Werde Glaubensstifter

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt zum 170. Jubiläum des Bonifatiuswerkes und zur Eröffnung der Diasporaaktion 2019

Jubiläum Bonifatiuswerk (c) Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken e. V.Impressum
Datum:
So. 3. Nov. 2019
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

„Werde Glaubensstifter“, so lautet das Motto der diesjährigen Diasporaaktion des Bonifatiuswerkes. Bonifatius, der „Apostel der Deutschen“ war Bischof hier in Mainz (746-754), wo wir heute gleichzeitig das 170. Jubiläum des Bonifatiuswerkes feiern dürfen. Schaut man sich die Vita des Bonifatius an, blickt man in eine uns doch sehr fremde Welt. Seine überlieferten Briefe offenbaren nur wenig von seinen inneren Beweggründen, die Heimat zu verlassen und sich in den Dienst der Mission in einem fremden Land zu begeben mit all den Ungewissheiten und Gefahren. Sein Biograph Willibald stellt deutlich die innere Unruhe heraus, die Bonifatius nicht ruhen ließ, bis ein Ordensoberer die Erlaubnis gab, mit einigen Brüdern aufzubrechen. Ich will drei mögliche Motive des Bonifatius herausstellen, die mir für unser heutiges Bemühen, Glaubenstifterinnen und –stifter zu werden, gültig und wegweisend bleiben.

 

1. Glauben als Pilgerschaft in der Christusnachfolge.

Ein glaubender Mensch verlässt seine Heimat, seine Familie (hier die Ordensfamilie) und sein Vaterhaus (das Kloster) und bricht in eine ungewisse Zukunft auf. Das war besonders damals eine radikale Form, Christus nachzufolgen. Der Menschensohn selbst hat selbst keinen Ort, „wo er sein Haupt hinlegen kann“ und: „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes“ (vgl. Lk 9,57-62).

Jesus gibt seinen Jüngern die Verheißung mit: „Jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben erben.“ (Mt 19,29). Schließlich verbindet der heimatlose Bonifatius diese radikale Lebensweise mit dem Missionsauftrag. Die Frage, wie wir mit derartigen Bibeltexten umgehen, müssen wir uns gefallen lassen. Nicht jeder hat eine derartige Berufung, aber der Ruf zur Nachfolge, zu einer glaubwürdigen Form des Christseins, ergeht an die Kirche als Ganze und an jeden und jede Einzelne. Dass wir hier keine bleibende Heimat haben, vergessen wir im Alltagsgeschäft gerne. Was aber heißt das? Dass wir letztes Glück und letzte Beheimatung nicht finden werden, wenn wir es ohne Gott versuchen. Dass wir den Sinn des Lebens und auch des Kirche-Seins nicht in irdischen Gütern finden. Dass wir auch heute das Risiko eingehen müssen, uns auf die Straßen dieser Welt zu begeben, und lernen müssen, eine neue Form des kirchlichen Lebens zu gestalten, die sich nicht mit der kleinen Gruppe hinter verschlossenen Kirchentüren zufriedengibt. Der Weg der Pilgerschaft war für Bonifatius kein Spaziergang, so wenig er es heute sein wird. Die Wanderschaft war voller Gefahren, von inneren und äußeren Widerständen, schließlich auch von Erfolglosigkeit geprägt. Wenn der Biograph Willibald von den „drohenden Schlünden des Meeres“ spricht[1], meint er dies auch in einem übertragenen Sinn. Vieles erfährt Bonifatius als Prüfung des Glaubens, und er erfährt das Zögern und die Abwesenheit Gottes.[2] Immer wieder gibt Bonifatius Zeugnis von seinem großen Gottvertrauen: „Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, bau nicht auf eigene Klugheit. Such ihn  zu erkennen auf all deinen Wegen, dann lenkt er selbst deine Schritte“[3]. Pilgerschaft und Aufbruch sind tiefster Ausdruck des Vertrauens auf einen Gott, der mitgeht. So will ich sein radikales Christsein für uns verstehen. Radikal meint, verwurzelt in Gott zu sein, gleichgültig, wohin die Wege führen. Das ist ein Verständnis von Christsein jenseits jeder Gemütlichkeit und Wohlgefühl. Christsein in der Diaspora ist ein Christsein auf dem Weg, oft ganz wörtlich verstanden. Die Gläubigen nehmen weite Wege in Kauf, es ist nicht selbstverständlich zu glauben als Katholikin oder Katholik und als Christ überhaupt. Die Situation der Zerstreuung fragt besonders nach den Wurzeln, es braucht eine Radikalität im recht verstandenen Sinn. Bonifatius erinnert daran, dass christliche Existenz wesentlich Diaspora ist: Unterwegssein, Entscheidung, Überzeugtsein, und das mit Verwurzelung. Die Christinnen und Christen in der Diaspora haben uns viel zu sagen, spätestens dann, wenn wir die wenigen Kilometer zum nächsten Gottesdienst für unzumutbar halten oder unser Glaube zu bequem wird.

 

[1] Willibalds Leben des Bonifatius, neu bearbeitet von Reinhold Rau, Darmstadt ³2011, 460-525, hier 479.

[2] Vgl. Gotteslob, Fulda, Nr. 950,5.

[3] Ebd. GL 950, 3.

2. Glauben in der Gemeinschaft der Weltkirche

Die Briefe des Bonifatius zeigen seine permanente Kommunikation mit dem Papst in Rom. Mit ihm diskutiert er seine Entscheidungen, nicht immer sind sie einer Meinung, aber letztendlich versteht sich der Heilige als Teil einer Weltkirche in Treue zu Petrus. Sein Dienst ist ein Dienst für die Weltkirche, von der er sich senden lässt. Wenn wir heute die Diaspora in den Blick nehmen, sehe ich die riesigen Chancen unserer Weltkirche mit und unter Petrus. Das schließt das Ringen und das offene Wort nicht aus, auch das zeigt Bonifatius. Die Weltkirche begleitet und stützt den eigenen Weg, die eigenen Erfahrungen können jedoch auch eine Bereicherung für die anderen Teilkirchen sein. Wir in Deutschland versuchen einen „Synodalen Weg“, selbstverständlich in der Einheit mit dem Papst und dem Gespräch mit der Weltkirche. Möglicherweise sind die Ergebnisse aber auch eine Bereicherung anderer Sichtweisen der Weltkirche. Viele unserer Themen sind ebenfalls Themen anderer Teilkirchen. Glaubensstifter werden – dabei sind die weltkirchlichen Erfahrungen eine notwendige Unterstützung oder auch Korrektur der eigenen Sicht und Erfahrung. Wie bereichernd sind die Begegnungen mit Glaubenden anderer Kontinente, ihre Glaubensfreude und Glaubenstiefe. Wie bereichernd ist die Begegnung mit den Gläubigen aus der Diaspora, mit ihrer Überzeugung und ihrem Mut, den Glauben zu bekennen. Wie stark sind die Impulse aus den Kirchen, deren Glieder verfolgt oder benachteiligt werden, sie stellen unsere Selbstverständlichkeiten in Frage. Der heutige Tag gibt Anlass, dem Papst und seinem Petrusdienst unsere Solidarität zu versichern, das Gebet, den Dialog und das offene Wort. Die Treue zum Papst gilt nicht nur, wenn er mich bestätigt.

3. Glauben an den einen Gott entlarvt die vielen selbstgemachten Götter

Wenn Menschen nicht an Gott glauben, glauben sie gegebenenfalls an alles Mögliche. Bonifatius begegnet einer Vielfalt an religiösen Formen, die seiner Erfahrung nach den Menschen versklaven. Götzendienst nennt er dies. Die Götzen haben sich verändert. Reichtum, Gesundheit, Schönheit, Perfektion können heutige Götzen sein, die ab einem gewissen Grad Freiheit rauben. Manche sehr drastischen Klagen des Bonifatius beziehen sich auf den verwahrlosten Lebenswandel der Kleriker und vieler Gläubigen. Auch das Streben nach Macht, nach unmittelbarer Befriedigung zahlreicher egoistischer Sehnsüchte kann ein Götzendienst sein, den der Glaube an Gott als schädlich entlarvt. Immer wieder mahnt Bonifatius zu einem glaubwürdigen Leben nach dem Evangelium. Auch heute ist dies wohl die Grundvoraussetzung, Glauben stiften zu können. So lädt uns der heutige Tag auch zur eigenen Gewissenserforschung, wo denn meine ganz persönliche Versuchbarkeit liegt, worin meine persönlichen Ersatzgötter bestehen. Sie sind nicht ungefährlich, denn sie führen von dem einen Gott weg in eine Welt, in der ich allein mein Maßstab bin. Dieser Weg kann nicht zum Heil führen. Die Verantwortung zu einem glaubwürdigen Zeugnis kann niemand wegdelegieren.

„Werde Glaubensstifter“ – der heilige Bonifatius sei uns Motivation und Leitfigur: eine pilgernde Kirche zu bleiben, eine weltweite Gemeinschaft mit einer glaubwürdigen Lebensgestalt.