Grußwort beim EKD-Zukunftskongress

am 25. Januar 2007 in Wittenberg

Datum:
Donnerstag, 25. Januar 2007

am 25. Januar 2007 in Wittenberg

Zunächst möchte ich mich sehr herzlich bedanken für die Einladung zur Teilnahme an diesem „Zukunftskongress“ und besonders auch zur Möglichkeit dieses Grußwortes. Mein Dank gilt aber auch für die frühen Informationen zum Impulspapier des Rates der EKD „Kirche der Freiheit“.

I.

Es wird niemanden überraschen, dass viele Perspektiven und Elemente des Impulspapiers eine Entsprechung haben in anderen Kirchen unseres Landes, besonders in der Katholischen Kirche. Bei uns sind diese Zukunftsperspektiven bisher jedoch sehr breit gestreut und befinden sich nicht zuletzt auf der Ebene der Diözesen mit ihren Räten, des Zentralkomitees der deutschen Katholiken mit den zahlreichen, großen Verbänden und gewiss auch in manchen Texten aus Rom und unseren Nachbarkirchen. Dabei darf ich auch zahlreiche Aussagen der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1971 bis 1975), die in vielen Teilen nicht einfach erledigt sind, und zahlreiche Ausarbeitungen der Deutschen Bischofskonferenz mit ihren Kommissionen und Organen nennen.

Das Impulspapier hat den Mut, aus der Vielzahl von Anregungen und Überlegungen eine Auswahl, Konzentration und manchmal auch Zuspitzung vorzunehmen. Dadurch wird vieles, was uns in etwas zerstreuter Vielfalt gemeinsam ist, auf den Punkt gebracht und erscheint so als eine besondere Herausforderung. Dies – so scheint mir – ist im Impulspapier eindrucksvoll gelungen. Daraus können auch wir einen Nutzen ziehen. Zugleich bedanke ich mich für die vielen Anregungen.

II.

Es ist hier nicht der Ort, im Detail auf die Gemeinsamkeiten einzugehen. Aber gerade die im Vorwort des Vorsitzenden des Rates, Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber, dargelegten Grundannahmen sind auch für uns wichtig: Geistliche Profilierung statt undeutlicher Aktivität, Schwerpunktesetzung statt Vollständigkeit, Beweglichkeit in den Formen statt Klammern an Strukturen, Außenorientierung statt Selbstgenügsamkeit (8). Eine hohe Zustimmung ergibt sich auch für die erklärtermaßen nicht vollständige Auswahl der Kernbereiche mit den Folgen für kirchliche Kernangebote, kirchliche Mitarbeitende, kirchliches Handeln in der Welt und kirchliche Selbstorganisation. Wir würden hier gewiss einige Zukunftsfelder, die Sie freilich selbst nennen, aber nicht eigens thematisieren, stärker akzentuieren und entfalten: interreligiöser Dialog, lebendige Ökumene, Folgen der Globalisierung, weltweite Gerechtigkeit, Mission bei allen Völkern heute. Wir können gewiss dann auch noch einiges lernen von den zwölf Leuchtfeuern, die „eine Vorstellung davon vermitteln (sollen), welche qualitativen und strukturellen Umwandlungen die evangelische Kirche braucht, um den notwendigen Mentalitätswandel zu gestalten“ (9).

III.

Wenn ich mich trotz dieser vielen Gemeinsamkeiten frage, wo vielleicht Unterschiede in einigen Akzenten sind, so möchte ich in aller Vorläufigkeit zunächst einmal vier Perspektiven andeuten; die Fragen sind immer auch an uns selbst gestellt:

·Ich begrüße den Mut zur Schwerpunktsetzung. Man wird darum im Impulspapier immer wieder auf die Schaffung von Zentren, nicht zuletzt auch „Kompetenzzentren“ hingewiesen. Hier frage ich mich jedoch, ob die unverzichtbaren Grundvollzüge, die vor allem das Leben unserer Gemeinde – unabhängig von allen Formen – bestimmen, genügend zum Tragen gekommen sind. Es sind die drei großen Säulen Glaubensunterweisung und Verkündigung, Gottesdienst und Sakramente, Nächstenliebe (Caritas/Diakonie). Alle Reform muss immer wieder bei der Vertiefung dieser drei Grundfunktionen ansetzen.

·Auch wir wollen verhindern, dass bei der Veränderung der pastoralen Strukturen und Gemeindeformen der Eindruck entstehen könnte, dass man sich „aus der Fläche zurückzieht“. Es gehörte ja gerade auch zur missionarischen Kraft bei der Ausbreitung des Glaubens, dass das Christentum nicht nur in die großen Städte ging, sondern ganz buchstäblich die Kirche in die Dörfer brachte, wo sie als „Haus Gottes“ einen wichtigen Mittelpunkt bildete. Wir müssen uns beide nüchtern fragen, ob wir im Vorgang der Schwerpunktbildung und Konzentration faktisch – eher im Sinne einer unbeabsichtigten Nebenwirkung – die lebendige und leibhaftige Präsenz der Kirche auf dem Land und in den einzelnen Gemeinden eben nicht doch vermindern oder gar aushöhlen.

·Wir machen vielleicht nicht immer genügend ernst mit der Tatsache, dass der Mensch auch ein räumliches Wesen ist, mit Nähe und Entfernung, mit Nachbarschaft und Gemeinschaft vor Ort. Wir dürfen diese Einsichten bei der Veränderung der Strukturen nicht aufgeben. Sonst verlieren wir vieles aus dem Blick. Manchmal habe ich schon den Eindruck, dass man vielerorts zentrale Kräfte ausweitet und stützt, nicht selten mit nachteiligen Folgen für die Seelsorge auf dem Land sowie in den Randzonen und im Umfeld der Städte. Kann uns nicht die Idee der „Symbolkirchen“ oder einer „Profilierung der 50 bedeutendsten evangelischen Kirchen“ (87) eventuell auch in die Irre führen?

·Bei den schon genannten Grundvollzügen der Gemeinde spielen die Gottesdienste und die Feier der Sakramente, immer einschließlich der Verkündigung des Evangeliums, eine zentrale Rolle. Sie sind so fundamental, dass man sie zwar als „Amtshandlungen“ bezeichnen mag, aber dies reicht nicht. In scharfem Kontrast zu seiner Bedeutung steht bei allen Kirchen – die Unterschiede darf ich einmal übergehen – die Verringerung des Gottesdienstbesuches an Sonn- und Feiertagen erdrückend und belastend in einem nicht zu leugnenden grellen Licht. Wir verschließen davor nicht gerade die Augen, aber hier fehlt es wohl in allen Kirchen am notwendigen Erschrecken über diese wachsende Passivität, ja manchmal auch schleichende Distanzierung vieler Kirchenmitglieder von den zentralen Vollzügen des christlichen und kirchlichen Lebens. Müssten wir hier nicht viel mehr aufwachen und auch mehr gemeinsam für eine verbesserte Sonntagskultur, eben einschließlich des Besuchs der Gottesdienste, unternehmen? Hier besteht doch wohl eine vernachlässigte ökumenische Aufgabe für uns alle, übrigens auch verbunden mit einem erstaunlich geringen Interesse an der Theologie des Christwerdens und besonders auch der Taufe (einschließlich der Firmung/Konfirmation).

·Ehe und Familie scheinen mir über die demografische Problematik hinaus gerade auch in ihrem inneren Zusammenhang von uns Kirchen eine viel größere Aufmerksamkeit zu verlangen, wie wir es freilich zum Teil auch ansatzweise schon versuchen.

IV.

Der Zukunftskongress hat die Überschrift „Kirche der Freiheit im 21. Jahrhundert“. Ja, die Idee der Freiheit ist wirklich ein spirituelles und theologisches, auch gesellschaftlich und politisch folgenreiches Schlüsselthema. Es ist gut, wenn wir Freiheit als zentrales Stichwort für die Sendung der Kirche in unserer Zeit begreifen. Für die evangelische Kirche lag dies gewiss immer schon näher. Wir hatten gewiss hier einen größeren Nachholbedarf. Aber manchmal steht der „Ruf nach Freiheit“ doch auch sehr stark und vorwiegend unter politischen Perspektiven. Wir reden zu wenig davon, dass diese Freiheit nicht schon ein gesellschaftlicher Normalzustand ist. Freiheit ist zuerst die Befreiung aus der Macht der Sünde. Schon gar nicht ist sie mit Beliebigkeit zu verwechseln. Sie rechtfertigt auch nicht ein wirklichkeitsfernes Überziehen der wesensgemäßen Autonomie des Menschen. Aber das Pathos der Freiheit darf – gerade im theologischen Raum – den Missbrauch der Freiheit und die Abgründe einer Freiheit, die rasch wieder in neue Sklavereien führt, nicht verschweigen. Sonst darf man sich nicht so leicht auf Paulus berufen. Bibel und Theologie haben immer Wert darauf gelegt, dass die Freiheit tief und unauflöslich mit Umkehr, Verantwortung und Dienstbereitschaft verbunden ist (Christo servire libertas est). Ich bin tief überzeugt, dass unsere wahre und auch durchaus zukunftsträchtige Rede von der Freiheit nüchtern von der vollen biblischen und auch reformatorisch verstandenen Freiheit her einige heilsame Korrektive braucht.

V.

Die Kirche begeht seit mehr als tausend Jahren am heutigen Tag das Fest der Bekehrung des Apostels Paulus. Ohne den „dreizehnten Apostel“ kann man die Fülle und den Reichtum des Apostolischen in der Kirche nicht verstehen. Nicht zufällig begegnet man im alten Rom den Gestalten von Petrus und Paulus immer zusammen. Dies ist auch für die richtige Balance zwischen Erneuerung und Umkehr der Kirche der Zukunft elementar wichtig.

Zugleich ist dieser Tag mit diesem Fest auch Höhepunkt und Ende der Ökumenischen Gebetswoche um die Einheit der Christen. Mit Recht wird sie mit dem Blick auf die Bekehrung des großen Völkerapostels zu Ende gebracht. Dies gilt für vieles: für die Notwendigkeit der missionarischen Verkündigung, die Dringlichkeit der Umkehr und das Wissen um unsere Fehler und unsere Ohnmacht. Nie dürfen wir das Wort an Paulus vergessen: „Paulus, meine Gnade genügt dir. Denn in der Schwachheit erweist sie ihre Kraft.“ So möchte ich schließen mit dem Tagesgebet der heutigen Eucharistiefeier:

Gott, du Heil aller Völker,

du hast den Apostel Paulus auserwählt,

den Heiden die Frohe Botschaft zu verkünden.

Gib uns, die wir das Fest seiner Bekehrung feiern,

die Gnade, uns deinem Anruf zu stellen

und vor der Welt deine Wahrheit zu bezeugen. Amen.

 

(c) Karl Kardinal Lehmann 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz