Gott und Macht

Ein religionsphilosophischer Versuch

Datum:
Dienstag, 29. Mai 2007

Ein religionsphilosophischer Versuch

Öffentliche Ringvorlesung 2007 in der Aula der Georg-August-Universität Göttingen am 29. Mai 2007 „Vorsehung, Schicksal und göttliche Macht“

„Gott und Macht“ will im Rahmen dieser Ringvorlesung „Vorsehung, Schicksal und göttliche Macht“ nicht das oft bedachte Thema des Missbrauchs der Macht im Namen Gottes, also in ideologiekritischer Hinsicht behandeln. Es geht um eine grundsätzlichere Frage, die auch noch diese religionskritische Dimension umfasst, nämlich wie sich „Gott“ und „Macht“ überhaupt zueinander verhalten. Gibt es Gott nur mit Macht, und was heißt dies konkret? Der Untertitel lautet: Ein religionsphilosophischer Versuch. In dieser Reihe werden viele religionsgeschichtliche Fakten zusammengetragen. Sie werden auch mit dem Licht der philosophischen Vernunft erhellt. Auch ich möchte dies versuchen, aber in doppelter Beschränkung: Ich möchte dies vor allem im Blick auf den Gott der Bibel, besonders aber des christlichen Glaubens versuchen. Dabei gehe ich davon aus, dass es dabei nicht nur um eine allgemeine deskriptive Bestandsaufnahme gehen kann, sondern dass uns diese Analyse auch bei einem heutigen Verständnis des Wortes „Gott“ helfen kann. Eine solche Perspektive christlicher Religionsphilosophie ist wenigstens des Versuches wert. Aber es ist eben doch auch ein Experiment.

I.

Für das Gottesverständnis, das vom jüdisch-christlichen Kulturkreis geprägt ist, ist es zunächst einmal keine Frage, dass Gott mächtig ist. Nicht selten wird dies auch in Bildern zum Ausdruck gebracht. So heißt es in Ps 118,15 f.: „Die Rechte des Herrn wirkt mit Macht! Die Rechte des Herrn ist erhaben, die Rechte des Herrn wirkt mit Macht!“ Hier gibt es kaum Grenzen, sodass das Wort von der Allmacht ziemlich nahe liegt. Das Alte Testament teilt mit seiner Umwelt die Überzeugung, dass alles Geschehen auf göttliches Handeln zurückgeht. So hat Gott auch alte Namen wie „der Starke Jakobs“, „Israels Fels“ oder „Schild“. Es ist eine rettende und verlässliche Macht, die die hervorstechende Eigenschaft Gottes ist (vgl. Gen 15,1; 49,24, 2 Sam 23,3). Für das Gottesverständnis Israels wurden die geschichtsmächtigen Taten bestimmend, die Israel als Gottes Volk konstituieren (vgl. Ex 20,2). Immer wieder wird besungen, vielfach schon formelhaft, was Gott „mit starker Hand und hoch erhabenem Arm“ für Israel vollbrachte (Dtn 4,34; 2 Kön 17,36).

Die Zuspitzung auf Gottes Allmacht gehört nun im strengen Sinn zur Festigung des Monotheismus. Die einzelnen Geschichtserfahrungen wurden ausgeweitet. In der Verehrung dieses einen Gottes bekam er immer mehr Macht und Zuständigkeit für alle Lebensbereiche und auch über Israel hinaus (vgl. Am 1 f.; Jes 7,18 ff.; Jer 27,6). Im Buch Deuteronomium und bei Deuterojesaja gelangt dieser Monotheismus zu einem grundlegenden Durchbruch: „Jahwe ist der Gott, kein anderer ist außer ihm.“ (Dtn 4,35) Seine Einzigkeit und seine unvergleichliche Größe erweist sich in seiner uneingeschränkten, universalen Wirkkraft (vgl. Jes 40,25-28; 43,10-13; 44,6-8. 24; Dtn 3,24; 6,4; 10,17). Diese Überzeugung kommt zwar gelegentlich in seinem Namen zum Ausdruck („schaddaj“, „pantokrator“, „omnipotens“), ist aber nicht so maßgebend wie die Reflexion über sein freies, unvergleichliches Wirken. Er ist „der Erste und der Letzte“, er ist vor dem Dasein der Welt (vgl. Jes 40,28; 44,6; Ps 90,2). Sein Handeln und Schaffen gibt allen erst den Anfang (vgl. 2 Makk 7,28) und erstreckt sich auch auf alles (Jes 44,24; Ijob 38).

Einen wichtigen Hinweis auf das Wirken dieser Macht geschieht schon früh und mit immer größerem Nachdruck, indem Gott gebietend und vollbringend spricht. Seine Macht zeigt sich vor allem im schöpferischen Wort (vgl. Gen 1,1-3; Ps 33,6.9; Jes 55,11; Weish 9,1). Er vermag alles, was er will, und es geschieht, wenn er es will (Ps 115,6; Jes 46,10; Ijob 42,2). Nichts ist Gott unmöglich (Gen 18,14; Jer 32,17.27). Obgleich Gott Heil und Unheil schafft (vgl. Jer 45,4; Jes 45,7), ist seine umfassende Macht durch Güte zu den Geschöpfen und durch sein Wohlwollen für Israel und alle Völker bestimmt (Ps 36,6; 136; Jes 49,6). Er gibt nicht nur den Anfang, sondern er gewährt auch den Bestand, ist fürsorgend und allgegenwärtig (Ps 23; 104; Weish 11,25 f.; Jer 5,24; 32,19). Man muss aber auch diese Allmacht Gottes so denken, dass die Fügungen Gottes die menschliche Verantwortung nicht einfach ausschließen (vgl. Gen 50,20; Ex 8,15). In diesem Sinne gilt sie besonders auch für die Niedrigen und Bedrängten (vgl. besonders eindrucksvoll die Texte bei Am 4-6 und im Ps 113) und für den geschundenen Knecht Gottes (Jes 42; 49; 52 f.). Schließlich erwächst aus der Hoffnung auf die Beständigkeit, Zuverlässigkeit und Treue auch die Erwartung der Auferstehung (vgl. Dan 12,1 ff.).

Das Neue Testament setzt diesen alttestamentlichen Glauben an die Allmacht Gottes voraus. Er ist Schöpfer, Erhalter, Lenker der Geschichte und Richter (Mk 13,19; Eph 3,9; Apg 4,24; 1,7; Röm 2,5 f.). Die unbedingte Freiheit, Verfügungsgewalt und Unerschöpflichkeit von Gottes Allmacht unterliegen keinem Zweifel (vgl. Hebr 11,3; Röm 9,20 f.; Lk 1,37; Mt 19,26). Das Lob Gottes vermerkt immer wieder seine „ewige Macht“ (1 Tim 6,16; 1 Petr 4,11), wobei das letzte Buch des Neuen Testaments häufig den Titel „Pantokrator“ verwendet (Offb 1,8; 4,8; 11,17; 15,3; 16,14; 19,15; vgl. auch als Reflex des ATs 2 Kor 6,18). Nach Röm 1,20 sind Gottes „dynamis“ und „theiotes“ in den Werken der Schöpfung erkennbar. Es wird später noch davon die Rede sein, wie diese Allmacht Gottes, besonders im Sinne eines endgültigen Heilswillens, in Jesus Christus begegnet.

II.

Wir sind mit dieser ersten Übersicht jedoch weit vorausgeeilt und müssen nun gleichsam wieder einen Schritt zurückgehen. So selbstverständlich ist der Begriff der Allmacht nicht. Die Verbindung mit dem biblischen Monotheismus ist noch enger, als es ein bloßes Referat von Zeugnissen nahe legen kann. „In der griechischen Philosophie hat die Vorstellung (einer Allmacht Gottes) keinen Ort, da der Besitz unbegrenzter Macht nicht Teil der griechischen Vorstellung der göttlichen Vollkommenheit war: Vollkommen zu sein hieß, nicht zu handeln zu bedürfen und deshalb auch keine Macht, geschweige denn Allmacht, zu brauchen.“ In diesem Zusammenhang steht auch die These der „Schöpfung aus nichts“ eine Rolle, weil damit jede Beschränkung der Allmacht Gottes auf eine bloße Formkraft der Materie überwunden wird. Zugleich wird auch die völlige Freiheit der Schöpfung Gottes von jeder inneren Notwendigkeit oder einer eigenen Bedürftigkeit festgehalten. Die Reflexion mit Hilfe des griechischen Denkens vertieft diesen Grundgedanken. Der Apologet Justin sieht schließlich den Auferstehungsglauben als Grund an, „dass bei Gott nichts unmöglich ist“ (1. Apol. 18). So heißt es schließlich beinahe abschließend bei Augustinus, Gott sei allmächtig, „weil er kann, was immer er will“ (Enchiridion, 96).

Es gibt eine Fülle von Manifestationen und Auswirkungen der Gotteswirklichkeit in endlichen Medien, besonders Naturdinge erscheinen als „heiliger Gegenstand“. Es sind vor allem die zauberhaften Kräfte. „In gewaltigen, fremdartigen, auffälligen, unerklärlichen Erscheinungen spürt der Mensch eine übermenschliche, übernatürliche, geheimnisvolle Kraft, die zugleich wertvoll und gefährlich, segensspendend und fluchbringend ist.“ Es gibt dafür in der modernen Religionswissenschaft viele Begriffe, z.B. das Mana der Südseevölker. Andere Begriffe für die Kraft der so genannten primitiven Religionen sind z.B. „tabu“ aus Polynesien und das germanische „heill“, ganz, ungebrochen, ohne Schwäche, tüchtig. Alle diese Worte haben bei aller Variationsbreite eine Gemeinsamkeit: „Es gibt eine übernatürliche Kraft, die lebendig wird in Dingen, Handlungen, Menschen, die Segen und Fluch bringt, Heil und Unheil, Glück und Schaden ... diese Vorstellung ist für die Geschichte der Religion von entscheidender Bedeutung. Die moderne Religionswissenschaft hat durch die Entdeckung des ‚Macht’-Begriffes eine Umwälzung erfahren.“

Nun muss man aber auch diesen Begriff heute richtig verstehen. Früher meinte er in der „präanimistischen“ Ursprungsphase der Religionsgeschichte einen selbstständigen, zentralen Grundgedanken. Man war der Meinung, dass sich daraus die Gottesvorstellung entwickelt hätte. Mit der Überwindung eines zu einfachen Evolutionismus in der Religionswissenschaft sieht man auch die Bedeutung dieses „Macht“-Verständnisses anders. Die „Macht“ ist kein autonomer Zentralgedanke, sondern ein wichtiger Teilaspekt der Gotteserfahrung. Dabei wird eine rein anthropologische Interpretation der Religion als Ausdruck und Schöpfung des menschlichen Bewusstseins überwunden. Religion erscheint mit Recht in einer differenzierteren und komplexeren Gestalt: „Religion ist also eine doppelseitige Größe; sie umfasst Gottheit und Mensch, aber die Gottheit als das Zuvorkommende, Schauererregende, absolut Gültige, Unantastbare.“ In gewisse Weise gibt es hier auch eine Koinzidenz eines allmächtigen und eines personalen Elementes, wie sie teilweise auch in Gestalten wie einem Gesetzgeber, Richter, Helfer, ja Erlöser begegnet. Es ist aufgrund des Gewichtes und der Stärke der anthropologischen Fragestellung schwierig, diese „Doppelseitigkeit“ stets zu beachten. Sie wird immer wieder auf den anthropologischen Pol reduziert. Darum sagt Heiler mit Recht: „Diese Doppelseitigkeit, ja letztlich Einseitigkeit im Sinne des göttlichen Zuvorkommens ist vielfach verkannt worden. Religion wird gedeutet als menschliche Geisteshaltung, als menschliches Denken und Tun. Dabei wird das Moment der Offenbarung, des Gerichtes und der Gnade verkannt, welches schon nach der Etymologie dem Begriff Religion wesentlich ist. Die moderne Religionswissenschaft hat großenteils den Begriff der Religion vermenschlicht und entgottet. Der Mensch wird zum Schöpfer der Religion.“

An dieser Stelle ist der Machtbegriff im erwähnten Sinne außerordentlich wichtig. Er darf aber nicht wieder anthropologisch reduziert werden. Hier hat Gerardus van der Leeuw etwas Entscheidendes festgehalten, wenn er sagt: „In der Religion ist Gott der Agens in der Beziehung zum Menschen, die Wissenschaft weiß nur vom Tun des Menschen in der Beziehung zu Gott, nichts vom Tun Gottes zu erzählen.“ Die Phänomenologie der Religion hat diese Eigenständigkeit des Religiösen, in diesem Sinne auch seine „Macht“, als das „Heilige“ bezeichnet, worauf hier nicht näher zurückzukommen ist. Bereits G. van der Leeuw hat übrigens die Kategorie „Macht“ treffend konzentriert auf die Formulierung „Macht und Wille gestaltet im Namen“. So wird auch nochmal deutlich, dass die „Macht“ in diesem religionsphilosophischen Sinne zwar einerseits vom endlichen Medium unterschieden ist, aber sie erscheint in ihm und wird in ihm zu einer Gestalt, die zwischen der Gottheit bzw. dem Gott und dem konkreten religiösen Gegenstand vermittelt.

III.

So wird nun auch verständlich, warum im Monotheismus nochmals eine radikale Reduktion des Machtgedankens im Blick auf Gott geschieht. Es wird deutlicher, was es heißt, dass Gott selbst schlechthin nicht nur Macht hat, sondern die Macht ist, wie wir zu Beginn aufgezeigt haben.

Dies hat aber auch zur Konsequenz, dass Gott, auch wenn seine Macht sich in der Welt und in endlichen Medien bekundet, keineswegs damit in eins gesetzt oder verwechselt werden darf. Es ist ein bis heute wohl eher unterschätztes Faktum, wie sehr Gott im Alten Testament immer wieder in seiner Unverwechselbarkeit auftritt und wie sich von hier aus geradezu eine grundlegende Verspottung nicht-biblischer Religionen ergibt.

Dabei geht es einerseits um die Abwehr fremder Kulte, aber auch anderseits um die Unterscheidung von allen Phänomenen der Macht im Naturbereich. Diese Macht hat ja immer wieder auch dazu geführt, dass Gott mit Mächten der Natur gleichgesetzt wurde oder es zwischen ihnen identifikatorische Prozesse gab. Ich möchte dafür ein, wie mir scheint, bezeichnendes Beispiel anführen. Es geht um eine Jahwe-Theophanie im 19. Kapitel des ersten Buches der Könige (19,11-13). Der Text ist bekannt, vor allem, weil er ohne jede Parallele im AT ist. Elija musste immer wieder das Volk vor der Gefahr eines Abfalls zum heidnischen Kult, hier speziell der Kanaanäer, schützen. Er ist müde und depressiv, er versteckt sich. Der Herr ruft ihn aus der Höhle heraus: „Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.“ Nun empfängt er einen neuen Auftrag von Gott. Die Geschichte erinnert an das Erscheinen Gottes bei der Verkündigung der Gebote am Sinai, auch dort unter Blitz und Donner, Feuer und Erdbeben (vgl. Ex 19,16-19). Auch hier bietet Gott seine Mächte auf. Aber sie sind nur so etwas wie seine Vorboten. Gott selber ist nicht in den Kräften der Elemente, er ist nicht im mächtigen Wettersturm, nicht im Erdbeben und nicht im Feuer. Man vermutet hier eine antikanaanäische Polemik, weil in der kanaanäischen Religion mit jenen Naturerscheinungen die Theophanie Baals beschrieben wurde. Freilich gibt es auch im AT beim Erscheinen Jahwes solche Phänomene. Aber sie sind nur Begleiterscheinungen und nicht das Eigentliche. Die Jahwe-Religion soll nicht vermischt werden mit den Umweltreligionen. Dazu gehört vielleicht auch, dass das ungestüme und gewalttätige Vorgehen des Elija in die Schranken gewiesen wird, nämlich die Hinrichtung der Vertreter der Baals-Religion. Nach all den geräuschvollen, erschreckenden Naturerscheinungen erfolgt in der „’hörbaren’ Stille“ die wahre Gegenwart Jahwes. Hier ist Gott gegenwärtig. Darum verhüllt Elija sein Gesicht. In dem „stillen sanften Säuseln“ darf man weniger den Ausdruck einer geistigeren und sittlicheren Gottesauffassung sehen. „Bei einer alttestamentlichen Gotteserscheinung kommt ... alles auf das ergehende Wort an; die Begleiterscheinungen, vollends wo sie der Erzähler nicht interpretiert, bleiben immer Beiwerk.“ Dies gilt besonders auch für Elija.

Gewiss gibt es hier noch ähnliche Beispiele. Es wird ja deutlich, wie zwar die Bereitschaft zu Krieg und Gewalt auch im Alten Testament gegenwärtig bleibt, jedoch die Mahnung zu Frieden und Versöhnung gerade auch bei den Propheten sich steigert. Dies kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Es wird aber auch im ganzen Verlauf des Alten Testaments, gleichsam in der Tendenz der Heilsgeschichte, deutlich, wie sehr die „Macht“ Gottes immer mehr zur Erde und zum Menschen herabkommt und gerade so auch einladend wirkt, z.B. im schöpferischen Wort, in den Weisungen des Dekalogs, in den Mahnungen der Propheten und in den prophetischen Gestalten selbst, in der Bundeslade – alles Zeichen und Symbole der wirkmächtigen Gegenwart Gottes. Der Tempel ist dafür nochmals eine eigene Größe. Eine gewisse letzte Steigerung erfährt dies im Glauben an die Auferweckung des Menschen, dass er nicht von den Unheilsmächten gefangen genommen wird, sondern dass Gott auch in den Situationen des Unheils, ja gerade auch im Tod und in der Unterwelt, mächtiger ist. „Ich bin immer bei dir.“ - Dies ist die knappste und kürzeste Aussage, die die Gegenwart der Macht Gottes auch noch in den Situationen des Elends und der Verlorenheit anzeigt.

IV.

Diese Linie im Verstehen der Beziehung zwischen „Gott und Macht“ wird sehr viel deutlicher im Neuen Testament. Wir haben einen wichtigen Zug schon bei dem „Vorbeiziehen“ Gottes vor Elija am Berg Horeb gesehen. Die Macht Gottes offenbart sich nun in seiner Sanftmut. Die Größe Gottes erscheint in der Einfachheit seines Kommens, in der Nähe zum Menschen und in der Ermutigung durch sein Wort.

Im Leben Jesu wird diese Macht Gottes auf einzigartige Weise offenbar. Es gibt durchaus den Aspekt der „Macht“. Jesu Verkündigung und seine Taten, einschließlich der „Machttaten“, wie wir gerne die Wunder nennen, stellen das Ankommen der Herrschaft Gottes sichtbar und wirksam dar. Sie geschehen mit „Vollmacht und Kraft“ (Lk 4,36). Aber sein Auftreten ist gerade durch den Verzicht auf Machtdemonstration gekennzeichnet. Wenn es schon von Mose im AT heißt: „Mose aber war ein sehr demütiger Mann, demütiger als alle Menschen auf der Erde“ (Num 12,3), so ist Jesus Christus der neue, der wahre Mose, in dem die reine Güte Gottes gegenwärtig wird: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,28-30)

Man sieht dies besonders deutlich an Jesu Wort über die Herrschenden dieser Welt, die Macht ausüben, und über Jesu Verständnis von Macht. Es gehört zur zentralen Botschaft Jesu über das Evangelium, wenn er sagt: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Mt 20,25-28 mit Verweis auf Jes 53,12) Das Herrsein Jesu und die Ausübung von „Macht“ bewährt sich in der Bereitschaft und in der Freiheit zu dienen. Das Neue Testament knüpft hier an eine besonders eindrucksvolle Heilsverheißung des Propheten Sacharja an, wo ein armer König angekündigt wird – einer, der nicht durch physische, politische und militärische Macht herrscht. „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft. Er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin ... er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde.“ (Sach 9,9 f.) Dazu schreibt Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: „Sein innerstes Wesen ist die Demut, Sanftmut Gott und den Menschen gegenüber. Dieses sein Wesen, durch das er im Gegensatz zu den großen Königen der Welt steht, wird anschaulich dadurch, dass er auf einer Eselin einzieht – dem Reittier der Armen, das Gegenbild zu den Kriegswagen ist, die er abschafft. Er ist der Friedenskönig – er ist es von der Macht Gottes her, nicht aus eigenem Vermögen.“

Diese Bereitschaft zum Dienen zeigt sich in der grundlegenden Hingabe seines Lebens, aber auch in einzelnen Gesten und Gebärden, wie z.B. in der Fußwaschung, wo es heißt: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.“ Und danach heißt es: „Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es ... Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ (Joh 13,1.13.15) Hier kehrt sich Macht in die Bereitschaft zur Ohnmacht um. Die biblische Linie des Herabstiegs, der Katabasis Gottes in die Welt, wie wir es vorher gesehen haben, wird besonders deutlich in dem Weg Jesu Christi selbst, wie er besonders in einem frühen Christushymnus dargelegt wird, dem Paulus einige eigene Akzente gibt: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: ‚Jesus Christus ist der Herr’ – zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil 2,5-11) Diese äußerste Ohnmacht bedeutet radikalen Verzicht. Aber es ist offensichtlich die Ohmacht dessen, der aus freien Stücken auf seine Machtstellung verzichten kann und wirklich den Weg der Entäußerung, der Kenose, und der äußersten Erniedrigung geht. Er erleidet schließlich die „mors turpissima“, den schlimmsten und schandvollsten Tod der Antike, die Hinrichtung am Kreuz.

Vor diesem Hintergrund muss man nun auch die Auferweckung des Gekreuzigten sehen. Es ist der Machterweis Gottes schlechthin. Er zeigt uns, wo Gott zu finden ist und wo man seine Kraft erhoffen darf. Kein Ort der Welt existiert, wo Gottes Kraft und Macht nicht lebendig werden kann. Darum bleibt Jesus in all seiner Ohnmacht auch nicht in der Finsternis der Sünde und der Ungerechtigkeit, auch nicht in der Macht der Unterwelt. Er wird als der „Erstgeborene der Toten“ befreit und zur Rechten Gottes erhöht. Er übt so die Allherrschaft Gottes aus. Dadurch wird auch der Christ in die unerlösten Verhältnisse der Welt gesandt, und er ist mit dem Apostel Paulus „fest davon überzeugt, dass Gott die Macht besitzt zu tun, was er verheißen hat“ (Röm 4,21; 8,18 ff.). Das Bekenntnis zu Gott in Jesus Christus, „der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft“ (Röm, 4,17), führt den Glauben an die Schöpfung und an die Auferstehung zusammen und führt zu der Gewissheit, dass nichts „uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,39).

V.

Es wäre reizvoll, der Geschichte des Motivs der Macht und der Allmacht Gottes im Verlauf der theologischen Diskussion über die Jahrhunderte nachzugehen. Das Mittelalter war tief von der Frage bewegt: Schließt Gottes Allmacht auch die Fähigkeit ein, das zu tun, was er nicht will? So wird schon bei Thomas von Aquin unterschieden zwischen Gottes „potentia absoluta“ und seiner „potentia ordinata“. Die Unterscheidung diente dazu, der göttlichen Freiheit und der Kontingenz der Welt gegenüber dem griechisch-arabischen Determinismus Ausdruck zu geben. Die spätmittelalterliche Theologie betont immer mehr die Fähigkeit, dass Gott handelt, indem er die gegenwärtige Ordnung überschreitet. Sie verankert sie in der Spontaneität eines frei sich bestimmenden Willens, der letztlich in der Liebe gründet.

Unsere Gegenwart problematisiert Gottes Allmacht im Namen menschlicher Freiheit und steigert dies bedrängend im Namen des Leidens. So weist H. Jonas darauf hin, dass das Gutsein Gottes mit dem Grauen von Auschwitz nur vereinbar ist, wenn Gott nicht allmächtig ist. Von Vertretern des Prozessdenkens wurde der Gedanke der Freiheit auch stark eingeschränkt oder ganz zurückgewiesen. Eine psychologische und feministische Perspektive hat den Gedanken vor allem der Allmacht Gottes unter Projektionsverdacht gestellt und als Beispiel männlichen Machtstrebens gedeutet.

Bei Karl Barth wird diese Schwierigkeit noch einmal deutlich. Zwar sieht er die Allmacht Gottes als die „Allmacht seiner freien Liebe“ an. Wenn er allerdings fortfährt, dass diese freie Liebe Gottes „mit keinem Zusammenhang und mit keiner Ordnung seiner Werke zusammenfällt“, so wird man entgegnen müssen, dass die freie Liebe Gottes „sehr wohl in dem Zusammenhang ihres Werkes an ihr Ziel kommt ... Nur muss jener Zusammenhang als Zusammenhang einer Geschichte göttlichen Handelns gesehen werden, die in jeder ihrer Begebenheiten kontingent aus der Zukunft Gottes gegenüber jeder Vergangenheit oder Gegenwart der Welt und ihres wie auch immer gedachten Naturzusammenhangs hervorgeht.“ Die heutige systematische Theologie kommt bei W. Pannenberg zu folgendem Ergebnis: „Die genauere Erörterung des Begriffs der Allmacht Gottes hat somit ergeben, dass die Allmacht nur gedacht werden kann als die Macht der göttlichen Liebe, also nicht als Selbstdurchsetzung irgendeiner partikularen Instanz gegen das ihr Entgegenstehende. Allmächtig ist nur diejenige Macht, die das ihr Entgegenstehende in seiner Besonderheit – also gerade in seinen Grenzen – bejaht, und zwar uneingeschränkt, unendlich bejaht, sodass sie ihrem Geschöpf die Chance eröffnet, in der Annahme der eigenen Grenze über sie hinaus zu sein und so selber der Unendlichkeit teilhaftig zu werden.“

Manche theologischen Entwürfe gehen in dem Sinne noch weiter, als sie Gottes Allmacht als die Macht seiner Liebe ganz besonders von der Konzentration auf Jesu Hingabe aus Liebe am Kreuz und im Sterben her sehen. Th. Pröpper fasst gut den Grundgedanken zusammen: „Gott zu denken als die ursprüngliche Liebe selbst (immanente Trinität), die in ihrer absoluten, nur durch sie selbst bestimmten Macht fähig war, sich selbst auch anderer Freiheit zu schenken, ihr also Dasein zu geben und in der Sendung des Sohnes und des Geistes sich mitzuteilen (ökonomische Trinität), die dabei den Widerspruch zu sich auf sich nahm und durchlitt, ihn schöpferisch überwand und deshalb als die Macht geglaubt werden darf, ihre Verheißungen zu erfüllen. Mit solchem Glauben sind die Fragen der Theodizee nicht erledigt, doch kann er, weil er mit Gottes unerschöpflichen Möglichkeiten rechnet und seiner Liebe ihre endgültige Rechtfertigung zutraut, Hoffnung bewahren.“

Ich will es noch etwas einfacher versuchen. Schließlich gehört die Aussage, dass Gott allmächtig ist, zum Glaubensbekenntnis der Christenheit.

1. Schon immer gab es heimlichen oder lauten Protest gegen den Glauben an die Allmacht Gottes. Das himmelschreiende Unrecht und alles Fürchterliche in der Welt straften das Wort vom Allmächtigen Lügen. Die Rede über Gott und die Erfahrung der Wirklichkeit prallten an dieser Stelle immer schon so heftig aufeinander wie sonst nicht. Die Erfahrung von Auschwitz hat für viele jede Rede von der Allmacht Gottes geradezu gelähmt. Die Welt ist voller Klagen.

2. Man darf Gottes Allmacht nicht als Steigerung weltlicher Herrschaft denken. Unsere Erfahrungen mit Unterdrückung und Überwältigung dürfen nicht Ausgangspunkt und Maß für das Denken von Gottes Allmacht sein. Er steht über den Gegensätzen von Macht und Ohnmacht.

3. Allmacht hat nichts mit Beliebigkeit und Willkür zu tun. Allmacht darf man nur von der Einzigartigkeit Gottes her denken. Es bleibt dennoch ein schwieriges Wort. Die Rede von der Allmacht Gottes muss damit fertig werden, dass der wahre Messias ein armer Mensch war, der nicht einmal in der Lage war, sein Kreuz allein zu schleppen.

4. Gottes Allmacht ist nicht den Geschöpfen entgegengesetzt oder gar feindlich. Gott will die Geschöpfe und bejaht sie unendlich. Seine Allmacht erdrückt uns nicht. sondern gewährt uns Raum, Selbstständigkeit und Freiheit. So zeigt die Schöpfung, dass Gott seine „Macht“ mit uns teilen will. Er gebraucht sein Können dazu, ganz ungezwungen Zeugen seiner Güte in der Welt zu schaffen.

5. Gottes Allmacht ist die Macht seiner Liebe. Die Menschwerdung Jesu von Nazareth ist der höchste Ausdruck solcher Macht. Jesus hat in seinem Leben und Sterben diese grenzenlose Kraft der Liebe leibhaftig bewiesen. Eine solche Liebe erleidet und erträgt alles. Der Allmächtige geht in die Ohnmacht eines Menschen ein, der schutzlos den Gewalten dieser Welt ausgeliefert war.

6. Schwäche wird zur Stärke. Eine Liebe, die selbst den Tod nicht scheut, ist auch stärker als dieser selbst. Am Ende ist nur die frei geschenkte Liebe allmächtig. Darum gibt es auch die inständige Bitte, Gott möge alles wenden. Daher betet auch Jesus in äußerster Bedrängnis: „Vater, alles ist dir möglich“ (Markus 14,36).

Wir sind mit Recht skeptisch, wenn uns das Wort von der Macht begegnet. Nur wenn wir Allmacht gut biblisch mit Liebe verbinden, können die harten Einwände ihre Macht verlieren. Die Theologie unseres Jahrhunderts hat die Einwände der Zeitgenossen im Ohr und gibt sich redlich Mühe. Am Ende wird die Antwort jedoch nur dem Beter voll einleuchten, gerade dann, wenn er in der Not schreit und klagt. So heißt es zusammenfassend bei Ijob: „Ich habe erkannt, dass du alles vermagst; kein Vorhaben ist dir verwehrt.“ (42,2)

VI.

Es bleibt noch eine wichtige Frage. Ob man nämlich bei allen Einsprüchen und Bedenken am Ende doch auf den Begriff einer Mächtigkeit oder der Allmacht Gottes verzichten kann. Gewiss, wir haben gesehen, dass die Allwirksamkeit Gottes gerade auch angesichts des freien menschlichen Willens nicht mit Alleinwirksamkeit gleichgesetzt werden darf. Aber die Frage ist gewiss noch grundsätzlicher. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein plausibles und authentisches Gottesverständnis, das in der jüdischen und christlichen Tradition verankert und verwurzelt ist, nicht einfach auf die Mächtigkeit Gottes verzichten kann.

„Gott“ ist gewiss als moralische Herausforderung und als Sinn-Anspruch zu verstehen. Sonst bliebe das Wort „Gott“ nur dem Kontext des Bestehenden verhaftet: Seine Wirklichkeit wäre identisch mit dem Vorfindlichen, reine Zutat zu dem, was ohnehin ist. „Gott“ bedeutet in der Tat einen Sinn, der mit den Fakten allein noch nicht gegeben ist. Sinn kann nicht von nackter Faktizität her begriffen werden. Darum sind auch viele Annäherungen an „Gott“ heute wesentlich moralische Herausforderungen gegen eine bestehende Wirklichkeit: Friede, Freiheit, Mitmenschlichkeit, Zukunft, Liebe, Gerechtigkeit. Aber gerade wenn „Gott“ nicht die Besiegelung unabänderlicher Verhältnisse ist, dann fragt sich, was „Gott“ bedeutet. Ist dieses Wort nur ein Hoffnungszeichen für unsere Erwartungen? Bleibt es im Protest stehen und zeigt auf solches, was nicht oder noch nicht ist, vielleicht auch nie sein wird? Ist dies der Sinn des Wortes Gott? Die Kraft dieses moralischen Sinnes wäre vielleicht nicht mehr als Wille zum Willen, vielleicht sogar am Ende Vergeblichkeit und Absurdität.

Was bedeutet „Gott“ ohne einen Bezug wirksamer Art zu der „Natur“ und zu der menschlichen Wirklichkeit, die unmenschlich, friedlos und ungerecht behandelt worden ist? Wenn Gott unvermittelt und beziehungslos gegen die Wirklichkeit der Welt gedacht wird, ist er dann nicht radikal ohnmächtig? Die Kraft dieses moralischen Sinnes wäre nicht mehr als Postulat und Sehnsucht.

R. Spaemann hat auf die Klage im Alten Testament verwiesen, in der von „Gott“ eine letzte Einheit von Sinn und Sein, besser noch: von Gutsein und Macht absolut erwartet wird. Wenn „Gott“ nicht zugleich auch Macht inmitten des Faktischen heißt, dann scheitert „Gott“. Der ontologische Gehalt des Versuchs, „Gott“ primär als moralischen Sinn-Anspruch zu begreifen, ist völlig unentschieden und letztlich leer, wenn ihm nicht – auf derselben Ebene – die heilvolle Mächtigkeit und Rettung entspricht. Nur einem Gott, den man zu Hilfe rufen kann, kann man seine Klage sagen. Gottes Macht ist nicht nur „potentia“, sondern eben auch „potestas“.

In diesem Zusammenhang treten die unveräußerlichen Elemente der Gottheit Gottes zu Tage. Gibt es einen Gott, der zwar mit der offenen Zukunft und dem Sinn des Menschenlebens zu tun hat, und zwar alles, aber gar nichts mit unserem Beginn und mit unserer Gegenwart? „Gott“ heißt bei allem moralischen Engagement auch absolut schöpferischer Zusammenhang mit der vollen Wirklichkeit des Menschen und der Welt. Kann ein „Gott“ etwas bedeuten, der nichts zu tun hat mit der Faktizität der Welt? Darum habe ich schon früher die These formuliert: „Das Wort ‚Gott’ verlangt und verheißt eine letzte unaufhebbare Einheit von Sinn und Sein, Anspruch und ‚Mächtigkeit’“

Res iterum venit ad dominum. Wir werden wieder auf unsere Anfangsfragen zurückgeworfen. Ist dies nicht ein Spiel mit dem Wort „Macht“ und „Allmacht“? Diese Wörter sind in der Tat vieldeutig. Wir haben sie in einen engeren Zusammenhang gebracht mit dem Wort „Gott“. Wenn Gottes „Macht“ die Kraft der freien Liebe ist und wir diese Liebe als seine Boten und Zeugen in Wort und Tat der Welt mitteilen sollen, dann werden wir jetzt, in dieser Zeit und in der Geschichte immer wieder scheitern. Die letzte Vollendung und Erfüllung dieser Macht und erst recht dieser Allmacht kann nur eschatologisch geschehen. Aber bis dorthin werden wir uns in den unversöhnten und oft auch von der menschlichen Macht verzerrten Verhältnissen der schöpferischen Macht der Liebe Gottes anvertrauen. Darauf setzen wir. Wer das Wort „Gott“ im Sinne des jüdischen und christlichen Glaubens ernst nimmt, muss an die Macht dieser Liebe glauben, jetzt gewiss im Fragment, brüchig, in irdenen Gefäßen, unvollkommen, fehlerhaft und nicht selten auch vergeblich. Aber die endzeitliche Erfüllung ist diesem Glaubenden gewiss. Und schon jetzt können wir im Handeln bei all unseren Zerbrechlichkeiten auf diese schöpferische Kraft setzen und dadurch auch – mindestens in kleinen Schritten – unsere Welt zum Guten verändern.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Redemanuskript - Es gilt das gesprochene Wort

Im Original sind eine Reihe von Fußnoten und Anmerkungen zu finden 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz