Ehe zwischen Kirche und Staat

Zur Diskussion über eine neue Regelung

Datum:
Donnerstag, 4. September 2008

Zur Diskussion über eine neue Regelung

Gastkommentar für die Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" im September 2008

In letzter Zeit hat eine gesetzliche Neuordnung, die ab 1. Januar 2009 in unserem Land gültig wird, ziemlich Aufsehen erregt. Es geht um das Inkrafttreten des erneuerten Personenstandsgesetzes, das aus dem Jahr 1875 stammt. Es hat u.a. bestimmt, dass eine wirksame Ehe nur zustande kommt, wenn die Eheschließung vor dem Standesbeamten stattgefunden hat. Es war verboten, vor der staatlichen Eheschließung kirchlich zu heiraten. Bis Mitte der 50er Jahre war dieses Verbot auch mit einer Strafandrohung verbunden. Einige Geistliche mussten im Lauf der Zeit auch ins Gefängnis, weil sie dennoch eine Trauung vornahmen. Seit 1957 war ein Verstoß dagegen lediglich eine Ordnungswidrigkeit, die noch nicht einmal immer mit einem Bußgeld belegt wurde.

In dem vorgesehenen neuen Personenstandsrecht ist nun auch eine kirchliche Ehe ohne alle diese Voraussetzungen möglich. Es gibt keine Vorschrift mehr, dass einer kirchlichen Trauung stets eine Zivilehe vorausgehen muss.

Es ist zunächst verständlich, dass viele geradezu gejubelt haben, dass die von Bismarck eingeführte Regelung aus dem Kulturkampf, die damals sicher ein Instrument zur Knebelung der Kirche war, endlich fallen wird. Freilich wurden auch bald Erwartungen daran geknüpft, die etwas wirklichkeitsfern sind. So glaubten einige, dass nun, ähnlich wie dies in manchen südeuro-päischen Staaten der Fall ist, die kirchlich geschlossene Ehe mit bürgerlichen Wirkungen versehen wird und auch vom Staat in diesem Sinne anerkannt werden kann. Die Geschichte der Eheschließungsformen ist außerordentlich differenziert. Es gab freilich eine in der Aufklärung besonders erstarkte Tendenz, dass der Staat sich eine ausschließliche Kompetenz im Eherecht erkämpfte und durchsetzte. Die Französische Revolution verstärkte dies.

Es ist bekannt, dass in den vergangenen Jahrzehnten in einzelnen begrenzten Fällen die Möglichkeit bestand, dass Paare, die aus verschiedenen Gründen keine Ziviltrauung eingehen wollten, eine rein kirchliche Trauung, z.B. in Österreich, geschlossen haben. Ich brauche hier nicht die einzelnen Fälle darzulegen, die zu einem solchen Vorgehen führten, z.B. der Verlust der Rentenansprüche bei einer Ziviltrauung, (Waisen- und Witwenrente, „Ehekonkubinat", „Onkelehe").

Wer sich nun über die völlige Selbstständigkeit der Kirche freut, der muss allerdings die Wirkungen einer rein kirchlichen Trauung ohne vorhergehende Zivileheschließung bedenken. Dies geschieht bis jetzt wohl zu wenig. Solche Personen

  • gelten nach staatlichem Recht als unverheiratet,
  • haben gegenseitig keine gesetzlichen Unterhaltsansprüche,
  • dürfen keinen gemeinsamen Familiennamen führen,
  • werden im Steuerrecht wie Unverheiratete behandelt,
  • haben vor Gericht keine Zeugnisverweigerungsrechte.
  • Gemeinsame Kinder werden vom staatlichen Recht als Kinder unverheirateter Eltern angesehen.

Diese Liste ist gewiss nicht vollständig. Sie zeigt aber, was es in unserer heutigen Gesellschaft bedeutet, wenn die kirchliche Trauung keine rechtlichen Wir-kungen im staatlichen Bereich entfaltet. Bei nüchterner Betrachtung kann man also beim besten Willen - von einzelnen Ausnahmesituationen abgesehen - eine solche rein kirchliche Trauung nicht empfehlen. Dies gilt besonders in Hinsicht auf die materielle Fürsorge für den Ehepartner. Der Kirche kann es nicht gleichgültig sein, dass auch die bürgerlich-rechtlichen Verhältnisse ihrer Mitglieder wohlgeordnet sind, so weit dies eben möglich ist

Man muss also deutlich sehen, dass sich in diesen 130 Jahren seit Bismarcks Gesetzgebung die Situation gründlich geändert hat. Die Kirche wird also zunächst einmal allen, die eine kirchliche Trauung ohne Zivileheschließung erwarten und verlangen, sehr deutlich die Wirkungen bzw. Nicht-Wirkungen vor allem im bürgerlichen Raum aufzeigen müssen. Auch wenn die Kirche in der sakramentalen Ehe die Verwirklichung von Ehe schlechthin erblickt, so ist ihr gerade heute, neben dem Wohlergehen Einzelner, die öffentlich-rechtliche Ordnung von Ehe und Familie keinesfalls gleichgültig. Hier ist Artikel 6 unseres Grundgesetzes niemals zu vergessen: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung." (GG, Art. 6, Abs. 1). Die vielen „Ehen ohne Trauschein" und die Tatsache, dass viele Kinder außerhalb von rechtlich ver-fassten Ehen geboren werden, raten - ohne Blick auf die so genannten „Homo-Ehen" - dazu, die staatliche Sorge um Ehe und Familie nicht zusätzlich und gewiss ungewollt von innen mit auszuhöhlen.

Damit ist das Thema noch nicht erschöpft. Es bedarf gerade auch bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zu Beginn des nächsten Jahres von kirchlicher Seite aus noch mancher Klärungen, besonders an die Adresse der Pfarrer. Die ökumenische Dimension, die ich an dieser Stelle nicht behandeln kann, kommt mit ins Spiel. Wir müssen also die Menschen auch gegenüber falschen Erwartungen an eine rein kirchliche Trauung aufklären und schützen. Dann wird sich faktisch an dem bisherigen „Modell", nämlich kirchliche Trauung mit vorausgehender Zivileheschließung, nicht so viel ändern, auch wenn wir froh und dankbar sind, dass der Kulturkampfparagraf gefallen ist.

Viel dringender und wichtiger ist der Einsatz für das Eingehen einer Zivilehe, die im Übrigen einer größeren theologischen Beachtung bedarf, und ganz besonders für das Gewicht der kirchlichen Trauung. Die kirchlichen Eheschließungen haben in den vergangenen Jahren und bis in die jüngste Zeit hinein, auch unter Katholiken, dramatisch abgenommen. Darin liegt eine der wichtigsten pastoralen Prioritäten der unmittelbaren Zukunft.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz