„Denn der Tempel Gottes ist heilig - und das seid ihr!" (1 Kor 3,17)

Predigt im Pontifikalamt am 6. September 2008 anlässlich 700 Jahre Heilig-Geist-Kathedrale in Hradec Králové (Königgrätz) vom 5. - 7 September 2008

Datum:
Samstag, 6. September 2008

Predigt im Pontifikalamt am 6. September 2008 anlässlich 700 Jahre Heilig-Geist-Kathedrale in Hradec Králové (Königgrätz) vom 5. - 7 September 2008

Die Heilig-Geist-Kathedrale ist älter als das Bistum. Dies kann ein Hinweis sein, wie wichtig zuerst und vor allem die Versammlung des Volkes Gottes zur gottesdienstlichen Gemeinschaft ist, und zwar vor allen unseren territorialen und anderen Strukturen. Darum sprechen wir auch von einem Gotteshaus. Der hl. Paulus spricht hier vom „Tempel Gottes".

Was dieses Wort bedeutet, müssen wir sorgfältig überlegen. Gott braucht ja kein Haus. Der Paulus der Areopag-Rede in Athen sagt dazu: „Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind." (Apg 17,24) Schon im Alten Bund wusste man gerade auch angesichts der Schönheit und der Kunst, die im Tempel aufleuchten, um die Unbegreiflichkeit Gottes. So betet König Salomo bei der Weihe des Tempels: „Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde, siehe, selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich nicht, wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe? ... Halte deine Augen offen über diesem Haus bei Nacht und bei Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast, dass dein Name hier wohnen soll. Höre auf das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte verrichtet. Achte auf das Flehen deines Knechtes und deines Volkes Israel, wenn sie an dieser Stelle beten. Höre sie im Himmel, dem Ort, wo du wohnst. Höre sie, und verzeih!" (1 Kön 8,27.29 f)

Gott braucht also kein Haus, aber wir Menschen brauchen ein Haus Gottes in unserer Welt. Voraussetzung dafür ist freilich, dass Gott ein Interesse an uns hat, den Menschen nicht einfach sich selbst überlässt, nicht selig in sich selbst thront. Deshalb ist es vor allem Bau eines Gotteshauses wichtig, dass Gott sich uns zuwendet, ein Augenmerk auf uns hat und bei uns sein will. Nur wenn Gott so bei uns Menschen sein will, können wir ihm ein Haus bauen.

Es ist dann wirklich das Haus Gottes schlechthin. Es darf nicht zu etwas anderem verzweckt werden. Unsere Vorfahren hatten gerade auch in der Gotik einen wachen Sinn dafür, dass dieses Haus bei allen Anleihen von Seiten der weltlichen Baukunst einzig auf ihn allein verweist. Darum ist eine Kirche kein beliebiger Versammlungsplatz, keine Allzweckhalle, und verlangt auch im Blick auf die Gegenwart Gottes in diesem Haus eine gebührende Haltung, besonders Ehrfurcht. Dazu gehört auch das Schweigenkönnen und das Stillewerden. Von diesen Erfordernissen her kann Paulus sagen: „Denn Gottes Tempel ist heilig." Nur wenn wir uns mit der Bereitschaft zur Anerkennung Gottes als Gott seinem Haus nähern, werden wir auch fähig zum Lob und Preis Gottes. Dies ist die erste Bestimmung eines Gotteshauses, dass wir in ihm die Größe Gottes rühmen. Die Psalmen sind die beste Schule für dieses Lob Gottes. Darum gehört es auch im Stundengebet grundlegend zum Leben eines Gotteshauses und besonders auch einer Kathedrale.

Wir kommen oft mit vielen irdischen Gedanken in ein Gotteshaus. Die Menschen vieler Religionen spüren dies und leiten uns an, beim Betreten eines Gotteshauses allzu irdische Gedanken draußen zu lassen, sich zu waschen und zu reinigen und vieles, was uns auf den Wegen zu Gott und den Menschen hindert, hinter uns zu lassen. „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe." (Mt 5,23)

Damit ist deutlich geworden, dass es nicht genügt, ein Haus mit noch so erlesenen Steinen zu bauen, uns selber aber nicht hineinzugeben in die Zielsetzung eines solchen Hauses. Darum werden wir in der Hl. Schrift daran erinnert: „Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft." (1 Petr 2,5) Wenn wir also Gott ein Haus bauen, ist dies ein sehr anspruchsvolles Tun. Dies gilt auch für uns Spätere, wenn wir ein solches Haus uns zu eigen machen, es bewahren und pflegen.

Wenn wir für Gottes Gegenwart unter uns ein Haus bauen, räumen wir ihm in unserem Leben einen Platz ein. Er hat uns etwas zu sagen mitten in unserer Wohnwelt, so geschäftig sie auch sein mag und so sorgfältig sie besonders heute Frommes und Weltliches zu trennen versteht. Eine Kirche bedeutet immer, schon durch ihre Existenz, dass wir uns nicht einfach selbst genügen, und dass die Maßstäbe unseres Denkens und Tuns sich nicht in unseren Interessen und Bedürfnissen erschöpfen. Aber es wäre eine Lebenslüge, wenn wir Gott in unserem Dasein einen Ort zuweisen, oft sogar einen weiten und unübersehbaren, aber ihn dann doch aus unserem Leben an den Rand verdrängen und eine Belanglosigkeit daraus machen. Hinter jeder Kirche steht also eine solche Erwartung und Mahnung, dass wir dem Haus Gottes gerecht werden. Darum eifert Gott auch, vor allem durch die Propheten, um die Reinheit seines Hauses. Deshalb greift Jesus auch bei der Tempelreinigung, als er die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler umwirft, auf ein Prophetenwort zurück: „Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker sein? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht." (Mk 11,17; vgl. Jes 56,7; Jer 7,11.18; 12,12; 14,1 f)

Der hl. Paulus, den wir in diesem Jahr anlässlich seiner Geburt vor ungefähr 2000 Jahren besonders ins Gedächtnis zurückrufen wollen, geht noch ein Stück weiter und fordert uns gewaltig heraus, wenn er nämlich sagt: „Der Tempel Gottes ist heilig - und das seid ihr!" Wenn wir wirklich uns darauf besinnen, was ein Tempel ist, und zwar als Haus Gottes, dann können wir zunächst über dieses Wort nur erschrecken. Wir sollen selbst dieser heilige Tempel sein?! Wenn der hl. Paulus uns fragt „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid?" (1 Kor 3,16a), will er uns auf die ungewöhnliche Antwort vorbereiten, dass wir in der Tat ein solcher Tempel Gottes sind. Es ist ein Aufmerksammachen auf etwas, was wir offensichtlich vergessen haben oder nicht genügend schätzen. So ist es zugleich eine Aufforderung und ein Appell, dass wir das, was wir von Hause aus sind, auch aktiv leben und bezeugen.

Wir feiern also wirklich nur im vollen Sinn den Weihetag der Kathedrale vor 700 Jahren, wenn wir bis zu dieser Wahrheit des hl. Paulus vorstoßen. Wir dürfen uns nicht mit der hohen Feier eines großen historischen und künstlerischen Werkes begnügen. Es geht darum, dass wir die Gegenwart Gottes lebendig durch unseren eigenen Einsatz bezeugen: im Alltag des Lebens, in unseren Lebenskreisen, besonders in Ehe und Familie, in den Freundeskreisen, in den Vereinen, in verschiedenen Verantwortungsbereichen von Kirche, Staat und Gesellschaft, besonders auch in unseren Pfarrgemeinden. Paulus meint also nicht, dass wir dies nur in unserem Herzen und mit guter Absicht tun, sondern dass wir dies auch in unserem ganz konkreten leibhaftigen Leben bezeugen. So kann Paulus uns weiter in Spannung halten und uns fragen: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?" (1 Kor 6,19)

Damit sind wir noch näher an unser Fest und an die Kathedrale als Haus Gottes gerückt. Denn in unseren Überlegungen spielt wenigstens beim hl. Paulus der Heilige Geist, wie soeben schon deutlich wurde, eine zentrale Rolle. Es ist dabei deutlich geworden, dass es bei der Gegenwart Gottes nicht nur um eine inwendige oder intellektuelle Idee geht, sondern dass Gott wirklich in uns und durch uns, nämlich durch unseren Leib auch in die Welt hinein wirken möchte. Wir selbst sind aber dazu oft unfähig und durch viele andere Ideen, Interessen und Belange behindert. Zu diesem Einsatz für Gottes Gegenwart in unserer Welt müssen wir erneuert werden, und zwar durch nichts anderes als durch den Geist Gottes selbst. Ihm haben unsere Vorfahren vor 700 Jahren diese Kathedrale geweiht. Sie wussten um die Notwendigkeit einer ständigen inneren und äußeren Erneuerung. Erst so verstehen wir ganz das, was der hl. Paulus uns sagt: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn Gottes Tempel ist heilig - und das seid ihr!" (1 Kor 3,16 f) Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz