Die Schwangerschaftskonfliktberatung im Bistum Mainz

Datum:
Montag, 1. November 1999

An die verantwortlichen Damen und Herren in den Vorständen der Caritasverbände und des Sozialdienstes katholischer Frauen sowie die Beraterinnen und Berater in der Schwangerschaftskonfliktberatung des Bistums Mainz

Betreff: Brief der Kardinäle Sodano und Ratzinger vom 18.09.1999, des Apostolischen Nuntius vom 19.09.1999 und Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.09.1999 im Blick auf die Probleme der Schwangerschaftskontliktberatung

 

Sehr verehrte, liebe Damen und Herren!

 

Gewöhnlich habe ich Sie nach römischen Interventionen und Beschlüssen der Bischofskonferenz bald persönlich aufgesucht, um mit Ihnen über die entstandenen Fragen zu sprechen. Leider war mir dies nach dieser Herbst-Vollversammlung nicht sofort möglich, da ich ja erst nach der Pressekonferenz, also am Freitag-Nachmittag, von Fulda zurückkam und sofort zahlreiche Termine hatte: die anschließende Diözesan-Versammlung, den Diözesan-Familiensonntag, eine Pressekonferenz in Düsseldorf mit Präses Kock zur "Christlichen Patientenverfügung", Treffen mit Bischof Belo aus Ost-Timor usw. Hinzu kommt die Grundsteinlegung der Apostolischen Nuntiatur in Berlin. Schließlich waren noch ziemlich viele Presse-Aufgaben zu bewältigen. Schließlich müßte ich heute schon in Rom bei der Eröffnung der Europa-Sondersynode sein, zu der ich dann am Sonntag aufbreche. Ich bitte Sie um Verständnis, wenn es unter solchen Umständen nicht zu einem persönlichen Treffen reichte.

 

Ich hätte Ihnen gegenüber dem, was öffentlich erklärt worden ist, auch nicht viel hinzufügen können. Im übrigen habe ich die Gelegenheit der Diözesan-Versammlung genützt, nämlich am Samstag, 25.09.1999, um ausführlich die Sache darzustellen. Sie haben vielleicht selbst teilgenommen oder mindestens davon gehört.

 

Deshalb ist es am besten, wenn ich Ihnen nun anbei die wichtigen Texte sende, damit Sie selbst sich ein Bild machen können:

 

  • der Brief der Kardinäle Sodano und Ratzinger vom 18.09.1999,
  • die Erklärung der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.09.1999,
  • die Presseerklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz vom 24.09.1999 (Darin ist auch der Brief des Herrn Apostolischen Nuntius vom 19.09.1999 ausführlich und in seinem ganzen Inhalt zitiert.).

 

Ich verzichte darauf, Ihnen weitere Texte zu übersenden, wie größere Interviews und Stellungnahmen von mir in der Welt am Sonntag (26.09.1999), im Rheinischen Merkur (0 1. 10. 1999), in Glaube und Leben (03.10.1999), in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung 03.10.1999).

 

Ich habe besonders in der Pressekonferenz die diffizilen Wege noch einmal zusammenfassend dargelegt. Der schwierige Beschluß des Ständigen Rates vom 22.06.1999, neuerlich den päpstlich gewünschten Zusatz "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden" anzunehmen und dabei in der gesetzlichen Beratung bleiben zu können, war eindeutig durch die römischen Instanzen nicht nur gebilligt, sondern auch als eine mögliche Option im Brief des Nuntius vom 16.06.1999 vorgeschlagen worden. Auch wenn der konkrete Text so mannigfache Schwierigkeiten bereitet, so konnten wir auf diese Weise in der gesetzlichen Beratung bleiben. Die Situation hatte sich auch nach und nach beruhigt, übrigens auch im Blick auf die staatlichen Stellen. Das sehr aggressive Interview von Erzbischof Dyba in der Welt vom 09.08.1999 brach die relative Stille und ließ auch bald vermuten, daß daneben und dahinter viel Druck auf Rom ausgeübt wurde. Als Herr Kardinal Meisner am 30.07.1999 den Papst um eine Klärung der seiner Meinung nach konfusen Situation bat, hat dieser die Kardinäle Sodano und Ratzinger beauftragt, nach genaueren Weisungen von ihm einen Brief zu schreiben. Danach zieht der Hl. Stuhl den Brief des Nuntius vom 16.06.1999 zurück und klärt die entsprechenden Stellen des Papstbriefes vom 03.06.1999 und entzieht damit die Basis für die Entscheidung vom 22.06.1999. Damit bezeugt der Vatikan, daß er eine Mitschuld an der verworrenen Lage der letzten Monate erkennt. Damit ist aber auch klar, daß der bisherige Weg nicht fortgesetzt werden kann.

 

Zu diesem Vorgehen wäre vieles zu sagen. Wir haben nicht den Eindruck, daß unsere Überlegungen nach dem Schreiben des Hl. Vaters vom 11.01.1998 ("Beratungs- und Hilfeplan") sowie die Ergebnisse der Arbeitsgruppe genügend berücksichtigt wurden, auch wenn man sie nachher ablehnen sollte. Die wiederholt zugesagten Kontakte mit dem Hl. Vater und anderen Stellen vor einem endgültigen Bescheid kamen nur unzureichend zustande. Von der Eingabe Kardinal Meisners wurden wir nicht unterrichtet. Es ist auch keine Stellungnahme erbeten worden. Als wir am 15.09.1999 nach Castelgandolfo eingeladen wurden, ging es nicht mehr um eine Konsultation vor einer Entscheidung, sondern um die Mitteilung der bereits ergangenen Entscheidung. Sie werden verstehen, daß den allermeisten Bischöfen dieser Stil und Umgang mit uns sowie die mangelnde, mindestens nicht erkennbare Auseinandersetzung mit unseren Argumenten mißfallen. Die Bischofskonferenz hat auf der Vollversammlung dies alles sehr offen besprochen und die beigefügte Erklärung verabschiedet, die ich dann in der Pressekonferenz am 24.09.1999 in größerem Zusammenhang interpretiert habe.

 

Eine Anzahl von Bischöfen wollte eine möglichst baldige Neuordnung der Schwangerschaftskonfliktberatung in der Kirche. Eine Anzahl anders eingestellter Bischöfe glaubte, daß sie auch ein Recht haben - wie Kardinal Meisner - dem Hl. Vater ihre im Gewissen erwogenen Bedenken gegen die Entscheidung vortragen zu müssen, zumal wir zwischen dem 8. und 20. November 1999 die Ad limina-Besuche haben.

 

Es ist wichtig, daß der Hl. Vater von diesen Gründen Kenntnis erlangt. Es sind natürlich Dinge, die wir im Lauf der Jahre bis zum Überdruß wiederholt haben. Bis im Zusammenhang dieser Gespräche ein Bescheid ergangen ist, ist für die gesamte Bischofskonferenz noch kein Handlungsbedarf. Bei allem Respekt gegenüber dieser Initiative möchte ich jedoch, ohne unrealistisch zu wirken, davon ausgehen, daß uns vermutlich keine Zurücknahme oder Modifizierung des Schreibens der Kardinäle vom 18.09.1999 mitgeteilt werden wird. Wir müssen davon ausgehen, daß wir nach einer angemessenen Umstellungsfrist aus der gesetzlichen Konfliktberatung aussteigen müssen, sofern die Ausstellung eines Beratungsnachweises damit verbunden ist. Über eine Übergangsfrist haben wir keine Entscheidung getroffen. Ich rechne aber damit, daß dazu möglicherweise das ganze nächste Jahr in Anspruch genommen werden muß.

 

In Fulda konnten wir den erst zu Beginn der Vollversammlung erhaltenen Brief nicht nach allen Seiten zu Ende beraten. Wir hatten auch noch keine genaueren Vorstellungen von dem im Umfeld des ZdK geplanten "Vereins". Darum läßt sich im Augenblick auch dazu noch nicht viel Verbindliches sagen. Ich kann verstehen, daß katholische Laien, die auch politisch Verdienste um den Lebensschutz haben, nicht hinnehmen wollen, daß ganze Landstriche flächendeckend an andere Träger fallen. Aber ich sehe nicht nur für die praktischen Probleme der Vereinsgründung, sondern auch für das Verhältnis zwischen den Beratungsstellen des Vereins und der Kirche in der bisherigen Struktur erhebliche Probleme. In den Texten ist manches davon wiederzufinden.

 

Aus diesem Grunde konnten auch noch keine genaueren Beschlüsse für die Zukunft der Schwangerschaftskonfliktberatung im Bistum Mainz gefaßt und verkündigt werden. Wir werden vorläufig wie bisher weiterberaten, also auch ohne den am 22.06.1999 beschlossenen "Zusatz". In der Zwischenzeit überlegen wir in unserem Bereich, aber auch mit den anderen Diözesen aus unseren beiden Bundesländern, wie wir künftig eine Konfliktberatung bewahren und sogar noch ausbauen könnten, die nicht mit dem gesetzlich verlangten "Nachweis" verbunden ist. Ich habe im Augenblick noch den Eindruck, daß die entstandene Situation recht unübersichtlich ist.

 

Sicher kann ich sagen, daß wir von uns alles tun möchten, um auch künftig gerade den abtreibungsgeneigten Frauen begegnen und helfen zu können. Konkrete Überlegungen werden in den nächsten Wochen auf mehreren Ebenen stattfinden. Dabei sind der Rom-Aufenthalt während der Synode und der Ad limina-Besuch wichtig.

 

Meine sehr verehrten Damen, ich bitte Sie sehr um Ihr Vertrauen. Die Schwangerschaftskonfliktberatung ist uns allen ein so gewichtiges Anliegen, daß wir nichts preisgeben möchten, von dem was wir errungen haben, abgesehen vom "Schein".

 

Sobald sich verläßlichere Perspektiven abzeichnen, werde ich Sie sofort informieren. Ich bin aber jetzt zunächst bis zum 23.10.1999 bei der Europa-Synode.

 

Wie schon so oft darf ich mich auch diesmal wiederum für Ihren in diesen Tagen oft wieder gewürdigten Einsatz für die Mutter und das ungeborene Kind herzlich bedanken. Sie erfüllen eine ganz wichtige Sendung der Kirche in unserer Welt, die wir einfach nicht aufgeben dürfen. Ich bitte Sie auch um Ihr fürbittendes Gebet, damit der Gottesgeist uns auf der Suche nach neuen Wegen schöpferisch begleite.

 

Mit herzlichen Grüßen und der Bitte um Gottes Segen für Sie alle bin ich

Ihr

Bischof Karl Lehmann

 

© Bischof Karl Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz