Festakt zum 40jährigen Bestehen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

am 07. November 2001 in Bonn

Datum:
Mittwoch, 7. November 2001

am 07. November 2001 in Bonn

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrte Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul,
Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Gerne komme ich der Einladung nach, bei dem heutigen Festakt anlässlich des 40jährigen Bestehens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (=BMZ) ein kurzes Grußwort zu sprechen. Das BMZ und die beiden großen Kirchen in Deutschland verbindet eine lange, intensive und fruchtbare Zusammenarbeit. Es ist mir deshalb nicht förmliche Pflicht, sondern ein echtes Bedürfnis, unsere herzlichen Glückwünsche zum Jubiläum zu überbringen.

In gewissem Sinne kann man sogar sagen, dass die Kirchen zu den Geburtshelfern des BMZ gehören. Zwar hing das verstärkte Interesse, das die westdeutsche Politik Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts an den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Lateinamerika, Afrika und Asien gewann, vor allem auch damit zusammen, dass die westliche Welt sich der Loyalität der Zug um Zug unabhängig werdenden vormaligen Kolonialgebiete vergewissern und einer Vergrößerung der Einflusssphäre der Sowjetunion in allen Entwicklungskontinenten entgegentreten wollte. Und es ist für die Bundesrepublik von nicht zu unterschätzender Bedeutung gewesen, eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus auf dem Wege der Entwicklungspolitik ein neues Ansehen bei den Völkern gewinnen zu können.

Es waren jedoch nicht diese Motive allein, die zur Gründung des neuen Ministeriums führten. Hinzu nämlich trat eine neue, international ausgerichtete soziale Sensibilität in der westdeutschen Gesellschaft. Ende der 50er Jahre hatte West-Deutschland die gröbsten wirtschaftlichen Nachkriegs-Probleme in den Griff bekommen, und viele Menschen erinnerten sich an die Hilfe, die sie in der Zeit der eigenen Not aus anderen Ländern – vor allem aus den USA, aber z.B. auch aus einigen lateinamerikanischen Staaten – erhalten hatten. So entstand der Wunsch, nunmehr selbst denjenigen Völkern zu helfen, die unter elenden sozialen Bedingungen – unter Hunger, Analphabetismus und Krankheiten – zu leiden hatten.

Hier nun kamen die Kirchen ins Spiel: Der Erfolg der Sammlungen und Kollekten, die sie in diesen Jahren erstmals zugunsten der Not leidenden Menschen im Süden der Welt veranstalteten, dokumentierte eine - übrigens von den Kirchenleitungen selbst in diesem Umfang nicht erwartete - beachtliche Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung. Dies ist eine Erfahrung, die dann auch zu einem der auslösenden Momente für die Begründung einer staatlichen Entwicklungspolitik und für die Schaffung des BMZ wurde. Wir haben die skizzierte Entwicklung kürzlich an der Gründung des Bischöflichen Werkes "ADVENIAT" vor 40 Jahren nachvollzogen.

Von der Entstehung des Entwicklungsministeriums an und bis heute gibt es eine lange Geschichte der Zusammenarbeit zwischen den Kirchen und dem BMZ. Sie findet Ausdruck in einer Vielzahl von Projekten, die die Katholische und die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe seit 1962 mit Finanzmitteln der Bundesrepublik Deutschland durchführen. Diese Form der Kooperation – 1960 den Kirchen von Bundeskanzler Konrad Adenauer angeboten und unter allen seitherigen Regierungen fortgeführt - war anfangs in Kirchenkreisen durchaus nicht unumstritten. Manche befürchteten eine gefährliche Vermischung staatlicher und kirchlicher Angelegenheiten und eine Inanspruchnahme kirchlicher Instrumente durch die Politik. Solche Ängste haben sich jedoch sehr schnell zerstreut. Von Anfang an hat sich ein vertrauensvolles Miteinander herausgebildet – getragen von gemeinsamen Werten sowie Zielen und von dem beiderseitigen Willen, an der Schaffung menschenwürdigerer Verhältnisse in den Armutsregionen der Welt mitzuwirken.

Ich nehme die Gelegenheit dieses Tages gerne wahr, für die Möglichkeit der Kooperation von Staat und Kirche im Dienst an der gemeinsamen Sache herzlich zu danken. Sie bot den Kirchen die Chance, ihre Partnerstrukturen in der südlichen Hemisphäre (und später dann auch in Osteuropa und in den GUS-Staaten) als wirksame Instrumente der Hilfe ins Spiel zu bringen, und sie gab dem Staat Gelegenheit, gesellschaftliche Kräfte in Entwicklungsländern auch da zu unterstützen, wo dies mit den Mitteln des Kontaktes zwischen Regierungen nicht möglich gewesen wäre. So ist das Zusammenwirken von Staat und Kirchen in der Entwicklungshilfe zu einem erfolgreichen Modell der staatlich-zivilgesell-schaftlichen Kooperation geworden – ein Modell, das auch in der Zukunft bleibende, vielleicht sogar wachsende, Bedeutung haben dürfte.

Der Erfolg dieser Art der Zusammenarbeit ist übrigens auch gerade daran abzulesen, dass sie in späteren Jahren auch auf die politischen Stiftungen und auf andere Träger gesellschaftlicher Arbeit übertragen wurde. Da ich unter den Rednern dieses Tages der einzige bin, der aus nicht-staatlicher Perspektive spricht, erlaube ich mir, auch im Namen der nicht-kirchlichen Kooperationspartner des BMZ Dank zu sagen für die Zusammenarbeit der letzten Jahre oder sogar Jahrzehnte. Längst sind wir alle daran gewöhnt, dass die Werke und Einrichtungen der Kirchen zusammen mit vielen anderen Organisationen so etwas wie die entwicklungspolitische community in unserem Land bilden. In Kooperation, aber auch in manchem Konflikt mit dem BMZ und der Regierung hat diese community eine Vielzahl produktiver Anstöße für die staatliche Politik geben können. Und vor allem bemüht sie sich, in unserer Gesellschaft den Gedanken an die Verpflichtung wachzuhalten, dass in einer zutiefst gespaltenen Welt ein reiches Land wie Deutschland seinen Beitrag zur Überwindung von Massenarmut, Ausbeutung und Unrecht leisten muss. Sie, Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul, wie auch Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger, haben immer wieder deutlich gemacht, welche Bedeutung Sie dieser Aufgabe zuerkennen: Nur wenn in einer Gesellschaft die Vision einer gerechteren Welt und die tatkräftige Hoffnung auf menschenwürdige Verhältnisse für alle nicht erlischt, hat die Politik überhaupt eine Chance, einen durch solche Ziele und Werte inspirierten Weg einzuschlagen.

Nicht erst seit dem 11. September, aber doch sehr viel intensiver als davor, wird in Deutschland und anderswo die Frage gestellt, was die Entwicklungspolitik leisten könne, um das Auflodern und die Ausbreitung von Gewalt – sei es in Form von Kriegen oder Bürgerkriegen, sei es in Gestalt des Terrorismus – zu verhindern. Ich will an dieser Stelle nicht den Versuch machen, eine auch nur annähernd befriedigende Antwort zu geben, sondern mich darauf beschränken, ganz knapp einige Gesichtspunkte zu nennen, die mir in dieser Debatte – die in nuce ja auch eine Diskussion über die künftige Gestalt der Entwicklungspolitik ist – wichtig sind.

Ich sage erstens: Die Entwicklungspolitik sollte der Sache des Friedens dadurch dienen, dass sie bei ihrer eigenen Sache bleibt: der Bekämpfung der Massenarmut in ihren vielfältigen, nicht allein materiellen Dimensionen und Erscheinungsformen. Zwar warnen uns in diesen Tagen besonders die Wirtschaftsredaktionen einiger großer Tageszeitungen davor, einen kurzschlüssigen Zusammenhang zwischen Armut und Gewalteruptionen herzustellen. Aber auch wenn man der Vielschichtigkeit Gewalt erzeugender Phänomene in der Analyse Rechnung tragen muss – es bleibt doch dabei, dass soziale Verelendung, die Marginalisierung großer Bevölkerungsgruppen und die Verweigerung elementarer Rechte gesellschaftszersetzende Kraft entfalten und die Bereitschaft zur Gewaltanwendung stärken. Die Geschichte kennt unzählige Bespiele dafür, dass Not und Elend den Nährboden für Gewalt bilden, und in einer globalisierten Welt können Armut und Hoffnungslosigkeit zum Nährboden für eine global operierende Gewaltanwendung werden. Die Linderung und Überwindung der weltweiten Armut stellt deshalb einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die Gewalt dar. "Entwicklung ist der neue Name für Frieden" – dieses Wort von Papst Paul VI. aus dem Jahre 1968 hat auch heute nichts von seiner Gültigkeit und Brisanz verloren.

Ausdrücklich begrüße ich in diesem Zusammenhang, dass sich die Bundesregierung im "Aktionsprogramm 2015" vom April des letzten Jahres verpflichtet hat, ihren Beitrag für das Ziel einer Halbierung des Anteils der weltweit unter extremer Armut Lebenden zu erbringen. Dieses Programm verbindet die bewährten Strategien der Entwicklungszusammenarbeit, vor allem die Förderung der Selbsthilfe, mit Elementen einer Weltordnungspolitik. Beide Ansätze gehören zusammen. Sie stützen einander und dürfen deshalb nicht – wie es manches Mal geschieht – gegeneinander ausgespielt werden. Auf der einen Seite steht die Hilfe zur Selbsthilfe; sie ist ein unverzichtbares Konzept, um die Armen darin zu unterstützen, Träger der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in ihren Ländern zu werden. Auf der anderen Seite muss der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass die wirtschaftliche Globalisierung, die in den letzten Jahren noch einmal deutlich an Fahrt gewonnen hat, ein ambivalentes Phänomen darstellt. Sie kann den Armen in Entwicklungsländern zum Nutzen, aber auch zum Schaden gereichen. Eine Weltordnungspolitik hat deshalb dem Ziel zu dienen, die Prozesse der globalisierten Ökonomie im Interesse der Armen politisch zu gestalten. Eine Neuordnung der Welthandelsordnung gehört ebenso in dieses Feld wie z.B. eine weiterreichende Entschuldungspolitik. Es ist gut und erforderlich, dass das BMZ sich in all diesen politischen Fragen zum Anwalt der Armen macht.

Ich will hier aber auch nicht verschweigen, dass die finanzielle Ausstattung der deutschen Entwicklungspolitik in einem deutlichen Missverhältnis zu den Zielen steht, die dieser Politik aufgegeben sind. Entwicklungspolitisch relevante Maßnahmen sind gewiss nicht nur eine Frage des Geldes. Aber sowohl die Projekte der unmittelbaren Entwicklungszusammenarbeit als auch die globale Strukturpolitik, als deren Akteure sich das BMZ und die Bundesregierung als ganze verstehen, sind immer auch an den Umfang der zur Verfügung stehenden Mittel gebunden. Die substanzielle Erhöhung des Entwicklungsetats und das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für diese Zwecke aufzuwenden, müssen deshalb auf der Tagesordnung bleiben. Wir alle dürfen der Debatte darüber nicht ausweichen, warum eine Reihe von Ländern – vor allem die nordischen Staaten, bis zum Jahre 2007 aber auch Irland – dieses international anerkannte Ziel erreichen, während die Bundesrepublik Deutschland auf diesem Wege eher zurückfällt als vorankommt.

Ein zweiter Gedanke: Die Entwicklungspolitik hat in den zurückliegenden Jahren eine Reihe von Instrumenten entwickelt, die auf die Entschärfung und Lösung gesellschaftlicher Konflikte, auf Mediation zwischen Streitparteien und auf die Beseitigung der materiellen und immateriellen Kriegs- oder Bürgerkriegsschäden ausgerichtet sind. Manche dieser neueren Ansätze haben sich bereits bewährt, vieles ist noch in der Erprobung. Bereits jetzt aber ist absehbar, dass das BMZ erfolgreich bemüht ist, einen eigenen Zweig der Friedenspolitik zu begründen, der die klassischen Methoden der Außen- und der Verteidigungspolitik gewiss nicht ersetzen, wohl aber sinnvoll ergänzen kann. Die Kirchen und viele zivilgesellschaftliche Kräfte in Deutschland stehen diesen neuen Konzepten mit Sympathie gegenüber. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten sind sie darüber hinaus bestrebt, die bewährte Zusammenarbeit mit dem BMZ auch in diesem Feld mit unseren eigenen Erfahrungen zur Geltung zu bringen.

Und schließlich drittens: Immer deutlicher tritt zutage, dass in vielen Konflikten der Gegenwart und wohl auch der näheren Zukunft kulturelle und religiöse Momente und Antriebe eine manchmal beträchtliche Durchschlagskraft haben. Ich glaube, wir im Westen müssen uns sehr ernsthaft fragen, ob wir diese Konfliktstrukturen nicht vielleicht auch deshalb gerne übersehen oder unterschätzen, weil wir die Verhältnisse in der eigenen Gesellschaft bewusst oder unbewusst zum Maßstab für die Entwicklungen in anderen Weltgegenden nehmen. Indem ich diese Frage kritisch, in Richtung auf Gesellschaft und Politik, und selbstkritisch auch an uns als Kirchen richte, will ich auch sofort einräumen, dass ich keine einfachen Antworten anzubieten habe. Ich bin mir aber sicher, dass eine Entwicklungspolitik der Zukunft, die sich als Teil einer umfassenden Friedenspolitik versteht, nicht umhinkommen wird, gesellschaftliche und individuelle Identitäten und deren Prägung durch Religionen und gewachsene Kulturen noch einmal ganz neu zu bedenken und in den politischen Konzepten in Rechnung zu stellen. Von gewiss nicht geringerer Reichweite ist hier aber auch die Verpflichtung der Kirchen, neue und vertiefte Anstrengungen zu unternehmen, um Dialog und Miteinander der Religionen zu fördern und einen friedlichen Austrag der Konflikte zwischen den Glaubensgemeinschaften zu begünstigen.

Der Rahmen eines kurzen Grußwortes verbietet es, mehr zu wollen, als mit wenigen Strichen einige Fragen der künftigen Entwicklungspolitik und der Rolle, die den Kirchen in diesem weit gespannten Feld zukommt, grob zu skizzieren. Soviel immerhin sollte deutlich geworden sein: Wenn in unserem Land immer wieder die Frage aufkommt, ob wir uns Entwicklungspolitik und das BMZ überhaupt noch leisten können, so lautet die Antwort: Wir können es uns nicht leisten, auf Entwicklungspolitik und auf das BMZ zu verzichten. Im Interesse der weltweiten Gerechtigkeit und auch im Interesse des Friedens. Das gilt heute nicht weniger als vor vierzig Jahren. Darum gratuliere ich Ihnen nochmals und danke Ihnen für Ihren hohen Einsatz. Dies ist gewiss eine gute Grundlage für den Aufbruch in die nächste Zukunft. Dafür wünsche ich Gottes Segen.

© Bischof Karl Lehmann, Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz