Gefahren für Kinder

„Wort des Bischofs" im SWR am 13. April 2008

Datum:
Sonntag, 13. April 2008

„Wort des Bischofs" im SWR am 13. April 2008

Ob es nun immer so war oder ob wir es heute stärker bemerken: Kinder sind vielen Gefahren ausgesetzt. Nicht nur im Verkehr, sondern leider auch im Blick auf manche unberechenbaren Eltern. Es ist gut, wenn man früher aufmerksam wird auf solche Gefährdungen und ihnen, vor allem durch rechtzeitige Beratung, entgegentritt. Freilich kann man manchmal die Sorge haben, der Staat mische sich - von ausgesprochenen Lebensgefährdungen abgesehen - unter Umständen auch zu viel in die Sorgepflicht und in die Rechte von Eltern ein.

Kinder sind für unsere Gesellschaft offenbar auch deshalb wichtiger geworden, weil sie seltener geworden sind. Kleine Veränderungen der Geburtenstatistik beheben noch nicht die lauernden Gefahren einer ohnehin alternden Gesellschaft. Dahinter aber steht eine Gefahr, die keine so große Rolle spielt in unseren öffentlichen Diskussionen, aber nicht minder bedrohlich ist. Wir dürfen Kinder nicht einfach unter künftigen wirtschaftlichen Erfordernissen sehen, weil wir mehr Arbeitskräfte brauchen. Manchmal hat man den Eindruck, Kinder würden vor allem als Faktor der ökonomischen Entwicklung in Rechnung gestellt. Dies ist sicher auch ein wichtiger Gesichtspunkt, aber er darf andere Dimensionen nicht verdecken oder gar auf die Seite schieben.

Es gibt viele Tendenzen, die dies, vielleicht ungewollt und unbeabsichtigt, fördern. Die Hirnforschung hat gewiss Nachdenkliches an den Tag gebracht, so dass wir z. B. Kinder auch schon vor dem sechsten Lebensjahr geistig stärker fordern können und sollen. Darum wird die Frage einer vorschulischen Bildung wichtig, gewiss auch stärker in den Kindertagesstätten.

Aber auch hier wird manchmal des Guten zu viel getan. Man erwartet, oft auch von Seiten der Eltern, dass die Kinder schnell überzogene Leistungen erbringen, die sich freilich auch schädlich auswirken können. Manche vertreten Konzepte, in denen man unschwer künftigen Wettbewerb und Konkurrenz z. B. um Noten schon in eine ganz frühe Zeit verlegt. Der Erwartungsdruck kann für alle schlimm werden.

Nun will ich keinen Mythos einer heilen Kindheit erneuern, als ob Kinder gleichsam außerhalb der Zeit leben. Auch hier ist ein gründlicher Wandel eingetreten. Wir können nicht ganz verhindern, dass die Zeitstrukturen Erwachsener in die Lebenswelt der Kinder eindringen. Moderne Kindheit ist auch in hohem Maß Medienkindheit geworden. Durch die Liberalisierung unserer Gesellschaft und so auch der Eltern orientieren sich viele Kinder weniger an pädagogischen und religiösen Standards. Es gibt bereits eine relativ große Individualisierung der Meinungen und Werturteile auch bei Kindern.

In diesem Sinne lauert, auch wenn man kein Romantiker ist, eine fundamentale Gefahr, dass wir Kinder viel zu früh in eine bestimmte Erwachsenenwelt versetzen und sie schon früh danach ausrichten. Deshalb muss in allen unseren Bemühungen und bei allen Wandlungen die Kindheit als eigenes, einmaliges und unersetzliches Lebensalter gerettet werden. Sie darf nicht brutal verzweckt werden. Kinder dürfen nicht schon früh auf künftige Leistungen abgerichtet werden. Zur Kindheit gehört eben auch das Absichtslose, ja in fundamentaler Weise das Spielerische. Diese Zeit des Spiels darf nicht verrechnet werden. Menschliche Erziehung ist keine Hundedressur. Nicht zuletzt darin besteht eine Gefahr für Kinder, dass wir dies nicht mehr beachten. Schnell ziehen dann auch verschiedene Ideologien in die Erziehung ein. Es gibt einen uralten Spruch eines großen Denkers aus der frühesten Zeit Europas, nämlich des manchmal dunklen, aber tiefen Heraklit (um 500 v. Chr.), der einmal sagt: „Das ewige Leben ist ein Kind, spielend wie ein Kind, die Brettsteine setzend; die Herrschaft gehört einem Kind." Das Wort hat Geschichte gemacht und sagt uns heute noch viel.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz