Früchte ernten - Gott danken - Segen teilen

Predigt im Pontifikalamt anlässlich des Landeserntedankfestes am Sonntag, 16. Oktober 2011, in der Basilika zu Ilbenstadt

Datum:
Sonntag, 16. Oktober 2011

Predigt im Pontifikalamt anlässlich des Landeserntedankfestes am Sonntag, 16. Oktober 2011, in der Basilika zu Ilbenstadt

Lesungen: Joel 2,21-24.26-27; 1 Kor 3,6-10
Evangelium: Lk 17,11-19

Dank für die Ernte begegnet uns wohl in allen Religionen. Der jüdische Kalender enthält heute noch drei Hauptfeste, die Erntedankfeste sind (Pessach, Wochenfest, Laubhüttenfest). Im Westen wurde dieses Fest in engen Zusammenhang gebracht mit den sogenannten Quatembertagen. Damit sind jeweils drei Tage (Mittwoch, Freitag und Samstag) gemeint, an denen vier Mal im Jahr mit dem Beginn der vier Jahreszeiten (daher der Ausdruck Quatember = vier Zeiten) Gott besonders für die verschiedenen Ernten des Jahres gedankt wird. Bei uns hat sich in der katholischen und in der evangelischen Kirche das heutige Erntedankfest erhalten, das wir gewöhnlich am ersten Sonntag im Monat Oktober begehen.

Ich bin auf dem Bauernhof, von dem meine Mutter stammte, über viele Jahre, besonders in der Kriegs- und Nachkriegszeit, mit dem Erntedankfest vertraut geworden und damit aufgewachsen. Heute spürt man vielleicht nicht mehr so die Abhängigkeit des Menschen von einer guten Ernte, da bei Mangelsituationen vieles importiert werden kann und manches ohnehin weitgehend synthetisch hergestellt wird. Außerdem gibt es ja gegen alles Unheil Versicherungen. Die hohe Technisierung der Landwirtschaft verstellt uns auch ein wenig den Blick. Aber es hat sich nichts daran geändert, dass wir z.B. auf gutes Wetter angewiesen sind. Hier kommt alles „Produzieren" an eine Grenze. Schon unsere Sprache zeigt uns, dass wir nicht alles „machen" können. Die Worte sagen es schon: Es muss wachsen, es muss gedeihen, es muss gelingen. Darum sprechen wir auch vom Segen, der auf einer guten Ernte liegt.

Auch das Wort von der Ernte weist in diese Richtung. Darum gehört zur Ernte überall Lob, Dank und Freude. Man lobt und dankt Gott für die gewachsenen Früchte. Die Menschen freuen sich über den Ertrag einer Ernte. Wir können dies noch am ehesten ermessen, wenn wir hören, in wie viel Regionen der Welt oft für lange Zeit jede Ernte ausbleibt. Das Erntedankfest reißt uns aus der Selbstverständlichkeit, mit der wir - gewiss mit Unterschieden - ernten, heraus.

In unserer Sprache ist es kein Zufall, dass die Worte „Danken" und „Denken" nicht nur äußerlich sehr verwandt sind, sondern auch in der Sache eng zusammengehören. Wenn wir nicht den selbstverständlichen Lauf der Dinge unterbrechen und eine Pause machen, nachdenklich werden, dann gibt es auch keine Möglichkeit zum Dank. Nur wenn wir eigens aufmerksam werden auf das Glück und Geschenk einer Ernte, sind wir auch wirklich von Herzen dankbar. Wir kennen den Dank vor allem unter den Menschen. Die Bibel, besonders des Alten Testaments, kennt eigentlich vor allem den Dank an Gott. Ihm wird für die Gaben in Schöpfung und Heilsgeschichte gedankt. Dank ist die Antwort auf die ungeschuldeten Gaben Gottes. Die guten Gaben Gottes erhalten unser Leben und sind ein Ausdruck seiner Zuwendung und seines Wohlwollens für uns Menschen. Darum gehört der Dank sehr eng mit Lob und Preis zusammen. Der vorzügliche Ort des Dankens war darum immer der Gottesdienst (vgl. Kol 3,15f; Eph 5,8.18-20). Und dies ist auch der Grund, warum das Herrenmahl schon früh als „eucharistia", als gottesdienstliche Danksagung verstanden worden ist. Diese Güte Gottes ist nicht geradezu automatisch zu erwarten. Darum gehört zu diesem Dank eben auch die Bitte, dass Gott uns auch künftig diese Gaben gewährt. Diese Bitte erscheint in besonderer Form bereits im Gebet Jesu, das er uns lehrt: „Gib uns heute das Brot, das wir brauchen." (Mt 6,11; Lk 11,3).

Wir Menschen sind von Hause aus, wie das heutige Evangelium zeigt, undankbar. Auch unerwartete oder nicht mehr erwartete Gaben nehmen wir einfach selbstverständlich hin. Ja, wir fordern sie geradezu ein. Oder wir nehmen sie uns einfach. Darum ist es gut, wenn wir uns besinnen und im Gottesdienst unser Denken erneuern. Dies gilt besonders, wenn wir habgierig werden und unsere geschöpfliche Armut gar nicht mehr wahrnehmen. Jesus erwartet, dass die Menschen Gott preisen, wenn sie durch ihn Gottes Hilfe erfahren (vgl. Lk 17,11-19).

Darum gibt es auch eine große Nähe zwischen dem Ernten und dem Teilen. Wenn wir daran denken, dass wir bei allem Einsatz letztlich beschenkt werden und uns nicht alles selbstverständlich so gehört, dass wir einen ausschließlichen Anspruch darauf erheben können, dann denken wir wohl auch mehr daran, dass wir die Güter dieser Erde mit den anderen Menschen teilen. Dies bedeutet nicht nur, dass wir anderen von unserem Überfluss abgeben, sondern dass wir wirklich auch Lebenschancen teilen. Das Erntedankfest erinnert uns darum in besonderer Weise an den Hunger und die Armut in der Welt. Dabei gibt es unendlich viele Formen, dieses Teilen sichtbar zu machen: den Nachbarn am Segen einer Ernte großzügig zu beteiligen, die Hilfen zur Rettung vieler Menschen vor Not und Tod, wie es uns zur Zeit in Ostafrika täglich begegnet.

An jedem Erntedankfest denken wir besonders auch an die Verschwendung von Lebensmitteln in unserer Zeit. In den letzten Monaten gingen immer wieder schreckliche Nachrichten durch unser Land, wie viele Lebensmittel gerade bei uns täglich im Müll landen. Wie viel Not könnten wir lindern, wenn wir auch nur die Brosamen unseres Lebens anderen zukommen lassen würden.

Wir sagten schon, dass Eucharistie Danksagung heißt. Wir danken in ihr besonders für Jesus Christus mit seinem Wort und der Hingabe seines Lebens für uns. So können die Ernte und das Essen sich ganz öffnen für das Geheimnis des Lebens Jesu Christi. Das Weizenkorn, das stirbt und Frucht bringt, führt uns tief hinein. Von daher bekommen wir wieder die Kraft für den täglichen Einsatz in unserem Tun, wo immer wir stehen. So kommen im Erntedank grundlegende Vollzüge unseres Lebens zusammen. Sonst werden sie eher auseinandergerissen. Aber hier gehören das Ernten der Früchte, der Dank an Gott und das Teilen unseres Segens zusammen. In immer wieder beeindruckenden Worten bringen wir dies täglich und überall auf der ganzen Welt in dem uns allen bekannten Gebet zur Gabenbereitung in der Eucharistiefeier vor Gott: „Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens werde. Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr, unser Gott." Amen.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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