Grußwort zur Erinnerungsfeier an Pfarrer Franz Adam Landvogt (1889-1953)

aus Anlass seines 50. Todestages in der Pfarrkirche St. Peter in Mainz am 12. Oktober 2003

Datum:
Sonntag, 12. Oktober 2003

aus Anlass seines 50. Todestages in der Pfarrkirche St. Peter in Mainz am 12. Oktober 2003

Wer in diesen Tagen zu Veranstaltungen wie der Frankfurter Buchmesse kommt, begegnet einem Phänomen, das zwar immer schon eine gewisse Rolle spielte, aber zur Zeit auffälliger wird, nämlich der Suche nach einzelnen Menschen, die aus der Masse herausragen. Man kann nicht gerade sagen, dass man ein Vorbild sucht, vielleicht eher schon ein Muster für Erfolg. In jedem Fall sind es Personen, die etwas Außerordentliches, ja Extravagantes in die Szene bringen sollen. Es ist dann kaum mehr eine Überraschung, wenn die Verleger, die sich um Religiosität und Spiritualität kümmern, einem erklären, Heilige seien wieder „in".

Hat unsere Aufmerksamkeit für Pfarrer Franz Adam Landvogt, der vor 50 Jahren starb (05. Oktober 1953), etwas mit diesem neuen Personenkult zu tun? Wir zögern mit Recht. Erinnern wir uns ja noch gut, wie Mutter Teresa im selben Atemzug mit Prinzessin Diana – beide starben kurz nacheinander – dargestellt worden ist. Es bleibt in jedem Fall jedoch die Suche nach maßgeblichen Menschen, welchen Maßstab der Einzelne immer dabei auch anlegen mag.

Dies hat in jedem Fall etwas mit Pfarrer Landvogt zu tun. Er ist in Mainz auch heute nicht vergessen. Von 1928 – 1951 war er nach einigen Aufgaben in Darmstadt und Mainz in schwierigster Zeit Pfarrer von St. Christoph in Mainz. Seit 1945/46 war er zusätzlich Pfarrverwalter in St. Emmeran und in St. Peter, wo er auch zur letzten Ruhe gebettet worden ist. Zwei Dinge, die manchmal oft getrennt sind, finden bei ihm eine Einheit. Er ist tief vom Auftrag als Christ und Priester erfüllt, in seiner ganzen Persönlichkeit von dieser Berufung ergriffen und lässt indirekt eine einfache, aber tiefe Religiosität erkennen; auch wenn er immer wieder von Krankheiten geplagt wird, so scheint dies seinen Glauben eher anzuspornen als zu gefährden. Gerade aus seiner eigenen Lebensgeschichte heraus wendet er sich an alle, die ihm in der Gemeinde anvertraut sind, besonders wenn sie in Bedrängnis sind und Hilfe brauchen. Er nimmt sich ihrer an, weil er zu allen gesendet wurde. So ist er nicht nur ein vorbildlicher Seelsorger und Pfarrer, der von den Menschen schon zu Lebzeiten verehrt wurde. Er ist zugleich als ein regelrechter „Vater der Armen" – seit der Frühzeit der Kirche ein Ehrentitel, aber auch eine Forderung an alle Amtsträger – ein Mann der Caritas, der sich in ganz ungewöhnlicher Weise für die Armen und Hilfsbedürftigen in seinem Bereich einsetzt. Er fasst dabei den Begriff der Armen biblisch weit. Ihm liegen natürlich die Menschen am Herzen, denen der Krieg das eigene Haus und die Wohnung zerstört hat und die nun ausgebombt und zwischen Trümmern in der Stadt leben. Er kümmert sich auch um alle jungen Männer aus der Gemeinde, die zum Wehrdienst eingezogen worden sind, und hält durch seine Briefe die Verbindung mit der Heimat aufrecht. Aber es gibt neben der materiellen Not auch die seelischen Wunden: die Arbeitslosigkeit (dies beginnt ja schon in der Weltwirschaftskrise zu Beginn seiner Mainzer Tätigkeit!), Ängste und Verfolgungen in der nationalsozialistischen Diktatur, der Verlust von Familienangehörigen und das Trauma vieler Menschen, die im Krieg Verletzungen davon getragen haben. Es ist keine fromme Floskel, ihn wirklich als „Hirten" seiner Gemeinde zu sehen. Durch seinen unermüdlichen Einsatz in der Pastoral und in der Diakonie, die hier wirklich aus einer spirituellen Wurzel kommen, hat er auch vielen Menschen geholfen, trotz schwerer Schläge nicht zu verzweifeln, sondern Mut und Hoffnung nicht zu verlieren.

So freue ich mich, dass zu dieser Erinnerungsveranstaltung mit der anschließenden Eucharistiefeier viele gekommen sind: aus seiner Heimat Rockenberg in der Wetterau mit einem Bus mit etlichen Familienangehörigen; viele, die ihn noch kannten, einmalige Zeitzeugen sind und ihn auch heute noch verehren, und diejenigen, die seinen Namen in unserer Stadt aufrecht und lebendig erhalten, nämlich das sozial-karitative Werk, das seinen Namen trägt „Die Pfarrer-Landvogt-Hilfe e.V.", in dem sich engagierte Christen, besonders auch aus den jüngeren Generationen, um in Not geratene Menschen und ganz besonders um die Obdachlosen bemühen; schließlich begrüße ich alle, die dafür gesorgt haben, dass dieser 50. Todestag nicht erinnerungslos bleibt, sondern die sich um historische Aufklärung dieser Zeit und seiner Person, um die Sicherung von Erinnerungsstücken und Zeugnissen mühten, die Ausstellung konzipierten und realisierten und nicht zuletzt den Künstler Karlheinz Oswald. Die von ihm geschaffene Büste wird heute geweiht und der Öffentlichkeit in dieser Kirche übergeben. Sie soll auch künftig und über diesen Tag hinaus das Gedenken an Pfarrer Landvogt lebendig halten. Ich freue mich aber auch, dass die Gemeinde in St. Peter mit ihrem neuen Pfarrer Michael Baunacke, der Pastoralreferentin, Frau Maria Grittner-Wittig, und mit den Räten und vielen Frauen und Männern aus der Gemeinde das Andenken an ihren früheren Pfarrer pflegt.

Pfarrer Franz Adam Landvogt muss man eigens ehren, weil er von seiner eigenen Persönlichkeit her geradezu verleitet, ihn zu vergessen. Er hat uns sehr wenig hinterlassen. Heute noch sind wir Adam Gottron dankbar, dass er 1955 manches niedergeschrieben und so gerettet hat (erschienen in Buchform: Regensburg 1955, unveränderter Nachdruck Mainz 1991). Die Selbstlosigkeit der Person Landvogt und die Unscheinbarkeit seines Wirkens sind nur Verpflichtung. Sonst hätten wir im Sinne der eingangs gemachten Überlegungen einen falschen Begriff des Großen und eben auch fragwürdige Maßstäbe. Wir müssen jedoch gerade den Blick auf die richten, die nicht heutigen „Superstar" – Erwartungen entsprechen können. Damit sind in erster Linie die Leidenden, die Ausgegrenzten und die unter die Räder Gekommenen gemeint, die wir oft verschweigen. Es geht aber auch um die oft stillen Helfer, die ihr Handeln nicht an der Vermehrung des eigenen Wohlstandes und Ruhmes ausrichten, vielmehr ein Lebensmodell vertreten, das ein gelungenes Leben vor allem auch im selbstlosen Einsatz für andere erblickt. Es geht aber auch darum, dass wir das Leben in seiner ganzen Fülle erfahren und annehmen. Dazu gehören auch Krankheit und Leid, Krieg und Unfrieden, Schuld und Scheitern. Und es geht immer wieder um den Respekt vor der Würde des anderen Menschen. Unsere Informationsgesellschaft steht in einem beständigen und wachsenden Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen. Dabei muss man nüchtern die ökonomischen Motive dahinter sehen, da kommen die „stillen Helden" mit ihrer beispielhaften Lebenspraxis sehr oft zu kurz. Gerade die Kirche hat hier die Aufgabe, Gegenakzente zu setzen, gegen den Strom zu schwimmen und aufzudecken, was wir verlieren, wenn wir solche Menschen wie Franz Adam Landvogt erinnerungslos vergessen. Darum möchte ich den Damen und Herren der Medien danken, die sich an dieser heute oft undankbaren Aufgabe beteiligen. Wir können viel von Pfarrer Landvogt lernen, vor allem, wie wir mit dem Leben umgehen sollen, das Gott uns geschenkt hat.

Die Kirche hat eigene Mittel und Wege, um den Dank und die Erinnerung an solche Menschen festzuhalten. Deshalb ergeht immer wieder die Frage, ob es im Zuge der im Pontifikat Johannes Paul II. besonders gestiegenen Zoll der Selig- und Heiligsprechungsverfahren nicht die Möglichkeit gibt, dieses leuchtende Vorbild auch auf diese Weise in unserem Gedächtnis und in unserer Verehrung zu retten. Und die Frage wird in letzter Zeit bedrängender, weil wir spüren, dass wir bald nicht mehr viele Zeitzeugen haben werden, die uns von seiner Person und seinem Wirken künden. Schließlich entgleitet uns auch viel von dem, was er ganz unprätentiös und selbstvergessen geleistet hat. Im Zuge der Erforschungen der Archive haben wir feststellen können, dass vor allem in den 60er Jahren durchaus an die Prüfung gedacht war, ob nicht ein Heiligsprechungsverfahren eingeleitet werden könnte. Wir haben gewiss viele Zeugnisse über die Verehrung, die Pfarrer Landvogt von vielen Menschen zuteil geworden ist. Dies liegt durchaus im Rahmen dessen, was zur Durchführung von Selig- und Heiligsprechungsverfahren in der Apostolischen Konstitution „Divinus perfectionis Magister" vom 25. Januar 1983 als Bestimmung von Seligkeit und Heiligkeit so formuliert wird: „Unter ihnen (gemeint: die Jünger Jesu Christi) wählt Gott jederzeit viele aus, die dem Vorbild Christi besonders nahe gefolgt sind und durch das Vergießen ihres Blutes oder durch heroische Tugendübung ein hervorragendes Zeugnis für das Himmelreich ablegen." (vgl. den Text z.B. bei W. Schulz, Das neue Selig- und Heiligsprechungsverfahren, Paderborn 1988). In diesem Sinne dürfen wir ganz gewiss Franz Adam Landvogt zu den vorzüglichen Zeugen des Glaubens und der Liebe rechnen, auf den das Wort des Herrn in der großen Rede vom Weltgericht angewendet werden kann: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25, 40; dieses Wort steht auch in der Präambel der Pfarrer-Landvogt-Hilfe). In dem zugänglichen und aufgearbeiteten Aktenbestand finden wir in der Tat auch viele Gebetserhörungen, die sich mit Pfarrer Landvogt verbinden. Es dürften wohl bis in die jüngere Gegenwart hinein an die 750 Mitteilungen sein, die davon zeugen, dass man in vielen Nöten auch nach dem Tod des großen Seelsorgers auf ihn vertraut hat und seine Hilfe mit in Anspruch nahm. Es geht dabei um die vielen kleinen und großen Nöte des menschlichen Lebens. Von beruflichen Schwierigkeiten über Erziehungsprobleme und Ehekrisen bis zur Befreiung von schwerer Krankheit. Es gibt dabei gewiss einzelne Fälle, auch wenn sie nicht ausführlicher beschrieben worden sind, die einer ganz ungewöhnlichen Heilung gleich kommen, wenn z.B. von einer solchen Heilung eines dreijährigen Jungen berichtet wird, der von den Ärzten bereits aufgegeben worden war.

Es war aber immer schon die Frage, ob diese manchmal auch recht allgemeinen und sehr subjektiv empfundenen Gebetserhörungen ausreichend sind, um das für ein Selig- und Heiligsprechungsverfahren notwendige „Wunder" darzustellen und in gewisser Wiese auch zu sichern. Für die Seligsprechung wird ein ordnungsgemäß in einem eigenen Verfahren überprüftes Wunder verlangt sowie eine echte „fama signorum", d.h. der Ruf der Wundertätigkeit. Diese ist durch die große Zahl der Gebetserhörungen wohl gegeben, aber es fehlt die Bezeugung eines nach genauen Maßstäben geprüften und festgestellten Wunders. Das Verfahren dazu ist sehr streng. Die mit einer Voruntersuchung beauftragten Mitarbeiter im Bischöflichen Ordinariat Mainz und vermutlich Bischof Albert Stohr selbst sowie auch noch Hermann Kardinal Volk, denen diese Gebetserhörungen vorgelegt worden sind, haben vermutlich wegen dieses zentralen Mangels kein förmliches Verfahren auf der Ebene des Bistums – und dies ist eine wesentliche Voraussetzung – eingeleitet. Dabei ist es bis heute geblieben. Pfarrer Landvogt selbst hat uns ja noch in seinem Testament alles untersagt, was später einmal nützlich werden könnte für ein solches Verfahren, wenn er verfügt hat: „Meine Seele empfehle ich der Barmherzigkeit Gottes an. Mein toter Leib möge in einfacher Weise beerdigt werden. Große Traueranzeigen sollen unterbleiben, auch Fotos auf Sterbebildern und eine Gedächtnisrede. Heilige Messen und Gebete für meine Seele sind das Wichtigste." (A. Gottron, Franz Adam Landvogt, 50, vgl. auch B. Nichtweiß, Franz Adam Landvogt, 12). Aber selbstverständlich kann auch ohne einen förmlichen Seligsprechungsprozess von einem heiligmäßigen Menschen die Rede sein. Bischof Stohr hat am Christkönigstag des Jahres 1953 von der Domkanzel herunter festgestellt, dass das Volk von ihm wie von einem Heiligen spreche. (vgl. A. Gottron, 50).

Wir wollen gerade nach dieser erneuten Bemühung um sein Lebensbild aus Anlass seines 50. Todestages nochmals in Ruhe fragen, ob sich heute unter den zum Teil auch gewandelten Bestimmungen des Selig- und Heiligsprechungsverfahrens neue Gesichtspunkte ergeben könnten, um die Einleitung eines solchen Verfahrens auf der Ebene des Bistums ins Auge zu fassen. Schnell wird eine solche Überprüfung nicht erfolgen können. Ich bitte jedoch sehr herzlich alle, die wertvolle Erinnerungen und auch Erinnerungsstücke an Pfarrer Landvogt besitzen und sie uns noch nicht zugänglich gemacht haben, diese an das Bischöfliche Ordinariat zu übergeben.

Viele haben zum Gelingen der Gedenk-Veranstaltungen dieses Monats beigetragen, denen ich am Schluss einen sehr herzlichen Dank sagen will. Dies gilt gewiss für die Gemeinde St. Peter, Pfarrer Michael Baunacke, die Pastoralreferentin, Frau Maria Grittner-Wittig, den Pfarrgemeinderat mit Frau Birgit Karn als Vorsitzende. Frau Beate Wachtel, die sich immer wieder journalistisch um die Gestalt von Pfarrer Landvogt verdient gemacht hat, sammelte weitere Zeugnisse. Ich freue mich, dass Bildhauer Karlheinz Oswald die Plastik des Kopfs von Pfarrer Landvogt gestaltet hat. Herzlichen Dank gebührt den privaten Spendern und nicht zuletzt Frau Pooth, die manche Beträge dafür in der Gemeinde sammelte. Professor Dr. Friedhelm Jürgensmeier, der die Geschichte unseres Bistums wie kein anderer kennt, und Professor Dr. Hubertus Brantzen, der als Mainzer ein Verehrer von Pfarrer Landvogt und ein sensibler Pastoraltheologe im Blick auf uns heute ist, waren sich nicht zu schade, um sich wissenschaftlich mit der Gestalt von Pfarrer Landvogt tiefer zu beschäftigen. Ein ganz großes Verdienst für diese Gedächtnisveranstaltung hat neben unserer Akademie und ihrem Direktor Herrn Dr. Peter Reifenberg, Frau Dr. Barbara Nichtweiß, die Leiterin unserer Abteilung Publikationen im Bischöflichen Ordinariat. Sie hat nicht nachgegeben, weitere Akten sowohl in den Archiven wie auch in einzelnen Ämtern des Bischöflichen Ordinariates, wie z.B. im Offizialat, aber auch hier im Archiv von St. Peter aufzuspüren und auszuwerten. Sie hat auch die Konzeption und Verwirklichung der Ausstellung unternommen. Sie sehen selbst das Ergebnis. Ich denke besonders auch an das überzeugend und ansprechend gewordene kleine Gedenkheft. Dabei war ihr ihre Assistentin, Frau Gabriela Hart, eine große Hilfe. So hat z.B. sie den Aktenbefund mit den genannten ca. 750 Gebetserhörungen durchgearbeitet. Wir haben aber auch zu danken für technische Hilfe bei dem Zustandekommen der Ausstellung: dem Dombauamt für vielfältige Hilfe und auch dem Landesmuseum für das Ausleihen der Vitrinen, nicht zuletzt auch der Pfarrer-Landvogt-Hilfe. Wir danken auch allen, die uns die Zeugnisse und Erinnerungsstücke zur Verfügung gestellt haben, so z.B. der mit Pfarrer Landvogt verwandten Familie Wild von Rockenberg.

So ist dieses Gedenken für Pfarrer Franz Adam Landvogt das Werk vieler, die selbstlos und mit bescheidenen Mitteln, aber in sehr geeigneter und gelungener Form zum Gelingen dieser Erinnerung beigetragen haben. Ich kann nur ein herzliches Vergelt´s Gott sagen. Ich möchte diesen Dank auch mit hineinnehmen in unsere Eucharistiefeier, die sich an die nun folgende akademische Würdigung anschließt, auf die ich mich nun mit Ihnen sehr freue.


© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz