Predigt von Bischof Peter Kohlgraf in der Eucharistiefeier zum Tag der Religionslehrerinnen und –lehrer Hoher Dom zu Mainz, Donnerstag, 15. September 2022, 11.15 Uhr

Bischof Kohlgraf (c) Bistum Mainz
Datum:
Do. 15. Sep. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Dass das Evangelium nicht nur Lebensentwürfe betätigt, ist auch klar. Allerdings fokussiert sich Jesus selbst nicht auf Sexualität, schon gar nicht auf sexuelle Veranlagungen. Jesus betont den Wert ehelicher Treue. Treue und Verlässlichkeit, Begegnung als Gleichberechtigte ist übrigens ein Wert, den viele unserer Jugendlichen teilen. 

Wie zu dieser Kirche stehen, zu ihrer Botschaft, zu ihrer Gestalt?

In diesem Jahr begehen wir den Tag der Religionslehrerinnen und –lehrer in gesellschaftlich und kirchlich bewegten Zeiten. Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns, der kommende Herbst macht vielen Menschen Sorge. Die Pandemie ist nicht vorbei. Sicher ist auch der Religionsunterricht ein Ort, an dem Sorgen und Ängste ausgesprochen werden müssen und Hoffnungsperspektiven entwickelt werden. Es hat sich ja nach und nach herausgestellt, wie stark die Pandemie gerade Kinder und Jugendliche belastet hat. Ich stelle mir vor, dass dies auch für die Erfahrung eines Krieges in unserer Nähe gilt, denn wir werden die Folgen drastisch spüren, Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind in den Schulen präsent. Auch in der Kirche „knallt“ es. Neben viel gutem Engagement sind Menschen in ihrer Kirchlichkeit erschüttert. Sie verlassen die Kirche in großer Zahl aus unterschiedlichen Gründen, Christinnen und Christen bilden nicht mehr die Mehrheit unserer Gesellschaft, die regionalen Unterschiede in Deutschland sind allerdings auch zu beachten. Sie als Religionslehrerinnen und –lehrer stehen mitten in den Verunsicherungen und sind möglicherweise ebenfalls den Erschütterungen ausgesetzt, nicht nur durch Anfragen von außen, sondern durch eigene Glaubensunsicherheiten oder starken Anfragen an die Kirchlichkeit Ihrer Sendung.

Nicht erst die Vorgänge bei der letzten Versammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt in der vergangenen Woche zeigt sich eine zunehmende Kluft zwischen großen Teilen des Volkes Gottes gegenüber den Bischöfen. Für mich ist das eine zunehmend belastende und auch gefährliche Entwicklung. Im Stundengebet bete ich auch persönlich immer wieder: Lass die Herde nicht ohne Hirten und die Hirten nicht ohne Herde sein. Wir brauchen einander. Einige dem Synodalen Weg kritisch gegenüberstehende Bischöfe wurden nach dem Grund ihrer Verweigerung gefragt. Ich gebe gerne auch Auskunft über meine Motivation. Ich habe für die Texte gestimmt, die zur Debatte und Verabschiedung auf dem Synodalen Weg standen. Das habe ich nicht aus Anpasserei oder Zeitgeistigkeit getan, sondern weil ich überzeugt bin: Ich trage Verantwortung dafür, dass Menschen Glauben und Leben auch in unserer Zeit zusammenbringen können. Selbst wenn ich nicht jede einzelne Aussage teilen will, glaube ich doch: Haltungen zu sittlichen Fragen, auch Glaubenszugänge haben sich immer verändert, ohne dass der Kern des Glaubens aufgegeben wurde. Ich will mein Katholisch-Sein nicht festmachen an der Verurteilung von Menschen, die nicht der kirchlich-lehramtlichen Norm entsprechen. Ich will Gruppen von Menschen nicht als Fehler der Schöpfung betrachten müssen. Wenn in der Bibel steht, dass Gott seine Schöpfung als gut ansieht, gilt dies für jeden Menschen. Jeder Mensch ist auf seine Weise berufen, dem Anspruch Gottes zu folgen und darauf zu antworten, dass Gott ihn als sein Ebenbild geschaffen hat. Ich will eine katholische Kirche, die Menschen einlädt, die inklusiv ist, in der alle Menschen Begleitung, Spiritualität und Freundschaft erfahren können.

Dass das Evangelium nicht nur Lebensentwürfe betätigt, ist auch klar. Allerdings fokussiert sich Jesus selbst nicht auf Sexualität, schon gar nicht auf sexuelle Veranlagungen. Jesus betont den Wert ehelicher Treue. Treue und Verlässlichkeit, Begegnung als Gleichberechtigte ist übrigens ein Wert, den viele unserer Jugendlichen teilen. Es gibt den unbequemen Jesus: Er wird scharf im Ton, wenn es um religiöse Oberflächlichkeit und Heuchelei geht, er wird deutlich, wenn es um die Ausbeutung der Armen geht. Er ruft zum radikalen Friedenseinsatz auf, zu Versöhnung, Gottes- und Nächstenliebe. Er spricht von der bedingungslosen Liebe Gottes zu allen Menschen.

Ich wünsche mir, dass wir wieder dazu kommen, diese Kernbotschaften des Evangeliums in den Mittelpunkt zu stellen, die wahrlich für unsere Gesellschaft unverzichtbar sind. Denn das Evangelium schenkt Perspektiven für die Zukunft, die sonst nichts und niemand schaffen kann. Ich teile das Anliegen des Papstes, diese Botschaft und ihre Verkündigung synodal zu gestalten, das heißt, mit allen Glaubenden und Menschen guten Willens gemeinsam zu sagen und gemeinsam Formen einer glaubwürdigen Kirche zu suchen. Daher habe ich für die Texte gestimmt. Der Dienst der Einheit stellt sich für mich als Bischof als die größte Herausforderung dar. Menschen, die nicht meiner Meinung sind, kritisieren scharf und laut. Andere haben es aufgegeben, sich zu äußern, wieder andere drängen, weil es ihnen nicht schnell genug geht. Die Einbindung unserer Kirche in die Weltkirche verstehen sie weniger als Reichtum denn als Bremse des Fortschritts, den sie sich wünschen. Andere in der Kirche verstehen die Debatten nicht oder sind von ganz anderen Sorgen geplagt. Sie alle sind unsere Kirche.

Ich will nicht nur von mir reden. Sie, liebe Religionslehrerinnen und –lehrer stehen genauso in den verschiedenen „Windrichtungen“. Sie werden als Vertreterinnen und Vertreter dieser Kirche gesehen, die zunehmend weniger Akzeptanz erfährt. Das bleibt auch Ihnen nicht in den Kleidern stecken. Das wird auch die eigene Glaubenshaltung oder gar Glaubensfreude beeinflussen. Wie zu dieser Kirche stehen, zu ihrer Botschaft, zu ihrer Gestalt? Wichtig ist es wohl, sich der eigenen Quellen zu vergewissern. Glauben braucht das Wort Gottes, das Gebet, die Sakramente, die Feier, die Gemeinschaft. Daher braucht es die Kirche. Schöpfen Sie aus diesen Quellen, das ist mein Wunsch und meine Bitte. Die Kirche ist keine uniforme Gesellschaft. Sie dürfen zu Ihrem Glauben stehen, weil er wertvoll ist, auch wertvoll ist das Zeugnis der eigenen Haltung gegenüber anderen Menschen. Viele hoffen auf Menschen mit einer eigenen Position. So sind Sie für die Kinder und Jugendlichen wichtige Begleitpersonen ins Leben. Es gehört aber auch zum Zeugnis, Fragen und Zweifel zuzulassen. Diese darf man aussprechen, auch Kritik, sofern sie konstruktiv und nicht zersetzend ist. Dass Glaubenszugänge sich verändern, werden Sie gerade als Pädagoginnen und Pädagogen in der Begegnung mit den jungen Menschen erfahren. Zumindest für mich persönlich würde ich das sagen. Aus meiner eigenen Tätigkeit im Schuldienst bin ich anders herausgegangen als ich hineingekommen bin. Diese Lernbereitschaft muss immer auch eine Eigenschaft der ganzen Kirche sein. Tradition ist dynamisch, lebendig. Der Glaube ist kein Museum, das Wort Gottes muss ins Leben übersetzt werden können. So danke ich Ihnen für Ihren Dienst, der in diesen Zeiten nicht einfach ist. Ich bitte Sie, dass wir zusammenbleiben, in den verschiedenen Zugängen und Aufgaben. Ich wünsche Ihnen einen lebendigen Glauben aus den Quellen des Glaubens, und die Fähigkeit, Orientierung und Hoffnung zu schenken.