Hans Urs von Balthasar und die Ökumene

Datum:
Freitag, 12. August 2005

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Ökumenische Theologie als eine eigene Disziplin herausgebildet . Dies gilt auch in institutioneller Hinsicht, wo eigene Lehrstühle und Institute dafür entstanden sind. Wenn man heute nach den ökumenischen Äußerungen eines Theologen gerade der älteren Generation sucht, darf man die heutigen entwickelten Möglichkeiten nicht einfach in eine frühere Zeit zurückprojizieren. Dies heißt aber nicht, dass man sich früher nicht mit ökumenischen Themen befasst hätte, gewiss nicht so ausdrücklich wie heute. Es kann darum außerordentlich aufschlussreich sein, die explizite oder die mehr implizite ökumenische Dimension einer Theologie, die hauptsächlich vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelt wurde, gleichsam aufzudecken. Man lernt dann die Bedeutung einer solchen Theologie auch für die Ökumene besser kennen. Die Fragestellungen sind noch nicht so eingefahren. Es gibt überraschende Zugänge. Freilich sind die dafür in Frage kommenden Äußerungen im Allgemeinen ziemlich zerstreut und auch oft verborgen.

Ich habe im Zusammenhang der Herausgabe, zusammen mit Albert Raffelt, der ökumenischen Schriften von Karl Rahner ein solches Experiment bereits versucht und auch ein systematisches Fazit gezogen . Im Zusammenhang des 100. Geburtstages von Hans Urs von Balthasar möchte ich einen ähnlichen Weg gehen. Bei ihm ist dieser Versuch noch interessanter, vielleicht auch schwieriger, weil er, wie seine Biografie und Bibliografie zeigen, kaum in ökumenischen Gremien mitgearbeitet hat und auch in seinen Veröffentlichungen selten direkt Themen behandelte, die heute in der ökumenischen Theologie zentral sind. Dies kann aber nicht heißen, dass eine solche Suche nicht fruchtbar sein kann. Im Gegenteil, es kann hier noch größere Überraschungen geben.

I.

Es gibt gewiss im Werk von Hans Urs von Balthasar im Blick auf ökumenische Themen ein Werk, das hier eine große Ausnahme darstellt und Geschichte gemacht hat. Es handelt sich um eines der frühen Bücher Hans Urs von Balthasars, nämlich „Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie“ . Dieses Buch hat eine relativ lange Geschichte. Hans Urs von Balthasar nennt selbst bedeutsame Theologen der Zeit vor ihm, die sich grundlegend mit Karl Barth beschäftigten, nämlich Karl Adam, Erik Peterson, Oskar Bauhofer, Georg Feuerer, Erich Przywara, Robert Grosche, Ludwig Lambinet, Gottlieb Söhngen, Hermann Volk u.a. Hans Urs von Balthasar findet in dieser illustren Schar eine eigene Position, indem er auf die Reifung der großen Kirchlichen Dogmatik seit dem Erscheinen des ersten Bandes (1932) eingehen möchte, besonders seit 1940, und er möchte eine mögliche katholische Antwort auf das Gesamtwerk geben. Er schränkt die Möglichkeiten seiner Interpretation ein: „Sie sucht nach den tragenden Grundsätzen, legt das formale Gerüst frei, und zwar von vornherein in Ausrichtung auf das andere Anliegen: das konfessionelle Gespräch. So wird diese Darstellung auch bei weitem nicht genügen als ‚Einführung in die Theologie Karl Barths’... Die katholische Antwort, die im Ausschreiben weiterer Teile versuchsweise umrissen wird, ist, wie sich von selbst versteht, keine offizielle, sondern der private Versuch eines einzelnen Theologen.“

Als das Barth-Buch 1951 erschien, hatte sein Verfasser schon bald 20 Jahre über dieses Werk meditiert. Dabei ist besonders aufschlussreich, dass Hans Urs von Balthasar in seiner großen Studie „Apokalypse der deutschen Seele. Studien zu einer Lehre von letzten Haltungen“ das Schlusskapitel des dritten Bandes Karl Barth widmete . Allmählich entstand jedoch im Wachsen der Barthschen Dogmatik ein größeres Manuskript, das spätere Barth-Buch, aus welchem zwei Teilveröffentlichungen in der Zeitschrift „Divus Thomas“ in den 40er Jahren publiziert wurden . Schließlich hat Hans Urs von Balthasar, im Jahre 1940 nach Basel übergesiedelt, zehn Vorträge über „Karl Barth und der Katholizismus“ im Basler Verein für christliche Kultur in den Jahren 1948/49 gehalten, wobei Karl Barth nicht selten dabei war. Balthasar warnt, sich zu leicht mit diesem Theologen zu befassen: „Je tiefer einer in das Gespräch hineinhören wird, um so weniger wird er der Meinung sein, mit Schlagworten und mit Schwertern, die den gordischen Knoten durchhauen, etwas ausrichten zu können. Dass man im Zeitalter der Reform mit dem Hammer theologisiert hat, hat damals den Riss verendgültigt. An seiner Überwindung zu arbeiten, diese Mühsal erfordert doppelte Vorsicht, ein leises Wesen und viel Geduld.“ Schließlich weist Hans Urs von Balthasar darauf hin, dass alle eben genannten Vorstufen mit dem Erscheinen des Barth-Buches als überholt zu gelten haben.

Das Barth-Buch von Balthasar ist vielleicht das Buch, das am meisten der klassischen theologisch-systematischen Literatur entspricht. Es ist sehr transparent aufgebaut, spricht zugleich eine präzise, nüchterne und doch schöne Sprache. Man spürt den Germanisten und Schriftsteller. Das Barth-Buch ist auch von der theologischen Zunft bis heute sehr positiv aufgenommen worden. In dem dritten Teil „Denken und Denkform im Katholizismus“ bringt Hans Urs von Balthasar eine große Auseinandersetzung mit einigen Grundlagen Barths aus der Sicht katholischen Theologie. Hans Urs von Balthasar wählt sehr gezielt einige grundlegende Themen aus, die die ganze Auseinandersetzung mit Karl Barth steuern. Es geht zunächst einmal um die Interpretation dessen, was Karl Barth mit aller Leidenschaft gegen die „Analogie des Seins“ vorbringt. Schließlich steht im ersten Vorwort zu seiner Dogmatik: „Ich halte die analogia entis für die Erfindung des Antichrist und denke, dass man ihretwegen nicht katholisch werden kann. Wobei ich mir zugleich erlaube, alle anderen Gründe, die man haben kann, nicht katholisch zu werden, für kurzsichtig und unernsthaft zu halten.“ Hans Urs von Balthasar, der sich hier von Anfang an Erich Przywara anschließt, kann auf weite Strecken Barths Einwände entkräften. Auch wenn bei Karl Barth lebenslang in dieser Hinsicht ein Vorbehalt bleibt, so wiederholt er in dieser Hinsicht die Vorwürfe nicht mehr, sondern wendet sich einer eigenen Form von Analogie zu, nämlich der „Analogie des Glaubens“ (analogia fidei). Jedenfalls distanziert sich Barth von seinem früheren Schema „Gott alles – der Mensch nichts“. Um zu diesem Ziel zu kommen, hat Hans Urs von Balthasar freilich auch den katholischen Naturbegriff genauer unter die Lupe genommen. Dieser ist oft im Sinne einer Zwei-Stockwerke-Theorie als eine in sich geschlossene „natürliche“ Realität verstanden worden, gleichsam Unter- und Oberbau. Balthasar zeigt hingegen unter Aufnahme auch der Gedanken seines Ordensgenossen und Freundes Henri de Lubac auf, dass die wahre Sicht des katholischen Naturbegriffs sehr dialektisch ist. Die Natur des Menschen ist ein eigener Wert, unendlich offen, aber sie ist auch von sich allein aus nie vollendbar. Vor diesem Hintergrund gelingt es Hans Urs von Balthasar tief in eine Christozentrik hinein zu folgen und dabei das Verhältnis von Natur und Geschichte, Natur und Gnade, Gericht und Erlösung, Gnade und Sünde neu zu bestimmen .

Das Barth-Buch war nicht nur ein großer Erfolg, sondern hat auch die ganze folgende Beschäftigung mit Karl Barth zutiefst bestimmt und gefördert. So sind etwa das bekannte Buch „Rechtfertigung. Die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung“ von H. Küng , darin er das Barth-Buch von Balthasar ein „meisterliches Buch“ nennt, und die große dreibändige Monografie von H. Bouillard über Karl Barth undenkbar ohne die glänzende Vorarbeit von Balthasars. Dieser hat sich auch seinerseits immer wieder positiv zur Fortführung seiner eigenen Arbeit bekannt: „Bouillard ist in der Einzelanalyse und sorgfältigen Kritik der Theologie Barths viel weiter gegangen als ich; er hat manches schärfer herausgearbeitet, hat Elemente der Theologie Bultmanns ergänzend herangeholt; in den letzten Entscheidungen aber wissen wir uns einig, was die fundamentaltheologischen Positionen angeht. Hans Küng redet nicht als Fundamentaltheologe, sondern als Dogmatiker; er redet zentral über die Rechtfertigung, auf die ich nur am Rande zu sprechen kam. Sein Grundanliegen, hinter das sich Karl Rahner gestellt hat, und das mit dem Anliegen Barths zusammenfällt, profiliert die von mir als Ebene des Gesprächs geforderte Christozentrik noch weit entschiedener und unternimmt es, auch die alte erstarrte Front zwischen Reformation und Tridentinum diesbezüglich zu neuer Lebendigkeit zu erwecken. Man kann nur wünschen, dass die Ansätze Küngs umsichtig erweitert und ausgebaut, dass auch die Brücken zur Fundamentaltheologie und zur Philosophie geschlagen, dass die ganze Theologiegeschichte um die neuen Fragestellungen herum in Bewegung gebracht werden. Das Gespräch, das im Gang ist, darf nicht wieder versteinern.“

Hans Urs von Balthasar hat damit gezeigt, wie tief man an das Problem einer natürlichen Theologie herangehen kann, um dann gerade auch für das konfessionelle Gespräch fündig zu werden.

II.

Hans Urs von Balthasar und Karl Barth trafen sich in Basel immer wieder, zu Mozarts Musik, zum theologischen Gespräch, auch z.B. nach Theateraufführungen (z.B. von Max Frisch). Man darf gespannt sein, ob die Nachlässe oder/und auch die Korrespondenz beider noch manches an den Tag bringen werden . Es scheint, dass das Gespräch etwas einsilbig geworden sei, freilich nicht ohne Kontakte bis zu Karl Barths Tod Ende 1968.

Es gab jedoch nachhaltige Wirkungen des einen auf den anderen. Ich will nur wenige nennen. Dies gilt z.B. für Karl Barths Lehre von der Prädestination. „Barths Erwählungslehre, diese geniale Überwindung Calvins, zog mich mächtig und bleibend an.“ Balthasar fand viel Gemeinsames bei der hl. Elisabeth von Dijon .

Eine andere große Gemeinsamkeit ist die Theologie des Wortes Gottes. Balthasar zählt immer wieder Origenes und Karl Barth zu den größten Theologen, die das Wort Gottes zur Sprache brachten . Es gibt von früh an bis in das Alter immer wieder auch kleine Schriften, wo man die Distanz und die Nähe zu Karl Barth immer wieder findet, ob zitiert oder nicht zitiert: Theologie der Geschichte , In Gottes Einsatz leben , Glaubhaft ist nur Liebe .

Aber auch da, wo man es nicht vermutet, gibt es aufschlussreiche Bezüge. In der großen, 15 Bände umfassenden Trilogie „Herrlichkeit“, „Theodramatik“, „Wahrheit“, gibt es aufschlussreiche Parallelen im Verständnis der Schönheit, der Herrlichkeit und der Gestaltwahrnehmung . Aber auch hinsichtlich des „dramatischen“ Aspekts in der Offenbarung gibt es Ähnlichkeiten in der Denkform .

Diese Stichworte könnten noch vielfach ergänzt werden. Doch es soll vorläufig genügen. Es ist zu hoffen, dass sich jemand die Mühe macht, die vielen zerstreuten Einzelbemerkungen nach dem Barth-Buch zu sammeln und auszuwerten. Dabei bin ich fest überzeugt, dass die Trilogie sehr viel Material enthält, das zur Ökumene gehört und das noch längst nicht genügend gesichtet ist. Jetzt kommt es darauf an, zu sehen, wie sich dies über Karl Barth hinaus auf die ökumenischen Bezeichnungen auswirkt. Doch zuvor müssen einige im Zusammenhang auftauchende Themen wenigstens kurz angesprochen werden.

Auf der einen Seite geht es um Balthasars Verhältnis zu den Ostkirchen. Es ist kein Zweifel, dass er durch seine patristischen Forschungen gerade zu den griechischen Vätern in den Ostkirchen einen hohen Bekanntheitsgrad und auch eine hohe Anerkennung gefunden hat. Dabei geht es vor allem um Origenes, die drei großen Kappadozier: Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Basilius der Große - und schließlich um Maximus Confessor. Hier hat Hans Urs von Balthasar ja schon in früher Zeit hervorragende Forschungsarbeiten geleistet, wobei er schon im Blick auf philologische Untersuchungen geradezu Aufsehen erregende Entdeckungen erzielt hat, die heute vielleicht nicht genügend beachtet werden . Man müsste eigens die orthodoxe Literatur durcharbeiten, um genauer zu erkennen, wie die Reaktion auf Balthasars patristische Arbeiten in der Orthodoxie sind. Wie weit es regelmäßig zu Einladungen und Begegnungen kam, kann wahrscheinlich erst eine gründliche Nachforschung im Nachlass ergeben.

Die Behandlung des Judentums gehören nicht mehr in den Rahmen dieses Beitrags. Das Gespräch mit dem Judentum hat eine eigene Bedeutung zwischen der christlichen Ökumene und dem interreligiösen Dialog, vielleicht auch noch unter den abrahamitischen Religionen. Die Dürftigkeit der Titelangaben im Kontext eines Dialogs mit dem Judentum darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Hans Urs von Balthasar besonders in allen Ausführungen über die Offenbarung, die Kirche und die Sakramente mit den Verbindungslinien zum Alten Testament verfasst. Nicht zufällig ist ein ganzer Band der „Herrlichkeit“ (III/2/1) dem Alten Bund gewidmet. Besonders virulent ist für Balthasar immer wieder der Prozess der Loslösung, ja Entgegensetzung und Polemik zwischen Judentum und Christentum. Dies ist für ihn so etwas wie das Ur-Schisma. Die Kirche „aus Juden und Heiden“ ist und bleibt ein großes Thema. In diesem Zusammenhang wäre auch das Gespräch mit Martin Buber zu erwähnen, das teilweise ganz persönlich in Zürich stattfand und schließlich in das kleine Buch mündete: „Einsame Zwiesprache. Martin Buber und das Christentum“ . In diesem Zusammenhang spricht Balthasar auch von der „theologisch wie existenziell so sichtlose und belastende Frage zwischen Kirche und Synagoge“ . Doch wäre dies, wie schon bemerkt, ein eigenes lohnendes Thema, das aber hier nicht weiter verfolgt werden kann .

Man wird sich hier auch fragen, was über das Gespräch mit den weiteren großen nichtchristlichen Weltdeutungen bei Balthasar zu finden ist. Dabei darf man einerseits die großen Schöpfungen in Kunst und Literatur nicht übersehen, anderseits muss man aber die nichtchristlichen Religionen eigens ins Auge fassen. Soweit ich sehe, hat sich hier Hans Urs von Balthasar weitgehend den Überlegungen von Henri de Lubac zum Thema angeschlossen. Er hat sich zweifellos um eine genaue Deutung der nichtchristlichen Religionen gekümmert, wenn er mit ihren Themen zu tun hatte, aber im Grunde diente die vertiefte Kenntnis in letzter Instanz doch einer besseren Erkenntnis des eigenen Profils. Freilich müsste man dem Thema, genau wie bei den beiden genannten Fragestellungen, sehr viel genauer nachgehen. Dabei gibt es durchaus Überraschungen.

III.

Alle diese Beobachtungen können jedoch nicht übersehen lassen, dass Hans Urs von Balthasar der „offiziellen“ Seite der Ökumene eher fremd blieb. Natürlich hat dies viele Gründe. Er war gewiss bei aller Freundlichkeit und Geselligkeit in der theologischen Arbeit lieber für sich selbst verantwortlich und liebte durchaus Einsamkeit und Freiheit. Wer ihn auch nur ein bisschen kannte, kann leicht verstehen, wie sehr ihm Kompromisse – und gerade auch im Bereich der Theologie – ein Gräuel waren. Vorschnellen Einigungsversuchen konnte er genauso bissig begegnen wie Karl Barth. Er war auch nicht erfahren mit den Arbeitsweisen und Methoden ökumenischer Kommissionen und Gremien. Wie weit er davon entfernt war, geht aus dem Referat hervor, das er am 28. Februar 1968 bei einem gemeinsamen Tag der Besinnung und des Gebetes der drei Landeskirchen in der Schweiz gehalten hat. Karl Barth hielt das entsprechende Referat auf reformatorischer Seite. Es dürfte einer der letzten öffentlichen Auftritte von Karl Barth gewesen sein, denn wenige Monate darauf starb er. Hans Urs von Balthasar hielt ein beachtenswertes Referat „Einigung in Christus. Gedanken über die Vielheit der biblischen Theologie und den Geist der Einheit in der Kirche“ , aber Balthasar geht auf die Aufgaben und Themen der ökumenischen Gesprächskommissionen überhaupt nicht ein. Erst am Schluss wendet er sich dem konfessionellen Gespräch zu: „Hier ist ein Wort über die evangelisch-katholische Kontroverse im Ganzen angebracht. Das heutige ökumenische Gespräch wird nicht selten zwar als ein gemeinsames Suchen nach der christlichen Wahrheit im Aufblick zum gemeinsamen Herrn, aber dabei auch als eine radikale Reduktion auf das angeblich ‚Wesentliche’ verstanden, unter Ausscheidung aller entbehrlichen und das Verständnis störender Beigaben. Dass unter solchen Voraussetzungen der katholische Partner notwendig den Kürzeren ziehen wird, ist klar, denn die Reformation hat schon vor vierhundertfünfzig Jahren das Schiff von all seinem angeblichen ‚Ballast’ erleichtert und redet heute angesichts der innerkatholischen Vorkommnisse nicht ohne Genugtuung von einem ‚Nachholbedarf’... Alldem gegenüber muss zu bedenken gegeben werden: wie biblische Theologie eine höchst komplexe und auf keinen ‚systematischen’ Nenner zu bringende Größe ist, so wird auch kirchliche Theologie, die jene nur abspiegeln und für die Verkündigung des Evangeliums bereit stellen soll, nicht aus Kurzschlussformen aufgebaut und als ‚System’ vom Zaun gerissen, sondern bedarf eines gehorsamen Bedenkens aller Aspekte und einer Fähigkeit, in der gehörige Abstufungen gerade auch das (zur Fülle Christi hin!) Ergänzende nicht außer Acht zu lassen.“

Es gibt in diesen Jahren manches Gemeinsame mit Karl Barth, wie der Vergleich der schon genannten beiden ökumenischen Eröffnungsreferate aus dem Jahr 1968 zeigt. Die letzten Äußerungen Karl Barths weisen in eine ähnliche Richtung . Zusammenfassend blickt Hans Urs von Balthasar folgendermaßen auf Karl Barth zurück: „Beinahe unnötig ist es, herauszustellen, wie viel ich Karl Barth verdanke: wie schon gesagt, die Mission einer umfassenden biblischen Theologie, aber damit auch die Einforderung in ein dogmatisch ernstes ökumenisches Gespräch, ohne das der ganzen Bewegung das Fundament fehlen würde. Er hat mein Buch über ihn mit Freuden begrüßt und bejaht, meine folgenden Arbeiten mit einigem Misstrauen verfolgt, aber vielleicht nicht beachtet, wie sehr ihm ein Büchlein wie Glaubhaft ist nur Liebe gerecht zu werden versucht und vielleicht die höchste Annäherung von katholischer Seite an seine Position darstellt.“

In diesen Jahren hat sich Hans Urs von Balthasar auch mit aller Leidenschaft gegen Verkürzungen des Katholischen gewandt. In vielen Veröffentlichungen hat sich der gewandte, scharfsinnige und treffsichere Schriftsteller gegen Simplifizierungen und Unverständnis gewehrt . Die in dieser Zeit ökumenisch verhandelten Themen, die in der Tat oft verkürzt dargestellt wurden, werden in diesen Schriften zum Teil auch schroff angesprochen, wie z.B. die Interkommunion, das Priestertum der Frau, die Ämterfrage, Demokratie in der Kirche usw. Balthasar hat Sorge darum, dass die ökumenische Euphorie den Reichtum der kirchlichen Überlieferungen reduziert und uns dabei alle ärmer macht. Darum hat er in dieser Zeit auch immer wieder ermutigende Schriften im Blick auf diese Verunsicherungen veröffentlicht . Dabei hat er sich freilich auch nicht gescheut, die grundsätzlichen methodischen und inhaltlichen Probleme genauer anzugehen . Man darf wohl sagen, dass diese Überlegungen gerade auch im Zusammenhang der ökumenischen Theologie bis heute viel zu wenig beachtet worden sind.

Balthasar hat sich mit vielen großen Gestalten der christlichen Geschichte sehr eingehend befasst. Die Hauptgestalten der reformatorischen Bewegung, Luther und Calvin, gehören nicht dazu. Die Äußerungen zu Luther sind zum Teil sehr einseitig und hängen von einer umstrittenen Sekundärliteratur ab (z.B. P. Hacker, Th. Beer). Es ist auch merkwürdig, dass Balthasar den angekündigten Schlussband von „Herrlichkeit“ nie geschrieben hat. Er sollte den Titel Ökumenik bekommen. Vielleicht hängt es in der Tat damit zusammen, dass Balthasar in jenen Jahren, als dieser Band hätte geschrieben werden sollen, an der nachkonziliaren Krise des Katholizismus litt.

Diese und andere Äußerungen und auch Fakten kann man nicht bestreiten. Statt sich in vielem zu verzetteln, hat er sich in diesen Jahren ganz der großen Trilogie mit insgesamt 15 Bänden gewidmet, vergleichbar nur mit den größten Summen der Theologie im Mittelalter . Die Konzentration auf diese enorme Arbeit dürfte auch ein Grund sein für die Zurückhaltung gegenüber zu vielen Detailstudien. Aber es besteht ja auch kein Zweifel, dass in einer Zeit, in der vieles an ökumenischer Bewegung versucht wurde, es vielleicht wichtiger war, immer wieder auf die gemeinsamen Gehalte und Gestalten des christlichen Glaubens vertiefend hinzuweisen, und zwar eben im Sinne einer radikalen Theozentrik, nicht zuletzt im Sinne des Ignatius von Loyola „Ad maiorem Dei gloriam“. Er hatte Sorge, die wirkliche Einheit des Glaubens könnte durch vage und oberflächliche Kompromissformeln in sekundären Bereichen verstellt werden. Hier war er sich schon mit dem früheren Barth ganz einig: „Jede Einigung zwischen Kirchen muss eine Einigung im Glauben und also im klaren, klar-formulierten Glaubensbekenntnis sein. Sie kann somit auch nur auf einem echteren, lebendigeren Glauben, nicht auf einem Lau- oder Gleichgültigwerden in Sachen der Glaubensunterschiede fußen ... Mag sein, dass gemeinsame Not, gemeinsamer Widerstand gegen eine antichristliche Bedrohung diese ursprüngliche Wachheit wieder wecken kann ... Sie wird aber auch dann nicht zu einigen Kompromissen, zu Irenismus verführen, sondern nur zum unerbittlichen Ernst theologischer Prüfung des eigenen Bekenntnisses antreiben.“ Und er fügt mit Karl Barth hinzu: „Der Schritt von der gesonderten zu der einen Konfession müsste sich schlechterdings ohne Kompromiss und vor allem auch ohne Zustimmung zu solchen Einheitsformen und -formeln vollziehen, die den Zwiespalt etwa nur verhüllen wollten, aber nicht überwinden würden.“

Mit Karl Barth bleibt Balthasar skeptisch, schenkt aber doch unter einer klaren Voraussetzung der ökumenischen Suche nach Einheit Vertrauen: „Nach der Wahrheit Christi fragen ist immer hoffnungsvoll und ist immer auch liebevoll und dient auch immer und unter allen Umständen der Einigung der Kirchen – auch dann, wenn zunächst keiner vom Platze weichen, wenn die Trennung dadurch zunächst noch verschärft werden sollte.“ Und nochmals zustimmend Karl Barth: „Gerade in einer rechten Begegnung wird es nötig sein, den Gegensatz in voller Klarheit und Konsequenz auszutragen. Auch hier wird jedes scheinbar liebevolle Übersehen der Differenz, jede voreilige Anbiederung, jedes bloß psychologische Sich-Einfühlen, den Riss nur verkleben, nicht schließen, mit anderen Worten: Es muss ‚im Gehör auf Christus’ wieder ordentliche, nüchterne, strenge wirkliche Theologie getrieben werden.“ Man hat vielleicht oft übersehen, dass gerade die ersten Seiten des Barth-Buches außerordentlich bewegt sind von einer leidenschaftlichen, zugleich gediegenen Suche nach der Einheit im Glauben: „Eben im Wissen darum, dass eine Einheit nur die Gnade des Stifters der Kirche, nicht menschliches Gemächte sein kann, im Wissen also, dass wir ‚unnütze Knechte’ sind, von deren Sünde es stammt, dass die Einheit zerbrach, werden wir nicht ruhen dürfen, bevor wir ‚alles getan haben’ und nur der Glaube, der Berge versetzt, wird vor der Aufgabe nicht mutlos die Waffen strecken. Denn dieser Glaube weiß, dass auch der Berg dem Worte Gottes gehorcht, des Gottes, der seine eigensten Werke nicht ohne uns wirken will. Das Wissen um dieses Geheimnis lebt in den beiden getrennten Räumen, und diese Einheit im Glauben ist die Verheißung der Einheit im Glauben.“ Ich bin der festen Überzeugung, dass man hinter manchen grimmigen Äußerungen der späteren Zeit diesen Willen Balthasars zum ökumenischen Gespräch übergangen hat: „Darum ist in der noch immer gemeinsamen Not ein Gespräch im vollen Sinne notwendig. Es muss ein Gespräch sein, das im Bewusstsein gemeinsamer Schule nach den letzten Gründen der Trennung fragt. Es könnte sein, wenn Gott seine Gnade schenkt, dass am Ende eines solchen Gesprächs die Frage sich erhöbe, ob es sich verlohnt, die Trennung länger aufrechtzuerhalten. Nur allerletzte, allerwichtigste Gründe – und auch diese werden immer, von einer Seite zumindest, objektiv nur Scheingründe sein können – können Christen subjektiv veranlassen, das kostbarste Erbe Christi preiszugeben und seinem dringendsten Auftrag entgegenzuhandeln.“

IV.

Damit kommen wir wieder zu den ursprünglichen Antrieben Balthasars. Es scheint ja, dass Hans Urs von Balthasar sich selbst genügt, gerade eben auch als katholischer Christ. Immer wieder spricht er vom Dank seinen Eltern gegenüber, dass sie ihm die ganze Weite und Tiefe des katholischen Glaubens geschenkt haben. Immer wieder dankt er ganz besonders dafür seiner Mutter. „Seit meiner Geburt (1905) in einer selbstverständlich katholischen Familie... wuchs ich in einem ebenso selbstverständlichen Glauben, den nie ein Zweifel anfocht, auf.“ Man darf dies gewiss nicht enthusiastisch überhöhen, denn Balthasar sagt auch sofort dazu: „Meine Frömmigkeit bis zu diesem Zeitpunkt kann ich schwer beschreiben. Unangefochtener Glaube, Verehrung Marias, aber ein sicher ganz unzureichendes Gebet; Predigten und Religionsstunden langweilten mich fast durchgehend.“ Es bleibt jedoch erkennbar, dass Balthasar in der Weite und Tiefe des Katholischen gleichsam alles fand. So konnte er auch noch in scheinbar ganz fernen Stimmen die Stimme der Catholica hören. Dies gilt gerade auch im Blick auf die Dichter: Goethe, Rilke und Brecht, aber auch für Philosophen, wie Schelling und besonders Nietzsche . Gerade in den großen Heiligengestalten wollte und konnte Balthasar das Gelingen der Integration von Anliegen der getrennten Konfessionen erblicken. So konnte er zwischen der Therese von Lisieux und den Reformatoren erstaunliche Verbindungslinien entdecken . So war es von Anfang an ein tiefes Anliegen Balthasars, Theologie und Spiritualität auch unter ökumenischen Aspekten wieder zu integrieren .

Man kann Balthasars Verständnis nur begreifen, wenn man seinen Begriff des Katholischen begreift. Er ist gerade in dieser Hinsicht fundamental bestimmt von H. de Lubac. Schließlich hat er dem fundamentalen Werk de Lubacs „Katholizismus als Gemeinschaft“ zur Wirksamkeit im deutschen Sprachraum verholfen . Es ist und bleibt ein Grundbuch in der Erneuerung der Kirche im 20. Jahrhundert und eine wichtige Voraussetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils. De Lubac gibt dem Verständnis des Katholischen die ganze Weite wieder zurück. So heißt es programmatisch, dass es zum Glauben gehört „alles, was assimilierbar ist, aufzunehmen, und nichts, was nicht zum Glauben gehört, aufzuerlegen“ . Die Kirche ist in ihrer wahrhaften universalen Sendung keineswegs eine „geschlossene Gesellschaft“, sondern die einzige Realität, die es nicht nötig hat, sich um ihrer Existenz willen anderen entgegenzusetzen und sich dadurch erst zu legitimieren. In diesem Sinne spricht von Balthasar im Blick auf diese Wiedergewinnung des Begriffs des Katholischen von einer „unbelasteten Ursprungsfrische“ .

Vor diesem Hintergrund kann Balthasar geradezu entwaffnend sagen: „Der Katholik, der sich selbst versteht, braucht sich nicht zusätzlich ökumenisch zu geben, er ist es, weil er katholisch ist; die katholische Kirche ist nicht eine Kirche neben andern, sondern der eine Quell und die Mündung aller andern, die unterwegs von ihr abgezweigt sind und sich nur vereinigt mit ihr zusammen ins Meer der Ewigkeit stürzen werden.“ Diese Catholica ist unter vielen geschichtlichen Gestalten verborgen und verhüllt. Man muss einen bestimmten Blick gewinnen, um dies alles wirklich zu sehen. Dabei warnt uns Hans Urs von Balthasar vor jedem Hochmut: „Jede Epoche lebt innerhalb ihres Horizontes und übersetzt sich die Katholizität in diesen hinein. Richten wir nicht; der unsere ist beschränkt genug. Auch die Inquisition war eine solche Übersetzung, galt es doch, um jeden Preis das Ganze (das Katholische) vor der Zerstreuung in Teile und durch Teile zu wahren ... Wenn sogar die Heiligen ihrer epochalen Schranke nicht ganz entrinnen, um wie viel weniger dürfen wir uns schmeicheln, es fertig zu bringen.“ Schließlich wird Balthasar sehr deutlich im Blick auf das ökumenische Vertrauen: „Wahrheiten, die aus der Catholica herausgeschleppt wurden und in anderen Konfessionen oder Sekten weiterleben, tun es oft äußerlich in eingeschrumpfter Gestalt, man kann nachweisen, dass ihnen eine kontrastierende Ergänzung fehlt. Aber der ökumenisch gesinnte Katholik hat kein Recht, sich deswegen eine triumphierende Pose anzumaßen: in seiner Kirche allein könnten jene Wahrheiten sich in der rechten Fülle entfalten. Katholische Wahrheiten haben eine solche Vitalität, dass sie zuweilen auch unter eingeschränkten Verhältnissen – wie starke Pflanzen in kargem Boden – ihren genuinen Gehalt entfalten... Damit wird ökumenisches Gespräch zwischen den Konfessionen möglich, ohne dass der Katholik seinen Standpunkt, vielmehr den Standpunkt seiner Kirche, zu relativieren braucht. In den konfessionellen Horizonten, in dem, was die Kirchen explizit als ihr Bekenntnis herausformulieren und was sich oft polemisch gegeneinander abgrenzt, kann je katholische Wahrheit implizit leben, welche die Formeln, in die sie eingezwängt wird, übersteigt. Jeder Partner kann dies bei sich selber feststellen und damit geneigt sein, dasselbe auch dem andern zuzugestehen. Und jeder hat die Chance anlässlich der Behauptung des Partners bei sich selbst auf die Differenz zwischen Formulierung und gemeintem, zumindest gelebtem Inhalt aufmerksam zu werden.“

Dieser Begriff des Katholischen, der das Ökumenische anfänglich und wurzelhaft in sich begreift, ist uns noch weitgehend fremd. Balthasar ist der Meinung, dass Katholiken darüber im ökumenischen Gespräch weniger gern reden und es eher abwerten. Er ist der Meinung, dass es zwei Arten gibt, davon zu sprechen: „Auf ‚gegenreformatorische’ (Art), die polemisch Satz gegen Satz stellt, und auf wahrhaft katholische, die vom gemeinsam bejahten Mysterium aus zu denken versucht und aus ihm das unterscheidend Katholische so aufzeigt, dass der Partner auch von seinem Standpunkt aus die inneren Zusammenhänge zu sehen vermag. Weder ‚Kontroverse’ also noch diplomatische ‚Konkordanz’ und neutrale ‚Konfessionskunde’, sondern ein solches Denken, das sich deshalb ökumenisch nennen darf, weil es katholisch ist.“ Diese Sätze können einen erschrecken. Es kann offensichtlich so nur einer reden, der nicht dauernd nur in den Zwistigkeiten, Polarisierungen und Abgrenzungen der Konfessionen steht und lebt. Er hat wirklich einen therapeutischen Blick, der uns aus den Zersprengungen und Verzagtheiten eines Konfessionalismus herausholen könnte, der gerade heute bei mancher krampfhaften Identitätssuche stärker sichtbar wird.

Es ist gut für die Ökumene, dass es auch solche Theologen gibt, die nicht nur einfach ökumenische Experten sind. Sie haben eine gewisse Unbekümmertheit und Frische, wenn es darum geht, Ursprüngliches wiederzuentdecken. Und dies brauchen wir heute ganz besonders, wo wir immer wieder in Gefahr kommen, unsere Identitäten bis in die letzten Details zu suchen, aber das gemeinsame Erbe eher aus den Augen verlieren. Gerade dieses Erbe sollten wir aber bis an die Hecken und Zäune verkünden. Es ist nicht zufällig, dass bei Hans Urs von Balthasar die biblische Kategorie der Sendung eine ganz entscheidende Rolle spielt.

An dieser Stelle müsste man nochmals ganz neu beginnen. Jetzt müssten wir ein wenig nachvollziehen, wie umfassend Balthasar besonders in seiner großen Trilogie der europäischen Kultur in allen ihren Sparten und in vielen Gestalten nachgeht, um das Gute, Wahre und Schöne wieder ursprünglich zum Leuchten zu bringen. Es gibt kaum einen Theologen unserer Zeit, dessen Theologie so gesättigt ist von großer Kultur. Und nicht zufällig liebte er mit großer Zuversicht das Pauluswort „Prüfet alles, das Gute behaltet“ (1 Thess 5,21), zugleich Titel eines Gespräches mit Angelo Scola, dem heutigen Kardinal und Patriarchen von Venedig .

Ein letzter Gedanke darf nicht fehlen. Wo so viel Hoffnung und Zuversicht für die Welt ist, scheint es keine Grenzen zu geben. Aber damit ist nicht gemeint, dass Gottes Heil gratis ist. Es ist immer Gabe und Aufgabe. Es nimmt uns darum auch in Pflicht. Dies hat eine große Reichweite und fürchtet sich nicht vor der Angst und auch dem Tragischen in der Welt. Ja, der Christ denkt bei Balthasar buchstäblich an alle. Auch wenn er an die reale Möglichkeit des Heilsverlustes gerade für einen selbst denkt und daran festhält, hat er gerade für die Hoffnungslosen noch eine Hoffnung. Balthasar hat, übrigens ähnlich wie Karl Barth, ein ganzes Leben lang, nicht unähnlich dem oft verkannten Origenes, mit diesem Thema gerungen, und zwar bis zum Schluss. Dies zeigt, wie weit die Ökumene Balthasars reicht.

Kleines Nachwort

Ich bin beim Vortragen dieser Gedanken in der Diskussion von O. H. Pesch gefragt worden, ob dies denn noch gerade für heute ein realistisches ökumenisches Programm sei, und ob nicht dies eine große Täuschung wäre, wenn man mit diesem Anspruch des Katholischen heute ökumenische Theologie treibe. Ich habe diese Frage erwartet. Obwohl ich glaube, im ganzen Text schon eine Antwort gegeben zu haben, will ich noch wenigstens einige Stichworte dazu beisteuern. Für den frühen Balthasar, also den Autor des Barth-Buches, besteht für mich kein Zweifel, dass er ein lebhaftes Interesse am konfessionellen Gespräch hatte, dieses enorm förderte und gewiss auch bestens in der Lage gewesen wäre, daran weiterzuarbeiten, wie dies ja punktuell im späteren Werk sichtbar wird. Aber er ist auf eine solche Mitarbeit, soweit wir dies bisher feststellen können, nicht angesprochen worden, was auch daran liegt, dass in jener Zeit der ökumenische Dialog sich nur langsam entwickelte. Es war dann zweifellos ein großer Fehler, dass Hans Urs von Balthasar nicht – ob von Seiten der Schweizer Bischöfe oder Roms – zu einem Berater im Zweiten Vatikanischen Konzil herangezogen worden ist. Es fehlte nicht nur sein immenser Sachverstand, sondern ihm fehlte nachher auch der konziliare Umgang und kollegiale Stil in der Theologie. Er war ja ohnehin der notwendigerweise immer etwas einsame Schriftsteller. In dieser Situation, vielleicht auch durch die Erfahrungen mit dem Schweizer Katholizismus in der Nachkonzilszeit mitbestimmt, hatte er gewiss auch im Umgang mit der Ökumene die Überzeugung, dass in diesen Tendenzen das Erbe und der Schatz des Katholischen manchmal billig verschleudert werden. Er glaubte, dass er daher jetzt andere Aufgaben habe. So hat er sich noch stärker zurückgezogen. In diesem Sinne muss man klar sagen, dass man gewiss nicht Balthasars Identifikation des ursprünglich Katholischen mit dem wahrhaft Ökumenischen zum Leitprogramm ökumenischer Arbeit machen kann. Aber ich bin mir sicher, dass diese geradezu utopische Herausforderung für den heutigen Dialog methodisch und inhaltlich von großer Bedeutung sein kann - gewiss mehr punktuell und durch einzelne Theologen eingebracht. Der Autor des kleinen Buches „Schleifung der Bastionen“ , das über 50 Jahre alt ist, und in dem heute noch in nuce der ganze Balthasar lebt, hat auch hier noch der Zunft etwas zu sagen. Man muss sich nur intensiv mit ihm beschäftigen und sich gegen manche Strömungen des theologischen und ökumenischen Denkens etwas sagen lassen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

Im Originaltext sind eine Reihe von Fußnoten enthalten. 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz