GOTT - DAS BLEIBENDE GEHEIMNIS

Datum:
Samstag, 5. Mai 2001

Vortrag bei der Auftaktveranstaltung des Bildungswerks der Diözese Mainz zum Thema
"G-o-t-t. Fragen, Provokationen, Annäherungen" 
in der Katholischen Fachhochschule Mainz

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Mit Blick auf Ihr großes Thema "Gott" habe ich mir das Vortragsthema gewählt: "Gott - das bleibende Geheimnis". Und zwar gerade am Ende als den Versuch, nach den vielen Anläufen aus der Schule des klassischen Denkens und der modernen Welt der Theologie und der Spiritualität nun sozusagen eine letzte Konzentration, eine Zurückführung auf das eine Notwendige zu versuchen, das Entscheidende. Dazu gibt es sicher immer noch viele Wege. Ich habe das Stichwort "Bleibendes Geheimnis" gewählt, ein Weg, um dies zu versuchen.

1. Das Wort "Gott"

Zunächst, wie könnte es anders sein, das Wort Gott. Es ist ein gewöhnliches Wort, ein Wort unter vielen Wörtern. Es sagt zunächst gar nichts besonderes über das Gemeinte. Und es ist nicht so wie ein Zeigefinger, der hinweisen kann auf bekannte Dinge: auf den Baum, auf den Tisch, auf die Sonne. Darum ist das Wort immer auch ein bisschen leer. Darum hat es in unserem Alltag auch manchmal einen sehr abgenutzten Sinn. "Mein Gott", das kann jeder sagen, auch wenn er gar keinen Bezug hat zu diesem Gott. So kann das Wort manchmal eine wirklich schreckliche Konturlosigkeit haben, geradezu nichtssagend sein und wie ein erblindetes Antlitz wirken. Aber in dieser Leere steckt durchaus auch ein kleiner positiver Hinweis. Denn "Gott" sagt ja auch soviel wie: der Namenlose, der Unsagbare, der Schweigende. Das letzte Wort vor dem Verstummen. Dieses Wort hat eine eigene Widerstandskraft und Widerstandsfähigkeit. Auch der, der Gott ablehnt, führt es im Mund. Auch der Atheist muss es benutzen, wenn er sagen will, dass er nach seiner Ansicht nicht ist. Dass es dieses Wort gibt und dass es allen diesen Schwächen und Schwierigkeiten trotzt, ist eigentlich schon des Nachdenkens wert. Und immer wieder sagen uns gerade auch die Religionsgeschichtler, dass es ein besonderes Wort sei. Auch wenn es in vielen Sprachen ganz anders klingt, so würde doch vieles dann in einem Gleichsinn zusammenlaufen.

Man hat sich überhaupt gefragt, ob es ein Wort ist wie viele anderen Wörter, die ein Objekt, ein Es, ein Ding bezeichnen, oder ob es ein ganz anderes Wort, nämlich des Ausrufs, des Anrufs ist. Martin Buber hat sehr streng die These vertreten, dieses Wort Gott sei nur ein Vokativ, es sei nur ein Wort, das in der unmittelbaren Anrede gilt, nicht aber ein Wort, bei dem man sagen kann "Er" oder gar ein neutrales Wort in Verbindung bringt. Nur als Anrede existiert es: "Mein Gott", "Du Gott". Unsere sonstige Alltagsrede ist ganz anders. Gewiss gibt es im Alten Testament schon Belege, die Buber nicht eindeutig bestätigen. Es wird auch anders gesprochen als nur in diesem Anruf und Ausruf. Aber im Kern hat er gerade für die ursprüngliche Rede von Gott, nämlich im Gebet, etwas Entscheidendes getroffen.

Wenn wir genauer verfolgen, was wir eigentlich meinen, wenn wir das Wort Gott aussprechen, dann sehen wir auch in der alltäglichsten Rede noch, das dieses Wort Gott uns immer dann auch über die Lippen kommt, wenn wir irgendwie an das Ganze unserer Wirklichkeit erinnert werden. "Mein Gott", das heißt wenigstens, ich habe etwas Wichtiges vergessen. Da ist etwas passiert, was unvorhergesehen war. Da ist ja etwas, das alles Gewöhnliche, Geordnete in meinem Leben durcheinander bringt. Indem wir sagen: "Mein Gott", "Gott", taucht nicht immer uns ganz bewusst dieses Ganze der Wirklichkeit mit diesem Wort auf. Da spüren wir, es gibt nicht nur den einzelnen, dich und mich, das eine oder andere Ding, sondern es gibt ein Ganzes, in dem wir immer nur darin stehen, in dem wir aber auch nicht einfach gefangen sind, wo wir nicht einfach versklavt sind an dieses und jenes, sondern wir können uns zu diesem Ganzen erheben und tun es, indem wir das Wort Gott benutzen. Das Wort Gott preist also auf das Ganze und seinen Grund: Da kommen wir her, da gehen wir hin, Ursprung und Ziel. Darum gehört offenbar dieses Wort Gott so zum Menschsein, dass wir uns selbst gar nicht denken können ohne dieses Wort. Zum Menschen gehört, dass man denkend und worthaft das Ganze von Welt und Mensch vor sich bringt, dass man fragt nach dem Ganzen. Und dieses Wort "Gott" behauptet sich auch noch im Protest gegen es selbst. Auch wenn ich ihn ablehne, auch wenn ich dieses Ganze anders deute, auch wenn ich es mit anderen Namen benenne, so brauche ich es doch in der Verneinung.

Das Wort Gott bleibt also in unserer Sprache, man kann es nicht einfach eliminieren, und noch in der Gedankenlosigkeit lebt es ein Stück weit. Jeder Einzelne lebt von der Sprache aller. Wir übernehmen die Sprache, wir machen sie nicht einfach. Wir stricken zwar alle an ihr fort im Gewebe der Sprache, aber wir sind nicht einfach nur die Schöpfer. Man muss sich also auch von der Sprache etwas sagen lassen. Bei aller kritischen Aufmerksamkeit auf das, was wir hören und selber sagen, brauchen wir auch ein letztes Vertrauen der Sprache gegenüber. Sie hat uns etwas zu sagen. Sie vermittelt uns etwas: manchmal Vertrautes, manchmal auch Neues, das wir noch nicht kennen, Ungewöhnliches, Herausforderndes. Und so gibt es eben auch das Wort Gott, in dem das Ganze der Wirklichkeit - ihr Grund und Ziel - in besonderer Weise vor uns kommt. Mindestens als Frage ist es da: "Woher komme ich? Wohin gehe ich? Gibt es da ein Ziel das man benennen kann?" Nicht wir schaffen also einfach dieses Wort, sondern eher schafft es uns, weil es uns zu Menschen macht. So gibt es eine gewisse Unausweichlichkeit dieses Wortes Gott. Und es hält uns auch die Zukunft offen, das Ganze der Wirklichkeit nach vorne. Es verhindert, dass wir unsere Welt einfach abschließen, und es verhindert auch, dass wir einfach glauben, sie in Besitz nehmen zu können, über sie restlos verfügen zu können. Immer gibt es ein unverfügbares, nicht von vornherein bezwingbares Element in unserem Leben. Soviel zum Wort Gott.

2. Was ist ein Geheimnis?

Das Wort Geheimnis weckt in uns Menschen gerade heute oft zunächst Verdacht und Misstrauen. Geheimnis ist das, was noch nicht oder nicht bekannt ist. Man muss es durchschauen, man muss es vielleicht sogar entlarven, man muss es enthüllen. Aufklärung duldet in strengem Sinn kein Geheimnis. Alles muss vor den Richter, alles muss vor die ermittelnde Vernunft. Alles muss bis auf den letzten Grund preisgeben, was es ist. So ist das Wort Geheimnis gerade in unserer moderneren, neuzeitigen Sprache immer negativer geworden. Es hat eine Nähe zum Rätsel, es ist etwas, was uns verborgen ist oder schwer zugänglich: etwa der unbekannte Sinn eines Symbols, schwierige Probleme, vielleicht auch noch einmal eine unlesbare Schrift, eine noch nicht entzifferte Schrift, ein unaufgeklärter Rest jedenfalls. Manchmal scheint er übervernünftig zu sein, weil man nun gar nicht dahinter kommt, und manchmal auch unvernünftig, weil man glaubt, es könnte reiner Unsinn sein, oder weil man denkt, jemand will sich verbergen, will sich verstecken, hat seine Geheimnisse.

Schaut man auch in die größeren Lexika der Philosophie, dann taucht das Wort Geheimnis so gut wie nicht auf. Vielleicht "Mysterium/Mysterien", aber nicht unbedingt im Sinn von Geheimnis. So ist das moderne Denken bis in unser Jahrhundert hinein gegenüber dem Begriff Geheimnis skeptisch und kritisch. Erst mit gewissen philosophischen Wandlungen gibt es hier eine Änderung. Man darf also, spricht man heute von Geheimnis, an diesen Voraussetzungen im Sprachgebrauch nicht einfach vorbeigehen. Man darf das Wort nicht einfach als selbstverständlich voraussetzen. Und es ist selbstverständlich, dass man mit einem so mehr negativ orientierten Verständnis von Geheimnis keine Anwendung auf Gott versuchen kann. Darum ist der Verzicht auf dieses Wort eher verständlich, wie er sich in weiten Teilen der Theologie durchgesetzt hat. Aber das ist nicht alles, was zu diesem Wort zu sagen ist. Geheimnis kann doch nicht ein Erkenntnismangel, eine Beschränkung unserer Einsicht sein, die es zu beseitigen gilt. Wir dürfen auch nicht einfach nur intellektualistisch von Geheimnis sprechen, als ob es einfach das noch nicht Gewusste sei und alle anderen Regungen und Verhaltensweisen des Menschen nichts damit zu tun hätten.

3. Zugänge zum Geheimnis

Wie kann man dann auf neue Weise wieder einen ursprünglichen Zugang gewinnen zu dem, was Geheimnis wirklich heißt? Gerade, wenn es um Gott geht. Es braucht offensichtlich die richtige Weise zu denken. Die neuere Zeit hat sehr oft erfolgreich ungewöhnlich fruchtbare Denkweisen hervorgebracht. Aber wir haben manche andere Denkweise daneben und dahinter vielleicht vergessen. Wir sind Meister im analytischen Denken, wir können etwas auseinandernehmen, sezieren, zerlegen, zergliedern, entschleiern. Rechnen und Berechnen haben den Vorrang, stellen etwas als unseren Gegenstand, ein Objekt vor uns, stellen es vor und können es dadurch ein Stück weit auch beherrschen; wir bemächtigen uns der Dinge dieser Welt. Wir erkennen sehr oft dadurch, dass wir auch zugleich erobern und dass wir dabei natürlich auch alles durchschauen wollen: völlige Transparenz, lückenlose Diagnosen. Wir wollen hinter alles kommen.

Das mag für viele Wirklichkeit unseres Lebens und für den Umgang mit der Realität berechtigt und notwendig sein. Aber dürfen wir mit aller Wirklichkeit so umgehen oder geraten wir in Gefahr, dass wir die Wirklichkeit auf einen Typen, auf einen Stil des Umgangs mit ihr beschränken? Werden wir dadurch nicht einfach ärmer?

Das Denken im 20. Jahrhundert hat diese Frage aufgegriffen. Schon früh und durch die ganzen Jahrzehnte hindurch. Einmal in der Phänomenologie: in einer neuen Weise zu denken, die sehr nahe am Sehen liegt. Sehen, was ist, nicht einfach begreifen, nicht einfach das Netz der Begriffe drüber werfen, nicht einfach sezieren. Ganzheitlich, intuitiv sehen. Das andere kommen lassen, nicht dauernd schon vorweggreifen. Zu den Sachen selbst uns zuwenden, unsere Vorurteile einklammern, all das einklammern, was wir schon längst zu wissen meinen. Und dann die Entdeckung der Endlichkeit des Menschen gegenüber einer idealistischen Erhöhung: Wir sind beschränkt, und wir sind endlich. Wir durchschauen nicht alles, wir stecken selber immer schon in tiefen Bedingtheiten unseres Lebens drin. Nicht alles darf nach dem Muster eines Problems behandelt werde, des Verifizierbaren. Es gibt Dinge, die uns anders angehen, nicht nur als Objekt und Probleme. Es waren Gabriel Marcel, Karl Jaspers und viele andere, die aufgezeigt haben, dass wir nicht alles als Problem angehen dürfen, das wir in den Griff bekommen, sondern dass es manches gibt, was uns einfach umfängt, was uns als Menschen zentral mitbestimmt, ohne dass wir es durchschauen können und sollen. Und sie haben dafür das Wort Geheimnis benutzt, besonders Gabriel Marcel.

Aber dann war es die Entdeckung des dialogischen, des personalen Denkens, das sich ganz anderer Kategorien bedient. Personales Kennen strebt nicht einfach nach Durchschauen. Wenn uns jemand einfach nur durchschauen will, werden wir skeptisch und misstrauisch. Personales Kennen will im Grunde auch anerkennen, möchte ja sagen, möchte nicht alles vereinnahmen, freut sich an der Eigenart des anderen, zieht nicht alles herab sozusagen auf die eigene Art und Weise des Strebens, des Denkens und Wollens. Personales Kennen will die in Liebe bejahte Eigenart des anderen annehmen und sich daran freuen" froh sein darüber. Schließlich hat alles, was ist, seine besondere Art und Weise, sich zu geben, wenn man es nicht von außen einfach durch fremde Kategorien schon erdrückt.

So hat auch Gott eine eigene Sphäre. Man hat dies das Heilige genannt, das uns entzogen ist, das wir nicht beherrschen können, das Unverfügbare, oder, wie viele Jahrzehnte unseres Jahrhunderts gesagt worden ist, das ganz Andere. Der ganz Andere, den wir nicht einfach verrechnen können mit dem, was wir aus unserem Alltag kennen, der immer wieder für Überraschungen gut ist. Und gerade die Wiederentdeckung des patristischen und des ursprünglichen mittelalterlichen Denkens hat uns geholfen, besser zu sehen, wie Gott ganz anders ist, in welchem Sinne er ein Geheimnis ist. Das große Buch von Henri de Lubac "Auf den Wegen Gottes", im Krieg noch erschienen, dann immer wieder in mehreren Auflagen aufgelegt, erst vor wenigen Monaten in deutscher Sprache noch einmal neu überarbeitet erschienen, hat gezeigt, wie reich die Überlieferung des Denkens, der Philosophie und der Theologie ist, um dieses ganz Andere, Unaussprechliche, Unbegreifliche, Geheimnishafte Gottes auf eigene Weise sagen zu können.

4. Das Geheimnis Gottes

Daher ergibt sich ein ganz neuer Ansatz, Gott als Geheimnis zu denken, besonders, wenn der ganze Ertrag der biblischen Wissenschaften aus vielen Bemühungen noch eingebracht wird. Wir sehen, dass Gott auf seine Weise weltüberlegen ist - bei aller Zuwendung zur Schöpfung -, dass er eine eigene Souveränität hat gegenüber aller Geschichte und dass diese Geschichtsmächtigkeit Gottes ein Geheimnis einer Wahrheit ist, wie Gott in der Geschichte wirkt: sehr oft verborgen. Dadurch hat sich auch der Begriff Geheimnis wieder anwenden lassen auf Gott selbst. Die Theologie hat es immer gemacht, die großen Konzilien, und nicht zuletzt das Vaticanum I hat es in aller Deutlichkeit ausgesprochen. Aber man kann nicht übersehen, dass auch in der gewöhnlichen Theologie dieses Wort Geheimnis doch meist eher etwas negativ bestimmt wird: die Grenze unseres Verstehens, das bloß vorläufige Erkennen und Wissen gegenüber einem letzten Geheimnis.

Es waren dann vor allen Dingen Denker, die Anstöße aus der Philosophie unseres Jahrhunderts aufgenommen haben, um das, was Geheimnis heißt - angereichert durch die große Überlieferung - neu zu denken. Unvergesslich, was Erich Prcywara dazu beigetragen hat, unvergesslich, was Karl Rahner in drei großen Vorlesungen, die in seinen Schriften zur Theologie im vierten Band abgedruckt sind, uns dazu hinterlassen hat: drei Vorlesungen über eine katholische Theologie des Geheimnisses. Plötzlich ist dieses Thema nicht einfach nur in ein paar Nebensätzen abgehandelt worden, so unbegreiflich ein Geheimnis ist, sondern es ist der rote Faden aller Theologie geworden, der Anfang und Ende durchwirkt und bestimmt. Der personale Mitteilungscharakter gerade auch von Offenbarung ist immer deutlicher geworden. Offenbarung und Geheimnis, das widerspricht sich nicht, das gehört ganz eng zusammen. Nur wenn Gott ein Geheimnis ist und bleibt, dann gibt es auch wirklich Offenbarung, etwas Neues in ihr, etwas Unableitbares, etwas Hilfreiches, etwas, was wir nicht einfach schon kennen, Überraschendes.

Darum kam man dann bald viel weiter hinaus über eine nur negative Kennzeichnung von Geheimnis als Grenze. Ja, Geheimnis kam ganz nahe - man sieht es besonders bei Karl Rahner und bei Henri de Lubac - an das Verständnis dessen, was kreatürlicher Geist ist. Geist, kreatürlicher Geist ist ganz nahe an dem, was Gott heißt, durch einen ursprünglichen Sinn für das Geheimnis. Und so ist das Geheimnis nicht das bloß Vorläufige, sondern das Ursprüngliche, das Erste, nicht bloß bedauerliche Grenze, sondern Überfülle, bei dem ansetzend, was eigentlich ist. Geheimnis ist göttliche Überfülle. Damit gab es auch eine Rückkehr zu alten Ansichten. Der Mensch begreift gerade in seiner tiefsten Erkenntniskraft, gerade da, wo er am meisten zu denken wagt, bis an die Grenze geht, da begreift er, dass Gott unbegreiflich ist. Geheimnis ist also das, bei dem die Erkenntnis ankommt, wenn sie zur Vollendung gelangt. Aber sie ist nicht einfach nur Erkenntnis, schon gar nicht im Sinne des analytischen Denkens allein, sondern wenn gerade personale Erkenntnis immer auch Anerkennung ist, ja sagt, freie Anerkennung ist, dann wird diese Erkenntnis vollendet, indem sie zur Liebe wird. Anbetung ist letzten Endes nichts anderes als diese Einheit der Erkenntnis und der Liebe vor einem unaussprechlichem Geheimnis. Erkenntnis muss Liebe werden, oder sie scheitert an ihrem eigenen Wesen. Unzufrieden bemächtigt sie sich dessen, was nicht zu bezwingen ist. Geheimnis ist also eine Positivität ganz eigener Art, ist wie gesagt das Verhältnis zwischen kreatürlichem Geist und Gott und ist wirklich die Vollendung des Menschen.

Die klassische negative Theologie hat dies schon deutlich gewusst und immer wieder von der Unaussprechlichkeit Gottes gesprochen, von dem Schweigen, das man lernen muss, um ihn zu verstehen. Angelus Silesius sagte es einmal in einem wichtigen Sinnspruch: "Je mehr du Gott erkennst, je mehr wirst du bekennen, dass du je weniger Ihn, was Er ist, kannst nennen". Aber dennoch auch die Warnung, nicht zu früh Zuflucht zu nehmen zu einer theologia negativa, diese nicht gleichzusetzen mit Trägheit des Geistes. Geheimnis hat nichts mit Denkfaulheit zu tun. Gott ist nicht in dem Sinn unaussprechlich, dass er nicht verstehbar wäre, dass er uns nicht eine Überfülle von Licht schenken würde, von Orientierung. Er ist unaussprechlich, weil er stets über allem steht, was über ihn ausgesagt werden kann. Er ist wirklich der immer größere Gott. Darum müssen alle unsere Begriffe, erst recht alle unsere Vorstellung, erst recht alle unsere Vorurteile, da sie einen Käfig bilden, darin wir Gott oft fangen und beherrschen möchten, zerbrochen werden. Gottes Bilder müssen immer wieder zerbrochen werden, sonst kommen wir nicht zum wirklichen, zum göttlichen Gott. Darum ist auch Negativität, wenn wir sagen, was Gott nicht ist, nicht einfach Verneinung, sondern es hält sich durch, dass wir eigentlich bejahen. Der menschliche Geist erschöpft sich nicht darin, dass er Revolte ist, Opposition oder Ablehnung, sondern er ist durch alle Negation hindurch, bei der er gleichsam Eierschale nach Eierschale ablegt, Zustimmung. So gibt es in der Logik der negativen Theologie so etwas wie einen ständigen Wechsel zwischen der Rede über das, was Gott nicht ist, wie wir ihn uns nicht vorstellen dürfen, und den Aussagen darüber, dass wir doch etwas mehr verstehen von dem, wie er ist, dass wir es nicht einfach nur dabei belassen, dass die Worte uns unzureichend erscheinen, sondern dass es Worte sind, die ihn auch durchaus benennen. Und doch sagt gerade eine Theologie und eine Philosophie, die unablässig nach ihm suchen - ich zitiere Thomas von Aquin: "Der Unnennbare' ist der schönste aller seiner Namen, denn er setzt ihn von vornherein über alles, was man versuchen könnte, über ihn auszusagen".

Es gibt viele Beispiele für diese Ambivalenz der Rede über Gott, auch schon in der Heiligen Schrift, Themen, die uns heute wieder beschäftigen. Dürfen wir zu Gott einfach Vater sagen? Denken wir diesen Vater dann nicht oft nach dem Muster menschlicher Vatererfahrungen, wo es auch Despoten gibt, schlimme Patriarchen gibt, wo es Willkür gibt? So darf Gott als Vater nicht gedacht werden. Vater heißt aber auch, dass wir im Ursprung von ihm herkommen, dass wir immer wieder seine Güte und seinen Schutz erfahren, dass wir uns ihm verdanken. Aber Vater dürfen wir - das sagt uns schon die Heilige Schrift - nicht einfach denken in der Weise menschlicher Geschlechter, sondern genauer gesehen hat dieser Gott-Vater auch in der Heiligen Schrift schon Züge des Mütterlichen in sich einbezogen. Der Weltkatechismus der katholischen Kirche sagt in einem eigenen kleinen Absatz über Gott als Vater, dass Gott auch mütterliche, frauliche Züge hat, dass weder das Mannsein noch das Frausein einfach ausreichen, um zu sagen, wer Gott ist und wie er ist; sondern dass wir immer wieder an diesen Brücken menschlicher Worte entlang gehen müssen, um uns mit ihnen aufzuschwingen, um einzelne oft blitzartige Einblicke zu haben in das, was Gott ist, noch mehr, wer er ist. Damit wird auch jedes falsche System zunichte, das meint, irgendeine Geschlossenheit erreichen zu können, jedes theologische System, das meint, es käme zu irgendeiner Perfektion.

Thomas von Aquin, in dem Theologie und Heiligkeit eine fast einmalige Synthese und Einheit erreicht haben, ist auch hier ein überragendes Vorbild. Als er sein riesiges Werk - er wurde ja gar nicht so alt -geschrieben hatte, sich um Erkenntnis in ganz vorbildlicher Weise bemüht hatte, da überwältigte ihn für einen Moment so sehr die Überfülle des Lebens im Geheimnis Gottes, dass er nach diesem Augenblick kaum mehr in der Lage war zu schreiben. Es sei ihm alles vorgekommen wie Spreu, Stroh, was er geschrieben habe, im Vergleich zu dem, was er geschaut habe. Doch auch die Mystik entschleiert nicht Gott, sondern sie führt den wahren Mystiker immer tiefer hinein in diese unendliche Geheimnishaftigkeit Gottes.

5. Geheimnis und Offenbarung.

Gott bleibt nicht einfach der Schweigende. Es gibt zwar Millionen von Menschen, für die sich Gott als Gott dadurch auszeichnet, dass er immer schweigt. Götter müssen nicht immer reden, sie können auch schweigen, sie brauchen keine Worte. In der Bibel gibt es auch das Schweigen Gottes. Aber Gott kann das Schweigen brechen und tritt aus seiner Herrlichkeit heraus, indem er spricht. Indem er spricht, teilt er sich selbst mit, offenbart sich, gibt uns von dem, was in ihm selber ist. Und dies nennen wir dann ganz wörtlich Offenbarung. Ohne Geheimnis gibt es - wie schon gesagt - keine Offenbarung. Darum hat Gott auch eine letzte Freiheit, ob und wie er sich in der Offenbarung der Welt zuwendet. Dass Gott spricht, dass Gott aus seinem seligen Geheimnis heraus sich uns Menschen überhaupt zuwendet, dass das heilige Geheimnis in die Nähe von uns Menschen kommt: das ist das Wunder der Offenbarung. Das ist eigentlich Gnade.

So ist das Geheimnis das Erste, das Ursprüngliche, nicht einfach eine letzte Grenze. Geheimnis ist für den, der sich ihm anvertraut, der es demütig liebt, der sich ihm angstlos ergibt, wissend und liebend, der einzige Friede. Und dieses Geheimnis bleibt auch Geheimnis in der Anschauung Gottes. Es ist nicht einfach so, dass das Geheimnis nur in unsere Erdenzeit hineinpasst; dann brauchte man es nicht mehr. Nein, wir endliche, kreatürliche Menschen erfahren bei aller Unmittelbarkeit des Sehens Gottes von Angesicht zu Angesicht ihn immer als den unendlich Seligen, den unendlich immer wieder Tiefsten. So können wir verstehen, dass das Eintreten in das Allerheiligste, in den Raum Gottes selber zugleich auch ein Umhülltwerden ist mit der göttlichen Dunkelheit, die uns immer wieder neues Licht schenkt und spendet.

Nun gibt es nicht nur ein Geheimnis, sondern da Gott sich geoffenbart hat, hat er uns in die Geschichte hinein Geheimnisse seines Lebens und seines Wirkens geschenkt, Mysterien der Offenbarung in die Geschichte hinein. Die Theologie aller Jahrhunderte kennt vor allen Dingen drei Grundgeheimnisse: Dreifaltigkeit Gottes, die Menschwerdung und die Nähe seiner Gnade. Trinität, Inkarnation und Gnade, das ist eine ganz besondere Verdichtung des Geheimnisses in den Geheimnissen. Wir können auch sagen: Geheimnisse im Plural gibt es nur, weil es das Geheimnis gibt, weil sie es entfalten, gerade so, wie Gott uns sich durch die Offenbarung schenkt. Daher müssen wir wieder alles neu bedenken, dürfen nie die bleibende Grundlage des Geheimnisses Gottes vergessen. Wie reden wir oft von ihm, wie stellen wir uns ihn vor, was für Krämerseelen sind wir oft, wenn wir von Gott reden, was haben wir für falsche Vertraulichkeiten im Umgang mit Gott? Das heilige Geheimnis ist uns in Gott gegeben. Wenn es so in unsere Nähe kommt, wie uns der Glaube sagt, dann ist das stets ein Wunder. Darum ist dieses Geheimnis Gottes in der Erfahrung der Menschwerdung Jesu Christi, der Gnade, der Sakramente in einer besonderen Weise anschaulich. Das Wunder besteht immer darin, dass der unbegreifliche Gott sich uns in die Nähe schenkt. So führt die Anschauung Gottes immer tiefer hinein in das Geheimnis Gottes, und dies ist nichts anderes als Seligkeit.

In allen Funktionen und Aufgaben kommt es im letzten doch vor allem immer wieder darauf an, dass wir zu diesem Geheimnis Gottes führen. Wie oft sind eigentlich die Prioritäten auch unseres kirchlichen Handelns verstellt? Wie oft könnten wir vom Herrn erfahren, dass wir uns wie Marta um gar vieles kümmern, aber zu wenig um dieses eine Notwendige? Darum brauchen wir dringend die heute so oft beschworene Mystagogie, die Hinführung zum bleibenden Geheimnis Gottes. Das bleibt eine unaufhörliche Bewegung, ein stetiger Übergang vom Licht zum Dunkel, vom Wort zum Schweigen und umgekehrt. Je tiefer man Gott versteht, um so mehr weiß man, dass man im Nichtbegreifen ihn mehr verstanden hat. Geheimnisse muss man hüten, pflegen, das Gegenteil einfach von nur entdecken, entlarven, zergliedern, zerstückeln. Das Geheimnis hütet das Gottsein Gottes. Gott bleibt nur er selber im Geheimnis.

Meine sehr verehrten Damen und Herrn, liebe Schwestern und Brüder, es gibt einen Text, der in ganz besonderer Weise vor dieses Geheimnis Gottes führt. Er stammt von Martin Buber und ist ein begnadetes Wort über das, was Gott heißt. Dieses Wort aus dem Buch "Gottesfinsternis" aus dem Jahr 1953 möchte ich als kleine, abschließende Besinnung an das Ende meiner Ausführungen stellen, nicht bloß im Auszug, sondern ein klein wenig verlängert:

"Ja ... es ist das beladenste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden. Gerade deshalb darf ich darauf nicht verzichten. Die Geschlechter der Menschen haben die Last ihres geängstigten Lebens auf dieses Wort gewälzt und es zu Boden gedrückt; es liegt im Staub und trägt ihrer aller Last. Die Geschlechter der Menschen mit ihren Religionsparteiungen haben das Wort zerrissen; sie haben dafür getötet und sind dafür gestorben; es trägt ihrer aller Fingerspur und ihrer aller Blut. Wo fände ich ein Wort, das ihm gliche, um das Höchste zu bezeichnen! Nähme ich den reinsten funkelndsten Begriff aus der innersten Schatzkammer der Philosophen, ich könnte darin doch nur ein unverbindliches Gedankenbild einfangen, nicht aber die Gegenwart dessen, den die Geschlechter der Menschen mit ihrem ungeheuren Leben und Sterben verehrt und erniedrigt haben. Ihn meine ich ja, den die höllengepeinigten, himmelstürmenden Geschlechter der Menschen meinen. Gewiss, sie zeichnen Fratzen und schreiben 'Gott' darunter; sie morden einander und sagen 'in Gottes Namen'. Aber wenn aller Wahn und Trug zerfällt, wenn sie ihm gegenüber stehen im einsamsten Dunkel und nicht mehr 'Er, Er' sagen, sondern 'Du, Du' seufzen, 'Du' schreien, sie alle das Eine, und wenn sie dann hinzufügen 'Gott', ist es nicht der wirkliche Gott, den sie alle anrufen, der Eine Lebendige, der Gott der Menschenkinder?! Ist nicht er es, der sie hört? Der sie - erhört? Und ist nicht eben dadurch das Wort 'Gott', das Wort des Anrufs, das zum Namen gewordene Wort, in allen Menschensprachen geweiht für alle Zeiten? Wir müssen die achten, die es verpönen, weil sie sich gegen das Unrecht und den Unfug auflehnen, die sich so gern auf die Ermächtigung durch 'Gott' berufen; aber wir dürfen es nicht preisgeben. Wie gut lässt es sich verstehen, dass manche vorschlagen, eine Zeit über von den 'letzten Dingen' zu schweigen, damit die missbrauchten Worte erlöst werden! Aber so sind sie nicht zu erlösen. Wir können das Wort 'Gott' nicht reinwaschen, und wir können es nicht ganz machen; aber wir können es, befleckt und zerfetzt wie es ist, vom Boden erheben und aufrichten über einer Stunde großer Sorge".

Literatur

- Martin Buber, Werke I, München – Heidelberg 1962 (dort bs. 503ff; 509ff; 1109ff.).
- Karl Jaspers, Der philosophische Glaube, München 1948 u.ö. (Fischer Taschenbuch 1958 u.ö.).
- Henri de Lubac, Auf den Wegen Gottes, Freiburg 1992 (Vgl. dazu auch Martin Lenk, Von der Gotteserkenntnis. Natürliche Theologie im Werk Henri de Lubacs, Frankfurt 1993).
- Gabriel Marcel, Sein und Haben, Paderborn ³1980.
- H.J. Pottmeyer, Der Glaube vor dem Anspruch der Wissenschaft, Freiburg 1968, 364ff.
- Erich Przywara, Gottgeheimnis der Welt (München 1923), in: ders., Religionsphilosophische Schriften, Einsiedeln 1982 (= Schriften II), 123 ff.
- Karl Rahner, Vorlesungen über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie, in: Schriften zur Theologie IV, Einsiedeln 1964, 51-99.

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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