FREIHEIT AUS DEM GEIST

Predigt im Pontifikalamt am Pfingstsonntag, 15.5.2005, im Mainzer Dom

Datum:
Sonntag, 15. Mai 2005

Predigt im Pontifikalamt am Pfingstsonntag, 15.5.2005, im Mainzer Dom

Predigttext: „Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“ (2 Kor 3, 17)

Den Gottesgeist kann man nur verstehen, wenn man ihn aus einer doppelten Perspektive zu erkennen sucht. Der Geist gehört in die innerste Beziehung Gottes selbst zwischen Vater und Sohn. Darum beten wir auch mit Recht im Großen Glaubensbekenntnis: „Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten.“ So nennen wir ihn auch die „dritte göttliche Person“. Zugleich sehen wir auch seine eigene Aufgabe, seine „Funktion“, dass er nämlich hineinwirkt aus der Sphäre Gott in unsere Welt und in die Geschichte. Beides gehört hier ganz eng zusammen, Person und Funktion.

Der heilige Paulus spricht im 2. Korintherbrief in einem größeren Zusammenhang von einem neuen Verständnis der Heiligen Schrift durch den christlichen Glauben (vgl. 2 Kor 3,4 - 4,6). Es geht nicht um den bloßen Dienst am Buchstaben, sondern um Erfüllung und Dienst dem Geiste nach. Hier heißt es: „Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“ (2 Kor 3, 17) Ich meine, dass die beiden genannten Perspektiven in dieser dichten Aussage gut erkennbar sind. Aber dieser Satz ist nicht so einfach. Deswegen geht man oft an ihm vorbei. Ist das denn nicht eine regelrechte Konfusion, wenn der Herr und der Geist offenbar ineins gesetzt, geradezu identifiziert werden?

Dies wird man so nicht annehmen dürfen. Dem heiligen Paulus kommt es darauf an zu erklären, dass der Herr, womit zweifellos Jesus Christus gemeint ist, uns gegenüber seine ganze Kraft erweist im Geist. Der Geist ist aber kein endliches Medium, sondern weil er aus Gott selbst kommt „und mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird“, darum kann er auch Gott selbst bei uns vergegenwärtigen, d.h. in unserer Endlichkeit und der Vergänglichkeit der Welt und der Geschichte, ohne dass Gott, der im Sohn ganz in unsere Welt kommt, seine Göttlichkeit verlöre und ein Stück unserer Welt oder unserer Wünsche würde. Der Herr wird unter uns in seiner ganzen Dynamik offenbar, gegenwärtig und wirksam, und zwar durch den Geist und in ihm. In einer extremen Knappheit und Zuspitzung kann man dann sagen: „Der Herr aber ist der Geist.“ Man könnte von einer dynamischen Einheit sprechen. Jedenfalls ist es keine simple Identifizierung

Von diesem Geist wird nun gesagt: „ ... wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“. Ähnliche Gedanken finden sich öfter beim heiligen Paulus (vgl. z.B. Röm 8, 1f; 1 Kor 6, 17; Gal 5, 13ff). Jedenfalls bringt der Geist Gottes Leben zu uns, und zwar in der unverminderten Kraft Gottes selbst. Darum bekennen wir auch: „ ...(der Geist,) der Herr ist und lebendig macht.“ Nachdem Jesus zum Vater heimgegangen ist und nicht mehr leibhaftig unter uns ist, lässt er uns nicht als Waisen zurück. Schließlich verheißt er uns bei seiner Erhöhung in den Himmel: „ ... ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein ...“ (Apg 1, 8). Der Geist bringt, wie Jesus in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums immer wieder deutlich macht, nichts Neues, vielmehr führt er immer tiefer in das Geheimnis Jesu ein: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.“ (Joh 16, 13f).

Dies gilt ganz grundsätzlich, aber auch sehr konkret. Paulus spricht darum auch von der „Frucht des Geistes“, die wir empfangen dürfen. Diese Frucht ist die Auswirkung der Gabe Gottes im Leben der Menschen. Die Macht, die diese Frucht hervorbringt, ist bei Paulus der Heilige Geist. Die Frucht des Geistes hebt sich ab von den „Werken der Finsternis“ (vgl. Eph. 5, 8ff) oder auch von den „Werken des Fleisches“ (vgl. Gal 5, 13ff, bes. 5, 19f). So heißt es im Blick auf die positiven Gaben Gottes: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“ (Gal 5, 22) Ihnen setzt Paulus Unzucht und ausschweifendes Leben, Götzendienst und Streit, Eigennutz und Spaltungen, Neid und Missgunst entgegen, und er weiß, dass noch vieles aufzuzählen wäre. Darum verlangt er, dass wir die Geister unterscheiden (vgl. 1 Kor 12,10) und uns selbst entscheiden: „Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen.“ (Gal. 5, 25)

In diesen Zusammenhang gehört auch die eingangs angeführte Aussage des heiligen Paulus: „ .. und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“ Es wird nicht einfach gesagt, dass die Freiheit als solche eine Frucht des Geistes ist. Sie zählt offenbar zur Grundausstattung des Menschen durch die Erschaffung. Sie gehört fundamental zum Menschen. Aber es kommt darauf an, dass wir den rechten Gebrauch von ihr machen. Durch Glaube und Taufe hat der Christ die Kraft erhalten, den versklavenden Mächten der Unfreiheit eine Absage zu erteilen: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt darum fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Gal 5, 1) Immer wieder warnt er: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe ... Lasst euch vom Geist leiten.“ (Gal 5, 13.16)

Es ist nicht selbstverständlich, dass wir von der Freiheit den richtigen Gebrauch machen, deshalb müssen wir immer wieder zur wahren Freiheit befreit werden. Wir berufen uns oft auf die Freiheit, verbergen aber darunter unsere Willkür. Die Heilige Schrift warnt auch an anderer Stelle vor dieser elementaren Versuchung des Menschen: „Handelt als Freie, aber nicht als solche, die die Freiheit als Deckmantel für das Böse nehmen.“ (1 Petr 2, 16) Es wird gewarnt vor denen, die den Menschen „Freiheit versprechen und doch selbst Sklaven des Verderbens sind“ (2 Petr 2,19). Zur Freiheit gehört es, dass man sich selbst in seiner Egozentrik und seine selbstsüchtigen Tendenzen überwindet und sich selbst überschreitet. Dies ist aber in ganz besonderer Weise Sache des Geistes, der uns von unserer Selbstverstrickung befreit und fähig macht zum Einsatz für andere und ganz besonders zur Liebe. Darum kann Paulus sehr genau und gezielt sagen: „ ... und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“. Da ist wahre Freiheit. In diesem Sinne ist das Gelingen der Freiheit Geschenk und Frucht des Geistes.

Ein wichtiges Kriterium für den heiligen Paulus ist dabei – wir haben es schon gehört – der Maßstab der Liebe. So „fasst er“ alles, was man vom Menschen sinnvoll ethisch verlangen kann („das Gesetz“), „in einem Wort zusammen: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Gal 5, 14)

Der Geist hilft uns, uns besser zu erkennen. In ihm und mit ihm können wir miteinander und einzeln die Verführungen einer Freiheit überwinden, auf die wir uns gerne berufen, die uns aber auch oft einfach überwältigen. Auch in unserer Schwachheit ist der Geist bei uns: „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selbst tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein.“ (Röm 8, 24ff).

So ist unsere Freiheit gut aufgehoben und gegen alle selbstzerstörerischen Mächte geschützt durch Gottes Geist, der uns immer wieder an die Ordnungen des Lebens bindet und an „den Glauben, der in der Liebe wirksam ist“ (Gal 5,6).

Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann 

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz