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Zum Tod von Paul Spiegel

Datum:
Sonntag, 21. Mai 2006

Zum Tod von Paul Spiegel

Paul Spiegel, der am 30. April nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 68 Jahren starb, war der dritte Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland während meiner Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Heinz Galinski und Ignatz Bubis haben die Vertretung der jüdischen Mitbürger in Deutschland lange geführt. Paul Spiegel war dies nur knapp sieben Jahre lang möglich. Aber er hat diese Zeit mit allen seinen Kräften und Fähigkeiten genutzt.

Er wird wahrscheinlich der letzte Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland gewesen sein, der unmittelbar an seiner eigenen Person noch die nationalsozialistischen Verbrechen erfahren hat. Wenn man ihm gegenübersaß und mit ihm sprach, konnte man dies nie vergessen. Sonst kommen uns diese millionenfachen Verbrechen eher abstrakt vor. Hier begegnete man einem Menschen, der ein authentischer Zeuge war für das, was mancherorts immer noch verharmlost oder gar geleugnet wird.

Ich habe diese Menschen jüdischer Herkunft wie Ignatz Bubis und Paul Spiegel – viele andere kommen noch hinzu – auch deshalb geschätzt, weil sie trotz der ungeheuerlichen Gräuel der Nazis, die ihnen oft die ganze Familie wegnahmen, nach dem Krieg wieder in das zerstörte Deutschland zurückkamen, es mitaufgebaut und wirklich auch nach den schlimmen Schandtaten, die von hier ausgegangen waren, als ihre Heimat verstanden haben. Dies dürfen wir nie vergessen.

Viele konnten in diesen Tagen wieder hören, dass der junge Paul Spiegel – er war bei Kriegsanbruch zwei und am Kriegsende acht Jahre alt – mit seiner Mutter in einem katholischen Bauernhof Belgiens überlebte. Öfter hat er mir davon erzählt. Außer der Bauersfamilie wusste wohl nur der Pfarrer am Ort, dass die Spiegels jüdischer Herkunft waren. Paul Spiegel ging auch in den Sonntagsgottesdienst der Gemeinde, zumal er so auch etwas untertauchen konnte und dadurch eine gewisse Tarnung hatte. Als er nach der Befreiung das Versteck verlassen konnte, bekam er von der Bäuerin (oder vom Pfarrer?) einen Rosenkranz geschenkt. In späteren Jahren erzählte er auch im Fernsehen davon. So konnte man auch in diesen Tagen sehen, wie er den Rosenkranz geradezu andächtig aus einem Beutel zog und ihn zeigte. Immer hat er dazu gesagt, dass dieser Rosenkranz in seinem Tresor bestens aufbewahrt werde, weil es sein größter Schatz sei.

So hat er überlebt. Seiner Schwester war dies nicht vergönnt gewesen. Sie wurde ermordet. Kein Wunder, wie kostbar ihm der Rosenkranz mit den Erinnerungen war, die er daran knüpfen konnte.

Ich wusste schon lange von dieser Geschichte. Aber dieses Geheimnis konnte er nur selbst preisgeben. Nachdem aber in diesen Tagen die Bilder wieder über den Schirm gingen, in denen er selbst davon erzählt und auch den Rosenkranz in der Hand hatte, darf man davon sprechen, ohne falsch verstanden zu werden.

Paul Spiegel hat schon früh dadurch Toleranz erfahren und selbst gelernt. Deswegen war er auch ein wichtiger Brückenbauer zwischen Christen und Juden in Deutschland und darüber hinaus. Wenn man einmal mit ihm zu tun hatte, kann man dies alles nicht vergessen. Gerade darum tut Erinnerung Not.

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz