Amerika und Europa

Auf der Suche nach einem neuen Miteinander

Datum:
Mittwoch, 2. April 2003

Auf der Suche nach einem neuen Miteinander

Zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und wichtigen Staaten Europas – es ist nicht ganz Europa – herrscht seit Monaten eine schädliche Stimmung. Zwar gibt es immer wieder einzelne Versuche, den Graben nicht zu tief werden zu lassen, sondern zur Besonnenheit zu mahnen, aber es gibt auch von beiden Seiten wenig überlegte Worte, die den Zwist leicht vertiefen könnten.

Beide Seiten brauchen dabei jeweils ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Nur auf diesen Eigenschaften ruht wahre Partnerschaft. Man kann uneins sein über den Krieg, darf aber den Respekt voreinander nicht verlieren. Auf Demonstrationen fallen manchmal unkluge und unbeherrschte Worte, die – vielleicht unbewusst – einen für überwunden geglaubten Antiamerikanismus wieder erwecken könnten. Aber man darf deshalb gegenüber der Führung der USA sagen: Wir haben diesen Krieg nicht gewollt. Es geht schließlich um vieles.

In Wirklichkeit brauchen Amerika und Europa einander. Erst recht gilt dies für die Zukunft. Europa kann und darf nicht vergessen, dass es die Demokratie und mit ihr die Gewährung vieler Menschenrechte von den USA erhalten hat, auch wenn die geistigen Wurzeln in Europa liegen. Viele Staaten im ehemaligen Ostblock haben nicht vergessen, wem sie die Befreiung vom Kommunismus und ihre heutige Freiheit verdanken. Dies müsste in besonderer Weise auch für uns Deutsche gelten, besonders im Blick auf das Ende der Nazi-Herrschaft und die unblutige Wiedervereinigung. Diejenigen, die heute eindeutig zu den USA stehen, wollen nicht nur die Gewaltherrschaft Saddams und den internationalen Terrorismus mit seinen trüben Quellen ernsthaft bekämpfen, sondern möchten der Weltmacht die Stange halten, dem viele Gemeinwesen überhaupt eine freiheitliche Ordnung verdanken. Wer einer solchen Haltung nicht zustimmt, sollte wenigstens ihren Motiven Respekt zollen.

Die Kritiker sind in mancher Hinsicht im Grunde nicht weniger amerikafreundlich. Sie sind traurig, dass die USA durch die Entscheidungen der Bush-Regierung nach ihrer Meinung die hohen Ideale dieses Landes im Augenblick eher verraten hat oder ihnen nicht gerecht wird. Sie empfinden es geradezu als tragisch, ausgerechnet die USA im Blick auf die Einhaltung des Völkerrechtes und die Wahrung der internationalen Ordnung, wie sie auch in den Statuten und Strukturen der Vereinten Nationen zum Ausdruck kommt, mahnen zu müssen. Es ist nicht selten enttäuschte Liebe, die sich zu bitteren Worten hinreißen lässt. So kann man auch harte Worte verstehen, aber man muss sie nicht billigen.

Freilich, freie Partner müssen sich auch gegenseitig unbequeme Wahrheiten sagen können. Die Europäer müssen sich mit dem Vorwurf auseinander setzen, sie würden die vom Irak ausgehende Bedrohung unterschätzen. Die USA können die Kritik nicht einfach aus der Welt schaffen, ob denn diesen Krieg wirklich schon die allerletzte und einzige Lösung dieser Gefährdung ist. Diesen gegenseitigen Zumutungen darf man nicht ausweichen. Die wohl allzu frühen Festlegungen auf beiden Seiten haben das Austragen dieser Differenzen zu sehr verkürzt.

Es ist wie bei einem Hauskrach: Wer die Empfindlichkeiten und Verletzungen steigert, dient nicht dem Frieden. Viele suchen deshalb auch ein neues Miteinander. Es gibt viele Beziehungen zwischen den USA und Europa, besonders auch Deutschland, die diesen Zwist überstehen und einigermaßen heil bleiben. Aber es gibt auch Beschädigungen in der Tiefe, die man nicht übersehen soll.

Gerade nach dem Irak-Krieg wird wieder in aller Deutlichkeit klar werden, wie sehr die USA und Europa, besonders die Europäische Union und die NATO, einander brauchen. Deshalb sollte man jetzt schon bei aller Offenheit und Ehrlichkeit der Beziehung jedes besonnene Wort in Richtung eines neuen Miteinander mehr schätzen als die billige Wiederholung alter Klischees. Man müsste geradezu einen Preis stiften für unverbrauchte und ermutigende Worte, die dieses neue Miteinander fördern.

 

(c) Bischof Karl Kardinal Lehmann

Gastkommentar in der Kirchenzeitung von April 2003

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz