Eine ganz einzigartige Erfolgsgeschichte

Predigt von Kardinal Lehmann zum bundesweiten Aussendungsgottesdienst der Sternsingeraktion 2012 am 28. Dezember 2011 im Mainzer Dom

Datum:
Mittwoch, 28. Dezember 2011

Predigt von Kardinal Lehmann zum bundesweiten Aussendungsgottesdienst der Sternsingeraktion 2012 am 28. Dezember 2011 im Mainzer Dom

Liebe Sternsinger aus dem Bistum Mainz und ganz Deutschland!
Liebe Kinder, liebe Mädchen und Jungen!

Zum 54. Mal findet heute die zentrale Aussendungsfeier der Sternsingeraktion statt, zum zweiten Mal seit 1989, dem Jahr der Deutschen Einheit, in Mainz. Ich liebe es sonst nicht mit Zahlen anzugeben. Aber diesmal dürfen wir zu Beginn wirklich uns einmal die messbaren Erfolge der Sternsingeraktion seit dem Jahr 1959 vor Augen führen: Ihr habt, liebe Sternsinger (auch der früheren Jahre!) insgesamt 772 Millionen Euro gesammelt. Diese gingen in 110 Länder mit 60.000 Hilfsprojekten. Die Sternsinger sind heute weltweit die größte Aktion, wo Kinder für Kinder werben und positiv eintreten. Im letzten Jahr wurden in fast 12.000 Pfarrgemeinden, Schulen und Kindergärten ca. 42 Millionen Euro gesammelt. Ich bin überzeugt, dass dies eine ganz einzigartige Erfolgsgeschichte ist, für die wir nur richtig danken können, wenn wir weiter Zeugnis geben für diese Solidarität von Kindern untereinander.

Dabei muss man gerade bei den Erfolgen auch ein bisschen aufpassen. Es geht nicht um das Elend von Kindern auf den Plakaten, auch nicht um ihr süßliches Lachen. Darum finde ich es gut, wenn auf den Plakaten dieses Jahres zugleich auch Kinder und Jugendliche aus unserem Land miterscheinen. Es geht wirklich um einen Brückenschlag von den 500.000 Kindern und Jugendlichen, die bei uns unterwegs sind, zu den Altersgenossen in der ganzen Welt, immer veranschaulicht an einem konkreten Beispielland, in diesem Jahr Nicaragua. Die Sternsinger bitten um Hilfe, damit Kinder, die oft kaum eine Zukunft haben, durch uns Unterstützung und auch Hoffnung finden.

Was tun wir mit dem Geld für die Kinder in den 110 Ländern, diesmal besonders in Nicaragua? Wir wollen möglichst vielen helfen, keine Auswahl treffen. Wir wollen die Hilfe weltweit. Dabei geht es um die nackte Existenz, den Hunger, die gesundheitliche Versorgung, die Ernährung und die Wasserversorgung, Schulen und Bildungseinrichtungen, Hilfen für Leib und Seele („ganzheitlich"), soziales Zusammenleben (Integration), Förderung seelsorglicher Aufgaben zu diesen Zielen, aber auch manches andere, das dazugehört: Anschaffung von Fahrzeugen, Schaffen von Solaranlagen. Dabei wollen wir nicht nur von außen helfen, was schon sehr viel ist, sondern wir wollen die eigene Fantasie und Kraft der Kinder in aller Welt anregen, um sich selber zu helfen (Hilfe zur Selbsthilfe).

Wir wollen die Kinder und Jugendlichen in der Welt ermutigen, dass sie ihren vielleicht zunächst kleinen Beitrag leisten, um ihre Verhältnisse zu ändern. Wir wollen sie dafür stark machen. Dies sagt auch das Leitwort zu unserer diesjährigen Aktion, nämlich „Klopft an Türen, pocht auf Rechte!" Auch wenn Türen zunächst verschlossen sind, wollen wir uns nicht damit zufriedengeben. So wie das große Willigis-Portal an unserem Dom, das 1000 Jahre alt ist, wenn ihr anklopft, aufgeht, so wollen wir auch zuerst die Türen unseres oft verschlossenen Herzens aufmachen, um überall Nöte zu sehen und die Ärmel aufzukrempeln. Jesus gibt uns den Mut dazu, an den Türen anzuklopfen. Im heutigen Evangelium hören wir seine Worte: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird auch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet." (Mt 7,7f.)

Das heißt aber nicht, dass uns sofort, wenn wir anklopfen, jede Tür geöffnet wird. Dies habt ihr, liebe Sternsinger, auch immer wieder selbst erfahren, dass einem überhaupt nicht geöffnet wird, obwohl man drinnen weiß, wer vor der Türe steht, ja dass man manchmal auch beschimpft und davongejagt wird. Wir wollen es trotzdem immer wieder versuchen und das Herz der Menschen erreichen und erweichen. Mancher wird vielleicht doch nachdenklich, wenn er uns beim Eintreten für die Armen die Türe vor der Nase zugeworfen hat.

Dabei brauchen wir uns aber nicht enttäuscht umzudrehen und nach Hause zu gehen. Das diesjährige Leitwort fordert uns zu mehr auf: „Klopft an Türen, pocht auf Rechte!" Dabei wollen wir in diesem Jahr ganz besonders an einen Beschluss der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 erinnern, in dem die Generalversammlung einstimmig eine Übereinkunft über das Einhalten von Kinderrechten beschlossen hat („Kinderrechtskonvention"). Auch unser Land hat dieser Übereinkunft im Jahre 1992 voll zugestimmt. Kinder müssen nicht nur betteln, sondern sie haben auch Rechte, die eingelöst werden müssen. So heißt es z. B. im Artikel 6, der das „Recht auf Leben" behandelt in zwei Aussagen: „(1) Die Vertragsstaaten erkennen an, dass jedes Kind ein angeborenes Recht auf Leben hat. (2) Die Vertragsstaaten gewährleisten in größtmöglichem Umfang das Überleben und die Entwicklung des Kindes." Viele Staaten in der Welt haben unterschrieben, aber wie zögerlich und verschleppend wird dies realisiert. Kinderrechte sind Menschenrechte!

Die Not ist überall in der Welt. Aber wir müssen sie auch anschaulich und konkret auf uns wirken lassen. Deswegen wählen wir in jedem Jahr ein so genanntes Beispielland, an dem wir hautnah sehen, wofür wir uns mit den Kindern anderer Länder einsetzen müssen. In diesem Jahr haben wir Nicaragua in Mittelamerika ausgewählt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sternsinger, die große Anerkennung und Dank verdienen, haben wiederum ein anschauliches Heft gemacht, um uns dieses Land - das größte Mittelamerikas und etwa ein Drittel so groß wie Deutschland - näher zu bringen. Es ist nach Haiti das ärmste Land Mittelamerikas. Viele Menschen haben keine Berufsausbildung und arbeiten als billige Tagelöhner. Dabei haben diese Menschen auch immer wieder schwere Naturkatastrophen mit tausenden von Todesopfern hinnehmen müssen. Extreme Dürre und verheerende Stürme kommen dazu. Diese Menschen, besonders die Kinder und Jugendlichen, warten auf eine bessere Zukunft. Dabei müssen wir sie unterstützen.

Als Ermunterung können wir Hoffnung schöpfen aus unserer eigenen Geschichte. Auch bei uns mussten viele kinderfeindliche Gewohnheiten ausgerottet werden. Ich möchte ein ganz konkretes Beispiel dafür bringen. Am 1. Weihnachtsfeiertag haben wir den 200. Geburtstag eines großen Mainzer Bischofs gefeiert, der - von euch aus gesehen - auf der rechten Seite des Doms in der Marienkapelle sein Grab gefunden hat. Er hat sehr viel getan, um die oft schlimme Armut der damaligen Fabrikarbeiter zu lindern. So hat er die Soziallehre unserer Kirche vorbereitet, aber auch die Fundamente gelegt für die heutigen Sozialversicherungen, die bewährten Hilfen in der Arbeitslosigkeit, in Krankheit und bei Unfällen. Aber auch zu seiner Zeit - und doch sind es erst 140 bis 150 Jahre - musste er immer noch gegen die Ausbeutung von Kindern in Fabriken kämpfen. So hat er in einer großen Predigt im Jahr 1869 (Liebfrauenheide bei Klein Krotzenburg/Offenbach) gesagt: „Eine weitere Forderung ist das Verbot der Arbeit der Kinder in den Fabriken für die Zeit, in welcher sie noch schulpflichtig sind ... Ich halte die Fabrikarbeit der Kinder für eine entsetzliche Grausamkeit unserer Zeit ... Ich halte dies vielfach für einen langsamen Mord am Leibe und an der Seele des Kindes ... Die Religion mit ihrer großen Liebe zu den Kindern kann die Forderung auf Verbot der Kinderarbeit nur unterstützen." Wir haben es geschafft, diese Forderung nach dem Verbot der Kinderarbeit einzulösen. Dann müssen wir aber auch den vielen mutigen Männer und Frauen in aller Welt helfen, dass sie dasselbe Ziel erreichen. Darum ist auch für unsere Arbeit Bischof von Ketteler so etwas wie ein Schirmherr für das Werk der Sternsinger.

Wenn wir also wieder in den nächsten Tagen durch unsere Städte und Dörfer gehen, oft von Haus zu Haus, dann kommen wir in der Weihnachtszeit nicht als niedliche Könige, die etwas Romantik in der Weihnachtszeit verstärken, sondern dann treten wir im Namen Jesu, der sich besonders um die Kinder angenommen hat, ein für die Menschlichkeit! Kinder sind die Zukunft unserer Welt! Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

 Link: weitere Infos, viele Bilder, Videos und Audios zum Tag auch unter: www.bistum-mainz.de/sternsinger

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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