Ehre dem Handwerk - auch in der Ökumene

Auf ein Wort

Datum:
Montag, 1. November 1999

Auf ein Wort

Es war ein wichtiges Datum, dieser letzte Reformations-Gedenktag in diesem Jahrtausend. Hoffentlich bewährt sich die Vereinbarung von Augsburg 1999.

Es wird manche Nachbetrachtung geben zu dieser feierlichen Unterzeichnung und zu manchem, was sich am Rande mehr oder weniger glücklich dazugesellt hat. Vieles kann man vergessen, jetzt kommt alles darauf an, daß die Gemeinsame Erklärung mit Leben erfüllt wird.

 

In diesen Tagen fiel mir ein manchmal schwer erträgliches Defizit an Theologie auf, und zwar bei Befürwortern sowie bei Gegnern der Augsburger Vereinbarung. So himmelweit sie in ihren Sachpositionen oft auseinander sind, eines ist ihnen manchmal dennoch gemeinsam: nämlich eine große Dürftigkeit an gediegener Theologie.

 

Ich kann nur staunen, wie oft man von evangelischer Seite eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen dem Augsburger Dokument und der Rede vom Ablaß, vor allem durch Papst Johannes Paul II., feststellen wollte. Nicht bloß eine kleine Unfreundlichkeit im Zusammenhang der historisch zu nennenden Unterzeichnung, sondern allen Ernstes eine grundlegende theologische Unverträglichkeit. Wer Ablaß sagt, darf jedoch nicht nur an Ablaßhandel denken.

 

Fast gleichzeitig kamen mir in Augsburg "Fünf Antithesen zur Rechtfertigungserklärung" einer "Vereinigung der Initiativkreise katholischer Laien und Priester im deutschen Sprachraum" in die Hände. Sie vertreten die Meinung, die Gemeinsame Erklärung enthalte für den Katholiken im entscheidenden Passus "einen Irrtum, der nicht von der katholischen Kirche unterschrieben werden dürfte".

 

Nichts gegen ernsthafte Einwände. Was dann in den Antithesen jedoch formuliert wird, geht über den üblichen Tenor der wechselseitigen Verurteilungen nicht hinaus. In jedem Dogmatik-Lehrbuch und in jedem Katechismus, auch im "Katechismus der Katholische Kirche", kann man es besser nachlesen.

 

Diese Situation auf beiden Seiten hat mich erschreckt. Man kann sich heute wahrhaftig in vielen theologischen Nachschlagewerken recht gut über den Stand einer Sache informieren (vgl. z.B. den Artikel "Ablaß" im Lexikon für Theologie und Kirche I, Freiburg 1993, 51 - 59). Man darf aber auch nicht über den Ablaß auf katholischer Seite heute reden, ohne die große Ablaßkonstitution Papst Paul VI. ("Indulgentiarum doctrina" vom 1.1.1967) und die entsprechenden theologischen Arbeiten von B. Poschmann, Ch. Journet, besonders aber K. Rahner und O. Semmelroth zur Kenntnis zu nehmen, um nur diese zu nennen.

 

Im übrigen hat, wie immer wieder darauf hingewiesen wurde, Papst Johannes Paul II. in seinen verschiedenen Einladungsschreiben zum Heiligen Jahr, z.B. in "Incarnationis mysterium", in einem sorgfältig bedachten Gesamt-Kontext biblischer Umkehr, des Bekenntnisses vielfacher Schuld, des Menschen als eines Pilgers, der Erneuerung von Buße und Beichte, der Solidarität mit den Völkern der Dritten Welt und vieler Formen der Nächstenliebe sehr behutsam vom Ablaß gesprochen. Zusammen mit den neueren theologischen Untersuchungen kann man dies nicht einfach ignorieren. Wie (un-)verantwortlich wird in der Ökumene theologisch bei uns geredet?

 

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Ich bin froh über alle, die sich - ohne Experten sein zu müssen - um theologische Erkenntnis bemühen. Der Glaube ist nicht bloß eine Sache der Fachleute. Aber nicht jeder und jede, mit oder ohne Studium der Theologie, muß öffentlich zum Besten geben, was heute nicht einmal für den persönlichen theologischen Haushalt genügen kann, und erst recht einem seriösen theologischen Gespräch ohnehin in keiner Weise standhält.

 

Wer sich auf dem Feld der Ökumene in theologischer Absicht öffentlich äußern will, muß seine Kompetenz bedenken. Ich bin mir dabei schon bewußt, daß es nicht nur auf die wissenschaftliche Theologie ankommt, sondern daß es auch andere Formen theologischer und spiritueller Einsicht gibt. Wer sich jedoch nicht um den Stand theologischer Erkenntnis bemüht (das ist nicht identisch mit der neuesten theologischen Mode!) und in verkürzter Weise öffentlich theologisch mitzureden versucht, schadet dem Ringen um die Wahrheit des Glaubens und die Einheit der Kirche. Die Ökumene braucht das beste theologische Engagement. Sonst wird sie zum Schaden aller lächerlich.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz