Dunkles Licht im Becher

Dankeswort nach der Verleihung des „Goldenen Winzer der Stadt Bad Dürkheim" am 9. Januar 2015

Datum:
Freitag, 9. Januar 2015

Dankeswort nach der Verleihung des „Goldenen Winzer der Stadt Bad Dürkheim" am 9. Januar 2015

Ich beginne mit einem Dank. Ich danke der Stadt Bad Dürkheim, Ihnen Herr Bürgermeister Wolfgang Lutz und allen von der Stadt her beteiligten Gremien für die Verleihung des „Goldenen Winzer der Stadt Bad Dürkheim" am heutigen Abend. Der Orden wird durch die Karnevalisten verliehen. Ich danke sehr herzlich dem Sitzungspräsidenten der Karnevalsgesellschaft „Derkemer Grawler e. V.", Herrn Horst Seitz, der mir im Juli 2014 die Mitteilung von der Ordensverleihung übermittelte, und der 2. Vorsitzenden, Frau Linda Wingerter, mit der ich alle weiteren Fragen in guter Übereinstimmung klären durfte. Ich danke aber auch Ihnen allen, die sich in verschiedener Form an der Verleihung, nicht zuletzt an diesem Abend, beteiligt haben.

Als kleines Zeichen meines Dankes möchte ich Ihnen etwas über die Wertschätzung des Weines in wohl fast allen Kulturen sagen, ganz besonders aber natürlich über den Wein in der Bibel. Ich bleibe bei meinem Handwerk.

Seit der Antike gehören der Weinbau und die Weinbereitung zum alten europäischen Kulturgut. Wenn die europäischen Völker ein Symbol suchen wollten, das sie alle miteinander verbindet, dann könnte es in der Tat die Rebe sein. Der Wein ist ein uralter Freund des Menschen auf einem schicksalhaften Gang durch eine lange Geschichte. Auch wenn die Archive uns nicht viel über die intime geschichtsträchtige Kraft des Weines in den Fürsten und Königs sowie Kaiserhöfen verraten, so spricht dies gewiss nicht gegen die geradezu weltgeschichtliche Bedeutung des Weines. Was ist beim funkelnden Wein nicht alles geschehen: Ausbrechen von Streit, Entstehen von Kriegen, Ringen um Friedensverträge, Reichen der Hände zur Aussöhnung. Es ist aber ein großer Trost, dass der Wein auch dem Volk nicht versagt war. Den kleinen Mann hat er immer ermuntert, ihm in der Mühsal des Alltags Zufriedenheit, ein bisschen Stolz und sicher auch oft den Rausch des Vergessens geschenkt. Vergessen wir die Kranken nicht, die der Wein geheilt oder denen er wenigstens Linderung verschafft hat. Die moderne Medizin empfiehlt ja bei vielen Krankheiten das berühmte Viertel Wein am Abend jeden Tages, freilich immer mit Maß.

Auch die Bibel belegt uns, dass der Weinstock zu den ältesten Kulturpflanzen gehört, die bis in vorgeschichtliche Zeiten zurückverfolgt werden können. Dabei ist der Wein nicht nur Mittel für das menschliche Genießen, sondern auch Bestandteil des Kults. Er spielt eine vielfache Rolle im Opferwesen und bei den kultischen Festmahlen. Die Bedeutung des Weines wird auch dadurch angezeigt, dass Noah, der Stammvater der neuen Menschheit, zugleich erster Weinbauer war (vgl. Gen 9,20). Im Alten Testament wird der Lobpreis des Weines gesungen. Der Wein erfreut über alle anderen Getränke hinaus besonders den Menschen (vgl. Ri 9,13). Wein in Fülle gilt als besonderer Segen Gottes (vgl. Gen 27,28.37).Der Weisheitslehrer setzt „Wein" mit „Leben" gleich. Der Genuss des Weines hat etwas zu tun mit der Kraft der Weisheit: „Kommt, esst von meinem Mahl, und trinkt vom Wein, den ich mische." (Spr. 9,5) „Wein und Bier erfreuen das Herz, doch mehr als beide die Freundesliebe." (Sir 40,20) Schließlich wird der Wein zum Sinnbild für die kommenden Heilsgüter. Der Wein ist ein Symbol für das Heil und für den Frieden der Völkerwelt (vgl. Dt 32,33). „Der Herr der Heere wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen." (Jes. 25,6)

Die Bibel weiß aber auch um das Verhängnis des übermäßigen Genusses. „Weh euch, die ihr schon früh am Morgen hinter dem Bier her seid und sitzen bleibt bis spät in die Nacht, wenn euch der Wein erhitzt." (Jes. 5,11) Immer wieder gibt es Warnungen für den, der dem Wein verfällt: „Ein Zuchtloser ist der Wein, ein Lärmer das Bier; wer sich hierin verfehlt, wird nie weise ... Der Not verfällt, wer Vergnügen liebt, wer Wein und Salböl liebt, wird nicht reich." (Spr. 20,1; 21,17; vgl. auch Sir 19,1 ff)

Ähnlich ist dies auch im Neuen Testament. Dort kennt man den Wein als Heilmittel: „Trinkt nicht nur Wasser, sondern nimm auch etwas Wein, mit Rücksicht auf deinen Magen und deine häufigen Krankheiten." (1 Tim 5,23) Aber gerade auch die Amtsträger, z.B. Bischof und Diakone, werden gewarnt, sich dem Wein hinzugeben (vgl. 1 Tim 3,3. 8). Aber die Mahnung gilt für alle Menschen (vgl. Tit 2,3 und 1 Petr 4,3). Verderbliche Wirkungen werden aus der täglichen Erlebenserfahrung aufgezählt: Die Trunkenheit lässt den Menschen taumeln und wanken (vgl. Ps 107,27), sie verursacht Übelkeit (vgl. Jes 28,8; Jer 25,27), trübt die Augen (vgl. Spr 23,29), bringt Bewusstlosigkeit (vgl. Jer 51,39.57), weckt Leichtsinn und Spötterei (vgl. hos 7,5), steigert den Zorn (vgl. Sir 31,30), mindert die Schamhaftigkeit (vgl. Klgl 4,21), raubt den Verstand (Hos 4,11), lässt die Trinker verarmen (vgl. Spr 23,21) und macht Menschen mit Verantwortung für andere unfähig zur Ausübung ihres Amtes (vgl. Spr 31,4 f). Die Enthaltung von Wein war jedoch etwas Ungewöhnliches. Sie bezog sich vor allem auf Wein, der in irgendeiner Beziehung zum heidnischen Kult stand (vgl. Hos 2,10 ff, Dtn 32,38; Dan 1,8). Amtierenden Priestern war der Genuss von Wein verboten (vgl. Lev 10,8 11).

Johannes der Täufer liegt in gewisser Weise auf der Linie einer solchen Aszese, wenn er sich ganz des Weines enthält (vgl. Lk 1,15; 7,33). Im Unterschied zum Täufer hat Jesus Wein getrunken (vgl. Mt 11,19; Lk 7,34). Aber weder Johannes der Täufer noch Jesus können es allen recht machen: Er gilt nun als Fresser und Säufer, wörtlich eigentlich „Weintrinker". Jesus selber rechtfertigt sein Tun mit dem Hinweis: Solange der Bräutigam da ist, ist die Zeit der Freude (vgl. Mk 2,18 ff). Zugleich zeigt Jesus mit dem Bild des Weines, dass das Neue, das er bringt, unvereinbar ist mit dem Alten. „Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche. Sonst zerreißt der Wein die Schläuche; der Wein ist verloren und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuer Wein gehört in neue Schläuche" (Mk 2,22). Möglicherweise liegt der Sinn des Weinwunders bei der Hochzeit zu Kana (vgl. Joh 2,1 11) in einer ähnlichen Richtung: Das Gegenüber von Wasser und Wein zeigt an, was Jesus an Neuem gebracht hat und wie er das Alter überbietet.

Schließlich ist das letzte Mahl Jesu nicht denkbar ohne den Wein im Kelch, über den Jesus das Segenswort sprach. Gerade in diesem Zusammenhang blickt Jesus auf die Vollendung des Reiches Gottes und sagt: „Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes." (Mk 14,25) Wiederum wird deutlich, wie sehr der Wein zu den endzeitlichen Heilszeichen gehört.

Der Wein ist Symbol. Er ist eine besonders reine, durchsichtige, auf den Schöpfer hin transparente Kreatur. Hölderlin sprach vom dunklen Licht im Becher. In Jesu Abendmahlshandeln gewinnt der Wein seine tiefste Bedeutung und birgt das Geheimnis des Lebens und Sterbens Jesu in sich. „Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern, und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird." (Mk 14,23 f) Der Wein wird zum Sinnbild für das Blut, das heißt für die ganze menschliche Existenz Jesu, der bald Gewalt angetan wird. Den Wein vor der Kreuzigung, der mit Myrrhe gewürzt ist, lehnt Jesus freilich ab. Er möchte sich in dieser Stunde nicht betäuben lassen.

Damit sind wir bei einem letzten Sinn des Weines in der Schrift angelangt, der nicht ganz fehlen darf. Der Becher mit Wein in der Hand Gottes ist auch ein Bild für das Gericht. Wenn Gott dem Volk Wein zu trinken gibt, legt er ihm etwas Hartes auf. „Du hast dein Volk hart geprüft, du gabst uns betäubenden Wein zu trinken" (Ps 60,5). Der Becher des Herrn offenbart auch die ganze Bitterkeit und Ungerechtigkeit in der Welt, die aufgedeckt werden müssen und kein Erbarmen verdienen (vgl. Jer 49,12; Ez 23,31 ff; Hab 2,16; Klgl 4,21; Jer 13,12 ff; 25, 15 ff). Auch diesen Kelch nimmt Jesus zu sich in seinem Leiden. Es ist nicht zufällig, dass Jesu Passion immer wieder auch mit dem Motiv der Kelter verbunden ist. Wir sehen es am besten in den mittelalterlichen Bildern: Der die Trauben stampfende Heiland wird selbst vom Kelterbalken, Sinnbild für das Kreuz, niedergepresst, um mit seinem Blut die Menschheit zu erlösen. Erst recht wäre an das wichtige Bild vom Weinstock und den Reben zu erinnern (vgl. Joh 15).

Brechen wir hier ab. Von den ersten bis zu den letzten Seiten begleitet das Symbol des Weines den Weg der Bibel. So spricht gerade die Offenbarung vom Trinken des „Weines des Zornes Gottes, der unverdünnt im Becher seines Zorns gemischt ist" (Offb 14,10). Die Bibel enthält eine ganze Natur und Kulturgeschichte des Weins. Aber in der Mitte aller Aussagen steht die Überzeugung, dass der Wein eine besonders köstliche und kostbare Gabe der Schöpfung ist. Er wird jedoch nicht nur zusammen mit Brot und Öl zu den elementaren Lebensbedürfnissen des Menschen gezählt (vgl. Dtn 8,7 ff), sondern er soll auch das oft mühselige Leben des Menschen steigern. Der Wein ist Gabe und Werk des Schöpfers, der durch dieses Geschenk den Menschen glücklich und zufrieden machen will. Der Wein ist dem Menschen zur Tröstung über der Mühsal seiner Arbeit gegeben (vgl. Gen 5,29; 9,20). Dabei geht es nicht nur um den einzelnen Menschen. Es ist der Inbegriff eines in Gottes Güte geglückten Lebens, wenn ein jeder ohne Angst und Schrecken unter seinem Weinstock und Feigenbaum sitzen und friedlich seine Nachbarn einladen kann (vgl. 1 Kön 5,5; Mi 4,4; Sach 3,10).

So lädt uns der Wein ein, über unser ganzes Leben nachzudenken. Auch in einer oft grausam entstellten Welt erweist sich Gott von Tag zu Tag als Schöpfer. Der Wein ist von Jahr zu Jahr ein Zeugnis für diese Güte. Darum sagt die Schrift an der vielleicht schönsten Stelle, wo sie gleichsam zusammenfassend über den Wein spricht, dass er „das Herz des Menschen erfreut" (Ps 104,15). Den Menschen ist der Wein gegeben, um Freude zu bringen.

Mit diese Besinnung auf die Köstlichkeit, aber auch die Verführbarkeit des Weines wollte ich Ihnen herzlich danken. Wir dürfen alle froh sein, dass wir in einer Region, und hier besonders am Rhein, in der Pfalz, ja hier in Bad Dürkheim leben und wohnen dürfen, wo der Wein seit mehreren Jahrtausenden zur Kultur gehört. So wird auch verständlich, warum der Wein und der Karneval zusammengehören wie Geschwister oder Zwillinge. Dies zeigt sich ja auch bei der Entstehung, der Konzeption und der jeweiligen Verleihung des Ordens „Goldener Winzer der Stadt Bad Dürkheim" durch die Karnevalsgesellschaft „Derkemer Grawler". Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen allen und der ganzen Stadt für das Jahr 2015 Gottes Segen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz