kohlgraf in der Eucharistiefeier anlässlich der Schließung des Kardinal-Volk-Hauses und der Verabschiedung von Frau Martina Patenge und Pfarrer Walter Mückstein St.-Rochus-Kapelle Bingen, Donnerstag, 21. September 2022, 17.00 Uhr

Herbst auf dem Rochusberg (c) Pfr. Walter Mückstein (Ersteller: Pfr. Walter Mückstein)
Datum:
Mi. 21. Sep. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Wir verabschieden uns hier von einem Haus, und wir tun es nicht leichtfertig. An diesem Ort haben viele Menschen, so wie ich persönlich auch, wichtige geistliche Begegnungen erleben dürfen. Menschen sind gestärkt und ermutigt worden, sie haben Erfahrungen im Glauben gemacht. Allen, die hier diesen Ort geprägt haben, will ich von ganzem Herzen herzlich danken. 

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ – dieses Wort hat Martin Buber geprägt. Begegnung meint nicht das unverbindliche Aufeinandertreffen von Personen, die sich zufällig im Zug gegenübersitzen. Begegnung meint: Interesse an den Lebenserfahrungen des anderen Menschen, das Bemühen, das Einzigartige in ihm zu erkennen. Nicht nur ich will meine „Botschaft“ loswerden, sondern ich lasse mich im Austausch mit dem und der anderen bereichern und gegebenenfalls in Frage stellen. Begegnung meint, das Anderssein des Anderen zu respektieren und mein Gegenüber nicht zur Projektionsfläche meiner Wünsche und Grundhaltungen zu machen. Kein Mensch ist einfach Mittel für meine Zwecke. Begegnung respektiert auch, dass jeder andere Mensch immer auch ein Geheimnis bleibt, in das ich nicht eindringen darf. Gerade im seelsorglichen Zusammenhang ist dies nicht immer gelungen, aber oft gelingt es eben. Denn es geht in der seelsorglichen Begleitung darum, jedem Menschen den ihm eigenen Glaubensweg zu ermöglichen. Im religiösen Sinne heißt das, davon auszugehen, dass jeder Mensch von Gott gerufen ist, sich dem von Gott gedachten Weg und seiner Glaubensgestalt immer mehr anzunähern, immer mehr dem zu entsprechen, was es heißt ein unverwechselbares Ebenbild Gottes zu sein.

Seelsorge, geistliche Begleitung und Exerzitien gehören sicher auch heute zu den Angeboten, in denen die Kirche ihren wichtigen Dienst an suchenden Menschen leben kann. Der Text zur Seelsorge der deutschen Bischöfe vom 8. März 2022 nennt die Seelsorge eine Weiterführung der Heilsendung Christi in seinem Geist (S.15). Dort finden sich auch beschriebene Eigenschaften eines Seelsorgers und einer Seelsorgerin. Menschen erfahren durch Personen Seelsorge, „die auch und gerade in schwierigen Situationen ansprechbar sind und Verständnis zeigen; die wissen, dass es nicht nur schwarz und weiß im Leben gibt, sondern dass es durchaus auch diffizile Herausforderungen gibt, die sich nicht einfach nach ‚Schema F‘ regeln lassen; die keine falschen Versprechungen machen, aber auf deren Wort Verlass ist, immer in dem Bewusstsein, dem anderen die Verantwortung für sein Tun nicht abnehmen zu dürfen; bei denen man spürt, dass sie aus dem christlichen Glauben leben und deshalb wissen, dass längst nicht alles von menschlichen Bemühungen abhängt; die diesen Glauben auf eine der Situation angemessene Weise durch Worte, Gesten und Symbole einzubringen vermögen.“ (S. 9f.).

Seelsorge ist ein professioneller Dienst, der bestimmten Qualitätsstandards unterliegt, die nachprüfbar sein müssen. Guter Wille und Frömmigkeit sind sicher wichtig, aber genauso entscheidend sind Kompetenzen und Fachkenntnis. Und selbstverständlich ist das Leben der eigenen Glaubensgeschichte und Berufung als Grundhaltung eine unverzichtbare Grundvoraussetzung seelsorglicher Arbeit.

Heute verabschieden wir uns von verdienten Personen und von einem Haus, dem Kardinal-Volk-Haus, das deren Arbeit über viele Jahre geprägt hat. Und dennoch gehen wir weiter geistliche Wege in unserem Bistum mit der Neugestaltung eines Instituts für Spiritualität. Schwierige Prozesse wie auch Menschen brauchen seelsorgliche und geistliche Begleitung, damit sie ebenfalls als eine Weiterführung der Heilssendung Christi in seinem Geist gestaltet und erlebt werden können. Wir erleben die Brisanz dieses Themas auf dem Synodalen Weg, wir werden es erleben auf dem Synodalen Weg der Weltkirche, wir stecken mitten im Pastoralen Weg der Diözese Mainz am Anfang seiner zweiten Phase. Geistlich werden diese Prozesse, wenn sie mit dem je neuen schöpferischen Wirken Gottes rechnen, ohne das Bewährte und Lebendige geringzuschätzen. Geistlich werden derartige Prozesse, wenn ich in eine Begegnung mit anderen gehe und anerkenne, dass sie aus Liebe zu Gott, zu den Menschen und auch in der Sorge um die Kirche handeln und sprechen; denn so bleibe ich offen dafür, meine eigene feste Perspektive verändern oder erweitern zu lassen. Eine geistliche Haltung auch in der Kirche ist für mich, aus den Quellen einer weiten Tradition zu schöpfen, aber gleichzeitig die Gegenwart als den Ort und den Zeitpunkt Gottes zu sehen.

Prozesse in der Kirche kann ich nur gehen, wenn ich Menschen gerne habe. Ich habe vor einiger Zeit in einem Impuls von den „vier M“ gesprochen als Grundhaltung jeder kirchlichen Aktivität: Man muss Menschen mögen, und in ihnen selbstverständlich den Schöpfer und Erlöser erkennen und lieben, auch wenn Menschen das Bild Gottes in ihnen verdunkeln oder nur unvollkommen widerspiegeln, wie ich persönlich selbstverständlich auch. Glauben in einer Gemeinschaft beinhaltet auch, immer das Wohl des anderen Menschen und der Gemeinschaft im Blick zu haben. So sind Spiritualität, geistliche Begleitung und Seelsorge nicht nur Stärkung des einzelnen suchenden und glaubenden Menschen, sondern sie stehen im Dienst der Gemeinschaft, sie ermutigen, den eignen Weg mit den Wegen anderer zu verbinden.

Wir verabschieden uns hier von einem Haus, und wir tun es nicht leichtfertig. An diesem Ort haben viele Menschen, so wie ich persönlich auch, wichtige geistliche Begegnungen erleben dürfen. Menschen sind gestärkt und ermutigt worden, sie haben Erfahrungen im Glauben gemacht. Allen, die hier diesen Ort geprägt haben, will ich von ganzem Herzen herzlich danken. Dazu gehören die geistlichen Begleiterinnen und Begleiter, genauso wie alle, die in Küche, Hauswirtschaft, Sekretariat und vielen anderen Diensten das notwendige Umfeld geschaffen haben. Wir alle wissen, dass ein geistliches Leben schwierig ist, wenn das Umfeld nicht stimmt. Einen derartigen geistlichen Ort gestaltet man nur miteinander. Und das ist überzeugend gelungen. Dass uns das Aufrechterhalten aller Orte im Bistum nicht mehr möglich ist, gehört aber auch zur Realität unserer Kirche in dieser Zeit. Dennoch sage ich noch einmal: Es geht um eine Weiterführung der guten Arbeit an anderen Orten, die auszubauen und zu gestalten sind.

Wir verabschieden uns von Personen, die überzeugend in der beschriebenen Art von Seelsorge und geistlicher Begleitung tätig waren. Frau Martina Patenge ist seit 2007 hier in diesem Haus tätig, seit 2014 mit voller Stelle in der Exerzitienbegleitung. Sie hat große Erfahrungen und Verdienste in anderen pastoralen Feldern erworben. Beispielhaft will ich Telefonseelsorge nennen, die Mail-Seelsorge, die Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst katholischer Frauen, immer eng geprägt von einem ökumenischen Miteinander. Ganz im Sinne der Qualitätssicherung von Exerzitien und Seelsorge hat sie vor dem Hintergrund der Missbrauchsthematik wegweisende Arbeit geleistet. Die Exerzitienarbeit war vielfältig und sensibel für unterschiedliche Situationen der Menschen. Pfarrer Walter Mückstein wird zum 31.12. 2022 in den Ruhestand verabschiedet. Seit 45 Jahren ist er im Dienst des Bistums Mainz tätig. Bald schon führte ihn der persönliche Weg in die Schule, Unterricht und Schulpastoral, sowie in die Arbeit mit der GCL. Junge Menschen halten den eigenen Glauben eben auch lebendig und beweglich, so ist meine Erfahrung. Sie suchen nach ihren eigenen Wegen, und können den Glauben als Einladung dann ernstnehmen, wenn sie selbst ernstgenommen werden. Exerzitienerfahrungen in Dieburg kamen hinzu. Später haben Sie, Herr Pfarrer Mückstein, dieses Haus inhaltlich aufgebaut und über Jahre geleitet. Dies jedoch ging und geht im Team, nicht als Einzelkämpfer. Auch darin sind sie den Ansprüchen der eben formulierten Seelsorge sehr nahe gewesen. Ihnen, Herr Pfr. Mückstein, kann ich nur im Namen des Bistums von ganzem Herzen danken. Für Ihre Zukunft wünsche ich Ihnen beiden Gottes Segen und spreche Ihnen meinen Dank und meine Anerkennung für Ihr Wirken aus. Herrn Dr. Deister und seinem künftigen Team wünsche ich Gottes Segen in der Gestaltung des Instituts für Spiritualität. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit, mit Dr. Deister verbinde ich auch die Freude über eine gute und bewährte Kontinuität in Seelsorge, Begleitung und Exerzitienarbeit. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ – diese Begegnungen gilt es auch weiter zu gestalten und sich an ihnen zu freuen, sich herausfordern und vielleicht auch verändern zu lassen. Stellen wir uns alle unter den Segen Gottes, der uns begleiten und inspirieren möge.