Das Charisma eines Papstes

50 Jahre nach dem Tod von Johannes XXIII.

Datum:
Sonntag, 2. Juni 2013

50 Jahre nach dem Tod von Johannes XXIII.

Die Kirche begeht in diesen Jahren die 50. Wiederkehr der Eröffnung und des Ablaufes des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dazu gehören nicht nur die großen Ereignisse selbst und die wichtigen 16 Verlautbarungen, sondern auch Personen mit einem konkreten Gesicht. Mit Recht erinnern wir uns zuerst an Papst Johannes XXIII., der zur völligen Überraschung von Welt und Kirche am 25. Januar 1959 das Abhalten des Konzils in St. Paul vor den Mauern ausrief. Mit großer Intensität und Zielstrebigkeit hat der Papst selbst die Vorbereitung des Konzils befördert, sodass es wirklich am 11. Oktober 1962 beginnen konnte.

Der Glanz dieses Anfangs hat das Konzilsgeschehen bis zum Ende am 8. Dezember 1965 und darüber hinaus so überstrahlt, dass man fast die kurze Zeit vergisst, die Johannes XXIII. auf diesem Weg vergönnt war. Am 3. Juni 1963 stirbt er. Er konnte nur die erste Sitzungsperiode erleben. Am 21. Juni 1963 wird Paul VI. zum Papst gewählt und setzt sich sofort für die Weiterführung des Konzils ein.

Von heute aus ist dieses kurze Pontifikat von gut viereinhalb Jahren wie ein Komet, der schnell am Himmel aufgeht, aber auch rasch wieder verglüht. Deshalb ist es gut, wenn wir in Erinnerung an seinen Tod vor 50 Jahren in diesen Wochen besonders an ihn denken. Wir sind dankbar, dass dies auch hier in „Glaube und Leben" ansprechend geschah. Was ist denkwürdig, was bleibt?

Zunächst fällt die „Normalität" seines Lebens auf. Er kommt aus einer Kleinbauernfamilie, die insgesamt zwölf Kinder hat. Die finanziellen Mittel sind recht begrenzt. Die Familie war von einer kraftvollen Frömmigkeit gekennzeichnet, wie sie dem bäuerlichen Milieu jener Zeit auf dem Lande entsprach. Dazu gehörten das Rosenkranzgebet am Abend und der Besuch der Frühmesse an jedem Tag. All dies hat auf den jungen Angelo Giuseppe Roncalli gewirkt. Es hat aber auch seine Frömmigkeit ein Leben tief lang geprägt. Manchmal suchen die Experten verschiedener Art nach herausragenden spirituellen Ereignissen in seinem Leben, finden aber immer wieder „nur" eine ganz normale Spiritualität vor. Dies schlägt sich auch nieder in einem lebenslangen imponierenden Schriftwechsel mit seiner Familie und in der Führung eines umfangreichen, aber schlichten geistlichen Tagebuchs. Er hat eine alltägliche Solidarität und eine freimütige Offenheit bewahrt. So konnte er auch als Apostolischer Nuntius in mehreren Ländern, Patriarch von Venedig und Papst ein gewöhnlicher Christ bleiben, der gerade dadurch in der ganzen Welt so viel Eindruck machte.

Er war sehr wach und kannte das Leben der Menschen, auch wenn es nichts Aufregendes bot. So hat er in Bulgarien, in der Türkei und in Frankreich viel zugehört und sich über vieles ein eigenes Urteil gebildet. Er war immer interessiert an der Geschichte eines Landes und der Kirche, weil er um die Macht der Herkunft und der Überlieferung wusste. So ließ er sich nicht durch oberflächliche Eindrücke und markige Sprüche täuschen. Leicht und mit charismatischer Gewissheit entdeckte er den bleibenden Kern mitten in allem Wandel.

Genau dies aber führte auch dazu, dass er in der verborgenen Tiefe seines Wesens stets spirituell hellwach und erneuerungsfähig blieb. Das Feuer eines stets lebendigen Glaubens brannte unablässig in ihm. Immer wieder hat er betont, dass der Glaube kein Museum ist, sondern dass er wirklich den Alltag unseres Lebens verändern kann. Aus der Asche von Jahrhunderten konnte im Nu ein Blitz leuchten, der unsere Gegenwart trifft und erhellt. Schlitzohrigkeit, Bauernschläue und Humor haben dies zwar manchmal etwas verdeckt, aber auch sehr schnell an den Tag gebracht. Nur so kann man letztlich auch die plötzliche Ankündigung des Konzils am 25. Januar 1959 verstehen.

Von den vielen anderen Ereignissen sei nur noch die letzte Enzyklika genannt, die der schon sehr kranke Papst am 11. April 1963 unter dem Titel „Pacem in terris" (Friede auf Erden) veröffentlichte. Dies ist ein auch heute noch wegweisendes Dokument für die Notwendigkeit des Friedens, der natürlichen Rechte und Würde der Person und für das moderne Menschenrechtsethos. Wahrheit und Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit sind die Eckpfeiler für das menschliche Leben. Dabei ist der Papst sehr praktisch und pragmatisch, wenn er sagt: „Es genügt nicht, vom Glauben erleuchtet zu sein und beseelt vom Wunsch, Gutes zu tun, um eine Kultur mit gesunden Grundsätzen zu durchdingen und sie im Geist des Evangeliums zu beleben. Zu solchem Zweck ist es notwendig, sich in ihren Einrichtungen zu engagieren und tatkräftig von innen her auf sie zu wirken." (Nr. 147) Damit hat Johannes XXIII. nicht nur wichtige Antworten auf die „Zeichen der Zeit" formuliert, sondern auch dem Konzil selbst kurz vor seinem Tod ein heute noch aktuelles Vermächtnis geschenkt.

Der Rückblick lohnt sich. Er verweilt nicht in der Vergangenheit. Es ist ein Blick nach vorne. Darum ist Papst Johannes XXIII. auch heute noch für uns ein vom Geist Gottes geführter Begleiter durch die Zeiten.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

 

Diese Kolumne lesen Sie auch in der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 2. Juni 2013

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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