350. Jahrestag des westfälischen Friedens in der St. Marienkirche Osnabrück

Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann

Datum:
Samstag, 24. Oktober 1998

Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann

Wort zur Predigt: „Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben." (Mt 5,5)
Der lange Krieg hat viele Landstriche mit einer verheerenden Zerstörung überzogen. Gewaltanwendung, Hunger, Tod und Apathie der Überlebenden schufen ein lange anhaltendes Trauma in Deutschland.. Die ganze Ohnmacht der menschlichen Existenz wurde greifbar.

Alle sehnten sich nach Frieden. Es dauerte lange, bis ein Kompromiß gefunden war. Mit dem Friedensschluß begann eine neue Epoche. Was sich vor 1648 als unvereinbarer Widerspruch ausschloß, z.B. Einheit und zugleich Freiheit des Bekenntnisses, erschien nun trotz des bleibenden Nebeneinanders von Gegensätzen als eine Neuordnung des Miteinanders. Die Staatenwelt wurde neu ausgerichtet. Völker und Nationen bekamen ein neues Gewicht.

Der Friede zog wirklich einen Schlußstrich unter die Glaubenskämpfe. Die Willkür kollektiver Religionswechsel durch die Landesherren war weitgehend ausgeschaltet. Sehr viele Menschen haben den Westfälischen Frieden darum als eine Gabe des Himmels begrüßt.

Dieser Friedensschluß zeigt jedoch auch erschreckend die Ohnmacht der in Machtkämpfe verwickelten christlichen Kirchen. Die Fürsten und Diplomaten klammern wegen ihrer Uneinigkeit die Bekenntnis- und Wahrheitsfrage aus, wodurch die Kirchen an zentraler Stelle wirksame Gestaltungsmöglichkeiten des Gemeinwesens einbüßen. Die tiefe Verstrickung in politische Konflikte und die Unfähigkeit der Christen zum Frieden haben den Vorgang von so etwas wie Säkularisierung beschleunigt. Europa konstituiert sich friedlich, säkular und autonom. Der Protest von Papst Innozenz X. verhallt wirkungslos. Der Papst, dessen Nuntius Chigi bis zuletzt ein wirkungsvoller Förderer der Verhandlungen und keineswegs gegen den Frieden überhaupt eingestellt war, konnte sich mit der endgültigen Zerschlagung der einen universalen Kirche und ihrer ungeteilten Wahrheit nicht abfinden und stellte sich so tragisch gegen die europäische Völkerrechtsgemeinschaft.

Heute erkennen wir im Licht des Evangeliums noch besser die Anteile eigener Verstrickung und Schuld. So sagt uns Jesus in der Bergpredigt des Matthäus-Evangeliums: „Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben." In den kriegerischen Auseinandersetzungen ging es immer wieder um Macht über Länder und Menschen, kaum unterscheidbar von religiösen Ansprüchen. Die Bergpredigt zeigt uns eine andere Wertordnung und stellt die Dinge garadezu auf den Kopf: Selig zu preisen sind nicht die Gewalttäter, auf welcher Seite sie immer stehen, sondern die - so müssen wir wohl zunächst übersetzen - Ohnmächtigen und die Machtlosen, die Freundlichen und die Demütigen. Sie können sich zwar nicht durchsetzen in dieser Welt, aber sie setzen sich ein für eine von Gottes Geist umgestaltete Welt. Der menschenfreundliche Jesus ist ihr Vorbild (vgl. Mt 11,29; 21,5 unter Einschluß von Sach 9,9). Hier wird erfüllt, was die Menschen seit Jahrtausenden immer wieder suchten: „Doch die Armen werden das Land bekommen, sie werden Glück in Fülle genießen." (Ps 37,11) Das „Land" ist nicht mehr nur auf Israel bezogen (vgl. Gen 17,8), sondern spielt auf eine künftige, neue, alles umfassende Erde an, die Gottes Werk sein wird. (vgl. Mt 5,3; Jak 2,5 f). Danach werden wir beurteilt, ob wir nämlich auf zerstörerische Macht verzichten und uns für diese neue Erde Gottes einsetzen. Dieser Friede muß immer wieder neu gefunden werden. Der Westfälische Friede geriet seinerseits später durch die extremen Nationalismen in eine tiefe Krise, aus der wir uns, so hoffen und beten wir in dieser Stunde, in einem neuen Europa endgültig befreien und besser zueinander finden können.

Auch der Westfälische Friede will es bei allen Festlegungen nicht einfach nur bei der schiedlich-friedlichen Trennung zwischen den Konfessionen belassen. Einstweilen soll freilich zwischen allen „genaue und gegenseitige Gleichheit herrschen ...; was für den einen Teil recht ist, soll auch für den anderen recht sein, wobei alle Gewalt und Tätlichkeit, wie im übrigen, so auch hier zwischen beiden Teilen (Religionen) auf alle Zeit verboten ist". Der Westfälische Friede will an dieser Übereinkunft festhalten, „bis man sich durch Gottes Gnade über die Religion verständigt haben wird".

Dies ist mitten im Streit eine schier unglaubliche Hoffnung und ein hoch verpflichtendes Testament. Die ökumenische Bewegung in unserem Jahrhundert ist nach langer Zeit der Versuch einer positiven Umsetzung und Einlösung dessen, was den Kirchen damals nicht unmittelbar gelang, aber durch das Handwerk der Politik und das Geschick der Diplomaten auf seine Weise Wirklichkeit geworden ist. Es gibt dazu keine Alternative. Darum laßt uns z.B. neben und mit unseren anderen Gemeinsamkeiten an dem vorgesehenen Text über die Rechtfertigungslehre, die uns damals so unwiderruflich trennte, mit allen Kräften weiterarbeiten. Dies ist unser heutiger Friedensauftrag, den Gott segnen möge. Amen.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz