Ehe und Familie

Ein Blick in die Koalitionsvereinbarung

Datum:
Samstag, 19. Oktober 2002

Ein Blick in die Koalitionsvereinbarung

Gastkommentar in der Mainzer Allgemeinen Zeitung v. 19.10.2002

Im Vorfeld der Wahlen zum Bundestag, während der unmittelbaren Auseinandersetzungen und jetzt auch in der Koalitionsvereinbarung fiel immer wieder auf, wie die Parteien sich in familienpolitischen Initiativen regelrecht übertreffen wollten. Dabei lag diese Programmatik nicht immer schon so deutlich auf ihrer Linie.

Nun soll gar nicht bestritten werden, ganz im Gegenteil, dass dies eine durchaus zu begrüßende Tendenz war. Das Bundesverfassungsgericht hatte ja eine Reihe von Aufgaben gestellt, die noch nicht erledigt waren. Der demografische Niedergang, zumal im Vergleich mit manchen Nachbarstaaten, rief nach einer kräftigen Unterstützung für kinderwillige Paare. Dies konnte man aber wirklich nur erreichen, wenn besonders für die Frau die Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel stärker gefördert werden konnte. In diesem Sinne war eine intensivierte Familienpolitik in vielen Augen auch eine verbesserte Frauenpolitik.

Wenn man die nun verabschiedete Koalitionsvereinbarung 2002-2006 genauer betrachtet, findet man in der Tat sehr viele Programmpunkte und Absichtserklärungen in dieser Richtung. Dies kann man im Grundsatz nur begrüßen. Freilich muss man sich auch fragen, was am Ende wirklich positiv und konkret für die Familie herausspringt. Schließlich kommen einem bei den zahlreichen Einzelpunkten auch Zweifel, ob das demografische Grundproblem für unsere Gesellschaft wirklich als eine tragende, durchgehende Perspektive erfasst ist und die vielen Einzelbestimmungen leitet. Immerhin gibt es Überschriften wie „Kinderfreundliches Land ...", oder „Kinder und Familien im Zentrum".

Ähnlich wie in der letzten Koalitionsvereinbarung, ja noch eindeutiger wird der Familienbegriff bestimmt: „Unser Familienbegriff ist so vielfältig wie die Lebensumstände der Menschen: Familie ist für uns, wo Kinder sind. Uns geht es um die Kinder und die Eltern – unabhängig davon, in welcher Lebensgemeinschaft sie zusammen leben. Familien halten unsere Gesellschaft zusammen." Für die künftige Politik ist darum „ein bedarfsgerechtes und verlässliches Betreuungsangebot für Kinder bis 16 Jahre ... oberstes Ziel."

Es fällt dabei auf, dass bei dieser sehr grundsätzlichen Öffnung des Familienbegriffs auf alle Lebensformen hin so gut wie nie von der Ehe die Rede ist. Die Versuche, im Steuerrecht das Ehegattensplitting grundlegend zu ändern, machten schon etwas hellhörig. Bei der zitierten Einschätzung, dass die Formen der Lebensgemeinschaft in der Familie gleichwertig oder gar gleichgültig sind, ist dies nicht überraschend. Schließlich hat auch die Gesetzgebung zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft und ihre weitgehende Bekräftigung durch das Bundesverfassungsgerichturteil vom 17. Juli 2002 (die Minderheitsvoten sind jedoch nicht zu vergessen!) dazu beigetragen, den im Grundgesetz gewährleisteten besonderen Schutz für Ehe und Familie faktisch zu untergraben.

Unsere Verfassung hat jedoch eine objektive Wertentscheidung für die Ehe und die Familie getroffen. Beide Institutionen werden eigenständig oder in ihrer Zusammengehörigkeit geschützt. In den neuen Tendenzen aber besteht jedoch zunehmen die Gefahr ihrer Einebnung im Vergleich zu anderen Lebens- Sozialformen. Der heutige Staat wird den bestehenden Trend zu einer weiteren Individualisierung als Entscheidung vieler Bürger zwar respektieren, aber er darf ihn nicht zum Schaden anderer Gemeinschaftsformen fördern. Es darf darum auch nicht verwischt werden, dass es durchaus nicht nur eine sinnvolle, sondern eine normative Entscheidung ist: Ehe stiftet Familie. Gerade bei der vielfältigen Bedrohung der Ehe darf man dies nicht übergehen. Wir müssen vor allem die Jugend ermutigen, die Zusammengehörigkeit von Ehe und Familie als eine bleibende Errungenschaft wieder neu zu entdecken.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz