Das Gleichnis von der rechten Bereitschaft (Mt 25,1-13)

Bibelarbeit mit Prof. Dr. Andreas Barner, Präsident des Evangelischen Kirchentages

Datum:
Samstag, 6. Juni 2015

Bibelarbeit mit Prof. Dr. Andreas Barner, Präsident des Evangelischen Kirchentages

Evangelischer Kirchentag in Stuttgart am 6. Juni 2015, Domkirche St. Eberhardt

Wir haben soeben aus dem Beginn von Kapitel 25 des Matthäus-Evangeliums das Gleichnis über die klugen und törichten Jungfrauen gehört. Es findet sich nur bei Matthäus, obwohl einige Sätze daraus auch bei Lukas anklingen (25,10-12, vgl. Lk 13,25) und die Mahnung am Ende zum Wachen der Markus-Rede (13,33-37) enger verwandt ist. Wir können hier die Frage offen lassen, ob das Gleichnis auf Jesus selbst zurückgeht oder in der Gemeinde gebildet worden ist. Die Ausleger haben hier eine recht unterschiedliche Meinung.

Man kann das Gleichnis in vier Abschnitte gliedern. Der Akzent liegt auf den törichten Jungfrauen. Die Verse 3-5 handeln von der Vorbereitung, 6-10 von der Ankunft des Bräutigams und dem Beginn des Hochzeitsfestes, die Verse 11f sind ein Epilog, der den Törichten gewidmet ist, Vers 13 ist dann so etwas wie eine abschließende Ermahnung und zugleich eine Art Imperativ, der wie ein Leitmotiv die Rede durchzieht. In der Mitte steht der Bräutigam, der zwar erst gegen Schluss etwas sagt, dennoch ist er die Integrationsfigur der ganzen Geschichte. Unschwer kann man in ihm Gott selbst in der Gestalt Jesu Christi erkennen. Man kann auch zeigen, dass die Geschichte dem klassischen Dreischritt einer dramatischen Erzählung folgt: Der Passus in den Versen 2-5 vermittelt alle Informationen der Vorgeschichte. Ab Vers 6 setzt dann das eigentliche Drama ein, das sich in einem kurzen Zeitraum abspielt. Mit der Ankunft des Bräutigams in Vers 10 tritt die Wende (Peripetie) ein. Nun beginnt die Schlussszene, die die Spannung löst und den Konflikt in eine vorher nicht erwartete neue Ruhelage bringt (Verse 10-12). Das Gleichnis wird näherhin sehr oft als Parabel verstanden. Sie wird in Vers 13 refrainartig durch den Aufruf zum Wachsein abgeschlossen, den die Leser bereits aus Mt 24,42 kennen.

Man hat schon mehrfach die Geschichte als ein tragisches Gleichnis bezeichnet. Die Tragödie bahnt sich von vornherein an, erfährt in der Gegenüberstellung der törichten und klugen Jungfrauen ihre Zuspitzung und im Ausschluss der törichten ihr Ende. Ich will hier die Diskussion, ob es sich um eine Parabel oder eine Allegorie handelt, die die heutige Diskussion beherrscht, nicht darlegen oder weiterführen.

Man hat bisher viel darüber gehandelt, was von der Erzählung mit den damaligen Hochzeitsbräuchen übereinstimmt. Wie diese Bräuche zur Zeit Jesu waren, wissen wir aber nicht genau. Viele Vergleiche stammen aus einer sehr viel späteren Zeit. Wenn wir den Sinn der Geschichte weiterverfolgen, ist es auch nicht so wichtig, welche verschiedenen Hypothesen dazu entwickelt werden.

Die Geschichte erzählt im ersten Teil vom Warten von zehn Brautjungfern auf den Bräutigam. Die Aufgabe der Jungfrauen besteht darin, den Bräutigam mit brennenden Lampen einzuholen. Sie warten im Haus oder vor dem Haus offenbar auf den Bräutigam. Die Braut wird im Text nicht erwähnt. Aber sie hält sich wohl bereits im Haus des Bräutigams auf. Da die Ankunft des Bräutigams sich verzögert, stellen sie irgendwo ihre brennenden Öllampen auf den Boden und schlafen ein. Dies gilt offenbar auch für die Klugen. Nach Stunden sind die Öllampen ausgebrannt. Jene Frauen, die kein Öl mitgenommen haben, sind dumm dran (V 7-9). Wir können hier offenlassen, was die Ausleger sehr beschäftigt, ob es Öllämpchen oder Fackeln sind. Fackeln haben natürlich eine kurze Brenndauer.

Ein lauter Schrei, der die Ankunft des Bräutigams verkündet, weckt die Mädchen aus dem Schlaf. Die törichten Jungfrauen erschrecken, denn ihre Lampen drohen zu erlöschen. Sie bitten die anderen fünf Mädchen um Öl. Diese schicken sie, gewiss etwas ironisch gemeint, tief in der Nacht zu den Krämern. Wenn die Hochzeit jedoch dörfliche Verhältnisse voraussetzt, kann man sich durchaus vorstellen, dass die ganze Bevölkerung auch nachts auf den Beinen bleibt. Durch den Weggang zu den Krämern verspäten sich die Törichten. Der Bräutigam ist inzwischen mit den anderen zur Hochzeitsfeier in das Haus eingezogen. Die törichten Jungfrauen stehen vor der verschlossenen Tür. Jetzt kommen sie zu der Erkenntnis, dass sie die entscheidende Gelegenheit verpasst haben. Sie bitten um Einlass. Zweimal rufen sie „Herr, Herr". Der Bräutigam ruft schroff zurück: „Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht." Hier wird die ganze Tragödie mit dem dramatischen Höhepunkt erkennbar. Die Verleugnungsformel ist äußerst hart (vgl. Mt 7,23; Lk 13,25c). Man spürt richtig, wie hier die Situation auch an ein Gerichtsurteil erinnert. Der Bräutigam bricht die Gemeinschaft mit den dummen Frauen definitiv ab, nicht nur vorübergehend.

Der Bräutigam wird mit Jesus identifiziert, aber nicht mit dem irdischen Jesus (vgl. Mk 2,19b.20), sondern mit dem noch abwesenden Wiederkommenden. In der Verzögerung bis zur Nachtstunde schlug sich die Erfahrung nieder, dass die Wiederkunft Jesu Christi länger auf sich warten ließ, als man dachte. Das Gleichnis spiegelt die Situation der Gemeinde wider, in der die Bereitschaft nachgelassen hat, sich für die Wiederkehr des Herrn zu rüsten. Es gibt in der Urchristenheit und auch in der Geschichte des Christentums die glühende Naherwartung, dass der Herr gleichsam unmittelbar vor der Tür steht, was bis zu einer geradezu fanatischen Erwartung führen konnte, wie dies im Urchristentum gelegentlich durchscheint (vgl. 1 Thess 5,1-11; 2 Thess 3,6-12). Dies kann zu einer falschen Haltung führen: Man arbeitet nicht mehr und vernachlässigt die täglichen Aufgaben. Dass der Herr aber nicht bald kommt, kann auch zu einer lässigen Einstellung im Blick auf sein Kommen überhaupt führen. Man rechnet dann gar nicht mehr mit seiner baldigen Ankunft. Er scheint dann auch in der Geschichte dieser Welt keine Rolle mehr zu spielen. Die Gemeinden der Frühzeit haben mit diesem Problem der sogenannten „Parusieverzögerung" hart gerungen.

Die Antwort ist klar: Die Parusie kommt vollkommen unvorhersehbar. Die Heilige Schrift verwendet dafür gerne das überlieferte Bild, dass der Herr wie der Dieb in der Nacht kommt (vgl. 1 Thess 5,4). Da das Kommen unberechenbar ist, versagen alle menschlichen Künste in der stets vorhandenen Versuchung zur Vorhersage. Ich denke, dass beide Verführungen zur überhitzten Naherwartung oder zum Hinausschieben der Endzeit auch heute immer wieder in den Kirchen und besonders in manchen Gruppierungen vorkommen.

In diesem Zusammenhang kommt nun der letzte Vers zu einer Art Lösung der Spannung. Er mutet zuerst etwas fremd an. Viele Ausleger sehen in ihm eine spätere Zutat. Ich empfinde ihn aber nicht als einen Fremdkörper. Der Schluss heißt: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde." Der Anklang an andere Aussagen der Heiligen Schrift und der Worte Jesu liegt auf der Hand (vgl. Mt 24,42.50; Mk 13,35f). Außerdem steht der Aufruf zur Wachsamkeit, wenn man etwas nachdenkt, sehr eng mit dem Verhalten der törichten und klugen Jungfrauen in Verbindung. Gewiss wird dies manchmal auch angezweifelt mit dem Argument, dass das Schlafen der klugen Jungfrauen ja als solches nicht bestraft werde, sondern das Unvermögen der törichten Jungfrauen, für eine längere Wartezeit vorzusorgen. Dann ist die Pointe des Gleichnisses natürlich stärker darin zu sehen, jederzeit bereit zu sein, eventuell auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Der „Tag" könnte viel rascher kommen, als man meinte, oder auch noch länger ausstehen. Bereit sein ist alles.

Das Wort von der Wachsamkeit verdient noch etwas Nachdenklichkeit. Hinter diesem Wort steht seit dem griechischen Denken vor Jesus Christus ein Grundwort für das Verständnis menschlicher Existenz. Die Unterscheidung zwischen Wachen und Schlafen (bzw. Träumen) durchzieht die gesamte Philosophie Platons. Für Platon ist wichtig, dass nur der wahrhaft „wachend" ist, der nicht den Meinungen nachläuft und die Sache selbst genau zu fassen und zu unterscheiden weiß. Auch später ist man immer wieder der Überzeugung, dass nur im Wachen gültige Erkenntnis und ein wahres Urteil möglich seien. Natürlich spielt dabei auch das Wachwerden, das Erwachen, eine wichtige Rolle für die Bestimmung menschlicher Existenz. In manchen Einrichtungen kommt diese Notwendigkeit des Wachens besonders deutlich zum Ausdruck.

Wir sehen dies zum Beispiel im Wächter, der während der Nacht von einem hohen Turm aus das mögliche Ausbrechen von Feuer in einer Stadt wahrnimmt und Alarm schlägt. Die Dichtung hat diesen Wächter auf der Zinne vielfach besungen. So ist es auch nicht zufällig, dass der Aufruf „Seid also wachsam" an eine allgemeine menschliche Erfahrung, die Voraussetzung ist für ein geglücktes Leben, fast wie eine Art Sprichwort anknüpft. So ist es wohl auch zu verstehen, dass die Darstellung der klugen und der törichten Jungfrauen in den Skulpturen der gotischen Kathedralen einen festen Platz hat. Die klugen Jungfrauen zeigen ihre Freude mit Lächeln oder gar mit breitem Lachen, die törichten ihre Verzweiflung mit heftigem Schluchzen und schmerzverzerrten Mienen. Besonders eindrucksvoll ist dies in der Abteikirche St. Denis bei Paris und am Lettner des Magdeburger Domes.

Ein wichtiges Element im Verständnis des Gleichnisses gilt auch der Rolle der sogenannten Werke. Es genügt nicht, wie im Gleichnis „Herr, Herr" zu sagen (vgl. Vers 25 mit Mt 7,21f), sondern die Wahrheit verlangt ihre praktische Verwirklichung. Die Wahrheit muss getan werden. Dafür braucht es aber die richtige Bereitschaft und die offene Wachsamkeit. In diesem Sinne haben gerade die Kirchenväter in dem Unterschied der törichten und klugen Jungfrauen einen Hinweis auf die guten Werke gesehen.

Ich bin fest überzeugt, dass wir auch im konkreten Leben von heute viele Beispiele finden für die Wahrheit dieses Gleichnisses. Nicht alles kommt in unserem Leben beliebig wieder. Es gibt so etwas wie einen günstigen Zeitpunkt, den Kairos, wo man eine Chance ganz konkret ergreifen muss. Wir alle kennen das Wort: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Ganz gewiss gibt es besonders auch in der Wirtschaft solche einmaligen Gelegenheiten. Darüber und über manches andere kann uns Herr Professor Dr. Andreas Barner, Präsident dieses Kirchentages, einiges erzählen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz