Eile mit Weile

Zum Stil öffentlicher Beratungsgremien

Datum:
Samstag, 1. März 2003

Zum Stil öffentlicher Beratungsgremien

Gastkommentar in der Mainzer Allgemeinen Zeitung am 1. März 2003

Die Beratung elementarer Fragen unserer gesellschaftlichen Ordnung wird immer schwieriger. Man denke nur an die Sozialsysteme und besonders an die Rentenfrage und die Gesundheitspolitik. Wenn man nur auf die begrenzte Regierungszeit schaut, ist die Gefahr einer Verschiebung der Probleme mehr als naheliegend. Um so dringlicher und drängender wird jeweils die notwendige Entscheidung.

 

Es sind aber auch die wachsende Dichte der Probleme und die zunehmende Pluralisierung der Meinungen und Erwartungen, die das gemeinsame Finden von Lösungen erschweren. Es gibt keine einfachen Antworten mehr. Man kann auch nicht mit einem forschen politischen Willen diese Komplexität vereinfachen. Konsequenz ist etwas anderes. Eine nicht ganz unproblematische Entwicklung geht auch dahin, dass die Parteien, Fraktionen und Parlamente nicht selten vor diesen Schwierigkeiten kapitulieren. Angeblich braucht man ganz neue Beratungsgremien, um zu Lösungen zu kommen. Dies gelte besonders für Themen, die in den heiklen Bereich der Ethik hineinreichen.

 

Aber dabei bleibt es nicht. Man gewinnt in der Politik immer stärker den Eindruck, dass man für sehr viele dieser schwierigen Gestaltungsprobleme der Gesellschaft eigene Arbeitsgruppen und Kommissionen schafft, die nicht in einem strengeren Sinne demokratisch legitimiert sind. Man versucht dabei zwar eine gewisse Repräsentanz der gesellschaftlichen Kräfte, der politischen Parteien und der wissenschaftlichen Tendenzen zu erreichen. Aber die politische Inszenierung ist am Ende nicht zu verkennen. Je mehr Gremien schließlich für die Fragen zuständig und mit ihnen befasst sind, um so mehr muss man ständig wieder neue sogenannte Koordinationsmechanismen schaffen.

 

Ich will gar nicht behaupten, dies wäre grundsätzlich und von vornherein ein verfehlter Weg. Hier gibt es unleugbare Strukturprobleme der modernen Demokratie. Aber eine Vorbedingung des Gelingens solcher Arbeitsweisen muss kritisch angesprochen werden: Solche Beratungsgremien sollten zunächst einmal in aller Ruhe und auch in einer gewissen Abgeschiedenheit ihre Arbeit tun. Ich rede damit weder einem Elfenbeinturmdenken noch einer Geheimhaltungspolitik das Wort. Aber diese Gremien unterscheiden sich oft nicht von den Organen der übrigen politischen Meinungsbildung, die um die Zustimmung der Menschen kämpfen müssen. Es ist jedoch fatal, wenn die Mitglieder solcher Beratungsgremien nicht für eine gewisse Zeit der ernsthaften Diskussion sich mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten können. Viele meinen, ihre eigenen Denkansätze anstatt zuerst in die internen Beratungen einzubringen, auf den Markt werfen zu müssen. Dies erhöht nicht das Ansehen der entsprechenden Personen und erst recht nicht der oft rasch angebotenen Waren. Gerade von solchen Gremien muss man auch öffentliche Zurückhaltung erwarten, bis sie wirklich solide Lösungsvorschläge anbieten können, die durchdacht sind und die auch bei aller Kompromissbereitschaft konsequent vertreten werden.

 

Es wäre gut, das alte Sprichwort zu beherzigen: Eile mit Weile!

 

 

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz