Der Kampf für das menschliche Leben geht weiter

„Leihmutterschaft" und „aktive Sterbehilfe" im Sommerloch

Datum:
Sonntag, 7. September 2014

„Leihmutterschaft" und „aktive Sterbehilfe" im Sommerloch

Gastkolumne von Kardinal Lehmann in der Kirchenzeitung "Glaube und Leben"

„Sommerloch" nennt man die Nachrichtendürre während der Zeit der Ferien und Urlaubszeiten. Auch die Politik ist weitgehend - wenigstens was die großen Nachrichten betrifft - abgeschaltet. Da scheint es immer wieder ein Zufall zu sein, welche Themen sich gerade anbieten, um in dieser an Geschehnissen meist dürren Zeit das Defizit aufzufüllen.

Die Medien können sich dann leicht Themen zuwenden, die sonst nur knapp beachtet würden. Aber wenn etwas im „Sommerloch" Beachtung findet, dann scheint es auch fast unabdingbar zu sein, dass man im Meinungsstrom durch Stellungnahmen mitschwimmt. Dann offenbart sich manchmal schon recht deutlich, welche Themen bevorzugt und näher betrachtet werden.

Die Themen selbst können während dieser Wochen wechseln oder verdrängt werden. Zuerst war in diesem Sommer die Kirchensteuer auf die Kapitalertragssteuer für kurze Zeit das Lieblingsthema. Aber hier konnte man, leider etwas verspätet, durch die Kommunikation aufklären, dass dies gar keine neue, zusätzliche Steuer ist, wie manche glaubten. In der zweiten Hälfte des „Sommerlochs" schienen mir zwei verschiedene, aber vielleicht doch untergründig verwandte Themen das Rennen zu machen. Natürlich sind es meist Anstöße, die von mehr oder weniger wichtigen Ereignissen ausgehen und das Interesse darüber hinaus bestärken. So hat eine besonders aufregende Geschichte von Leihmutterschaft zwischen Thailand und Australien wenigstens ein mittelfristiges Interesse geweckt.

Es war erstaunlich, wie in ganz verschiedenen Medien, vor allem den Print-Medien, viele Artikel nicht nur über einzelne Ereignisse und Erfahrungen Betroffener, sondern auch umfangreich über die Möglichkeiten neuer Formen von künstlicher Zeugung und eben auch der Leihmutterschaft veröffentlicht wurden. Hier konnte man nur staunen über das, was alles machbar ist und sonst vielleicht eher verschwiegen wird. Denn vieles, was in diesem Bereich bei uns unerlaubt ist, wird in manchen Nachbarländern reichlich praktiziert. Polnische und - man staune - amerikanische Leihmütter sind besonders begehrt, nicht nur die asiatischen.

Das andere Thema, das freilich auch schon vorher eine gewisse Konjunktur hatte, ist die ärztlich assistierte Selbsttötung. Auch hier wird in unserer Nachbarschaft, wie z.B. in der Schweiz und in Holland sowie Belgien schon allerhand praktiziert. Dabei geht es gerade auch bei uns immer um die Frage, ob die Mithilfe von nicht-ärztlichem Personal, also z.B. von Freunden und Nahestehenden, straffrei bleiben soll. Die Diskussion ist schon seit längerer Zeit in Gange und spaltet oft Gemeinschaften darüber. Das „Sommerloch" hatte es leicht, die ganze Frage, nun ausgeweitet auf die aktive Sterbehilfe selbst, anzuheizen.

So zufällig sind die Themen im „Sommerloch" nun doch wieder nicht. In beiden Fällen werden Gesetzesvorhaben vorbereitet, die mit verschiedenen Entwürfen nicht dem oft üblichen Fraktionszwang unterliegen, sondern die Werteüberzeugung und das Gewissen besonders der einzelnen Abgeordneten ansprechen. Es war auch gelegentlich erkennbar, dass progressive Tendenzen sich wechselseitig ergänzten und einen Umschwung im bisherigen Meinungsbild herbeiführen wollten. So unschuldig und zufällig sind die Themen im Sommerloch nun doch nicht. Schließlich geht es - auch dies offenbarten die Veröffentlichungen - um sehr viel Geld.

Beide Themen werden uns in den kommenden Monaten und gewiss auch im nächsten Jahr immer wieder herausfordern. Es sind nicht nur formale juristische Fragen, die in diesen sensiblen Themen die rechtlichen Verantwortlichkeiten klären wollen und in gewissen Grenzen durch den Lauf der Dinge auch müssen. Es geht hier ganz zentral um unser Menschsein und unser Menschenbild. Seit der frühen Abtreibungsdebatte geht es nun jahrzehntelang um den Umgang mit unserem eigenen Leben, um das Verhältnis zu uns selbst und unseren Existenzgrundlagen.

Da ist die ganze Gesellschaft herausgefordert. Aber besonders die Kirchen haben hier in der kommenden Zeit eine große Aufgabe. Wir sind durch die Auseinandersetzungen zwar durchaus gut vorbereitet, aber es bedarf noch einer intensiven Beschäftigung mit den eigenen Grundlagen und den so genannten „Fortschritten" auf diesen Gebieten. Wir wissen also, was uns bevorsteht. Dabei geht es, wie die Leihmutterschaft und ihre Nachbarthemen zeigen, um fundamentale Fragen in der Gestaltung der Sexualität, um Ehe und Familie und nicht zuletzt um das Kindeswohl. Also lassen wir uns nicht auf Nebengleise verlocken. Es soll nachher niemand sagen, er habe den Ernst dieser Entscheidungen nicht ahnen können.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Diese Kolumne lesen Sie auch in der gedruckten Ausgabe der Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 7. September 2014

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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