Folter und Menschenwürde

Wort des Bischofs im SWR am 9. März 2003

Datum:
Sonntag, 9. März 2003

Wort des Bischofs im SWR am 9. März 2003

Es schien Themen zu geben, von denen man glaubte, sie seien eigentlich von der Tagesordnung zivilisierter Länder gestrichen. Dies galt z.B. für die Folter. Nun war das im Blick auf über 70 Länder der Welt, in denen mehr als eine halbe Million Menschen als Opfer von Folter bezeichnet werden müssen, immer schon eine Täuschung. Die Folter ist zwar international durch viele Erklärungen und Vereinbarungen, vor allem der UNO, geächtet, aber sie ist deswegen nicht weltweit beseitigt. Sie ist auch heute noch ein täglich praktiziertes Mittel politischer Verfolgung, besonders in diktatorischen Herrschaftssystemen.

Aber Folter bleibt gewiss auch für die demokratischen Staaten in bestimmten Umständen eine Versuchung, deren verführerische Kraft man nicht unterschätzen darf. Wenn es darum geht, in höchster Gefahr unschuldiges Leben z.B. eines Kindes, aber angesichts des Terrorismus auch vieler Menschen zu retten, mag der Gedanke näher rücken, man könnte dies erreichen, indem man Zwangsmittel anwendet, um ein Geständnis oder die Offenbarung von Geheimnissen herauszupressen. Gehen mutmaßliche Täter und gar Verbrecher besonders grausam und menschenverachtend an das Werk, dann kann sich der Gedanke einschleichen, warum man denn nicht im Interesse der guten Ziele dieses Mittel wählen sollte und dürfe.

 

Folter gibt es auf physische, psychische und psychiatrisch-pharmakologische Weise. Die Methoden und die Technik der Folter sind heute subtiler geworden. Sichtbare Spuren suchen die Folterer zu vermeiden. Darum hat die Anwendung psychischer Foltermethoden zugenommen. Dies scheint manchem Folter akzeptabler zu machen. Im UNO-Übereinkommen gegen Folter und ähnliche Maßnahmen vom 10.12.1984 wird mit Folter jede Handlung bezeichnet, „durch die eine Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden".

 

Hinter diesen und anderen Übereinkommen und Konventionen steht nicht immer unbedingt und direkt ein christliches Menschenbild. Aber es bedarf einer grundlegenden Überzeugung, dass die Würde eines Menschen bei aller Unvollkommenheit, ja auch sogar im Fall zugezogener Schuld unter allen Umständen gewahrt werden muss. Es darf kein Mittel zu einem noch so guten Zweck geben, wodurch diese Würde grundsätzlich verletzt wird. Letzter Grund für den Christen ist der Glaube, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen worden ist. Darum hängt auch in der Frage der Folter alles vom Verständnis des Menschen als Person und der Menschenwürde ab.

 

Die Verführung zur Folter muss immer wieder bekämpft werden. Es darf auch nicht „ein bisschen Folter" geben und auch keine ernsthafte Folterandrohung. Leider ist auch die Kirche in Hexen- und Inquisitionsprozessen der Versuchung erlegen, im Anschluss an überharte Gesetzte des Staates die Folter als Mittel der Wahrheitsfindung einzusetzen (Vgl. die Konstitution „Cum adversus" von Papst Innozenz IV. vom 22.2.1244.). Aber es gibt auch schon im 9. Jahrhundert eindeutige Äußerungen des Papsttums, dass das Geständnis eines Verbrechens nicht durch Folter erpresst werden darf (Vgl. Nikolaus I. in seinen Antworten an die Bulgaren vom 13.11.866, DS/DH 648.). In aller Deutlichkeit wird dies bestätigt durch die klaren Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils, das sich gegen alles entschieden wendet, „was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben"( Gaudium et spes, Art. 27.).

 

Die Freiheit von der Folter ist ein Menschenrecht (Vgl. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, Art. 5.). Damit ist sie aber noch nicht überzeugend begründet. Personverständnis und Menschenwürde sind eben keine abstrakten Etiketten. Es geht wieder einmal um Grundwerte – diesmal ganz konkret. Darum ist der Streit um die Grundlagen einer künftigen Europa-Verfassung auch nicht umsonst.

 

 

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz