Friedensgottesdienst

Datum:
Montag, 24. März 2003

Am 20. März 2003 begann mit dem Angriff der amerikanischen Truppen der 3. Irakkrieg. Im Mainzer Dom wurde vor, während und nach dem Krieg für den Frieden gebetet. Vier Tage nach Kriegsbeginn fand ein besonders gestalteter Friedensgottesdienst statt, bei dem Kardinal Lehmann predigte.

Es ist nicht leicht, immer wieder im Blick auf die Ereignisse dieser Tage das Wort zu nehmen und vom Frieden zu sprechen, wenn trotz aller Bemühungen das Gegenteil, nämlich Kampf und Zerstörung, vor Augen sind. Erst recht gilt dies für das „Evangelium des Friedens", dem wir mit der Macht Gottes eine besondere Kraft zusprechen.

Aber gerade die Wirklichkeit dieser Tage bekräftigt die Einsichten, die wir auch vorher schon zum Ausdruck brachten: Nie wieder Krieg! Der Krieg ist gegen den Willen Gottes! Kein Krieg schafft von sich aus einfach Frieden und eine menschengerechte Ordnung des Zusammenlebens! Jeder Krieg ist eine Niederlage der Politik und der Diplomatie, der Menschlichkeit und eben auch der Menschheit!

Man glaubte lange, diese Erfahrungen würden die Menschen vor neuen militärischen Auseinandersetzungen abhalten. So besteht mit Recht auch bis zur letzten Sekunde vor dem Waffengang die Hoffnung, es könne doch noch eine friedfertige Alternative gefunden werden. Doch ist nach wenigen Tagen der Krieg auch schon beinahe alltäglich geworden. Die Dauer-Berichterstattung, die wir in behaglichen Sesseln verfolgen, schläfert im Blick auf die Grausamkeit gefährlich ein. Es sind nicht nur Bilder des Grauens, die wir aus der Distanz sehen, sondern dort wird in der Tat Blut vergossen und gestorben. Schließlich wird mit Bildern auch noch Politik gemacht, wenn verstümmelte Leichen, ein Kind ohne Schädeldecke und angsterfüllte Gefangene zur Schau gestellt werden. Der Krieg ist seiner Tendenz nach, immer und besonders in unserer Zeit, „Totale Mobilmachung", auch wenn noch nicht alle Waffen eingesetzt sind und werden.

Es ist mehr als verständlich, wenn gerade junge Menschen, denen die Zukunft unserer Welt besonders am Herzen liegt, ratlos vor dem Scherbenhaufen stehen, die wir Menschen immer wieder bewusst anrichten. Auch wenn man kein Radikal-Pazifist ist, kann man die verzweifelte Klage verstehen, ob der Mensch eine blutrünstige Bestie bleibt und nie wenigstens das unterste Maß im Zusammenleben erreicht, nämlich die Artgenossen nicht zu überfallen und zu töten. Wenn man die Möglichkeiten unserer Zivilisation und Technik ins Auge fasst, kann man eigentlich den barbarischen Rückfall des Menschen nicht verstehen. Aber dies zeigt auch, dass ein zivilisatorischer Fortschritt nicht identisch ist mit einem Wachstum in humaner und ethischer Hinsicht.

Das Friedensethos muss eindeutig sein. Nichts anderes sagen uns die weltweiten Demonstrationen. Aber sie dürfen uns auch nicht blind machen gegenüber dem, was ist. Man darf nicht nur in einem Nebensatz voraussetzen, dass es sich „natürlich" im Irak um einen grausamen Diktator handele. Wir dürfen nicht solche Friedensapostel werden, die man nicht ernst nimmt, weil wir bestimmte Fakten nicht ernst nehmen: seit mindestens 23 Jahren herrscht eine zutiefst unmenschliche, grausame Diktatur; die Menschen hungern seit Jahrzehnten; nicht einmal das eigene Staatsvolk ist sicher vor Völkermord durch Gasangriffe; Nachbarn und Länder im Nahen Osten werden durch Drohungen, Überfälle und – mindestens gegenüber Israel – durch einen erklärten Vernichtungswillen in Angst und Schrecken versetzt. 17 UNO-Entschließungen sind mit List, Tücke, Falschspiel und Lügen übergangen worden. Davor dürfen wir bei aller Abneigung gegen den laufenden Krieg nicht die Augen und Ohren schließen. Unsere Rede vom Frieden und vom Einsatz für ihn muss auch für den Fall glaubwürdig bleiben, wenn man z.B. doch biologische Kampfstoffe und chemische Waffen finden sollte.

Damit wird der Krieg nicht gerechtfertigt. Er ist und bleibt ein Übel. Er bringt aber auch neben den riesigen Schäden und Kosten tiefe Verletzungen in das Zusammenleben der Menschen auf unserem Planeten. Die so notwendige Weltautorität der Vereinten Nationen wird elementar geschwächt, wenn gerade der mächtigste Staat nach seinem Gutdünken Gewalt ausübt und internationales Recht auf die Seite schiebt. Hoffentlich erleiden die Vereinten Nationen nicht einen unwiederbringlichen Autoritätsverlust – und dies in einer Welt, wo eine legitimierte Autorität zur Eindämmung von Gewalt und Rechtlosigkeit so notwendig ist. Aber auch die Europäer haben durch ihre tiefe Uneinigkeit Hoffnungen auf einen erneuerten und erstarkten eigenen Kontinent enttäuscht.

Der Scherbenhaufen ist groß. Wir dürfen jedoch, was nahe liegt, nicht resignieren, sondern wollen entschlossen unsere Stimme für den Frieden erheben. Es sind nicht nur unsere Worte. Im Gebet rufen wir den zu Hilfe, der am Ende allein das Denken, Wollen und Handeln der Menschen verändern und umgestalten kann. Er allein kann auch unser Gewissen aufwecken, wenn wir verführt sind, uns an den Krieg zu gewöhnen. Jetzt schon brauchen wir Gedanken des Friedens für die Zeit nach dem Waffengang. Wir brauchen Hilfe für die fliehenden, verwundeten, kranken und noch mehr in die Armut gestürzten Menschen. Nur ein gütiger und gerechter Gott kann die Menschen aufnehmen und ihnen wieder ihre Würde zurückgeben, die mit Gewalt ihr Leben verloren haben. Nur er kann alle Tränen abwischen.

Darum kommen wir zum inständigen Gebet zusammen und vereinen uns mit unzähligen Menschen auf der ganzen Welt. Wir hoffen aus ganzem Herzen, dass Gott sie hört und erhört. Aber wir dürfen nicht leichtfertig Wunder erwarten, wenn wir nur Zuschauer sind und bleiben. Auch wir müssen uns in unseren Lebenskreisen immer wieder auf den Weg des Friedens machen, um den die Christen und viele Menschen guten Willens täglich und rund um die Welt beten. Amen.

 

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz