Die Seelsorge in den neuen pastoralen Einheiten

Datum:
Samstag, 26. November 2005

Referat bei der Diözesanversammlung des Bistums Mainz am 26. November 2005

Inhalt:
I.Zur Grundstruktur von Gemeinde
II.Neustrukturierung als weltkirchliche Aufgabe
III.Kooperative Pastoral als Grundkonzept im Bistum Mainz
IV.Der heutige Kontext der neuen Frage nach pastoralen Einheiten
V.Katholiken einer anderen Muttersprache
VI.Die Bedeutung erweiterter Lebensräume und ihre Grenzen
VII.Neue Grundmodelle: Pfarrgruppe und Pfarreienverbund
VIII.Eigene Elemente in der Erörterung unserer Pfarrstrukturen
IX.Nutzen und Last der kirchlichen Gebäude
X.Chance und Mut zur Erneuerung
XI.Die nächsten Schritte in einem Netz umfassender Prioritäten

Bei Fragen der pastoralen Planung kann es leicht geschehen, dass man sich in Einzelfragen verliert, besonders wenn man durch bestimmte Details selbst betroffen ist. Wirkliche Planung aber geschieht immer aus einem größeren Kontext heraus und ist mit einer zu sehr von einzelnen Faktoren abhängigen Denkweise nicht zu vereinbaren. In diesem Sinne möchte ich diesen Beitrag ganz bewusst aus einem größeren Horizont heraus verstehen. Wir haben dann ja Zeit, um manche wichtige Einzelfragen näher zu klären.

I.Zur Grundstruktur von Gemeinde

Gemeinde ist für die katholische Theologie und Pastoral inzwischen ein fester Begriff geworden. Vor wenigen Jahrzehnten war dies nicht der Fall. Die neue Theologie der Gemeinde entstand nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dabei gehört die Vertiefung des Verständnisses von Pfarrei und Pfarrgemeinde gar nicht so sehr zu den Errungenschaften des Konzils selbst, sondern ist wirklich eine Entwicklung, die stark in unseren verschiedenen deutschen Regionen geschehen ist.

Gemeinde hat als Wort zunächst einmal den Vorzug, dass der Begriff weniger lokal und rechtlich dominiert wird. Wir werden noch sehen, dass beide Dimensionen nicht deswegen einfach verabschiedet werden können. Aber die kirchliche Sozialform orientiert sich heute nicht nur und nicht zuerst an örtlichen Strukturen. Dies hängt gewiss mit dem gesellschaftlichen Wandel zusammen, der vor allem durch eine starke Individualisierung, Pluralisierung und Mobilität gekennzeichnet ist. In einem solchen Kontext gewinnen andere Strukturelemente mehr Gewicht. Dies gilt vor allem für personalorientierte und funktionale Prinzipien, die das Zustandekommen von Gemeinde stark beeinflussen. Dies gilt natürlich besonders für die Städte.

Zugleich passt diese erweiterte Struktur heutiger Gemeindewirklichkeit besser zu einigen biblischen und theologischen Ergebnissen der neueren Studien über Kirche und Gemeinde. Es sind folgende Gesichtspunkte, die hier eine Rolle spielen: die christliche Gemeinde wird stark in ihrem Ereignis-Charakter verstanden: sie ist nicht einfach vorgegeben, sondern entsteht durch das Zusammenkommen von Menschen, die im Geist Jesu Christi und im Sinne seiner Kirche leben wollen, und sich vor Ort zu einer Gemeinschaft treffen; dabei wird die Verschiedenartigkeit der Menschen besonders auffällig – und dennoch ereignet sich eine wahre Gemeinschaft der Glaubenden, ohne dass der einzelne Mensch sich einem uniformistischen Einheitsmodell anpassen müsste; so kann man auch verstehen, dass gegenüber vorgegebenen Strukturen allein betont wird, dass sich eine solche Gemeinschaft immer wieder lebendig bilden und halten muss und dass sie vor allem stärker von ihren Grundvollzügen her verstanden werden muss: Verkündigung und Glaubensunterweisung; Feier des Gottesdienstes besonders in der Eucharistie und den übrigen Sakramenten; Nächstenliebe und geschwisterlicher Zusammenhalt (Caritas/Diakonie). So unterstreicht „Gemeinde“ auch die aus Glaube und Taufe entspringende Würde und Gleichheit aller in Jesus Christus als Fundament des gemeinschaftlichen Lebens, ohne damit schon die Notwendigkeit eines spezifischen Amtes und besonderer Dienste zu leugnen; heute betonen wir angesichts vieler Menschen in unserer Umwelt, die nicht zur Kirche gehören, aus ihr ausgetreten sind oder in Distanz zu ihr stehen, die Offenheit der Gemeinde und vor allem auch die missionarische Struktur.

Von daher ist es verständlich, dass der Begriff der Gemeinde gerade auch auf diese Elemente besser passt und den dahinter stehenden Anliegen eher entspricht. Man darf jedoch nicht verkennen, dass der Begriff der Gemeinde ziemlich analog verwendet wird. Dies ging in den frühen Versuchen einer Gemeindetheologie so weit, dass man überall da Gemeinde sah, wo im Sinne des Neuen Testaments zwei oder drei im Namen Jesu Christi versammelt sind (vgl. Mt 18,20). Ich habe stets darauf hingewiesen, dass ein voller Gebrauch des Gemeindebegriffs erst dann sinnvoll ist, wenn ein dauernder Vollzug der drei Grunddimensionen christlichen und kirchlichen Lebens (Verkündigung, Gottesdienst, Caritas) gewährleistet ist. Es ist leicht erkennbar, dass es dazu auch einer gewissen „stabilitas loci“ bedarf, also einer gewissen Beständigkeit der Versammlung vor Ort und an einem bestimmten Ort. Insofern ist auch bei einem aktualisierten und vertieften Gemeindebegriff, der den Ereignis-Charakter stärker hervorhebt, der örtliche Aspekt nicht zu übersehen.

Von da aus ergeben sich zwei wichtige Aspekte im Verständnis von Gemeinde. Der Mensch ist gerade auch heute viel unterwegs und mobil, aber gerade deshalb sucht er wenigstens für einige Stunden sein Zuhause. Das Wohnen und der Aufenthalt des Menschen an einem bestimmten Ort gehören zusammen. Deswegen haben wir ein Haus und suchen darin nicht nur gegenüber Unwetter und sonstigen Gefährdungen Schutz, sondern finden in ihm auch ein Stück Geborgenheit. Wir wissen, wo wir zu Hause sind. Dabei bezieht sich dies nicht nur auf das Gebäude, sondern dies erstreckt sich auch auf den Lebensraum, der damit gegeben ist. Zu ihm gehören die Landschaft und die Natur, Kultur und Geschichte, Lebensgewohnheiten und Menschen der Umgebung. In dieses Umfeld des Hauses gehört auch die Kirche, Glaube und Religion mit dem dazugehörigen Brauchtum.

In diesem Sinne ist der Mensch immer wieder auf diese Zugehörigkeit zu seiner Um- und Mitwelt verwiesen. Es ist auch kein Zufall, dass wir das Wort Gemeinde auch für das Zusammenleben der Menschen vor Ort benutzen im Sinn der Kommune, eines Dorfes oder eines Stadtteils. Natürlich ist der Identifikationsgrad der Menschen mit der jeweiligen „Gemeinde“ sehr verschieden. Es ist ein großer Unterschied, ob jemand an einem Ort oder wenigstens in der Nähe geboren worden ist, hier aufgewachsen ist, oder ob es sich nur um eine – meist auch vorrübergehende – „Schlafstelle“ handelt. Je enger jemand mit der Gemeinde verbunden ist, um so mehr ist diese Zugehörigkeit auch mit affektiv-emotionalen Elementen verbunden. Daher hat auch unser deutsches Wort „Heimat“ einen besonderen Klang.

Die Existenz einer Kirche vor Ort ist für viele Menschen eng mit einer solchen „Heimat“ verbunden. Dies unterscheidet sich natürlich von Ort zu Ort, von Pfarrei zu Pfarrei. Aber die Pfarrgemeinde ist eben für viele Menschen ein Ort, der mit der konkreten Lebensgeschichte der Menschen in Freuden und Nöten eng verbunden ist. Hier ist man geboren, hier wurde man getauft, hier haben Flüchtlinge eine neue Heimat gefunden, hier haben Mann und Frau sich für ein Leben versprochen, hier fand der Mensch Trost in der Trauer, hier haben wir Abschied genommen von Eltern und Geschwistern, Verwandten und Freunden. Viele Dinge gehören so zur konkreten Gemeinde: das Kirchenjahr und die Glocken, die Prozessionen und die Gottesdienste, der Kirchenchor und die Ministranten, der Pfarrer und der Pfarrgemeinderat, dazu auch die neuen pastoralen Berufe. Lebensgewohnheiten und Brauchtum, wie z.B. der Martinsumzug, gehören dazu. Die Kirche ist gerade bei der hochgradigen Mobilität der heutigen Menschen für viele ein Garant dafür, dass man zu Hause ist. Wenn man sich seiner Stadt oder seinem Dorf nähert und den Kirchturm sieht, weiß man, dass man bald zu Hause ist.

Je stärker der Mensch unterwegs und manchmal auch unbehaust ist, kann die Bindung an die Heimat und hier gerade auch an die Pfarrgemeinde werden. Wenn vieles sich in unserer modernen Welt ändert, so ist die Kirche, auch zusammen z.B. mit dem Friedhof, eine letzte Verankerung. Deshalb ist es auch verständlich, dass Menschen für die Eigenständigkeit ihrer Heimat, ihres Dorfes kämpfen und bei Ihrem Verlust das Gefühl haben, „als wär´s ein Stück von mir“. Dies gilt auch dann, wenn man seinen Horizont sehr erweitert hat und die Lebensgewohnheiten weit über den Wohnort hinausreichen. Der Mensch sucht eben immer wieder eine Heimat für Leib und Seele, für den ganzen Menschen, darin aber auch eine seelische Heimat, die Bindungen an Natur und Geschichte einschließt. Viele Menschen sehen wenigstens einen wesentlichen Teil ihrer Heimat in der Kirche, in der Pfarrei, in der Pfarrgemeinde.

Es kommt darauf an, dass man bei allen pastoralen Planungen diesen ursprünglichen Sinn von Gemeinde erfasst. Manche Menschen haben gewiss ein Lebensschicksal, bei dem dies alles weniger zutrifft. Andere kämpfen aber mit allen Kräften für ihr Zuhause. Jede pastorale Planung muss hier im höchsten Maß sensibel bleiben. Sonst verkennen wir auch den Menschen und das Menschsein. Zu ihm gehören eben Zeit und Raum, bestimmte Orte in seinem Leben. Manchmal hat man den Einruck, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften die Bedeutung der Räumlichkeit für den Menschen unterschätzen. Sie hängt auch eng mit der Leiblichkeit zusammen.

Mit derselben Klarheit muss man aber auch sehen, dass der Radius unseres Lebens heute in vielen Fällen, gerade auch bei einer festen Verwurzelung und Beheimatung größer geworden ist. Er ist weiter und schließt viele Kontakte zu Personen und Institutionen ein, die außerhalb der engeren Heimat sind. Dies sind nicht nur die Ämter und Schulen, das Krankenhaus und die Arztpraxis, vielleicht sogar der Friedhof und die Sozialstation, sondern auch Geschäfte für den Alltag, Erholungsstädten (wie z.B. Bäder) und vor allem Freunde und Bekannte. Es besteht kein Zweifel, dass viele Menschen ihr Leben weit über die engere Heimat hinaus ausgedehnt haben. Es ist gerade auch für die jüngeren Generationen selbstverständlich geworden.

In der Kirche hat man dies zwar aufgenommen und durchaus berücksichtigt. Aber es ist verständlich, dass man aufgrund des soeben Gesagten in der Gemeinde ein letztes Residuum von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit sieht, das man auf keinen Fall aufgeben möchte. Wenn alles sich verändert, an den Grenzen der Pfarrgemeinde soll aber Schluss sein. Hier müssen Theologie und Pastoral äußerst sensibel sein. Sie müssen immer wieder die Beheimatung des Menschen in der Gemeinde berücksichtigen, aber sie müssen auch die Augen öffnen für die Erweiterung unseres Bewusstseins, unserer Lebensgewohnheiten und unseres Gefühls für Heimat. Dies gilt auch für das Leben der Kirche selbst, wo immer schon vor Ort, in einem Dorf, in einer Stadt oder in einem Dekanat eine engere Zusammenarbeit stattgefunden hat. Die Pfarrverbände sind ein wichtiges Beispiel aus neuerer Zeit dafür.

Diese Veränderung unserer Lebensstrukturen und unserer Lebensräume hat, ganz unabhängig vom Priestermangel und anderen Faktoren dazu geführt, dass die pastorale Wirklichkeit von diesen Veränderungen nicht nur betroffen wird, sondern sie auch in der eigenen Planung berücksichtigt.

II.Neustrukturierung als weltkirchliche Aufgabe

So ist es zwar überraschend, aber auch nicht ganz erstaunlich, wie zur Zeit in vielen Ländern Europas eine Diskussion und Neuordnung der pastoralen Strukturen erfolgt. Manchmal scheint es wie eine Art von Mode zu sein. Aber bei näherem Zusehen erfüllen wir dabei Aufgaben von einer größeren Tiefe und auch von einer weittragenden Bedeutung. So ist es auch nicht überraschend, aber doch auch weitgehend übersehen worden, dass auch auf weltkirchlicher Ebene Aufforderungen bestehen, unsere bisherigen pastoralen Strukturen zu überprüfen. Dabei geht es selbstverständlich nicht um eine Schmälerung der Bedeutung der Pfarrei. Papst Paul VI. hat in einer Ansprache an den römischen Klerus schon vor mehr als 40 Jahren (24. Juni 1963) mit aller Deutlichkeit gesagt: „Wir sind einfach davon überzeugt, dass diese altüberkommene und geschätzte Struktur der Pfarrei eine unverzichtbare und höchst aktuelle Sendung hat; ihr kommt es zu, die erste Gemeinschaft des christlichen Volkes zu bilden; sie versammelt das Volk und führt es in die liturgische Feier ein; sie beschützt und belebt den Glauben in den Menschen unserer Zeit; sie bietet ihnen den Unterricht über die heilbringende Lehre Christi; sie verwirklicht in der Haltung und in der Tat die demütige Liebe in den guten und brüderlichen Werken.“ Aber es sind doch einige Neuakzente nicht zu überhören. Immer wieder folgt ein Hinweis, dass „die Pfarrei nicht in erster Linie aus einer Struktur, aus einem Gebiet oder aus einem Gebäude (besteht), viel mehr ist sie ‚die Familie Gottes, als von einem Geist durchdrungene Gemeinde von Brüdern (und Schwestern)’, sie ist ‚das Haus der Pfarrfamilie, brüderlich und gastfreundlich’, die ‚Gemeinschaft der Gläubigen’. Letztlich gründet die Pfarrei in einer theologischen Gegebenheit, weil sie eucharistische Gemeinschaft ist.“

Vor diesem Hintergrund mag es herausfordernd wirken, dass die Pfarrgemeinde in erster Linie aus der Gemeinschaft der Glaubenden besteht. Damit werden freilich territoriale und andere Gesichtspunkte nicht ungebührlich ins Abseits gedrängt. Schon die Bischofssynode über die Laien im Jahr 1987 hat angesichts der Situation vieler Pfarreien „auf ihre Erneuerung gedrängt“, und zwar mit folgenden Worten: „Damit alle diese Pfarreien lebendige christliche Gemeinden werden, müssen die jeweiligen örtlichen Autoritäten dafür Sorge tragen, dass: a) die Pfarrstrukturen den Situationen mit der großen Flexibilität, die das Kirchenrecht vor allem durch die Förderung der Teilhabe der Laien an der pastoralen Verantwortung gewährt, angepasst werden; b) die kleinen Basisgemeinschaften, auch lebendige Gemeinden genannt, in denen die Gläubigen einander das Wort Gottes verkündigen und im Dienst und in der Liebe tätig werden können, wachsen. Diese Gemeinden sind in Gemeinschaft mit ihren Hirten wahre Konkretisierungen der kirchlichen Communio und Zentren der Evangelisierung.“

Ein Teil dieser Gedanken erscheint im Übrigen bereits im Kirchlichen Gesetzbuch von 1983, wo es in can. 374 CIC lapidar heißt: „§ 1. Jede Diözese oder andere Teilkirche ist in verschiedene Teile, d.h. Pfarreien, aufzugliedern. § 2. Um die Hirtensorge durch gemeinsames Handeln zu fördern, können mehrere benachbarte Pfarreien zu besonderen Zusammenschlüssen, z.B. zu Dekanaten, verbunden werden.“ Das kirchliche Gesetzbuch klärt an anderer Stelle konkretere Modelle (vgl. can. 517 § 1 und § 2 CIC). Wohl im Anschluss an diese Bestimmung heißt es in „Christifideles Laici“ : „Im Dienst der Erneuerung der Pfarreien und um die Wirksamkeit ihrer Initiativen besser zu sichern, sollen auch institutionalisierte Formen der Mitarbeit zwischen den verschiedenen Pfarreien eines Dekanates gefördert werden.“

Es ist überraschend, wie deutlich schon seit fast zwei Jahrzehnten diese Forderungen für die Weltkirche aufgestellt worden sind, sodass es keine Überraschung mehr ist, wenn in großer Streuweite erneuerte pastorale Strukturen eingeführt werden. Viele Diözesen haben diese Aufforderungen auf universalkirchlicher Ebene aufgegriffen und sie in Synodenbeschlüssen schrittweise verwirklicht. Wir haben zum Teil andere Formen der Realisierung gewählt. Im Bistum Mainz haben wir von 1994 an in intensiver Arbeit bis 1996 eine Konsultation „Damit Gemeinde lebt...“ unter großer Beteiligung vieler Gemeinden durchgeführt und die Ergebnisse in den „Zentralen Leitlinien zur künftigen pastoralen Planung in den Pfarrgemeinden“ verbindlich verabschiedet.

III.Kooperative Pastoral als Grundkonzept im Bistum Mainz

Ich habe schon öfter an dieses nach und nach eingelöste Erbe erinnert, das Leitsätze, Anordnungen, Aufträge und Empfehlungen enthält. Dabei wird schon zu Beginn als Anordnung festgestellt: „Kooperative Pastoral gilt als verpflichtendes Grundkonzept der Seelsorge im Bistum Mainz.“ (3.1) Vor diesem Hintergrund, der zugleich Ausgangspunkt und Ziel beschreibt, werden die einzelnen Elemente einer solchen kooperativen Pastoral formuliert. Dabei heißt es: „Jede Pfarrgemeinde soll stets den Lebensraum, zu dem die Menschen gehören, im Blick haben und bei den Planungen und Überlegungen seelsorglicher Aktivitäten berücksichtigen.“ (6.1) Dabei sollten die Pfarrverbände eine zentrale Rolle spielen. So heißt es im Sinne einer Anordnung: „Die Pfarrverbände haben im Konzept der kooperativen Pastoral im Bistum Mainz eine unersetzbare Funktion und Bedeutung und werden deshalb grundsätzlich als Strukturprinzip bekräftigt.“ (7.1) Dabei ist jedoch trotz dieser grundsätzlichen Entscheidung auch festgestellt worden: „Mängel sind jedoch nicht zu übersehen... im Übrigen müssen die Pfarrverbände auch nach ihrer Bildung von Zeit zu Zeit im Blick auf die gewandelten Lebensverhältnisse und damit auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden.“ (7) Dafür werden konkrete Anordnungen und Aufträge formuliert (vgl. 7.1 - 7.4). Es ist dabei deutlich geworden, dass der Pfarrverband zwar grundsätzlich als Strukturprinzip festgehalten worden ist, dass aber seine Anwendung sehr viel flexibler erfolgen muss: „Die Form und Gestalt der einzelnen Pfarrverbände wird künftig verschieden sein, um mehr der einzelnen Situation zu entsprechen. Im Einzelfall kann z.B. ein Stadtbezirk ein Pfarrverband sein, gelegentlich vielleicht sogar ein kleines Dekanat... Die Offenheit und Flexibilität der zu erneuernden Pfarrverbände darf freilich nicht mit Willkür und Beliebigkeit verwechselt werden.“ (7)

Wir haben viele Anordnungen und Aufträge der Leitsätze verwirklicht, z.B. hinsichtlich des Ehrenamtes. Im Blick auf die Erneuerung der Pfarrverbände haben wir uns etwas mehr Zeit gelassen. Wir konnten so auch Nutzen ziehen aus den eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen anderer Diözesen. Dabei kamen wir im Verlauf der weiteren Vorbereitung zur Einsicht, vorläufig auf den Begriff „Pfarrverbände“ zu verzichten. Die notwendige Neuorientierung wäre vielleicht zu sehr an dieses Wort gebunden gewesen, das bei manchem auch eine gewisse Abwehrhaltung erzeugt. Darum mag es, mindestens vorläufig, günstiger sein, von „pastoralen Einheiten“ zu sprechen, ein Begriff, der sich international wohl schon ziemlich durchgesetzt hat. „Seelsorge-Einheiten“ – so in vielen Diözesen – ist ja die wörtliche Übersetzung.

IV.Der heutige Kontext der neuen Frage nach pastoralen Einheiten

Auch wenn die Gründe für die Bildung von solchen pastoralen Einheiten schon öfter dargelegt worden sind, so sollen die wichtigsten Gründe nochmals kurz in Erinnerung gebracht werden. Wenn man die Frage dieser neuen Seelsorgeeinheiten genauer angeht, dann muss man einige Änderungen und einige Strukturverschiebungen beachten, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten ergeben haben, und die vielleicht bis jetzt noch nicht genügend den Horizont abgegeben haben und abgeben, in dem wir unsere Aufgabe neu anpacken müssen. Das sind zum Teil auch etwas überraschende Punkte: Einmal hat sich die Zahl der Katholiken in unserem Bistum stark verändert. Es gibt in jedem Dekanat einen Bevölkerungszuwachs, aber die Katholikenzahl sinkt in jedem Dekanat. Die Zahl der Katholiken ist von 852.000 im Jahr 1987 auf 793.000 im Jahr 2004 gesunken; also in den 17 Jahren um etwa 60.000. Auch eine andere Zahl, die mehr in die Zukunft weist, kann aufschlussreich sein: Wir werden im Jahr 2014 vermutlich 220 Priester in der Pastoral haben. Wir rechnen in den nächsten Jahren mit etwa 180 Seelsorgestellen, die jeweils ca. 4000-4500 Gläubige umfassen. Die Verringerung der Katholikenzahl im Bistum ist eigentlich angesichts der Tatsache, dass das Rhein-Main-Gebiet ja immer noch ein sehr mobiles und auch sehr attraktives Gebiet ist, überraschend und bedarf auch noch einmal genauerer Nachforschungen, wie und warum es zu dieser Entwicklung gekommen ist. Mitbeteiligt sind daran sicher auch statistische Methoden und Änderungen in der Erfassung, aber das kann nicht die eigentliche Differenz ausmachen.

Zusätzlich muss man sehen, dass sich die pastoralen Berufe in ihrer Zusammensetzung verschoben haben. Seit 1989 ist die Zahl der Priester von 615 auf 363 im Jahr 2002 gesunken. Das ist fast eine Halbierung in diesem Zeitraum. Gleichzeitig ist die Zahl der Diakone, der PastoralreferentInnen und der GemeindereferentInnen von 373 auf 442 gestiegen. Das heißt, wenn wir einmal die Ständigen Diakone, die ja Geistliche sind, auf die Seite der neuen pastoralen Berufe zählen dürfen, die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den neuen pastoralen hauptamtlichen Berufen die Zahl der Priester schon beträchtlich übersteigt, jedenfalls die Zahl der aktiven Priester. Wenn man alle Priester nimmt, die irgendwie noch im Einsatz sind, dann kommt man ziemlich genau auf je die Hälfte. Bei der Zahl der Priester, die in der Seelsorge mitarbeiten, und der Zahl der neuen pastoralen Berufe sind wir im Schnitt unseres Landes eher an der Spitze, weil wir sehr früh begonnen haben, die neuen pastoralen Berufe zu fördern. Das bringt natürlich auch neue Probleme der Kooperation. Hier gibt es auch Grenzen, nicht nur finanzieller Art, sondern eben auch der Einsatzmöglichkeit, jedenfalls wenn man sich an die verbindlichen Berufsbilder hält.

Man kann hier auch den Gottesdienstbesuch nicht ausklammern. Die Zahl der Gottesdienstbesucher ist von 18% im Jahr 1987 auf 12,8% im Jahr 2002, im Jahr 2003 wohl sogar auf 10,4% und im Jahr 2004 auf 9,8% zurückgegangen. Das ist eine sehr beträchtliche Verminderung. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Eucharistiefeiern erheblich angestiegen. Häufig sind dann natürlich auch schlecht besuchte Gottesdienste mit relativ kleinen feiernden Gemeinden die Folge. Dies ruft dann auch manche Enttäuschung hervor. Wir müssen uns fragen, ob diese Entwicklung gut ist. Ich habe einmal ein Interview darüber gegeben, das dann zu der verkürzten Überschrift geführt hat: „Weniger Messen“. Darum geht es natürlich letzten Endes nicht. Aber es ist eine Frage gar nicht zuerst und allein wegen des Priestermangels, sondern aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus, ob die Zahl der Eucharistiefeiern, ob die gewachsene Zahl dieser religiösen „Dienstleistungen“, so unbegrenzt weiter wachsen kann, ob die Entwicklung gut ist, ob man hier nicht andere Akzente setzen kann. Es ist ein weites und wichtiges Thema. Daran kann man bei den Planungsfragen nicht einfach vorbeigehen. Es muss ja nicht so sein wie in den orthodoxen Kirchen. Dort ist es so, dass in jeder orthodoxen Kirche an Sonn- und Feiertagen in der Regel ein Gottesdienst stattfindet und nicht mehr. Wer diesen Gottesdienst besuchen kann, besucht ihn; wer ihn aus guten Gründen nicht besuchen kann, weil z.B. kleine Kinder zu versorgen sind, weil Kranke und Alte zu betreuen sind, der ist entschuldigt. Das könnten wir sicher nicht so übernehmen; das wäre in unserer Gesellschaft auch nicht empfehlenswert. Das Bewusstsein dafür, dass die anderen gleichsam stellvertretend auch für die verhinderten Schwestern und Brüder den Gottesdienst besuchen, ist dort sehr kräftig entwickelt. Wie gesagt, dies ist kein Modell für uns, aber es kann uns etwas nachdenklich machen, ob die Tendenz mit den vielen Gottesdiensten, die ja gar nicht so alt ist, gut ist. Wir haben leider zu wenig Statistiken, die weit genug zurückreichen. Dies muss man jedenfalls noch einmal neu bedenken.

Gleichzeitig wird der Bedarf deutlich, neu auf Menschen zuzugehen, sie in ihren heutigen Fragen ernst zu nehmen, die Botschaft Gottes in ihre Lebensspuren hineinzubuchstabieren. Dazu braucht es neue Energie, nicht zuletzt den notwendigen missionarischen Aufbruch. Diese Energie muss unter Umständen auch anderswo eingespart werden. Anders geht das nicht. Insofern gibt es Verlagerungen und Verschiebungen, die man nicht einfach nur als faktische Entwicklungen hinnehmen muss, sondern die man sorgfältig reflektieren muss, ob man sie will, oder ob man sie unter Umständen auch etwas anders steuert.

V.Katholiken einer anderen Muttersprache

Es hat sich auch die Situation von Gemeinden anderer Muttersprachen anders entwickelt als zunächst gedacht. Die in Deutschland geborenen Kinder katholischer Eltern, christlicher Eltern, sprechen deutsch und sind, gerade auch wenn wir auf Italiener, Spanier, Portugiesen und zu einem guten Teil auch Kroaten schauen, integriert. Die so genannten „Gastarbeiter“ der ersten Stunde tun sich allerdings zum Teil immer noch sehr schwer und suchen die Gemeinschaft der Landsleute; deswegen sind die Gemeinden anderer Muttersprachen unbedingt notwendig. Es ist keine Frage, dass die Menschen dort eine besondere Beheimatung erfahren, eine Verwurzelung, wobei auch Sprache und Kultur bis in die Folklore hinein zusammengehören. Gerade in Situationen, wie etwa bei der Balkankrise, zeigt sich, dass eine Gemeinde wie die kroatische Gemeinde ihren Landsleuten gegenüber Trost, Hilfe und Stütze sein kann, wie sie es nicht einfach in einer gewöhnlichen Gemeinde bei uns erfahren könnten. Da braucht es auf jeden Fall diese Ergänzung. Aber für diese Diskrepanz, die natürlich auch sehr starke Spannungen erzeugt in den Familien der Katholiken anderer Muttersprache, müssen wir eine neue Antwort finden, dass nämlich auf der einen Seite die Kinder und die Jugendlichen in einem hohen Maße integriert sind, aber gerade auch die Eltern sich da sehr viel schwerer tun. So entsteht dadurch oft auch in den Familien und in den Gemeinden ein Riss.

Dieses Thema wird uns auch noch von einer anderen Seite stärker aufgezwungen: Weil uns nämlich die Herkunftsländer immer weniger Priester schicken. Wir haben heute schon erhebliche Schwierigkeiten, von Spanien und von Italien, wenn ein Priester ausfällt, Mitbrüder zu gewinnen. Ich habe große Bewunderung für Mitbrüder, die über viele Jahrzehnte ihr Heimatland verlassen und oft sich auch gar nicht so leicht tun mit den Landsleuten. Fast alle unsere Priester sind Norditaliener, fast alle Katholiken anderer Muttersprachen sind Süditaliener usw. Wer weiß, was das bedeutet, kann verstehen, dass das nicht so selbstverständlich ist, dass sich so viele immer wieder zur Verfügung stellen. Sie machen in der Regel eine wirklich hervorragende Arbeit, jedenfalls gilt das für die allermeisten. In diesem Zusammenhang darf man freilich nicht vergessen, dass die Zahl der Katholiken einer anderen Muttersprache bei uns relativ hoch ist, nämlich ca. 12%. – Vor diesem Hintergrund gibt es einen Entwurf für die Neuordnung „Katholische Seelsorge in Gemeinden fremder Muttersprache“.

VI.Die Bedeutung erweiterter Lebensräume und ihre Grenzen

Wir sprachen schon zu Beginn über die Gemeinde als Heimat und ihre Erweiterung im nahen Umfeld durch den Wechsel der Lebensgewohnheiten und auch der verschiedenen staatlichen Planungen. So müssen wir jetzt auch die Entwicklung kommunaler Neuordnungen stärker einbeziehen. Man kann jetzt besser abschätzen, was das bedeutet und was nicht. Hier werde ich gewiss einige Dinge wiederholen, die schon zur Sprache kamen. Aber sie erscheinen nun in einem etwas anderen Licht.

Die Strukturen sind auch bei anfänglichen Widerständen nicht zuletzt durch die jüngeren Generationen weitgehend akzeptiert und haben auch für die Zusammengehörigkeit der Menschen Bedeutung erlangt. Es zeigt sich, dass es Aufgaben gibt in diesem Zusammenhang, die in unserem Lebensgefühl weitgehend in einem größeren Verbund vollzogen werden. Wir leben in weiteren Räumen, als uns oft bewusst ist. Wir haben hier eine ganz schwierige Situation in kirchlicher Hinsicht, die wir sehr sorgfältig analysieren müssen: Auf der einen Seite können wir nicht davon absehen, dass diese Lebensräume größer, weiter, umfassender geworden sind. Schule, Rathaus und vieles andere ist nicht mehr unmittelbar am Ort. Aber die Menschen suchen gerade auch vor Ort immer noch eine Zuflucht, vor allem auch in der Eigenständigkeit und im Fortbestehen ihrer kirchlichen Gemeinde. Da, wo man sich unter Umständen längst daran gewöhnt hat, dass man in diesen erweiterten Lebensräumen wohnt und lebt, will man aber Kirche leibhaftig vor Ort behalten. Und dies ergibt oft eine große Spannung. Damit muss man sehr klug und differenziert umgehen.

Aber wir können nicht davon dispensieren, dass es Aufgaben gibt, die besser in einem größeren Verbund zu lösen sind, dass es aber genauso auch Aufgaben gibt, die am Ort geklärt und erfüllt werden müssen. Das zeigt natürlich, dass jede größere Einheit in jedem Fall eine lebendige Substruktur und Vielfalt braucht. Dies kann nicht einfach eine Uniformität sein. Wir haben in unserem Raum sicher auch noch einmal zu bedenken, dass es viele andere Faktoren der pastoralen Zuordnung gibt. Das ist z.B. die geografische Lage: Auf der Landkarte sieht man nicht ohne weiteres, dass zwischen zwei Dörfern ein großer Berg ist, der die Gemeinden mehr oder weniger trennt, auch wenn es nur wenige Kilometer sind. Wenn Sie dort einen Pfarrverband planen, dann planen Sie ins Abstrakte hinein. Man muss auch wissen, welche Gemeinde mit der anderen gute Beziehungen pflegt, und wo es Konflikte gibt. Da gibt es ja jahrhundertealte Freundschaften und Antipathien, die man – auch aus vernünftigen pastoralen Gründen – zwar nicht akzeptieren, aber zumindest kennen muss, um darauf entsprechend zu reagieren. Dann zeigt sich immer mehr, wie der Ort der Schulen, der Ort des Einkaufs, die Arbeitsplätze, das gesellschaftliche Leben, die Größe eines Gesamtgebildes, kommunale Grenzen, Straßenverbindungen usw. wichtig sind für die pastorale Lebensraumentwicklung. Ich staune immer wieder, wenn man größere Firmen besucht, wie die Bevölkerungsströme zur Arbeit hin ungeheuer wichtig sind; denken Sie an die BASF oder an Hoechst, aber auch an den Frankfurter Flughafen und Boehringer in Ingelheim, Merck in Darmstadt oder Veith-Pirelli im Odenwald.

An einigen Stellen ist das, was hier an Reflexion notwendig ist, exakter versucht worden. Dies gilt vor allem für die Pastoral der Mainzer Innenstadt. Hier ist ein eigener Lebensraum, der auch eine eigene pastorale Antwort braucht. Es ist hier nicht notwendig, einzelne Maßnahmen und Strukturen zu erklären. Was wir also „Pfarrverbandsreform“ nennen, ist in Wirklichkeit ein sehr differenziertes Gebilde. Da haben wir gewiss früher sehr viel stärker mit einer monolithischen Struktur gerechnet, also einer ziemlichen Einförmigkeit in der Struktur. Jetzt sehen wir die Kontextabhängigkeit und die Bedingtheiten, die ich gerade genannt habe. Es wird also auf keinen Fall ein Einheitsmodell geben. Es gibt zweifellos verschiedene Typen, die natürlich auch nach Stadt und Land, und dort wieder zwischen größeren und kleineren Städten zu unterscheiden und einfach sehr verschieden sind. Wir wollen uns aber vor Zufälligkeiten und Beliebigkeiten möglichst hüten.

Vor diesem Hintergrund legen wir nach vielen Diskussionen die einzelnen Modelle, nach Dekanaten getrennt, auf dem neuesten Stand vom 21. November vor.

VII.Neue Grundmodelle: Pfarrgruppe und Pfarreienverbund

Bei den Überlegungen, welche Gestalten die neuen pastoralen Einheiten gewinnen könnten, spielen vor allem zwei Typen eine eigene Rolle. Man könnte sagen, dass es eine integrative Struktur gibt, in der bisher selbstständige Gemeinden sich zusammenschließen, und zwar unter Leitung eines Pfarrers. Eine andere Form ist die kooperative Gemeinschaft, in der die einzelnen Pfarreien auf eine totale Selbstständigkeit in allen Belangen verzichten und alles gemeinsam planen und tun, was sie rationeller und effektiver gemeinsam leisten können. Es ist eine mehr lockere Form.

In einem eigenen Beiblatt sind die beiden Begriffe „Pfarrgruppe“ und „Pfarreienverbund“ eigens definiert. Ich darf diesen Versuch der Definition und einer ersten Strukturbeschreibung hier voraussetzen.

Den einen Typ haben wir einmal „Pfarrgruppe“ genannt, d.h.: Unter Leitung eines Pfarrers arbeiten mehrere hauptberufliche Seelsorger mit Ehrenamtlichen in mehreren Pfarreien. Jeder bekommt einen eigenen Schwerpunktauftrag, bleibt aber in der Mitverantwortung für die ganze Pfarrgruppe. In Schritten sollen sich die Pfarreien dann stärker aufeinander zu bewegen und in einem überschaubaren Zeitraum einen gemeinsamen Pfarrgemeinderat bilden. Dabei kann es durchaus für eine Zeit lang noch verschiedene Ortspfarrgemeinderäte geben und vielleicht auch noch differenzierte Strukturen. Am Anfang treffen sich bis zu einer Neuwahl die Vorstände der Pfarrgemeinderäte mit den hauptberuflichen pastoralen Mitarbeitern. Besondere Themen sind Zusammenarbeit im katechetischen Bereich, bei Taufe, Erstkommunion, Firm- und Ehepastoral, die inhaltliche und zeitliche Abstimmung der Gottesdienste und die Erarbeitung einer Vertretungsordnung. Ziel muss es dabei sein, dass im Urlaubs- und Krankheitsfall gegenseitige Hilfe aus der Nachbarschaft möglich ist, soweit das eben geht; außerdem ist etwa an gemeinsame Veranstaltungen, wie Ferienzeiten der Kinder und Jugendlichen, gedacht. Angestrebt wird auf Dauer auch ein zentrales Pfarrbüro. In allen einzelnen Pfarreien soll es Ansprechpartner geben. Die Zahl der Pfarrzentren muss überprüft werden. Normalerweise reichen ein bis zwei Pfarrzentren, evtl. müssen vor Ort Ansprechstellen selbstständig eingerichtet werden.

In bestimmten Situationen werden Pfarreien noch einige Jahre einen eigenen Pfarrer haben. Die zukünftigen Zuordnungen werden schon in Schritten so eingeführt, wie soeben beschrieben worden ist. Davon verschieden ist der Pfarreienverbund: In anderen Situationen sind die heutigen Pfarreien so groß, dass eine Pfarrgruppe aus heutiger Sicht nicht denkbar erscheint. Dennoch sollen auch diese Pfarreien sich stärker aufeinander zu bewegen und z.B. ihre Gottesdienstformen, Gottesdienstzeiten, Veranstaltungen, Wallfahrten, Jugendfreizeiten usw. auf-einander abstimmen. In diesem Zusammenhang muss natürlich auch von der Integration der Gemeinden anderer Muttersprache die Rede sein. Ich denke hier etwa an einzelne Gottesdienstelemente in der Muttersprache; andere sind mehr additiv mit einer deutschen Pfarrei zusammenzuführen im Sinne einer gemeinsamen Nutzung von Pfarrzentren.

Wir sind uns schon lange klar, auch schon in den früheren Phasen im Konsultationsprozess „Damit Gemeinde lebt“, dass wir eine viel stärkere Verknüpfung der territorialen und der kategorialen personalen Seelsorge brauchen. Das bedeutet eben, dass wir sehr viel Personal haben, besonders in der kategorialen Seelsorge - ob das jetzt Religionslehrer, Krankenhauspfarrer oder Gefängnisseelsorger sind - oder wer auch immer. Jedenfalls sind sie nicht primär an eine Pfarrei gebunden. Die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Gruppierungen lässt immer noch zu wünschen übrig. Da haben wir viele Reibungsflächen oder unter Umständen sogar ein Fehlen, ein Ausbleiben von Kommunikation und von konkreter Kooperation. Dies alles muss man noch sehr viel stärker ins Auge fassen.

Ein wichtiger Diskussionspunkt ist noch die Frage des Seelsorgerates. Er sollte aus den Pfarrgemeinderäten gebildet werden. Er setzt sich aus ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen. Dieses Gremium hat die pastorale Situation der Pfarrgruppe und des gesamten Pfarreienverbundes in den Blick zu nehmen. Hier gibt es ein nicht selten auftretendes Unbehagen, das man sorgfältig in den Blick nehmen muss. Zum einen befürchtet man eine Aushöhlung der Bedeutung der Pfarrgemeinderäte durch die Einführung eines Seelsorgerates. Auf der andern Seite hat man Sorge, ob allen ein arbeitsreiches neues Gremium zugemutet wird, das schließlich die Arbeit der Laien hier lähmt. Auf beides ist Rücksicht zu nehmen. Aber wenn wir überhaupt die neuen Strukturen einführen, dann müssen sie auch wirksam gelingen, gleichsam greifen. Ohne einen solchen Seelsorgerat, der für das neue pastorale Ganze die Mitverantwortung übernimmt, gibt es wahrscheinlich keinen Erfolg mit den neuen pastoralen Strukturen. Unsere Pfarrverbände sind ja oft daran gescheitert, dass alles, was wir vorgesehen hatten, unverbindlich geblieben ist, und dies trotz einer Pfarrverbandskonferenz. Darum brauchen wir ein Gremium, das die Impulse für die gemeinsamen Aufgaben aufgreift und verbindlich macht. Insofern führt kein Weg an so etwas wie ein Seelsorgerat vorbei. Man muss gewiss behutsam bei seiner Bildung vorgehen: Es darf im Ganzen nicht wesentlich mehr Sitzungen geben. Man kann ja auch vieles straffen. Es wird auch eine gewisse Dynamik geben von einem bescheidenen Anfang, der zugleich kraftvoll sein muss zu einer stärkeren Entfaltung der Möglichkeiten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass diese Zusammenarbeit, wenn sie glücken sollte, im Lauf der Jahre zu engeren Formen der Kooperation kommt. Wir haben im Bistum ja auch Beispiele, wo bisher selbstständige Gemeinden jetzt schon darum bitten, miteinander eine Fusion einzugehen, weil sie keine unnötige Doppel- oder Mehrfacharbeit vor Ort leisten wollen (Mainz-Mombach, Langen). Diese Entwicklung ist nicht zwangsläufig, aber wir wollen sie auch nicht ausschließen.

Im Grunde gilt dies natürlich auch für die Gestaltung der Gottesdienstangebote. Wir sind ja in den letzten Jahrzehnten viel zu sehr fixiert auf die Eucharistiefeier allein. Die Liturgie im Sinn der Eucharistiefeier ist und bleibt gewiss „Quelle“ und „Höhepunkt“ des christlichen Lebens und Betens; die Eucharistie hat eine herausragende Stellung, wie das Zweite Vatikanische Konzil in der Liturgiekonstitution (vgl. SC 10, bes. auch SC 47ff.) klar gesagt hat. Sie wurde vor über 40 Jahre verabschiedet. Aber es bleibt eben auch zu fragen, ob es nicht eine Verarmung an Gottesdienstformen gegeben hat in dieser Zeit. Andere Gottesdienstformen kann man sehr viel besser auf den Adressaten hin ausrichten. Man ist sehr viel freier und beweglicher in der Gestaltung. Freilich ist dies auch anstrengender. Aber wir können bei einer stärkeren Förderung nicht-eucharistischer Gottesdienstformen verschiedenen Personenkreisen und einzelnen Adressaten sehr viel gerechter werden, auch in missionarischer Hinsicht. Wir können vor allen Dingen auch die pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr viel wirkungsvoller einsetzen. Eine Laienpredigt ist in dieser Gottesdienstform überhaupt kein Problem, während eine solche innerhalb der Eucharistiefeier nach geltender Rechtslage zu Konflikten führt. In diesem Sinne können die Wort-Gottes-Feiern eine echte Hilfe sein, freilich unter Beachtung der Ausführungsbestimmungen.

Sie sehen, dass damit auf Dauer auch die Rätestrukturen tangiert sind, natürlich auch die Struktur der Verwaltung, der Pfarrsekretariate usw. Wir haben hier selbstverständlich auch zu berücksichtigen, dass die Gemeinden eine gewisse Nähe brauchen zu geistlichen Zentren. Wir haben dies im Bistum auf gute Weise erreicht, dass die Klöster sehr wichtig für Einkehrtage von Pfarrgemeinderäten, aber auch für die Einkehr einzelner Mitarbeiter und Mitarbeitergruppen sind – ob das die Abtei in Engelthal ist, die Missionsbenediktiner auf dem Jakobsberg, die Dominikaner in Worms, oder was immer es – vielleicht auch außerhalb des Bistums – in einigermaßen erreichbarer Nähe für ein Geistliches Zentrum ist. Selbstverständlich gehört das Exerzitienhaus der Diözese Mainz auf dem Rochusberg in Bingen dazu. Das hat sich alles sehr segensreich entwickelt.

VIII.Eigene Elemente in der Erörterung unserer Pfarrstrukturen

Ein kleiner Seitenblick auf die genannten Fragen und ihre Bewältigung in anderen Ländern scheint hilfreich. Die Franzosen haben in einer atemberaubenden Rasanz auf Diözesansynoden in vielen Diözesen die Zahl der Pfarreien drastisch reduziert, zum Teil auf die Hälfte, zum Teil sogar noch mehr. Das ist bei uns in dieser Form undenkbar. Dies hängt damit zusammen, dass die französischen Gemeinden, besonders auf dem Land, sehr viel kleiner sind als bei uns, dass sie sehr viel weniger Strukturen haben, sehr viel weniger Mitarbeiter. Der Priestermangel ist dort unvergleichlich größer, sodass vieles verwaist ist. Auf diesem Hintergrund hat man sehr radikale Konsequenzen gezogen. Man muss auch klar sehen, dass viele Pfarreien de facto nicht mehr existieren. Insofern ging dies leichter und ohne den Aufschrei, den die Auflösung auch nur einer einzigen Pfarrei bei uns oft bedeutet. Ob diese radikale Lösung auf Dauer eine Hilfe ist oder ob es auch die Preisgabe von ländlichem Territorium bedeutet, muss sich noch zeigen. Jedenfalls sage ich dies, weil wir sicher nicht mit solchen Mitteln arbeiten wollen, uns aber auch nicht die Frage ersparen können, ob da oder dort Pfarreistrukturen entstanden sind, die der Revision bedürfen.

Die Pfarrstruktur ist bei uns im Bistum demgegenüber sehr verschieden. Wir haben stabile ältere Pfarrstrukturen, auch in kleineren Gemeinden, besonders in Rheinhessen. Dadurch, dass die Heimatvertriebenen ziemlich intensiv in Oberhessen, aber auch im Odenwald zuzogen, gibt es dort Pfarreien, von denen wir als „Pfarreien“ sprechen, die aber im kirchenrechtlichen Sinn keine eigenständigen Pfarreien sind. Es sind dort eigentlich Pfarrrektorate, Kuratien, Filialen und dergleichen. Da ist vom Rechtlichen her gesehen eine Reduzierung der Gemeinden längst nicht so schwierig, allerdings schon in erheblichem Ausmaß – und dies ist bedeutend – vom Psychologischen her. Sonst ist es sehr schwierig, eine Pfarrei aufzuheben, wenn sie erst einmal als „Pfarrei“ errichtet ist. Wir haben jedenfalls im Bistum schon ein etwas leichtmaschigeres Netz an Pfarrstrukturen in zum Teil extremen Diasporagebieten, in denen man sich auch aus anderen Gründen fragen kann, ob man da und dort nicht auch zu einer gewissen Reduzierung kommen könnte. Unsere Nachbardiözesen, wenigstens die größeren, haben es schwerer, denn sie haben oft 1000 Pfarreien.

Das Ganze hängt gewiss auch mit finanziellen Überlegungen zusammen. Wir müssen damit rechnen, dass wir in den nächsten Jahren Mindereinnahmen verzeichnen werden. Das sind parallele und ähnliche Entwicklungen, wie sie staatlicherseits auch gegeben sind. Dies belief sich in der jüngsten Vergangenheit auf etwa 15%. Eine gewisse, nicht mehr so hohe Minderung wird bleiben, ganz unabhängig von Steuerreformen, deren Konsequenzen wir im Letzten noch nicht überblicken können. Es wirken sich natürlich auch langsam Strukturen aus, die man bisher vielleicht eher nur punktuell betrachtet hat. Wir haben längst nicht mehr die hohe Zahl von Kirchenaustritten. Vor Jahren waren wir einmal an der Grenze zu 8000 Katholiken, die pro Jahr ausgetreten sind. Jetzt hat sich das so etwa zwischen 4000 und 5000 eingependelt. Aber das ist pro Jahr eine große Gemeinde. Da soll man sich nichts vormachen. Über eine Reihe von Jahren ergibt das dann doch einen erheblichen Schwund. Damit dürfen wir uns nicht einfach abfinden. Wir haben jetzt sogar eine zusätzliche Chance, denn die Zahl der Eintritte, Wiedereintritte und Konversionen ist insgesamt in den letzten Monaten erheblich gestiegen. Dies ist eine Chance. Außerdem steigt die Zahl der nichtgetauften Kinder und Jugendlichen. Wenn Sie in manche Städte hineinblicken, in denen die Mobilität groß ist, ist erstaunlich, wie hoch die Zahl der Nichtchristen ist. Das sind nicht nur Ausländer mit muslimischem Glauben, sondern es sind in der Tat sehr viele Deutsche, die nicht getauft sind. Schauen sie etwa einmal nach Ingelheim und solche Städte, die eine große Mobilität haben, wie stark das dort zu spüren ist.

Dies hat natürlich schon eine Konzentration der Aufgaben als Denknotwendigkeit, aber auch als ganz reale Not zur Folge. Wir sollten freilich nicht immer nur die Schwierigkeiten beklagen, sondern wir sollten auch einmal sehen, dass sich da und dort auch die Chance ergibt, dass man unsere Aktivitäten auch im Sinne der Schwerpunkte und der Prioritäten etwas stärker profilieren und konzentrieren kann. Es kann ja durchaus auch heilsam sein, wenn man die eine oder andere Tätigkeit überprüft. Wenn man also in diese Schwierigkeiten gekommen ist, sollte man sie nicht einfach nur von der finanziellen Seite her und negativ sehen, sondern durchaus auch als einen Ansporn verstehen, das ganze pastorale Konzept zu überdenken.

IX.Nutzen und Last der kirchlichen Gebäude

Was wir im McKinsey-Prozess vielleicht am stärksten in dieser Hinsicht lernen mussten, ist die Frage der Belastung durch unsere Immobilien. Wir haben gesehen, dass wir ja ohnehin schon in den letzten Jahren einen großen Stau von Sanierungen vor uns herschieben, dass wir aber durch die Mindereinnahmen immer mehr gezwungen sind, den Bauetat einzuschränken und damit auch die Sanierungen. Wir sehen aber, dass aus verschiedenen Entwicklungen die Zahl der reformbedürftigen Immobilien steigt. Die Betonbauten, die z.B. vor 40 Jahren gebaut worden sind, haben einen hohen Sanierungsbedarf, sodass sich bei nicht wenigen Objekten die Frage stellt, ob man diese enormen Sanierungskosten überhaupt im Interesse des Ganzen wagen kann, oder ob man nicht besser daran tut, zur Miete überzugehen, Neubauten zu erstellen, oder manchmal sogar auch eine Einrichtung aufzugeben. Dies bereitet uns ziemlich viel Kopfzerbrechen. Ich bin aber froh, dass wir durch den McKinsey-Prozess auf das Gewicht dieser Frage gestoßen worden sind. Es war uns natürlich schon sehr stark bewusst, dass wir viele Sanierungen immer wieder verschieben mussten. Aber jetzt müssen bei den Mindereinnahmen zweifellos etwas radikalere Wege gegangen werden. Aus den anderen Diözesen hören wir, dass man eben auch daran gehen muss, die eine oder andere Kirche unter Umständen zu schließen. Sei es, dass sie anderen Zwecken nutzbar gemacht wird, wir sprechen hier von „Umnutzung“, sei es, dass es manchmal auch besser ist, sie wird abgerissen. Auch den Gemeinden sind diese Fragen nicht erspart. Wir helfen beratend.

Wir haben in der Bischofskonferenz ein Konzept für diese Umnutzung von Kirchen beschlossen. Ich war überrascht, dass z.B. auch in der Erzdiözese Köln, wo ja - verglichen mit unserem Bistum - die Zahl der Gemeinden auf einer verhältnismäßig kleinen Fläche liegt, in den letzten Jahren einige Kirchen umgenutzt worden sind. Bei uns kam das bis jetzt so gut wie nicht vor; es ist auch für die Menschen ein sehr schwieriges, psychologisches Problem. Wenn Menschen – gerade auch z.B. Heimatvertriebene – zu uns gekommen sind und mit eigener Hände Arbeit ihre Kirche aufgebaut haben, neu angefangen haben unter diesen Voraussetzungen, dann bedeutet dies auch heute noch eine tiefe Bindung: Da sind die Kinder getauft worden, da haben Menschen geheiratet usw. Hier ist natürlich nicht nur der emotionale Wert, sondern auch der mit der konkreten Lebens- und Glaubensgeschichte verbundene Rang einer solchen Kirche sehr hoch.

Diesen Problemen darf man nur mit höchster Feinfühligkeit nachgehen. Hier gibt es vor allem in den Medien Übertreibungen, die jede Umnutzung bereits als Rückgang und Niedergang von Kirche und Religiosität sehen. Mancher hat sich auch dazu verstiegen zu behaupten, diese Umnutzungen würden in hohem Maß nur auf katholischer Seite geschehen. Der Ratsvorsitzende, Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber, hat dies aufgegriffen. In Wirklichkeit hat eine Umfrage des Deutschen Liturgischen Instituts und der Arbeitsgruppe „Kirchliche Architektur und sakrale Kunst“ im Blick auf die letzten 14 Jahre ergeben, dass nur 1,66 % aller Kirchengebäude (ca. 25.000) eine andere Nutzung erfahren haben. Der Anteil von Kirchengebäuden, die in Zukunft für die Liturgie nicht mehr benötigt werden, wird sich unter 3 % bewegen. Dies gibt ein anderes Bild. Wir werden das vervollständigte Ergebnis der Umfrage veröffentlichen, dennoch ist mit höchster Sensibilität an die Frage der Umnutzung heranzugehen.

Wir werden in der nächsten Zeit der Frage der Immobilien sehr viel Aufmerksamkeit schenken müssen. Wir spüren natürlich auch, dass da und dort durchaus ein Interesse besteht, das eine oder andere Gebäude, das wir entbehren können, zu übernehmen. Aber den Interessierten – und dazu zählen auch Städte und Gemeinden – fehlt letztlich selbst das Geld, sodass sich hier große Verzögerungen ergeben. Die Entscheidungen, die dann anstehen, ziehen sich sehr in die Länge. So ist das gewiss auch ziemlich unbefriedigend.

X.Chance und Mut zur Erneuerung

Vieles kommt darauf an, wie man solche Entwicklungen wahrnimmt und mit ihnen umgeht. Ich glaube, man nimmt sie oft notgedrungen hin, man stöhnt, man reagiert sehr pragmatisch, man reagiert da und dort auch bitter, da und dort gleichgültig. Es gibt auch vieles, was dann zur Resignation führt. Ich denke, wir sollten die Probleme struktureller und finanzieller Reformen von den anfangs genannten grundlegenden Prioritäten her sehen. Dann haben wir auch sehr viel eher die Chance, dass wir bestimmten einzelnen Maßnahmen wirklich etwas Positives abgewinnen können. Nicht, um uns in einer falschen Weise Schein-Trost zu geben, sondern um wirklich konstruktiv, mit Elan und auch mit einem gewissen Schwung des Glaubens nach vorne zu gehen.

Wir sind in einer ausgesprochenen Übergangssituation, aber dies dürfte eigentlich für die Kirche nichts Neues sein. Dennoch haben wir uns in vielem, wie in unserer Gesellschaft überhaupt, eben doch etwas allzu sesshaft gemacht, vielfach zu sehr eingenistet und vielleicht zu wenig bedacht, dass die Kirche nicht nur immer eine feste Bastion oder Burg ist, sondern dass die Kirche eben auch pilgernde Kirche ist, dass sie immer wieder auch einzelne Hütten abbrechen muss und dann immer wieder unterwegs ist und sich neue Aufenthalte suchen muss. Sie darf sich nicht allzu sicher sein, mit dem, was sie hat. Sie muss eher darauf blicken, was sie ist, und was sie sein soll. Das Bild vom Zelt Gottes unter den Menschen sollte vielleicht sehr viel mehr Gewicht erhalten.

In diesem Sinn bin ich auch sehr dankbar, dass wir diese Fragen – Gott sei Dank – nicht allein in der Bistumsleitung, im Bischöflichen Ordinariat, behandeln müssen, sondern dass wir mit der sehr geschätzten, dankbar angenommenen Mitarbeit von so vielen Räten - auch Pfarrgemeinderäten und Verwaltungsräten auf der Ortsebene, rechnen dürfen. Dies gilt aber auch auf der Bistumsebene: Wenn ich von der Dekanekonferenz und dem Priesterrat, dem Pastoralrat, Katholikenrat, Ordensrat bis zum Kirchensteuerrat denke, dann können wir wirklich froh sein, dass wir gemeinsam überlegen, gemeinsam auch zu Entscheidungen kommen. Nun wird dies zusammengebündelt in der Diözesanversammlung. Dies gilt für jetzt, aber auch im Blick auf die Zukunft.

XI.Die nächsten Schritte in einem Netz umfassender Prioritäten

Am Ende sind mir einige Hinweise wichtig, die für den Horizont des Ganzen bedeutsam sind. Wir wollen einen relativ engen Zeitrahmen für die Bildung der pastoralen Einheiten vorsehen. Wenn alles sehr gut geht, könnten wir dann das Statut im Oktober 2006 bei der nächsten Diözesanversammlung verabschieden. Wir dürfen ja nicht übersehen, dass wir die Gesamtaufgabe schon seit vielen Jahren kennen. Wir hatten den Konsultationsprozess „Damit Gemeinde lebt...“ von 1994-1996. Es gab bereits im Jahr 1988 und im Jahr 1990 jeweils einen Tag der Pfarrverbände. Wir haben in allen Räten immer wieder über die Notwendigkeit der Weiterarbeit an diesen Fragen gesprochen. Ich habe 1995 ein Hirtenwort zur Österlichen Bußzeit zu diesem Thema veröffentlicht. Meine wichtigsten Beiträge sind in dem schon genannten kleinen Buch „Die Zukunft der Seelsorge in den Gemeinden“ gesammelt (Mainz 1995). Die Zentralen Leitlinien sind seit 1996 veröffentlicht.

Es kommt jetzt wirklich darauf an, dass wir zügig die konkreten Entscheidungen treffen. Schließlich haben wir eine Erprobungs- und Experimentierphase von vier Jahren bis 2009. In dieser Zeit bitten wir um die Rückmeldung der Erfahrungen. Bei einer Pfarrgemeinderatswahl 2007 sollen die neuen Strukturen umgesetzt werden. Ich möchte Sie jedoch einladen, bereits ab dem 1. Januar 2006 in den neuen pastoralen Einheiten zu arbeiten und immer mehr zusammen zu kommen. Es gilt nun, diese Strukturen mit Leben zu erfüllen, tatkräftig die notwendige Kooperation dafür auf- und auszubauen und auch die missionarische Dimension zu beschreiben. Wichtige offene Fragen werden wir bei der heutigen Sitzung der Diözesanversammlung weiter besprechen (Das Verhältnis von Seelsorgerat und Pfarrgemeinderat, Der Blick nach vorne: Vorstellung der Verlaufsplanung für die nächste Prozess-Phase).

Dies müssen wir auch noch aus einem anderen Grund tun. Wir müssen von den eher formalen Strukturfragen wieder stärker zu den Inhalten der Verkündigung kommen. Wir haben in der jetzigen Situation dafür auch eine besondere Chance. Die Menschen sind angesichts vieler Unsicherheiten sensibler für die Frage, aus welchen Kräften sich unser Leben speist. Es gibt zwar keine billige „Rückkehr der Religiosität“, aber wir haben Chancen, dass viele Menschen wieder eher auf die Stimme des Glaubens und der Kirche hörten. Wir dürfen die Chancen, die sich gerade in diesem Jahr 2005 dafür ergeben haben, nicht missachten.

Darum ist diese pastorale Planung eng verbunden mit einer neuen missionarischen Ausrichtung unserer Seelsorge. Das Bonifatius-Gedenkjahr, 1250 Jahre nach seinem Tod, hat uns 2004 dafür einige Anstöße gegeben (vgl. mein Hirtenwort „Missionarisches Zeugnis“ zur Österlichen Bußzeit 2004). Die Bischofskonferenz hat seit dem Jahr 2000, besonders seit dem Dokument „Zeit zur Aussaat“ und mit einer Reihe von Folgetexten , diesen missionarischen Aufbruch vorbereitet. Nun haben wir in einem umfangreichen Text vom Herbst 2004 „Allen Völkern Sein Heil. Die Mission der Weltkirche“ ein vertiefendes Grundsatzdokument vorgelegt .

Die Richtung ist damit eindeutig vorgezeichnet. Dieses Ziel ist ein ganz entscheidendes Element für die künftige pastorale Planung. Wir wollen in einem grundsätzlichen Aufbruch die Sendung der Kirche über sich hinaus lebendiger gestalten. Wir wollen Menschen, die in Distanz zur Kirche gegangen sind, zu der sie gehören, und manche, die ihr den Rücken gekehrt haben, neu ansprechen. Es gehört zum Christsein und damit erst Recht zu einer Gemeinde, dass sie sich mit der entstandenen Situation nicht abfindet, sondern über sich hinausgeht, um möglichst viele zu gewinnen bzw. wieder zu gewinnen.

Ein solcher Aufbruch gelingt ja nicht einfach durch die Schaffung neuer Strukturen. Auch der missionarische Aufbruch darf nicht für sich allein betrachtet werden. Darum habe ich in den letzten Jahren immer auch grundlegende inhaltliche Prioritäten genannt. Ohne dies wiederum im Einzelnen zu entfalten, darf ich die Schwerpunkte der Aktivitäten nochmals nennen: 1. Die Frage nach Gott als Grund aller Bemühungen, 2. Ungeteilter Lebensschutz, 3. Ehe und Familie, 4. Generationenpakt. Mit der Vertiefung dieser Schwerpunkte muss auch eine Neuausrichtung unserer Pastoral für die nächsten ein bis zwei Jahrzehnte erfolgen. Alles muss immer wieder der Vertiefung dienen. Stets geht es um die Stärkung der lebendigen, radikalen Mitte. Dies bedeutet selbstverständlich keinen Bruch mit dem, was die Kirche immer getan hat und auch heute tut. Aber im Rahmen der neuen Seelsorgestrukturen und eines wirklichen missionarischen Aufbruchs müssen wir auch die Grundvollzüge des christlichen und kirchlichen Lebens vertiefen und erneuern.

Dies werden wir nicht nur in einem ersten Anlauf bewältigen. Es gibt dabei mittelfristige und auch längerfristige Ziele. Manches ist noch kaum angesprochen, wie z.B. auch die Konsequenzen für den Dienst und die Lebensform der Priester , die Erfordernisse im Blick auf die Schulen und die Bildungsarbeit, das Gewicht der Jugendarbeit und der Schulpastoral, die enge Zusammenarbeit mit der verbandlichen Caritas, aber auch die Caritas als Aufgabe des Einzelnen und als Grundvollzug der Gemeinde. Es fehlt noch eine ausreichende Reflexion über Ort und Funktion der Orden und der geistlichen Gemeinschaften in diesem Netzwerk. Auch müssen wir noch die Konsequenzen für die ökumenische Zusammenarbeit formulieren.

Es kommt auf die Anfänge an. Ziemlich genau vor einem Jahr, am 29.11.2004, haben wir beim Tag der Priester und Diakone in Mainz (Erbacher Hof) zu Beginn eines neuen Kirchenjahres den Start durchgeführt. Heute, ein Jahr danach, können wir in der Diözesanversammlung so etwas wie eine erste Lesung durchführen. Ich danke Ihnen für Ihren vielfältigen Einsatz und bitte alle an den verschiedenen Wirkens-Orten und in den verschiedenen Lebensaltern um einen wirklichen Aufbruch zum Heil und Wohl der Menschen in unserem Bistum.

Lassen Sie mich schließen mit einem Bild, das ich auch noch in der Predigt am Ende unseres Tages etwas entfalten möchte. Aber es soll auch hier anklingen. Die neue Form unserer Zusammenarbeit beschreiben wir immer wieder auch gerne mit dem Wortfeld „Netz“ und „Netzwerk“. Es ist heute ein vertrautes Bild. Aus der Computerwelt haben viele einen Zugang zu dem Bild vom Netzwerk. Netzwerk steht für kurze und schnelle Wege. Netzwerk steht für Effizienz. Netzwerk ist ein Schlüsselbegriff heutiger Sozialarbeit und steht für vielfältige und wechselseitige Implikationen.

Schließlich ist das Netz auch ein biblisches Bild. Zwar gibt es vor allem im Alten Testament hier und da auch negative Apostrophierungen, aber im Neuen Testament wird das Netz zu einem Bild für das Reich Gottes. Bei Matthäus heißt es einmal im Blick auf die Apostel, die nicht nur Fischer waren, sondern auch Menschenfischer werden sollten, dass das Himmelreich einem Netz gleicht: „Weiter ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Netz, das man ins Meer warf, um Fische aller Art zu fangen.“ (Mt 13,47) Es ist ein Bild der Verheißung: Alle sollen die liebende Zusage Gottes erfahren dürfen. Vor diesem Hintergrund haben wir im Bistum auch das „Netzwerk Leben“ geschaffen. Niemand soll einfach eingefangen, viele aber aufgefangen werden! Die pastoralen Einheiten sollen wirklich so etwas wie ein pastorales Netzwerk sein und immer mehr werden. Wir wollen alle Gemeinden miteinander verknüpfen. Sie sollen ihre Stärken in das Ganze hineingeben. In ihren Schwächen sollen sie durch die anderen gehalten werden. Die institutionellen Elemente sollen uns bei der Bildung stabiler Bindungen helfen. Die Hauptberuflichen können so etwas wie Knotenpunkte darstellen. In ihnen bündeln sich viele andere Beziehungsstränge und Verknüpfungen. Aber sie sind dies nicht allein. Dies ist gerade die Chance eines Netzwerk, dass es unauffällig, aber wirksam alle miteinander verbindet.

 

(c) Karl Kardinal Lehmann 

Im Original sind eine Reihe von Fußnoten enthalten.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz