Für einen wehrhaften Glauben

Gastkommentar - Zur neuerlichen Erstarkung atheistischer Angriffe auf Religion und Glauben

Datum:
Sonntag, 1. Mai 2011

Gastkommentar - Zur neuerlichen Erstarkung atheistischer Angriffe auf Religion und Glauben

Gastkommentar des Bischofs von Mainz für die Kirchenzeitung "Glaube und Leben"

Das Zweite Vatikanische Konzil hat an verschiedenen Stellen wichtige Aussagen gemacht über die Heilsmöglichkeit auch der Nichtglaubenden, wenn diese vor allem ihrem Gewissen folgen. Jesus Christus ist auch für sie gestorben. Darum haben wir am Karfreitag für sie gebetet. Nicht zuletzt deshalb gibt es immer wieder den Aufruf, auch mit diesen Menschen, selbst wenn sie sich zum Atheismus bekennen, in ein Gespräch zu kommen und ihnen den Glauben zu bezeugen. Gerade die Väter des Konzils, die aus den damals kommunistischen Ländern kamen, haben eine solche Aussage begrüßt. Sie waren freilich nicht naiv. Sie haben schließlich ob ihres Glaubens gerade von dem Staats-Atheismus viel Unrecht erfahren. Dennoch haben gerade diese Bischöfe auf die Notwendigkeit eines - unter Umständen auch sehr streitbaren - Dialogs hingewiesen. 

In der Zwischenzeit wurden diese wichtigen Erwartungen des Konzils fast vergessen oder manchmal auch zu harmlos aufgefasst. Es gab ein schiedlich-friedliches Mit- und Nebeneinander zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden in unseren Gesellschaften und oft bis in die Familien hinein. Am Anfang gab es intensive Gespräche mit Marxisten aus Ost und West. Ich habe selbst daran teilgenommen.

In letzter Zeit hat sich diese Atmosphäre etwas geändert. Es sind neue Vereine und Verbände entstanden, die oft sehr polemisch und aggressiv, ja manchmal sogar verleumderisch gegen die Religion und vor allem die christlichen Kirchen hetzen. Manchmal wird es auch mit einer bestimmten Stellung zum Islam vermischt. Es gibt bis in das Internet hinein Versuche, viele Menschen z. B. zum Kirchenaustritt zu bewegen. Leider werden auch falsche Informationen über den angeblichen Reichtum der Kirche, über die Kirchensteuer und die Staatsleistungen in die Welt gesetzt. Mit großem Selbstbewusstsein werden staatliche Stellen und Amtsinhaber bis hoch hinauf aufgefordert, sich deutlicher auch als die Vertreter derjenigen Staatsbürger zu verhalten, die erklärte Atheisten sind. Manche Medien verbreiten Aufrufe zur Mitgliedschaft, Berichte über Vereinsgründungen usw. So gibt es Osteraufrufe der „Gottlosen", in diesen Tagen aus der Kirche auszutreten. Die Giordano-Bruno-Stiftung stört sich nicht nur am Tanzverbot in Rheinland-Pfalz an den besonders geschützten drei Tagen zwischen Karfreitag und Ostersonntag. Dass bei einer so personal und persönlich zu verantwortenden Sache wie der Kirchenzugehörigkeit ein Aufruf zu einem „kollektiven Kirchenaustritt" mit anschließender Party erfolgt, hat allerdings mit der Achtung vor dem Gewissen des einzelnen Menschen und mit wahrer Aufklärung überhaupt nichts zu tun.

In unserer Gesellschaft ist dies möglich. Es gibt allerdings nicht nur die negative Religionsfreiheit, sondern Religion und Kirche haben einen legitimen Platz in unserer Gesellschaft (positive Religionsfreiheit). Es wäre auch naiv, wenn wir gar keine Gegner und sogar Feinde von Religion und besonders christlichem Glauben mehr ausmachen würden. Dies wäre eine Täuschung. Wenn der Christ durch solche offenen Tendenzen wachgerüttelt wird, kann dies nur der Sache des Glaubens zum Vorteil gereichen. Es gibt in unserer Gesellschaft einen geistigen und spirituellen Wettbewerb. Wir brauchen keine Angst vor Konkurrenz zu haben. Nur müssen wir uns vielleicht besser mit Informationen über unseren Glauben wappnen und uns für einen wehrhaften Dialog rüsten, der auch zum Streit werden kann. Legitime Verteidigung gehört von Anfang an zum christlichen Glauben. Es ist gut, wenn wir dies wieder entdecken und aufwachen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

 

Diesen Gastkommnentar lesen Sie auch in der gedruckten Ausgabe der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 1. Mai 2011

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz